Glenn Gould - Extremist ohne Gnaden (oder: worin besteht seine Faszination?)

  • Wer dem Menschen und Pianisten Glenn Gould in seiner Eigenart begegnen möchte, dem empfehle ich die gerade bei Sony erschienene Doppel-CD "Glenn Gould, Die Schwarzkopf-Bänder, Richard Strauss". Darin finden sich nicht nur sechs fertig produzierte Strauss-Lieder, sondern auch zwei "Burlesken", bei deren erster Gould lauthals mitsingt.

    jaja, ich liebe diese Aufnahmen, auch wenn ich Deiner Beschreibung entnehmen darf, dass Du lieber Helmut Hofmann kein wirklicher Anhänger dieser Interpretationen bist. Für mich waren die Aufnahmen der Strauss-Lieder mit Elisabethn Schwarzkopf und Glenn Gould schon lange Bestand in meiner durchaus kleinen Liedersammlung.


    Gould war sicher kein einfacher Charakter und hatte, wie oben beschrieben, auch einige Neurosen. Mein Eindruck ist aber, dass einfache Charaktere sich selten bemüßigt fühlen, Kunst zu produzieren. Kunst ist ein Element der Sublimierung.


    Und anders, als in diesem Thread irgendwo geschrieben, ist natürlich Glenn Gould ein extremer Klangfetischist. Keinen anderen Grund gäbe es, das Klavier zu präparieren.


    Ich glaube, wenn man Gould genießen will, muss man bereit sein, Einseitigkeit der Interpretation als wirklich eine Seite einer Interpretation zu sehen. Pianisten wie Brendel, die über ihr Leben hin eine "gültige" Interpretation anstreben, haben das Problem, dass es diese eventuell gar nicht geben kann. So gerne ich Brendel zum Beispiel bei Schubert höre (durchaus auch seine alten Aufnahmen), habe ich mit seinem Beethoven das Problem, dass mir eigentlich der Beethovensche Schwung fehlt. Trotz aller Sensibilität im Anschlag gelingt es mir nicht, Spannung aus dieser Interpretation herauszuhören (selbstverständlich ist das hier sehr pauschal, um etwas überspitzen zu können). Etwas, was mir Gould auch bei Beethoven auf dem Präsentierteller serviert, eventuell bei der Appassionata etwas überdehnt ;).


    Ich akzeptiere natürlich Dein exorbitant umfangreicheres Wissen in der Liedinterpretation, möchte aber doch zu Bedenken geben, dass mich diese Strauss-Lieder, wie auch immer sie entstanden sein mögen, nun doch Jahrzehnte mit Begeisterung begleiten.

  • Johann Sebastian Bach: Goldberg-Variationen BWV 988 (The Complete Unreleased 1981 Studio Sessions)

    ab 30.9.2022 11 CD's

    Es gibt darüber einen schönen Bericht im neuen Fono Forum!

    csm_FonoForum_010_2022_001k_2db0c5156b.jpg

    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Ich danke dir fiesco für diesen Hinweis.


    Glenn Gould total.

    Auf 11 (in Worten elf) CDs werden uns alle Aufnahmen Glenn Goulds seiner letzten Interpretation der Goldberg-Variationen samt Kommentaren des Meisters, die er während den Aufnahmesitzungen gemacht hat, zugänglich gemacht.


    Das Label Sony beschert uns zum 90. Geburtstag Glenn Goulds mit dieser Box und einem 219seitigem Hardcover Buch. Ich staune, wie die Vermarktung perfekt funktioniert.


    Goulds sehr zahlreiche Tonträger stehen auf meinen Regalen. Muss ich auch die verworfenen Interpretationen besitzen?, frage ich mich.


    So faszinierend und verlockend es ist, sich auch mit diesen Aufnahmen zu beschäftigen, werde ich darauf verzichten.


    Als Geldanlage lohnt vielleicht die Anschaffung, wenn die limitierte Edition vergriffen sein wird und man sie für einen Mondpreis später verkauft. ;)


    Ich erfreue mich an dem, was von diesen Aufnahmesitzungen in der endgültigen Fassung zu hören ist.

    Für Einsteiger: Die Aufnahme aus dem Jahr 1981 gibt es für 7.99 Euro beim Werbepartner.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Johann Sebastian Bach: Goldberg-Variationen BWV 988 (The Complete Unreleased 1981 Studio Sessions)

    ab 30.9.2022 11 CD's

    Es gibt darüber einen schönen Bericht im neuen Fono Forum!

    csm_FonoForum_010_2022_001k_2db0c5156b.jpg

    LG Fiesco

    Lieber Fiesco Da hast Du ja etwas für mich Verlockendes gefunden ..... Ich bin mir aber etwas unsicher, ob ich mir durch eine solche Analyse in die Einzelteile nicht mein Hörerlebnis der 1982-ger "Einspielung2 nicht zerstöre... Ich grüble noch

  • Lieber Fiesco Da hast Du ja etwas für mich Verlockendes gefunden ..... Ich bin mir aber etwas unsicher, ob ich mir durch eine solche Analyse in die Einzelteile nicht mein Hörerlebnis der 1982-ger "Einspielung2 nicht zerstöre... Ich grüble noch

    Hallo astewes, als ich das FF in den Händen hielt habe ich sofort an dich gedacht!! :)

    Ich habe immer noch, das FF im Abonnement seit 1972!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Zitat von astewes

    Lieber Fiesco Da hast Du ja etwas für mich Verlockendes gefunden ..... Ich bin mir aber etwas unsicher, ob ich mir durch eine solche Analyse in die Einzelteile nicht mein Hörerlebnis der 1982-ger "Einspielung2 nicht zerstöre... Ich grüble noch

    Hallo astewes, hier habe ich noch was für dich! :)

    Glenn Gould„Tremendous, Glenn.“


    Zitat von Rondo Magazin

    Vor genau 40 Jahren erschien Glenn Goulds berühmte zweite Einspielung der „Gold­berg-Variationen“. Nun lassen sich die Aufnahmesessions nachhören.

    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Egal, wie man zu seinen Einspielungen von Stücken Beethovens oder Mozarts steht, er ist und bleibt DER Bach-Interpret.


  • Egal, wie man zu seinen Einspielungen von Stücken Beethovens oder Mozarts steht, er ist und bleibt DER Bach-Interpret.


    Warum?

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ein Gould-Fan bin ich wahrlich nicht. Für Beethoven, Mozart und allerdings auch für Skrjabin, den er mit der fünften Sonate verhunzt hat, reizt er mich in keiner Weise, während es zum Beispiel nichts gegen ihn zu sagen gibt, meine ich, für manches Modernere oder für das Klavierquartett von Schumann. Doch diese geniale Auffächerung der Linien bei Bach stellt schon etwas ganz Besonderes dar und scheint mir relativ konkurrenzlos - im Hinblick auf dieses Kriterium zumindest.


    PS: Es dürfte sich allerdings lohnen, diesen uralten Faden zu studieren. Auf die Schnelle sind mir da sehr interessante kontroverse Beiträge aufgefallen, die vielleicht sogar noch Klischees auf meiner Seite ins Wackeln bringen könnten. Vor fünfzehn Jahren, als ich hier schon mal geschrieben habe, kannte ich weniger von Goulds Produkten als heute - dabei haben sich für mich die positiven und negativen Momente dennoch weiterhin gegenseitig ausgeglichen und von Verehrung kann weiterhin keine Rede sein. :P:)


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Glenn Gould - dem ich auf Grund seiner Exzentrik nicht sehr zugetan bin und dessen Beethoven und Mozart ich überhaupt nicht mag - ist natürlich eine wichtiger Pfeiler der Bach-Interpretation. Aber ich persönlich würde nicht sagen, dass er DER Bach-Interpret ist. Einerseits haben sich die Zeiten geändert und ich suche DEN Bach-Interpreten zum Beispiel eher im Cembalo-Bereich. Und stelle fest, dass es da glücklicherweise keine einsame Spitze, sondern ein breites Vorderfeld gibt. Andererseits ist Goulds Hörbachmachen der Linien bei Bach eine kleine Revolution gewesen - raus aus dem Klangbrei, der auch Händel und Bach oft hoffnungslos zugekleistert hat. Das macht ihn - auf dem Klavier - schon zu einem der wichtigsten Bach-Interpreten...

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Egal, wie man zu seinen Einspielungen von Stücken Beethovens oder Mozarts steht, er ist und bleibt DER Bach-Interpret.




    Warum?


    Ich hoffe, dass wir uns alle einig sind, dass es hier in dieser Absolutheit um ein Geschmacksurteil geht, das in diesem Fall meinem persönlichen Geschmack sehr nahe kommt. Für mich heißt das, dass ich mich mit Goulds Bachinterpretationen immer wohl fühle, sie treffen wohl einen Nerv bei Bach und offensichtlich auch bei mir.


    Ich würde den werten Kollegen einige andere Einspielungen anbieten und gerne darüber diskutieren, was dem einen oder anderen an der jeweiligen Einspielung gefällt und was eben nicht.


    Zuerst fällt mir da auch Angela Hewitt ein, deren Einspielung der Bachschen Toccaten für mich auch in die obersten Ränge gehört. Erfreulicherweise ist diese im Web zu finden



    Viilleicht aus der Riege der bekannten Interpreten, wenn auch nicht notwendigerweise Bach zugeordnet


    Grigory Sokolov ( leider unterirdischer Ton)



    und als jüngeren Tastenstar Valentina Lisitsa



    Und aus der älteren Generation die Rumänin Clara Haskil,



    Ich hätte gerne noch Mahan Esfahani mit seinem Cembalo dazugenommen. Leider findet sich die Aufnahme nicht im Web.


    Mich würde nun interessieren, wer welche Interpretation warum bevorzugt, so eine Art sehende Verkostung .... :)

  • Ja, lieber Christian, warum?


    Es gibt die eine oder andere Einspielung bach´scher Stücke, die mir bei anderen noch besser gefallen als bei Gould. Gavrilov ist aus meiner Sicht Referenz bei Goldberg, Lisitsa spielt manches noch gefühlvoller, Pogorelich hält den Flow genauso eisern, Dubravka Tomsic hat vielleicht beim Italienischen Konzert die Nase leicht vorn.


    Aber Gould ist immer weit vorn mit dabei und meist konkurrenzlos, wie z.B. beim WTK, KdF oder den Partiten. Seine Technik ist über alle Zweifel erhaben (es gibt keine Stücke, die zu schwer für ihn sind), die Anschläge sind, selbst bei Uralt-Aufnahmen wie dem KdF aus 1953, die saubersten, die es zu hören gibt, der Flow ist makellos und insgesamt repräsentiert er den bach´schen Spirit des Kontrapunkts so authentisch wie sonst niemand. Zudem ist er hoch reflektiert, denkt umfassend über die Musik nach, die er spielt und ändert auch schon mal seine Einstellung, wie bei den Goldberg-Variationen, die er 1955 noch sensationell virtuos gespielt hat und 1981 bald halb so schnell, aber beides sind gültige Interpretationen wie zwei Seiten einer Medaille.


    Nachdenken und Lernfähigkeit werden bei dem unten dargestellten Interview offenbar. Hat Gould doch bei der Gesamtaufnahme des WTK für die 878-Fuge gerade mal 1:51 min benötigt, jetzt spielt er sie in über 5 min, und sie gewinnt dabei sooo sehr, wie er das ja ausführt, daß man sich wundert, daß er der einzige ist, der sie so langsam und ausdrucksstark spielt.


  • Banner Trailer Gelbe Rose