Moderne Inszenierungen-Totengräber der Oper?

  • Hallo!


    Es ist einfach viel Wirklichkeitsnäher.


    Ich kenn keinen Fall, wo sich einer in einem Glaskäfig aufgehängt hat! Und im Wohnzimmer passiert das viel häufiger.


    lG joschi

  • Zitat

    Original von Bernd Schulz


    Wagners Oper heißt nicht "Die Meistersinger von Chicago" und spielt nicht im Hier und Jetzt.


    Bernd


    Ja, nur ist der wesentliche Inhalt der Oper, nämliche der menschliche nicht ans mittelalterliche Nürnberg gebunden, ebensowenig ist Tosca eine Städtereise nach Rom, oder Aida eine Nilkreuzfahrt!


    Gruß
    Sascha

  • Hm, weiß nicht. Vielleicht gibt's nicht so viele Suizide in Glaskäfigen, aber durchaus auch an anderen Orten als im heimeligen Wohnzimmer. Mir leuchtet nur nicht so recht ein, warum das eine ergreifender sein soll als das andere. Ergreifend (oder tragisch) ist eine solche Szene doch nicht aufgrund des Ambientes, sondern aufgrund der Motivationen (gewissermaßen des inneren Ambientes) des Charakters, oder?Jedenfalls haben Setting und Bühnenbild in diesem Zusammenhang kaum einen Einfluß auf meine Empfindungen.


    :hello:


    Klawirr

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Das heißt aber doch nicht, daß damit für alle Zeiten ein Inszenierungs- oder Aufführungsprogramm festgeschrieben ist.


    Ach, nicht? Sei mir nit bös, aber mit solchen Aussagen leistest Du der Willkür Vorschub - und das Ergebnis überzeugt mich nicht.



    Zitat

    Original von pbrixius



    Wahrscheinlich kann man das so ausschließlich nicht sagen, denn - soweit ich die Kritik bei omm.de verstehe - gibt es doch auch eine größere Anzahl innerhalb des zahlenden Publikums, denen er gefällt.


    Ein Missverständnis: Ich meinte mit "o.g. Verhalten", das Öffnen seines Hosenstalls und die Hostienaktion, was Du ja auch beides verurteilst, und nicht die Inszenierung. Die empfinde ich nicht als respektlos gegenüber dem Publikum sondern als geschmacklos.



    Zitat

    Original von pbrixius
    Das ist auch das, was mich an deiner Schilderung am meisten überzeugte. Ich mag so ein spätpubertäres Verhalten nicht - und solche Blasphemien (wohlgemerkt außerhalb des Stückes) bringen mich auf. Wer andere religiöse Überzeugungen in dieser Weise angreift, zerschneidet meiner Meinung nach das Band, das uns vor Barbarei schützt.


    Gebe Dir völlig recht, aber ich mag's auch nicht im Stück. Wenn es Stücke gibt, die so was zelebrieren (s. Hamletmaschiene), dann o.k.: Muss ich ja nicht sehen. Aber im Troubadour kommen keine Nonnen vor, die - ich mag's nicht noch mal niederschreiben, s.o.



    Zitat

    Original von pbrixius
    Da habe ich aber schon einiges Gute gesehen (wie den Falstaff und den Rosenkavalier). Man muss - wie ich schon anderswo sagte - sich halt vorher informieren..


    Das musste ich früher nicht. Bis zum großen Regietheatermassaker habe ich nur geguckt, wer singt und nicht, wer inszeniert. Aber wie gesagt, wem's gefällt: Wohl bekomm's :D



    Zitat

    Original von pbrixiusInzwischen hat es sich normalisiert, aber ich habe leider keine Aufführung in Leverkusen gefunden, die mich interessierte. Vielleicht haben sich da die Dinge auch so verschlechtert, wo es anderenorts auch geschieht. Aber wenn du da einen heißen Tipp hast :)


    Leider gar nix Peter, ich war auch lange nicht mehr da. gehe nur zum Schwimmen noch nach Leverkusen. Aber ich linse demnächst mal.


    LG,


    Knuspi

  • Hallo Don Basilio,

    Zitat

    Ich tue das und ich will nich nach der Aufführung vom Straßenstrich in Saigon träumen sondern von einer arabischen Zauberwelt.


    Ich will überhaupt im Zusammenhang mit Oper nicht träumen sondern denken.


    Einlullen in eine heile Welt halte ich für nicht theaterkonform. Im Theater soll man wach sein.


    :hello:

    ...

  • Hallo Knusperhexe,


    Zitat

    Ach, nicht? Sei mir nit bös, aber mit solchen Aussagen leistest Du der Willkür Vorschub


    Nein: Der Interpretationsvielfalt.


    Zitat

    Wenn es Stücke gibt, die so was zelebrieren (s. Hamletmaschiene), dann o.k.: Muss ich ja nicht sehen.


    Und die bewußte Inszenierung mußtest Du sehen? Da verstehe ich beim besten Willen das Argument nicht.


    :hello:

    ...


  • Oh, ich denke sehr viel bei traditionellen Inszenierungen, vor allem in alle möglichen Richtungen. Ich seziere, setze neu zusammen, aktualisiere in Gedanken, frage mich, was mir Musik, Text und Problematiken heute sagen, und gehe beglückt aus dem Opernhaus. Und träumen tu ich nebenbei auch noch - und find's herrlich.


    :hello:


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Und die bewußte Inszenierung mußtest Du sehen? Da verstehe ich beim besten Willen das Argument nicht.
    :hello:


    Tja, damals war ich noch jung und wusste nicht, was mich erwartet, deswegen bin ich da reingegangen. Außerdem wollte ich endlich mal den Troubadour sehen. geboten bekam ich allerdings ein Trip in die Hilsdorf'schen Abgründe.


    Nochmal :hello:

  • Hallo!!


    Da gehts mir wie der Knusperhexe!!


    Ich versuche meist, dass was mir da geboten wurde zu sezieren und mich in die Personen und deren Umfeld und die Zeitumstände reinzufühlen.


    Es ist immer wieder ein beglückendes Erlebnis, so eine Vorstellung genießen zu dürfen.


    LG joschi

  • Zitat Knusperhexe,

    Zitat

    Oh, ich denke sehr viel bei traditionellen Inszenierungen,


    Ja, Du...
    Und ich gemeiner Mensch verlange Selbiges auch noch vom Regisseur!


    Übrigens: Ich denke auch viel bei konservativen Inszenierungen - auszugsweise:
    - Schon wieder einer, der sich keine Gedanken macht.
    - Wie ist das langweilig.
    - Warum wackelt die Säule, die sollte doch aus Stein sein?
    - Noch eine Stunde bis zum Schluß.
    - Kann man da nicht endlich ne ordentliche Regie zu dem Stück machen?


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Jetzt sehe ich gearde, dass Du noch einen Beitrag verfasst hast. Stichwort: Entführung. Aber die vielen Erstbesucher einer Oper - was ist mit denen. Die kriegen dann gleich eine verfälschte Inszenierung vorgesetzt. Also, das finde ich aber wieder mal so richtig blöde. ich erinnere nur an die Kölner Entführung, wo sogar die Musiknummern gestrichen, verkürzt und umgestellt wurden, nur, damit in's das abstruse Zwangskorsett der Regie passte. Also, ich wäre mit meinem Nachwuchs lieber in die verstaubte Ponelle-Inszenierung gegangen oder in eine von mir :D


    Hallo Knuspi,


    wie ich sehe, hast du noch "angebaut" :)
    Die Berliner, die mit ihren Kindern in die "Entführung" gehen wollten, ob nun zum ersten oder zum wiederholten Male, wurden mit dieser Inszenierung nicht "bedient". Sie war ab 16 Jahren zugelassen - und setzte die Kenntnis der Oper meiner Meinung nach voraus. Das finde ich auch so in Ordnung, wenn es nicht nur so etwas gibt. In der Vorstellung und in der nachfolgenden Diskussion habe ich ein begeistertes Publikum erlebt, was mich in dieser Form überraschte, was die Inszenierung meiner Meinung nach aber auch verdiente. Es war Mozart für Erwachsene, Mozart für Fortgeschrittene, wie du es haben willst.


    Mir wäre es am liebsten, es gäbe alle diese Angebote, von dem Salzburger Marionettenspiel - das wäre doch etwas für deine Kinder gewesen - bis zu Bieito. Machmal muss man eben ein wenig warten, bis die richtige Aufführung bei einem "vorbei kommt". Als Gluck-Freund bin ich in diesen Dingen ohnedies ein sehr geduldiger Mensch.


    Dass Operaufführungen eine bearbeitete Form der Oper bringen, ist schon immer so gewesen. Mozart Don Giovanni wurde etwa zu seiner Zeit nicht mit Rezitativen sondern mit Sprechtexten aufgeführt (für die man sich nebenbei auch bei Molière bediente). Von ökonomischen bis zu künstlerischen Argumenten her begründen sich die unzähligen Bearbeitungen dessen, was in der Partitur steht - und wenn man die Zeit Mozarts kennt - durchaus mit Billigung der Komponisten.


    Heute wird man nur selten solche Kürzungen finden, wie ich sie bei Jacobs und du bei der Kölner Inszenierung beobachtet hast. Was aber den Bieito anging: da fehlte kein einziges Stück - und die musikalische Seite der Aufführung war hervorragend. Dass die Sänger so engagiert mitmachten, bewies auch ihr energisches Eintreten für die Inszenierung bei der Diskussion. Das ist - das weiß ich - nicht überall so.


    Nur ein Theater ad usum delphini - nach dem Nutzen der Kinder - zu führen, halte ich für falsch. Dafür gibt es die (gute und regelmäßig ausverkaufte) Kinderoper, man kann sich nur mehr davon wünschen. Um eine "herkömmliche" Inszenierung der "Entführung" kennen zu lernen, gibt es inzwischen eine Auswahl von DVDs, ich denke, daran ist kein Mangel. Aber auf der anderen Seite steht eben auch die Verharmlosung von Stücken wie die "Entführung". Bei einem knuffigen "Clown" Osmin, exotisch-freundlichen Chören - wo bleibt die Gefahr, die Rechtfertigung, dass die Beteiligten die orientalische Grausamkeit fürchten müssen? Dieser ungeheure Druck, der doch erst die Grundlage der "Marter-Arie" ist, wird in der Regel in Dutzend-Inszenierungen nicht zu spüren sein - aber dann fehlt auch die Fallhöhe des Dramas.


    Es ist eben nicht nur ein Märchen, es ist ein böses Märchen - und Csampai in seinem Essay über die Entführung glaubt etwa nicht, dass die Liebe den Zweifel überlebt hat, dem sie im 2. Akt der Entführung ausgesetzt war. Aber wenn der Zweifel so "billig" war, wie es einem herkömmliche Inszenierungen vermitteln, dann zieht man der ganzen Oper die existenzielle Dimension unter der Füßen weg.


    Da hat also die Regie etwas zu tun, uns zu überzeugen, dass Mozarts Musik am rechten Platz ist, denn da gibt es die Holle und den Himmel, Liebe und tiefe Verzweiflung, ein Singen am Rande der Existenz ...


    LG Peter

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  • Hallo!


    Ich denke mir bei modernen Inszenierungen zum Beispiel:


    - Schon wieder einer, der nur provozieren will.
    - Wie ist das langweilig.
    - Warum peitscht der Tamino jetzt den Papageno?
    - Noch eine Stunde bis zum Schluß.
    - Kann man da nicht endlich ne ordentliche Regie zu dem Stück machen?
    - Wie lange buh ich den Regisseur heut aus?


    :D :D


    LG joschi


    PS: in anlehnung an Edwin Baumgartner!

  • Och, so gemein bist Du doch gar nicht, Edwin. Obwohl... :D


    Na, und ich mir geht's bei den verfremdenen Inszenierungen so, dass ich denke:


    Warum schon wieder so was?
    Ob ich wohl noch was anderes heute auf der Bühne geboten bekomme?
    Wie unfreiwillig komisch, die da wieder agieren.
    Ach, wieder ein Nackedei - ob die noch gleich action machen auffer Bühne?
    Welche Feindbilder hat der Regisseur denn jetzt wieder? Hmm, die Kirche? Den Kommunismus? Na, das ja bestimmt nicht. Hmm, den Sozialismus? Nein, auch nicht, ach eigentlich auch egal.
    Hmm, ob ich mich gleich übegeben muss?
    Was machen die denn da? Igitt!
    Oh, hoffentlich werden die in der 1. Reihe nicht auch noch bespritzt.
    Wieso kann's denn nicht in dem Szenario spielen, wie's im textbuch steht?



    Du siehst, Edwin - wir werden nie zusammen kommen. Und das ist auch gut so, weil's dann mehr Vielfalt auf der Bühne gibt - gesetzt denn Fall, Du kannst Dich irgendwann mal bremsen, Deine Meinung zur einzig und allgemein glücklich machenden Seeligkeit, zu deklarieren. Weil da finde ich dich dann schon gemein, s.o. und s. Schenk. ;)


    LG,


    Knuspi


  • Hallo Peter,


    ich habe nicht nur an die Kinder gedacht. Hmpf. Aber ich gebe Dir recht, ich sehe Osmin auch nicht als Clown. Aber für mich ist das historische Kostüm auch kein Clownskostüm. Es gibt eine sehr gute Inszenierung aus Glyndebourne auf DVD. Sehr präzise in der Personenzeichnung, aber im historischen Gewand. Das ist so meine Richtung, wobei ich Oper live immer noch lieber sehe.


    LG,


    Knuspi

  • Zitat

    Ja, nur ist der wesentliche Inhalt der Oper, nämliche der menschliche nicht ans mittelalterliche Nürnberg gebunden, ebensowenig ist Tosca eine Städtereise nach Rom, oder Aida eine Nilkreuzfahrt!


    Was in Wagners Opern der wesentliche Inhalt ist und was nicht, wage ich nicht zu entscheiden. Tatsache ist, daß die Musik in den Meistersingern in hohem Maße Stimmungen malt (hör dir doch mal das Vorspiel zum zweiten Akt oder den Fliedermonolog an!), die ganz eng an den vom Komponisten und Textdichter vorgegeben Rahmen des Ortes und der Zeit gebunden sind. Wenn ich diesen Rahmen verlasse, ist jeder atmosphärische Gesamteindruck zum Teufel.


    Mir will nicht in den Kopf, warum jemand die Noten in einer Opernpartitur als absolut verbindlich ansieht, aber die vom Schöpfer des Werks ebenfalls klar vorgebene Zeit und den genauso klar vorgegeben Ort der Handlung als völlig beliebig. -


    Zitat

    Ich will überhaupt im Zusammenhang mit Oper nicht träumen sondern denken


    Ich will, wenn ich in eine Oper gehe, alles mögliche, träumen, emotional mitgereissen werden - und auch denken. Aber ich will nicht hauptsächlich denken. Wenn ich das will, löse ich Sudokus oder Schachaufgaben oder lese Kant.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Bernd Schulz
    (...) und Nürnberg ist Nürnberg, und das 16. Jahrhundert ist das 16. Jahrhundert, ebenso punktum. Wagners Oper heißt nicht "Die Meistersinger von Chicago" und spielt nicht im Hier und Jetzt. Ein Regisseur, der so tut, als ob das der Fall wäre, färbt das Stück nicht, sondern gibt es falsch wieder, denn er ändert Dinge, die in Wagners Text genauso fest vorgegebenen sind, wie es das g auf den Notenlinien ist.


    Das Grundproblem ist nicht die Frage nach "falsch" oder "richtig". Es scheint mir eigentlich um die Frage zu gehen, was der Einzelne vom Theater allgemein und der Oper im Speziellen erwartet. Für mich ist ein rein restauratives Theater sinnlos und (um auf Joschis Frage einzugehen), nein, ich gehe nicht ins Theater oder die Oper, um zu Träumen und schöne Kostüme anzuschauen. Ich will vom Leitungsteam mindestens wissen, warum ich mir dieses Stück anschauen soll, hier und heute, im Jahr 2007, ansonsten würde ich die CD bevorzugen.


    Theater gehört für mich zu unserer Gesellschaft dazu, hat die Aufgabe, uns heute etwas mitzuteilen, ein quasi musealer Ansatz ist deshalb für mich völlig verfehlt.


    Theater ist etwas lebendiges, etwas, was sich weiterentwickelt, verändert (so nebenbei: kein Schauspieler spricht heute mehr so wie bsplsw. Josef Kainz), an diesem Prozess als Zuschauer teilnehmen zu können, ist doch spannend.


    Die verschiedenen Sichtweisen unterschiedlicher Regisseure bringen mir allemal mehr, als eine reine Bebilderung, die vorm Nachdenken schützt.

  • Zitat

    Ich will überhaupt im Zusammenhang mit Oper nicht träumen sondern denken


    Das ist sowieso ein Anspruch an eine Opernvorstellung, der so vor 100 Jahren oder mehr noch gar nicht existierte (da gab es auch noch kein Kino :D )


    Damals ging man hauptsächlich in die Oper, weil man sich unterhalten lassen wollte - der gesellschaftliche Aspekt stand im Vordergund (und nebebei lief die Musik :] )


    Es ist ja sehr löblich, dass sich im Laufe des 20. Jahrhunderts der Respekt vor dem musikalischen Kunstwerk "Oper" so gesteigert hat, dass man im Opernhaus während der Vorstellung sich nun ausschließlich auf die Vorstellung konzentriert, aber deshalb muss man von den Zuschauern ja nicht erwarten, dass sie die alte Erwartungshaltung (Oper = Unterhaltung) aufgegeben haben, die früher für einen Opern-Besuch ausschlaggebend war.


    Bloß, weil es mit Kino & Co. heute Unterhaltungsalternativen gibt, ist die Oper damit ja nicht unbedingt das Refugugium derer geworden, die eine Vorstellung ausschließlich als geistige Herausforderung betrachten... ;)


    Aber es ist natürlich schön, dass es solche Leute auch gibt - aber sie sind halt nicht allein... :hello:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)


  • Nö, bös' bin ich deshalb nicht, wir diskutieren hier ja nur und treten uns nicht vors Schienbein :) .
    Ich meine, naklar kann man Wagners Hinweis als ewiges Programm interpretieren - man kann es aber auch so lesen, daß es »Zeitgemäßheit als Programm« formuliert.
    Das hat mit Willkür übrigens gar nichts zu tun. Das Konzept für eine Inszenierung sollte immer wohlüberlegt und wohlbegründet sein. Ob es dem Rezipienten (oder allen Rezipienten gleichermaßen) einleuchtet, steht auf einem anderen Blatt.


    Gruß,
    Klawirr

  • Zitat

    Original von Bernd Schulz
    Was in Wagners Opern der wesentliche Inhalt ist und was nicht, wage ich nicht zu entscheiden. Tatsache ist, daß die Musik in den Meistersingern in hohem Maße Stimmungen malt (hör dir doch mal das Vorspiel zum zweiten Akt oder den Fliedermonolog an!), die ganz eng an den vom Komponisten und Textdichter vorgegeben Rahmen des Ortes und der Zeit gebunden sind. Wenn ich diesen Rahmen verlasse, ist jeder atmosphärische Gesamteindruck zum Teufel.


    Lieber Bernd,


    das heisst also, dass Du ein absoluter Gegner von Wieland Wagners "Neubayreuther" Inszenierungs- und Bühnebildpraxis bist?

  • Sorry, dass ich mich da einclincke: Ich kenne die "Entrümplungen" von Onkel Wieland nur von Fotos. Und die gefallen mir so goar net. Da sehe ich mir lieber die vom Preetorius an. :yes:

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Gebe Dir völlig recht, aber ich mag's auch nicht im Stück.


    Hallo Knuspi,


    da gibt es für mich schon einen Unterschied. Ich versuch es mal an einem Beispiel: In den 60ern kam es häufiger vor, dass ein Verband protestierte, weil er sich in einer Spielhandlung im TV diskriminiert sah. Also, in der letzten Folge des "Kommissar" war der Mörder ein Jäger - und prompt legte der Deutsche Jäger-Verband sein Veto ein: "Ein deutscher Jäger tut so etwas nicht!"


    Ich fand das immer sehr lächerlich, inzwischen hat es sich auf diese indirekte Art verschoben, die so aussieht: Bei einer Folge von "Waking the Dead" rätselte ich, wer wohl der Mörder sein könne. Ein Verdächtiger war Farbiger, der konnte es schon nicht sein, ein anderer war ein Transvestit, ganz sicher auch nicht - und so war es denn auch. Das nennt man eben die Schere im Kopf oder positive Diskriminierung, wie immer man es ausdrücken will.


    Ich sehe also all die Dinge, die du nicht magst oder ich nicht mag, innerhalb eines Films oder einer Inszenierung und halte daran fest: Das ist die Spielhandlung, das ist vermittelt und meint es nicht direkt. Da kann ich Dinge als geschmacklos ansehen, aber auch nicht mehr. Ich will erst das Ganze kennenlernen, dann kann ich urteilen.


    Dasselbe aber außerhalb der Spielhandlung ist von einem Menschen direkt - und meint mich direkt - und darüber kann und will ich nicht hinweg sehen. Ein Mensch, der mich persönlich beleidigt, ist etwas ganz anderes als eine kritische Hinterfragung meines Standpunktes im Rahmen einer ästhetischen Auseinandersetzung. Wenn Handke sein Publikum auf dem Theater beschimpft, dann ist es eben so (und evt. sogar vergnüglich), wenn er aber in der Wirklichkeit tut, ist es unter Umständen justiziabel.


    LG Peter

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  • Stimmt das so, wie's da steht? Ich meine, mag ja sein, daß man vor 100 Jahren ausschließlich »in die Oper ging«, um sich unterhalten zu lassen. Aber wollten die Librettisten und Komponisten auch wirklich »nur« unterhalten? Das beste Gegenbeispiel ist da ja der als Dichter von mir nicht besonders geschätzte Richard Wagner, der doch zumindest in seinen späteren Werken eindeutig mehr wollte als unterhalten. Ich meine: Die Fabel des Rings ist doch alles andere als ausschießlich unterhaltsam, sondern in hohem Maße politisch. Und der Tristan und der Parsifal sind doch auch nicht einfach als eine Art Ohnsorgtheater mit U-Musik gedacht...
    Vielleicht machen wir das heut' dazu, wenn wir diesen Werken ihre Brisanz austreiben und sie zu Ritterspielen mit anachronistischer Lautuntermalung degradieren. Aber genau das scheint gewünscht. Akuelles Beispiel ist die durchgefallene Premiere der »Götterdämmerung« in der Inszenierung der Mielitz in Dortmund.


    :hello:


    Klawirr

  • Zitat

    Theater gehört für mich zu unserer Gesellschaft dazu, hat die Aufgabe, uns heute etwas mitzuteilen, ein quasi musealer Ansatz ist deshalb für mich völlig verfehlt.


    Alviano, ein musealer Ansatz ist weiß Gott auch nicht mein Ideal. Ebensowenig gehe ich zur bloßen Unterhaltung ins Theater (wobei ich auf niemanden herabschaue, der das tut).
    Ich besuche Opernaufführungen, weil ich weiß, daß sie mich innerlich verändern, indem sie meinen intellektuellen, aber vor allem auch meinen emotionalen Horizont erweitern. Ich will "bewegt" werden (und bin es in meiner Jugend bei diversen Aachener Vorstellungen so sehr, daß das entscheidenden Einfluß auf meinen weiteren Lebensweg genommen hat: Ich hatte den unabänderlichen Wunsch, Instrumentalist zu werden).
    Aber am meisten bewegt mich eine Aufführung, wenn sie in sich stimmig ist, wenn Musik (+ Text) auf der einen Seite und Szene auf der anderen optimal zusammenpassen. Und das ist grundsätzlich nicht der Fall, sobald eine Oper, die eigentlich kurz vor Christi Geburt in Judäa spielt, plötzlich in ein Hamburger Bordell des Jahres 2000ippich verlegt wird. Der Komponist hat doch nicht nur ganz bewußt einen bestimmten Text vertont, sondern während seiner Arbeit auch gewisse Szenen, Landschaften, Städte, Bilder vor Augen gehabt, und das alles hat Einfluß auf den Charakter seiner Musik gehabt - ohne den speziellen lokalen und zeitlichen Rahmen wäre die Komposition grundlegend anders ausgefallen! Wenn ich plötzlich auf der szenischen Seite so tue, als hätte es diese Bilder im Kopf der Urhebers nie gegeben, fällt - zumindestens für mein Empfinden - die Wirkung der Oper als Ganzes völlig auseinander. Und irgendwelche Anspielungen auf die aktuelle gesellschaftliche Alltagsbanalität gleichen dieses Aueinanderbrechen für mich noch nicht einmal ansatzweise aus.


    Der Preis der Unschlüssigkeit, den ich für die freizügige "Modernisierung" der Szene bezahlen muß, ist mir zu hoch. Und das scheint mir der hauptsächliche Unterschied in unseren Ansätzen zu sein. Um "museal" oder nicht geht es da kaum.


    Zitat

    ...das heisst also, dass Du ein absoluter Gegner von Wieland Wagners "Neubayreuther" Inszenierungs- und Bühnebildpraxis bist?


    Ja, selbstverständlich!


    ....äh, nein, ein relativer Gegner. Im Vergleich zu dem Aberwitz, den man heute meistens serviert bekommt, freut man sich ja schon über jedes kleinere Übel. :D



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    [ich sehe Osmin auch nicht als Clown. Aber für mich ist das historische Kostüm auch kein Clownskostüm. Es gibt eine sehr gute Inszenierung aus Glyndebourne auf DVD. Sehr präzise in der Personenzeichnung, aber im historischen Gewand. Das ist so meine Richtung, wobei ich Oper live immer noch lieber sehe.


    Hallo Knuspi,


    da gibt es für mich eine interessante Frage: Das historische Gewand Osmins war ja in etwa das der Mozart-Zeit. Entsprechend ist auch die Gewandung der anderen Mitspielenden eine der Mozart-Zeit, also der Gegenwart Mozarts. Wenn ich das Stück jetzt auf die Bühne bringe, soll ich dann - im Unterschied zu Mozarts Inszenierung - ein historisches Kleid wählen oder - analog zur Inszenierung Mozarts - ein gegenwärtiges?


    Bei Mozart ging es um eine Geschichte, die so oder so sich exakt zu der Zeit hätte abspielen können, in der er sie vertonte, d.h. die Bedrohlichkeit der Situation wurde auch von den damaligen Zuschauern mit in die Vorstellung gebracht, sie brauchte nicht erst einmal - wie immer auch - erzeugt werden. Können wir da so einfach das Stück in der Zeit belassen? Ich meine, man kann es auch, aber nicht notwendigerweise - und wenn man es tut, dann muss man sich noch anderes einfallen lassen, um - ich bleibe jetzt bei dem Aspekt - die Gefahr dem Zuschauer nahe zu bringen.


    LG Peter

  • Hallo Bernd!!


    Da muss ich schon wieder zustimmen!! Denn wenn der Komponist nicht die Bühnenbilder im Kopf gehabt hätte, würde das Stück nicht so gut wirken.


    Wenn im Libretto steht Raum mit drei Türen, hat das schon seinen Sinn und seine Wirkung.


    Denn wenn man zum Beispiel nix auf die Bühne stellt und sich einer anschleicht(durch die Türe) wirkt das doch vollkommend dämlich.


    Ich rede hier von Opera buffa-Szenen die in der Diskussion vollkommend außer acht gelassen wurde!!


    LG joschi

  • Hallo Peter,


    das kann ich nicht nachvollziehen. Bei einem TV-Stück wird ja erst ein Plot entworfen und wenn sich dann jemand auf den Schuh getreten fühlt, dann sollte erst mal überprüft werden, ob der Betreffende nicht übersensitiv urteilt. Kann sein, muss aber nicht, negative Propaganda kann sehr subtil zur Meinungsbildung eingesetzt werden. Allein so harmlose Schmachtfetzen, wie "Die goldene Stadt" vermitteln doch in ihrer vermeintlichen Belanglosigkeit ganz fiese Menschenbilder, unterstützen die Ideologie des 3. Reiches auf eine ganz perfide Art. So weit würde ich natürlich nicht bei Deinem Jägerbeispiel gehen :D, aber möglich ist alles.


    Hmm, und beim theater: Ja, da sehe ich es genauso. Für mich stellt die Hilsdorf-Inszenierung einen Missbrauch der übelsten Sorte dar. ein Stück wird dermaßen in seinen Aussagen zerfetzt, dass es der Kenner nicht wiedererkennt und der Neuling wohlmöglich als richtige Umsetzung beklatscht. Dann gibt es natürlich diejenigen im Publikum, die sowas generell - und mir unbegreiflicherweise - mögen...


    Grundsätzlich ist es für mich etwas anderes, ein Stück zu interpretieren, als es so zu vergewaltigen. Ich kann dem nichts abgewinnen. Nein, es stößt mich sogar regelrecht ab. Nun, ist der Troubadour vom Hilsdorf natürlich ein Monsterbeispiel. Aber meine Schmerzgrenze ist da generell sehr niedrig:


    Ich mag schon nicht die Verlegung eines Stückes in eine andere Zeit. Ganz selten kann ich da einen gewinn draus ziehen. Weiter oben erwähnte ich mal den Don Carlos. Ohne diese einengende gerderobe des spanischen hofzeremoniells geht mir einfach zu viel verloren ander Stückaussage.



    LG,


    Knuspi

  • Zitat

    Original von DonBasilio


    Da muss ich schon wieder zustimmen!! Denn wenn der Komponist nicht die Bühnenbilder im Kopf gehabt hätte, würde das Stück nicht so gut wirken.


    LG joschi


    Stimmt, der hat Bilder im Kopf gehabt. Wagner zum Beispiel ein ziemlich romantisches Bild vom Mittelalter, ein Bild zudem, das wenig originell sondern im Deutschland des 19. Jahrhunderts (aus schlechten Gründen übrigens) aktuell und hoch-konventionell war. Dieses Bild kann man doch nicht einfach so reproduzieren und im Ernst meinen, das wäre dann eine werkgetreue Inszenierung von hochpolitischen Stücken wie beispielsweise der Ring-Tetralogie!


    :hello:


    Klawirr

  • Hallo,



    Zitat

    Wenn im Libretto steht Raum mit drei Türen, hat das schon seinen Sinn und seine Wirkung.


    Joschi, in aller Regel ja! Selbst feine Details haben oft ihren Sinn, und wenn man sich in scheinbar völlig "konservativen" Aufführungen wirklich an sie halten würden, wären diese Aufführungen vermutlich deutlich wirkungsvoller, dramatisch sinnfälliger und damit letztlich weniger "staubig".
    Aber daran wagt unsereiner inzwischen ja schon gar nicht mehr zu denken, geschweige es zu fordern.


    Traurige Grüße


    Bernd

  • Hallo!!


    Verlegungen in andere Zeiten mag ich auch nicht!!
    Vor allem liegt es daran, dass ich historische Kostüme so gerne mag. Ich würde selbst gerne welche tragen, aber das kommt mir einfach zu teuer!


    Zitat

    Stimmt, der hat Bilder im Kopf gehabt. Wagner zum Beispiel ein ziemlich romantisches Bild vom Mittelalter, ein Bild zudem, das wenig originell sondern im Deutschland des 19. Jahrhunderts (aus schlechten Gründen übrigens) aktuell und hoch-konventionell war. Dieses Bild kann man doch nicht einfach so reproduzieren und im Ernst meinen, das wäre dann eine werkgetreu Inszenierung!


    Und warum nicht?? Wagner hat es sich so erdacht, also müsste man als Regisseur doch den Gedanken des Komponisten ernst nehmen und sich scheinbar nicht so wahllos darüber hinweg setzen.
    Warum beurteilst du das Bild Wagner vom MA als wenig originell. Ich finde es sehr schön, vielleicht zu romantisiert, aber sehr schwelgerisch und üppig!


    LG joschi

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Sorry, dass ich mich da einclincke: Ich kenne die "Entrümplungen" von Onkel Wieland nur von Fotos. Und die gefallen mir so goar net. Da sehe ich mir lieber die vom Preetorius an. :yes:


    Das sieht dann so aus:


    "www.youtube.com/watch?v=1Xmr-8HjWow"


    P.S.: Wenn man sich ein wenig mit den theoretischen Werken Wagners beschäftigt, dann merkt man sehr schnell, dass es ihm nicht um die möglichst genaue Rekonstruktion irgeneines wie auch immer verstandenen Mittelalters ging, sondern um ihn selbst bewegende, allgemein gültige Stoffe, die er in den Sagen und Geschichten vorfand. Er hat sich daneben ja auch ausführlich mit den griechschen Mythen und Dramatikern beschäftigt und später auch mit dem Buddhismus (aus der geplanten Buddha-Oper wurde dann leider nichts).

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von GiselherHH


    Das sieht dann so aus:


    "www.youtube.com/watch?v=1Xmr-8HjWow"


    Ist doch gar nicht repräsentativ. Guck Dir mal den Bildband von ihm an, dann komm wieder.


    LG,


    Knuspi

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