Ist serielle und atonale Musik out?

  • Hallo Edwin,
    für mich ist Farbe auch ein Ausdrucksmittel (La mer).
    Außerdem habe ich ja nicht behauptet,daß Ch.Ives
    nicht auch atonal komponiert hat,A.Berg auch,aber
    warum finde ich seine Werke (Streichquartett,Violin=
    konzert,Wozzeck,u.a)schlüssig und ausdrucksstark ?


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    An Austausch an Information zwischen den Lagern besteht kaum Interesse. Die "wissenschaftliche Fraktion" beweist der anderen, dass jene nur Unsinn schreibt, während die andere Fraktion ihre Statements produziert, um ein "ja so ist es" zu ernten


    Wir versuchen hier doch die ganze Zeit, Begriffe zu klären, oder? Bitte erleuchte uns mit deinem Fachwissen, aber nimm selbiges nicht zum Anlass, aus der terminologischen Unsicherheit anderer die Aussage abzuleiten, dass sie nur Unsinn schreiben. Oder nur um Beifall zu ernten.


    Zitat

    Ein musikwissenschaftlich korrekter Threadtitel zu dem Thema wäre: "Mag heute noch jemand das schiefe Zeugs des 20. Jahrhunderts" - hier wird jeder Begriff korrekt verwendet.


    Hättest du auf so einen Titel erfreuter reagiert? Ich gebe zu, dass ich die Formulierung von Herbert Henn auch nicht so gebracht hätte, aber die Verwendung von Fachausdrücken dient - denke ich - mehr dem Respekt vor dieser Musik als dem, was du im folgenden unterstellst:


    Zitat

    Indem aber musikwissenschaftliches Vokabular eigentlich nicht verwendet sondern zitiert wird und zwar so, dass es - will man dem Posting unterstellen, dass es einen Sinn haben soll - in der Bedeutung verfremdet wird, gibt man sich einerseits den Anschein, gebildet zu sein


    Noch so eine Nettigkeit...


    Auch die Polemik, mit der in den letzten Beiträgen alles nicht-tonale ironisch als "böse" bezeichnet wird, trifft überhaupt nicht zu. Niemand nimmt den betreffenden Komponisten ihre Spielchen übel. Kein Missklang sorgt mehr für einen Skandal, und vielleicht ist gerade das das Dilemma der zeitgenössischen Neutöner.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Verzeihung, jetzt habe ich wohl etwas überzeichnet.


    Allerdings haben wir wiederholt solche Diskussionen hier und all die dauernden Begriffsklärungen scheinen eher ignoriert zu werden - man macht sie dann schon eher aus Gewohnheit und geht davon aus, dass es ohnehin niemand aus dem "atonal=Mist"-Lager liest ...
    :rolleyes:


    Da Du auf dieses boshafteste meiner Postings eingehst, sehe ich, dass dem doch nicht ganz so ist.
    :lips:


    Nun, ich kann Euer Gefühl, der atonalen Musik fehle etwas - nämlich die Tonalität - durchaus nachvollziehen. Wenn ich sehr viel klassische oder romantische Musik höre und nachher etwas anderes, dann muss ich mich auch erst wieder daran gewöhnen, dass Funktionsharmonik und klassische Formen fehlen. In den letzten Jahren habe ich sehr wenig klassische und romantische Musik gehört und so ist diese mir (beim Hören) etwas fremd geworden, sie erscheint dann gewissermaßen etwas zäh, da man dort immer durch diese Formen durch muss ...


    Nun schreibst Du:

    Zitat

    gewisse Grundbedürfnisse des tonal empfindenden Menschen


    Wie kann ich das auslegen? Wenn ich klassisch-romantische Musik höre oder spiele entwickle ich natürlich aus Kenntnis und Schulung die passenden Bedürfnisse. Ich erfreue mich an formellen Details, die es nur aufgrund der Funktionsharmonik und ihrer Anwendung in der Form gibt. Ich mache Agogik und gebe soviel Gefühl hinein wie möglich (grade dass ich nicht vom Klaviersessel falle). Ich bin ergriffen von der Musik und schmachte, was das Zeug hält (letzteres natürlich nur in der Romantik).
    =)


    Aber warum soll denn jede Musik diese "Grundbedürfnisse" stillen? Sind es "Grund"-Bedürfnisse?


    Zitat

    nur wer beim Komponieren kein tonales Zentrum setzt, verweigert dem Hörer etwas ganz Grundlegendes.


    Das ist ganz objektiv leicht zu widerlegen, wie ich es bereits getan habe. Vor dem Barock gibt es keine tonalen Zentren, bei Reger wackeln sie permanent derart, dass es auch keine Zentren mehr sind. Somit ist das nichts Grundlegendes für europäische Kunstmusik sondern nur ein Aspekt der Musik der klassisch-romantischen Epoche, der sich im Barock vorbereitet.
    :hello:

  • Was sich für mich auf jeden Fall aus dieser Diskussion ergibt, ist die Erkenntnis, dass "Tonalität" viel subjektiver ist, als ich dachte. Du hast oben auf die Relativität eines angenommenen Grundtons bei modalen Tonleitern verwiesen, und das finde ich durchaus einleuchtend. Trotzdem habe ich beim Anhören von Musik aus Mittelalter und Renaissance das Gefühl von Tonalität, ja einer Tonalität, die eindeutiger ist als vieles im romantischen Bereich beispielsweise. Damit meine ich, ich könnte beim Hören vorbarocker Vokalpolyphonie an einer beliebigen Stelle sagen: "Das ist der Grundton" und diesen ansingen. Vielleicht ist das aber nicht objektivierbar und andere würden an der gleichen Stelle einen anderen Ton als Grundton annehmen - keine Ahnung.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Hallo Draugur,
    der Kurzstueckmeister nimmt seine Polemik ohnedies stark zurück - aber dennoch bitte ich schon um Verständnis für die "moderne Fraktion", der auch ich mich irgendwie zugehörig fühle.


    Du monierst, daß sich der Kurzstueckmeister arrogant auftritt wegen der Begriffsdefinition.
    Nicht böse sein: Das ist ebenso arrogant oder ebenso wenig arrogant, wie die falsche Verwendung von Fachausdrücken zur Untermauerung eines eigenen Vorurteils.
    Wenn eine permanente Gleichsetzung von dissonant, atonal, zwölftönig, seriell etc. betrieben wird, um dem privaten Geschmacksurteil "mag ich nicht" einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, dann reagiert man als Moderne-Anhänger früher oder später einmal so.


    Natürlich ist es ganz lustig, solch provokante Fragen zu stellen, wie es Herbert gemacht hat - ich amüsiere mich ja selbst über mich, daß ich da wirklich noch auf die Barrikaden steige. Nur sollte man dann nicht wehleidig reagieren, wenn eine Reaktion eintritt (damit meine ich nicht Herbert, der auch recht gut einstecken kann und daher meine Hochachtung hat).


    Es ist nämlich ein gewaltiger Unterschied, ob beispielsweise der Kurzstueckmeister und ich uns prügeln, wer denn der bedeutendere Komponist sei - Boulez oder Cage (er wird Cage nennen, ich Boulez); denn dieser Diskussion liegt zugrunde, daß wir mit unserem Vokabular die gleichen Inhalte bezeichnen und daß wir grundlegend beide der Meinung sind, daß die serielle Musik und die Aleatorik bedeutende Konzepte sind, die man in das eigene künstlerische Denken integrieren muß - und zwar auch dann, wenn man sie ablehnt.
    Eine solche Diskussion hat einen völlig anderen Ansatz, als wenn jemand sagt, atonale und serielle Musik sei "out", weil man lieber harmonische als dissonante Musik höre.
    Hier bekomme ich wirklich "Zustände", weil Begriffe ins Treffen geführt werden, die einander nicht bedingen. Womit mir aber jegliche Argumentationsbasis genommen wird. Denn wogegen soll ich argumentieren?


    Oder soll ich polemisieren und sagen, out seit in Wahrheit nur eine Musik, die man auf einem Werkel spielen kann - und zwar, weil es keine Werkelmänner mehr gäbe, weshalb Rossini und Verdi sich als Melodielieferanten überlegt hätten?
    (Vorsicht! Das ist nicht meine Meinung - zumindest nicht im Fall Verdis!)


    Meiner Meinung nach ist es jedem unbenommen zu sagen, er fände serielle Musik pfui. Wenn das als persönliche Meinung ausgegeben wird, kann man das akzeptieren - oder sogar eine Diskussion führen über individuelle Hörgewohnheiten oder individuelle Postulate an ein Werk.


    Aber - wie gesagt: Herbert ist die Provokation wohl gelungen, das finde ich schon gut so (bringt eine gewisse Dissonanz ins Spiel, wodurch die langweilige Harmonie brillant gestört wird!). Nur die Empfindlichkeiten sollten dann meiner Meinung nach auch nicht übertrieben werden.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Wenn eine permanente Gleichsetzung von dissonant, atonal, zwölftönig, seriell etc. betrieben wird, um dem privaten Geschmacksurteil "mag ich nicht" einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, dann reagiert man als Moderne-Anhänger früher oder später einmal so.


    Ich wollte mich nicht als wehleidig oder empfindlich erweisen. Ich habe mir nur kurz erlaubt, ein paar Spitzen von KSM herauszugreifen, über die wir uns ja inzwischen verständigt haben.
    Ich möchte mich jedoch verwahren gegen den Vorwurf (falls dieser auf mich od. unter anderem auf mich gemünzt ist), die oben genannten Begriffe gleichzusetzen und sie als Synonyme für Musik zu verwenden, die ich nicht mag. Dafür sehe ich in den von mir hier gelieferten Beiträgen keine Grundlage. Da ging es ausschließlich um die Unterscheidung zwischen tonaler und nicht tonaler Musik, was ja an sich schon mal recht schwer ist.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Hallo Draugur,
    wenn Du den ganzen Thread liest, ist er durchaus darauf angelegt, "atonale" und "serielle" Musik als "out" zu klassifizieren und ihr die vom Publikum geliebte "harmonische" Musik gegenüberzustellen.
    Genau wegen dieser Unschärfe haben der Kurzstueckmeister und ich ja etwas scharf reagiert. Es war, wie man auf wienerisch sagt, im Sinne "net scho wieda!"


    Aber jetzt einmal eine andere Frage: Könntest Du z.B. bei einem gregorianischen Gesang tatsächlich rein akustisch einen "tonalen" Schwerpunkt feststellen?
    Und bei einem indischen Raga auch? - Denn wenn das tonale Empfinden etwas Natürliches ist, werden die alten Gregorianiker und die ebenso alten Ragistiker ja wohl eindeutig als tonal definierbare Musik von sich gegeben haben.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Aber jetzt einmal eine andere Frage: Könntest Du z.B. bei einem gregorianischen Gesang tatsächlich rein akustisch einen "tonalen" Schwerpunkt feststellen?
    Und bei einem indischen Raga auch?


    Vorsichtig: Ja, denke ich schon. Wenn ich mir die in meiner inneren Audiokartei abrufbaren Fetzen dieser Musikrichtungen aktiviere, scheinen mir da die Grundtöne sogar recht stark präsent zu sein.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Original von Draugur
    Wenn ich mir die in meiner inneren Audiokartei abrufbaren Fetzen dieser Musikrichtungen aktiviere, scheinen mir da die Grundtöne sogar recht stark präsent zu sein.


    Ich schau mal kurz in meiner nach.
    :D


    Momentan höre ich eigentlich nur Josquin Desprez. Bislang habe ich mich nicht bemüht, Grundtöne zu suchen, da meines Wissens solche nicht vorhanden sind. Ich werde mal beim nächsten Mal überlegen, wo man welche Kadenz erwarten könnte und kontrollieren, wieviele dann auch wirklich kommen. Es ist klar, dass das Einführen von Leittönen einen Abschluß ankündigt und dass man dadurch schon ein paar Töne im vorraus weiß, auf welcher Tonhöhe der Abschluss wahrscheinlich sein wird. Aber über weite Strecken ist man da völlig im Unklaren, denke ich.


    :hello:

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Hallo Draugur,
    ich rede aber jetzt von Grundtönen, nicht von der Finalis bzw. der gregorianischen Dominante.
    Wenn dem so ist - bewundere ich Dich. Zumindest bei Ragas brauche ich Hilfstonleitern um Tongewichtungen festzustellen.
    Und bei der Gregorianik kann mich auch schon einmal ein "Alleluja" verunsichern.


    Hallo KSM,

    Zitat

    Aber über weite Strecken ist man da völlig im Unklaren, denke ich.


    So sehe / höre ich das eigentlich auch.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Momentan höre ich eigentlich nur Josquin Desprez. Bislang habe ich mich nicht bemüht, Grundtöne zu suchen, da meines Wissens solche nicht vorhanden sind. Ich werde mal beim nächsten Mal überlegen, wo man welche Kadenz erwarten könnte und kontrollieren, wieviele dann auch wirklich kommen.


    Den Test werde ich bei nächster Gelegenheit auch machen. Ich singe derzeit öfters mit einem kleinen Ensemble Teile aus der "Missa Hercules dux Ferrariae", auch aus der Version von Jacques Colebault.


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Hallo Draugur,
    ich rede aber jetzt von Grundtönen, nicht von der Finalis bzw. der gregorianischen Dominante.
    Wenn dem so ist - bewundere ich Dich.


    Lieber nicht, so gut kenne ich mich da wirklich nicht aus. :untertauch:


    Ich habe da so vereinzelte Melodien im Kopf, die für mich teilweise z. B. dorisch, teilweise ionisch klingen. Und was indische Musik angeht, da habe ich mal eine CD gehört, auf der aber vielleicht gar keine Ragas waren. Da sind mir jedenfalls ausgedehnte Tonrepetitionen im Gedächtnis, wo sich die Frage nach einem Grundton gar nicht stellt. Du merkst, du triffst mich da recht unvorbereitet.


    Was z. B. an Melodien von den Troubadours, Trouvères und den Minnesängern, durch das Llibre Vermell de Montserrat sowie im Rahmen der Ars nova überliefert ist, da meine ich recht durchgehend Grundtöne zu erkennen.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Hallo zusammen!


    Hmm, Bekannter von mir ist der Meinung, Schönberg & Jünger waren gut, um uns mal die Ohren freizuspülen von dem ganzen Tonalitätskram..


    Nun ja, auch wenn ich ganz speziell mit der sog. Zweiten Wiener Schule so meine Probleme habe, wurde ja bereits darauf hingewiesen, daß es hier eine echte Weiterentwicklung und in jüngerer Zeit Musik geschrieben wird, von der man nie erwartet hätte, daß sie im Kern serielle Techniken bemüht.


    Dennoch gibt es einen interessanten Aufsatz von Erich Kästner über die Musik, die aus seinen letzten Lebensjahren stammt, in welchem er zum Schluss kommt, daß manche Komponisten aus der Geschichte falsche Schlüsse gezogen haben. Nicht, weil sie bestimmte Techniken verwendet haben, nicht weil sie zu modern klingen, sondern, weil sie ihr "eigentliches" Ziel verraten haben: Musik zu schreiben, weil sie etwas "sagen" wollten. Sie haben gesehen, daß ein Mahler seine Zeit brauchte, und zogen den Schluß daraus, man müsse bewußt unverständlich schreiben, bewußt provokativ, damit man später als eine Größe anerkannt wird.


    Ob dies so wirklich stimmt, sei mal dahin gestellt, aber bei manchen Werken, die ich live erlebt habe, hatte ich mich auch gefragt, was das Ganze sollte.
    Als ich dann eines ABend nach dem Konzert ca. 30-Jährigen sah, der sich vom umgebenden Konzertpublikum, was noch kurz davor mit der Nase rümpfte frenetisch begaffen ließ und er noch herablasssend artikulierte, man müsse einfachen Sachen machen, die aus dem Konzept fallen - wewr will schon gewöhnlich komponieren - da war mir dann doch einiges klar.


    Ansermet hatte wohl mal einen Schüler, der auf seinen Wunsch hin, einen Marsch zu schreiben, meinte dies sei unter seiner Würde und er wolle unbedingt ein ernstahftes Werk schreiben, mit dem er es zu Geltung bringe. Das wurde Ansermet wohl ein wenig sauer.....


    Eigentlich ist es schade, daß ein derart verzerrtes Bild des 20. Jhd. in den Köpfen spukt. Sicher gibt es die oben genannten Kästner-Fälle, vielleicht sogar noch mehr als in irgendeinem Jahrhundert zuvor, aber ich kann mich auch des Eindrucks nicht erwehren, daß gerade DIE Leute am lautestesten jaulen, die am wenigsten Hörerfahrung im 20. Jhd haben. Oder vielleicht nur die "falschen" Werke mitbekommen haben. (AUs ihrer SIcht versteht sich). Dabei ist es schade, daß es in einem von Stilpluralismus geprägten Jahrhundert zu sochen Vorbehalten kommen kann.
    Wer trägt Schuld daran? Zunächst einmal jeder selbst. Wenn ich Beethoven für grauenvolle erachte, könnte ich geistig flexibel genug sein, nicht die ganze Zeit abzuqualifizieren und würde plätzlich Schubert für mich entdecken.
    Kleines Aber: In vielen Konzertprogrammen wird mittels Sandwichprogramm ein völlig falscher Zugang gelegt. Meist werden dann wirklich Werke gewählt, die sich IMO für einen ersten Zugang wohl eher schlecht eignen.
    Hier steckt denke ich ein wenig Elitarismus des Konzertbetriebs dahinter. Warum auch immer.
    Ich meine, man muss nicht unbedingt Gubaidulina zwischen Locatelli und Vivaldi legen. Das bewußte Hörerwartungen-Zerstören halte ich für fragwürdig.....
    Apropos 20. Jhd. : In Berlin ist das "War Requiem" zu einer festen Insitution geworden. Jedes Jahr findet ein Konzert statt und ist auch meistens bis auf den letzten Platz ausgebucht.


    Zur Ausgangsfrage: seriell im Sinne minimalistisch hat sich bereits überlebt. Streng minimalistisch komponiert meines Wissens kaum noch einer.
    Atonal? Frei-Tonal ist auch im gewissen Sinne atonal......

  • Zitat

    Original von Robert Stuhr


    Ist zwar OT, aber trotzdem:


    War es nicht Hermann, der sich so über GFM Milch geäußert hat? In welchem Zusammenhang hat denn Lueger den Satz fallen lassen? Kläre mich bitte auf... :hello:


    karl lueger, wiener bürgermeister von 1897-1910 (damals hatte wien 2 mio einwohner) dürfte diesen spruch als erster angewandt haben (dokument dafür gibt's keines). sein vizebürgermeister josef porzer war "halbjude". sein arzt ignaz mandl war jüdisch.



    der fette morphinist soll das gleiche im zusammenhang mit gfm erhard milch gesagt haben, jahrzehnte später.
    die brieder im norden haben sich ja einiges aus dieser ecke angeeignet...

  • Zitat

    Original von Wulf
    [...] weil sie ihr "eigentliches" Ziel verraten haben: Musik zu schreiben, weil sie etwas "sagen" wollten. Sie haben gesehen, daß ein Mahler seine Zeit brauchte, und zogen den Schluß daraus, man müsse bewußt unverständlich schreiben, bewußt provokativ, damit man später als eine Größe anerkannt wird.
    [...] man müsse einfachen Sachen machen, die aus dem Konzept fallen - wer will schon gewöhnlich komponieren - da war mir dann doch einiges klar.[...]


    Hallo Wulf,


    aus solchen Aussagen werde ich auch nicht sehr klug.


    "Etwas sagen wollen" - was heißt das? Wenn man nichts sagen will, dann sagt man auch nichts und schreibt dementsprechend keine Stücke.


    "Sachen, die aus dem Konzept fallen" - was heißt das? Sachen, die anders sind, als das, was es schon gibt? Das muss man ohnehin, sonst kann mans gleich bleiben lassen (Stilkopien sind nicht von Interesse).


    "Da war mir dann doch einiges klar" - mir leider nicht.
    :hello:

  • Ich weiss, das es Protest regnen wuerde. Zurecht, ich habe mich schlecht ausgedrueckt.


    Ich habe das Ansermet-Beispiel angefuehrt, um eine Parallele zu verdeutlichen.


    Bei besagten Jungspund-Komponisten wurde ich den Eindruck nicht los - auch wegen seiner paar Statements im Anschluss, dass er dieses Werk schrieb, weil er meinte es sei irgendwie
    chique das "Durchschnittspublikum" mit asymmetrischen Rhythmen, mit scheinbarer Strukturlosigkeit, mit einem maximalen Durchbrechen einer durchgehenden Linie zu (ueber)fordern. Es wirkte wahnsinnig aufgesetzt, was durch seine flapsig herablassenden Bemerkungen im Anschluss noch unterstuetzt wurde.


    Was ich damit meinte, ist der starke Verdacht, dass da jemand die Musik nicht der Musik wegen schrieb, sondern um sich in gewissen Kreisen zu etablieren.


    Ich weiss nicht, ob das deutlicher ist, aber anders vermag ich das jetzt auch nicht darzustellen.....


    :hello:
    Wulf.

  • Zitat

    Original von Wulf
    Was ich damit meinte, ist der starke Verdacht, dass da jemand die Musik nicht der Musik wegen schrieb, sondern um sich in gewissen Kreisen zu etablieren.


    Aha. Da kann ich nichts dazu sagen, alle mir bekannten Kollegen haben nicht diesen Eindruck auf mich gemacht.


    Andererseits ist es natürlich sehr oft zu sehen, wie wichtig es Komponisten ist, sich zu etablieren. Z.B. Johann Sebastian Bach legte größten Wert auf all die Titel, die er im Laufe seiner Karriere einheimste.


    Ich denke, dass die Neue Musik so wenig im öffentlichen Interesse präsent ist, dass kaum jemand sich gerade dort etablieren will, wenn ihn die Neue Musik nicht interessiert.


    Aber - wer weiß - vielleicht gibt es so etwas.



    Wieso Du bei Bemerkungen über ein gezieltes Überfordern des Hörers auf so eine Idee kommst, ist mir allerdings unklar. Das scheint jetzt irgendwie gegen die New Complexity gerichtet zu sein ...

  • Hallo KSM,
    ja, es gibt sowas. Ich kenne es z.B. von einigen Randerscheinungen der norwegischen Musik. Dort gibt / gab es einen Komponisten (nein, ich werde seinen Namen nicht nennen, ich bin diesbezüglich einigen Personen im Wort), der seine braven und völlig konservativen Werke von einem Arrangeur auf "zeitgenössisch" überarbeiten ließ. Der Arrangeur machte sich ein Vergnügen daraus, die harmlosesten tonalen Sätzchen mit grauenhaften Dissonanzen zu würzen, sinnlose Pausen einzubauen etc. Der "Komponist" versammelte dann seine Bewunderer (es gab wirklich welche) um sich und erklärte, "seine" Musik sei für das Verständnis des normalen Zuhörers nicht geschaffen, er sei eigentlich auch unglücklich, wenn seine Werke jetzt gespielt würden, sie wären ja erst in der Zukunft wirklich verständlich, aber er könne die Schar seiner Anhänger halt nicht enttäuschen.
    Da sieht man, was der (übrigens wirklich köstliche) Linie-Akvavit anrichten kann...
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Blackadder
    Tja, der ominöse "Hurz-Faktor"... man muss immer auf der Hut sein :D


    Wieso eigentlich? Wäre das Werk besser, hätte der Schöpfer sein ganzes Herzblut hineingelegt?

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Wieso eigentlich? Wäre das Werk besser, hätte der Schöpfer sein ganzes Herzblut hineingelegt?


    Keine Ahnung, aber ich bezog mein Statement auf Edwins Aussage:


    Zitat

    Der Arrangeur machte sich ein Vergnügen daraus, die harmlosesten tonalen Sätzchen mit grauenhaften Dissonanzen zu würzen, sinnlose Pausen einzubauen etc.


    Und wenn dann die Frage nach dem Sinn nicht mehr gestellt werden kann, wenn man nicht weiß, was und OB ein Sinn dahintersteht, dann sollte auch das Herzblut keine Rolle spielen...

  • Aber da möchte ich als Laie eine Frage stellen:


    Bekanntermassen haben Bach und Beethoven aus Themen minder begabter Kollegen fantastische Werke geschaffen. Ist so etwas auch von seriellen oder atonalen Komponisten bekannt, die "schwaches" Material von Kollegen aufgepeppt haben?

  • Zitat

    Original von Wulf
    Bei besagten Jungspund-Komponisten wurde ich den Eindruck nicht los - auch wegen seiner paar Statements im Anschluss, dass er dieses Werk schrieb, weil er meinte es sei irgendwie
    chique das "Durchschnittspublikum" mit asymmetrischen Rhythmen, mit scheinbarer Strukturlosigkeit, mit einem maximalen Durchbrechen einer durchgehenden Linie zu (ueber)fordern.


    Ich muss zugeben, dass ich bereits mit der auch nicht so simplen Rhythmik von Brahms genaugenommen überfordert bin. Mir mangelt es an Bildung oder Übung sie adäquat mitzukriegen. Ich hoffe aber, dass ich das noch nachholen kann. Doch lasse ich mich davon auch nicht abschrecken, sondern höre immer mal wieder auch für mich neues, das sich vielleicht zunächst interessant anhört und ich danach womöglich sogar schön finde (eine Garantie gibt es da natürlich nicht). Kunstmusik setzt generell Bildung voraus und kann auch mal überfordern, wenngleich man das älterer Musik wohl nicht mehr so anmerkt, weil ihr (historisch gesehen inzwischen) ein gewisser "Nervfaktor" abgeht.

    Zitat

    Was ich damit meinte, ist der starke Verdacht, dass da jemand die Musik nicht der Musik wegen schrieb, sondern um sich in gewissen Kreisen zu etablieren.


    Ich finde, man kann die Möglichkeit, das man bloß betrogen wird (Kerkelings "Hurz" ist ein reizendes Beispiel dafür), vielleicht auch ein wenig gelassener sehen. Ist Kunst nicht generell "Betrug" oder besser Manipulation? Ist es nicht wunderbar, wenn der Betrug gelingt? Denn in dem Fall hat man etwas mindestens reizvoll, wenn nicht sogar schön gefunden (obwohl es nicht so gemeint war). In diesem Forum ist Konsens, dass erlaubt sei, was gefällt.
    Und vielleicht wurde man durch etwas lieblos Zusammengestoppeltes trotzdem auf etwas Gestossen, dem man mal genauer nachgehen müsste - denn schließlich fand man da ja irgendetwas reizvoll.
    Ich sehe Anvantgarde als ein Projekt, nach neuen Dimensionen sinnlichen Genusses zu suchen.


    Ich könnte mir vorstellen, dass auch mancher Schlagerkomponist seine Musik nicht der Musik wegen schrieb, sondern um sich in gewissen Kreisen (Käufer) zu etablieren. Kann man ihm das verdenken? Ich denke nicht, denn von irgendwas muss man ja leben.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Hallo Blackadder,
    nicht "schwaches" Material, aber Nono hat seine Variazioni canoniche über eine Reihe von Schönberg komponiert, und Boulez hat in den "Structures" das Material von Messiaens "Mode de valeurs et d'intensités" als Ausgangspunkt verwendet.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Blackadder
    Aber da möchte ich als Laie eine Frage stellen:


    Bekanntermassen haben Bach und Beethoven aus Themen minder begabter Kollegen fantastische Werke geschaffen. Ist so etwas auch von seriellen oder atonalen Komponisten bekannt, die "schwaches" Material von Kollegen aufgepeppt haben?


    Schön und wohl auch pädagogisch ist das Zitat "O du lieber Augustin" im 2. Satz von Schönbergs 2. Streichquartett. In seiner zwölftönigen Suite op. 29 gibt es Variationen über das Volkslied "Annchen von Tharau".


    Viele Grüße


    :hello:

  • Zitat

    Original von Kontrapunkt
    Ich finde, man kann die Möglichkeit, das man bloß betrogen wird (Kerkelings "Hurz" ist ein reizendes Beispiel dafür), vielleicht auch ein wenig gelassener sehen. Ist Kunst nicht generell "Betrug" oder besser Manipulation? Ist es nicht wunderbar, wenn der Betrug gelingt? Denn in dem Fall hat man etwas mindestens reizvoll, wenn nicht sogar schön gefunden (obwohl es nicht so gemeint war). In diesem Forum ist Konsens, dass erlaubt sei, was gefällt.
    Und vielleicht wurde man durch etwas lieblos Zusammengestoppeltes trotzdem auf etwas Gestossen, dem man mal genauer nachgehen müsste - denn schließlich fand man da ja irgendetwas reizvoll.
    Ich sehe Anvantgarde als ein Projekt, nach neuen Dimensionen sinnlichen Genusses zu suchen.
    Viele Grüße
    :hello:


    N Abend Kontrapunkt.


    Nicht, daß Du mich missverstanden hast. Ich bin überhaupt kein Avantgardehasser -oder ablehner. Was ist schon Avantgarde? Ein eh völlig ausgeleierter Begriff (ich weiß, ich habe ihn verwendet :wacky: ).
    Ob Kunst generell "Betrug" ist, ich weiß nicht. Ich würde auch nicht von Betrug reden, selbst wenn Erwartungshaltungen zerstört werden (das Werk kann ja meist nichts für meine Erwartungshaltungen.....)


    Ich fiand das Werk übrigens absolut langweilig und wie schon gesagt - es wirkte aufgesetzt.
    Ich habe an sich nichts dagegen, wenn jemand schreibt um einen gewissen Kreis zu gefallen. Doch, wenn man unbedingt meint, man versuche mit allen Mitteln "gegen" das Publikum zu schreiben, weil man meint, man hat dann größere Chancen, wahrgenommen zu werden, dann finde ich das persönlich nicht sonderlich doll.


    Ich weiß, daß ich mit solchen Plattitüden relativ nahe am albernen Statement bin. Aber: Wenn wir davon ausgehen, daß Werke geschrieben wurden, die ein Zugeständnis an das Publikum sind, die bewußt leicht ins Ohr gehen, dann darf ich mit gleichem Recht behaupten, daß es prinzipiell möglich ist, Werke zu schreiben, die versuchen, genau das absolut zu vermeiden. Jegliche Gefälligkeit. Zumindest versuchen.


    Daß für manche ein Xenakis unverdauliche Kost mag sein. Aber wohl kaum, weil Xenakis aus einer überheblichen laune heraus, das Publikum für dumm verkaufen möchte.....hoffe ich doch zumindest.......


    :hello:
    Wulf.

  • Zitat

    Original von Wulf
    Ich weiß, daß ich mit solchen Plattitüden relativ nahe am albernen Statement bin. Aber: Wenn wir davon ausgehen, daß Werke geschrieben wurden, die ein Zugeständnis an das Publikum sind, die bewußt leicht ins Ohr gehen, dann darf ich mit gleichem Recht behaupten, daß es prinzipiell möglich ist, Werke zu schreiben, die versuchen, genau das absolut zu vermeiden. Jegliche Gefälligkeit. Zumindest versuchen.


    Ich empfinde Werke, denen man so etwas unterstellen könnte (denn man kanns ja nie so genau wissen, ob das der Komponist wirklich wollte) in der Regel sehr angenehm und frisch. Ich empfinde das eventuell als "gereinigt", "unsentimental".


    Dass Xenakis ein gutes Beispiel ist, glaube ich auch, der vermeidet sicher Gefälligkeit. Du scheinst ihn ja dennoch nicht als "unverdaulich" anzusehen, oder?
    ;)

  • Nur noch einmal, verspätet, zur Klärung:


    Zitat

    Edwin: Aber jetzt einmal eine andere Frage: Könntest Du z.B. bei einem gregorianischen Gesang tatsächlich rein akustisch einen "tonalen" Schwerpunkt feststellen? Und bei einem indischen Raga auch?

    Zitat

    Draugur: Vorsichtig: Ja, denke ich schon. Wenn ich mir die in meiner inneren Audiokartei abrufbaren Fetzen dieser Musikrichtungen aktiviere, scheinen mir da die Grundtöne sogar recht stark präsent zu sein.


    Trotz der Vorsicht in der Bejahung Draugurs ist die Aussage bezüglich indischer Ragas richtig. "Tonale" Schwerpunkte sind in den indischen Ragas eindeutig festzumachen, nicht nur durch Beginn, Beendigung und fortlaufende Wiederholung dieses "Grundtons" durch das Soloinstrument und besonders durch die permanente Begleitung (z.B. durch Tanburas) , sondern häufig auch durch die Bestätigung durch den jeweiligen "Leit-" oder "Begleitton", der das Verhältnis bestimmt. Es rankt sich geradezu alles um den stets vorhandenen und auch gefühlten Grunton, den man durchgehend mitsummen könnte (dann wäre jedoch der Tanbura-Spieler arbeitslos).


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    [quote]Original von Wulf


    Dass Xenakis ein gutes Beispiel ist, glaube ich auch, der vermeidet sicher Gefälligkeit. Du scheinst ihn ja dennoch nicht als "unverdaulich" anzusehen, oder?
    ;)


    Nein, weil das, was ich von Xenakis kenne empfinde ich auch nicht als aufgesetzt. :yes: