Manze ist nach meiner Einschätzung sicherlich einer der markantesten Violinisten im historisch informierten Sektor - und zudem einer, der a) einen sehr individuellen Ton hat (den ich so gar nicht als besonders »kratzig« empfinde) und b) eigenwillige und unverwechselbare Interpretationen vorlegt. Die hier schon mehrfach erwähnten Rosenkranz-Sonaten Bibers etwa sind in seiner Lesart durchaus zwingend und in ihrer kontemplativen Zurückgenommenheit einzigartig - auch wenn mir persönlich einige andere Interpretationen näher sind. Auch andere Violinsonaten Bibers spielt er makellos und sehr eigen - und zeigt dabei, daß er sich durchaus auch auf virtuos-artistische Äußerlichkeiten versteht. Seine Interpretation der Händel-Sonaten gefällt mir mindestens so gut wie die Holloway-Einspielung.
In den letzten Tagen habe ich erstmals auch »Bekanntschaft« mit ihm als Orchesterleiter gemacht und zwar durch diese Scheibe:
Eingespielt sind die vier 12stimmigen Orchestersinfonien (Wq. 183, 1-4) Carl Philipp Emanuel Bachs. Die Interpretationen hinterlassen bei mir einen irgendwie zwiespältigen Eindruck. Ja, es wird auf allerhöchstem Niveau musiziert, das Ganze hat eine ungeheure innere Dynamik und einen ordendlichen Drive. Mitreißend! Seltsam jedoch muten die in den schnellen Sätzen am Ende nahezu jeder melodisch-thematischen Phrase gesetzten ritardandi (bisweilen verbunden mit einem heftigen decrescendo) an sowie ein bisweilen aufgesetzt wirkender Hang zum rubato. Einerseits werden damit die bei Bach ohnehin heftigen Registerwechsel der Leidenschaften ordenlich forciert - andererseits verlieren die Wechselbäder der Affekte durch die Ritardando-Ankündigungen doch an Spontanität und Plötzlichkeit. Ich weiß noch nicht so recht, ob mir das dauerhaft gefallen wird...
Ist das allgemein der Personalstil des Dirigenten Manze oder ausschließlich seiner Interpretation dieser »Leidenschafts-Sinfonik« C.P.E. Bachs vorbehalten?
Ganz herzlich,
Medard