Luciano Berio - Sinfonia (1969)

  • Hallo,


    dass man Berios eigene Musik vielleicht nicht so mag kann man verstehen. Doch ist er ein Komponist mit großen technischen Fähigkeiten - und was für ein Instrumentator. Ich möchte mal den Blick auf diese Aufnahme lenken.



    Berio bearbeitete Werke von Purcell, Bach, Bocherini, Mozart, Schubert und Brahms.
    Die Version der "Ritirata notturna di Madrid" von Boccherini z. B. mag man anders gar nicht mehr hören.


    Gruß
    Jörg

  • In Zukunft wird man kaum an der Neuaufnahme der Sinfonia mit den London Voices, den Göteborger Sinfonikern und Peter Eötvös vorbeigehen können. Bisher hielt ich Boulez für das Maß aller Sinfonia-Dinge (abgesehen von einer Live-Aufführung mit dem Stuttgarter Vocalsolisten und dem RSO Saarbrücken unter Leitung des Komponisten, bedauerlicherweise auf CD nicht zu haben) - aber was Eötvös aus den Göteborgern herausholt, ist insgesamt sinnlicher und fasslicher zugleich. Mustergültig in jeder Hinsicht: da macht die Deutsche Grammophon doch gelegentlich noch Sinn :stumm:



    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Ich platze einfach mal unangemeldet in diesen Thread herein und (oh, ist aber schön eingerichtet hier) habe da einige Fragen. Ein Bekannter meinerseits besitzt eine Einspielung der Sinfonia unter Abbado, wenn ich mich nicht irre. Es juckt mich ab und zu schon in den Fingern, sie mir mal "probehalber" auszuleihen, allein mir fehlte der Mut. Nicht wegen der Leihmöglichkeit zu fragen, versteht sich. Aber nun mein Anliegen. Mir grummelt ein wenig der Magen, denn ich habe ein Vorurteil. Ein Vorurteil, das ich auch bei Stockhausen habe, weil ich nämlich unter der fixen Idee leide, ich höre zehn Minuten ernsthaft der Sache zu und plötzlich stürmt ein Kamerateam mein Zimmer und ruft "Ätschibätsch. Reingefallen! Das HAT der fünfjährige Enkel des Programmdirektors komponiert!"... Anders ausgedrückt: Diese Musik ist doch nur für Musiker mit sehr großen Kenntnissen, oder? Ist das so gewollt? Muss ich liturgisches Orgelspiel beherrschen? Ist das eine Art akustischer Freimaurergruß? Ist das vielleicht eine Geheimsprache, mit der man unerkannt das Publikum beschimpfen kann, das andächtig der Sache lauscht. Und eine Frage an die, die sich so ein Konzert (Berio/ Stockhausen) wirklich ernstlich bemüht angehört haben. Stellen sich da nicht plötzlich Fragen wie: Warum haben die das Instrument studiert? Werde ich die Zeit hier auf meinem Sterbebett verfluchen? Und, damit ich hier keineswegs nur einen negativen Eindruck hinterlasse, noch eine sehr wichtige Frage: Reicht da nicht ein Musikstück in dieser Art? Also nochmal zur Beruhigung, ich möchte keineswegs diese Geräusche verunglimpfen, aber gibt es für einen unbehelligten Laien die Möglichkeit einen möglichen "Schwindel" zu entdecken? :untertauch:

  • Ich verrate Dir ein Geheimnis (nicht weitererzählen!):


    Stockhausen und Berio sind in Wirklichkeit Klingonen, deshalb klingt ihre Musik auch für menschliche Ohren etwas gewöhnungsbedürftig. Nur wer selbst Klingone ist, versteht sie auf Anhieb. :rolleyes:


    Im Ernst: Die Lebenszeit, die Du für Deinen Beitrag verschwendet hast, hättest Du auch für Stockhausen oder Berio verwenden können. Und wenn Dir die Musik nicht gefällt, und Du Dich wegen der verschwendeten Lebenszeit grämst, schaust Du einfach mal einen Abend kein Fernsehen, da hast Du die Zeit wieder reingeholt :baeh01:

  • Zitat

    m Ernst: Die Lebenszeit, die Du für Deinen Beitrag verschwendet hast, hättest Du auch für Stockhausen oder Berio verwenden können. Und wenn Dir die Musik nicht gefällt, und Du Dich wegen der verschwendeten Lebenszeit grämst, schaust Du einfach mal einen Abend kein Fernsehen, da hast Du die Zeit wieder reingeholt


    Da bin ich ja auch ziemlich einverstanden. Und ich werde das spätestens morgen abend tun. Ich hab nur Angst, das zwei Seelen weiterhin in meiner Brust wohnen werden. Die eine wird mir zuraunen: "Siehste? Totaler Unsinn!" und die andere wird flüstern: "Du bist eben zu doof dafür!"... Womit ich ja durchaus leben könnte, wenn ich nicht wüßte, dass es einen solchen inkompatiblen Bereich nur in der bildenden Kunst und der Musik gibt und ich das Gefühl habe, ich bin in meiner postmodernen Umgebung der einzige Nicht-Klingone *seufz*


    Lieber Robert, was muss ich als Laie tun? So tun, als ob es mir gefällt, um in diese Kreise aufgenommen zu werden? Wenn die Antwort lautet, da muss man wirklich Musik studiert haben, um das wertschätzen zu können und man muss mindestens die Partitur lesen können, dann bin ich's zufrieden und widme mich wieder meinem geliebten 17. Jahrhundert und sage nie wieder Unqualifiziertes über Berio & Co (sollte ich das je getan haben) :wacky:

  • Zitat

    Original von Blackadder
    Lieber Robert, was muss ich als Laie tun? So tun, als ob es mir gefällt, um in diese Kreise aufgenommen zu werden? Wenn die Antwort lautet, da muss man wirklich Musik studiert haben, um das wertschätzen zu können und man muss mindestens die Partitur lesen können, dann bin ich's zufrieden und widme mich wieder meinem geliebten 17. Jahrhundert und sage nie wieder Unqualifiziertes über Berio & Co (sollte ich das je getan haben)



    Im Grunde ist die Sache einfach:


    1. Ich habe weder Musik studiert noch kann ich eine Partitur lesen. Das vergällt mir meine Freude an moderner Musik nicht (an aller anderen übrigens auch nicht: Nur weil ich nicht kochen kann, heißt das nicht, daß ich gutes Essen nicht zu schätzen weiß :) ) Nur Edwin hat's schwer, weil er mir alles dreimal erklären muß, bis ich es kapiere :]


    2. Auf keinen Fall etwas hören, nur um in bestimmte "Kreise" aufgenommen zu werden. Es ist Deine Lebenszeit, Du mußt an der Musik Freude haben, nicht die anderen für Dich. Solange Du Dir Deine Neugier erhältst und bereit bist, neue Werke wenigstens kennenzulernen, ist doch alles in Ordnung. :beatnik:


    3. Allenfalls solltest Du mal ein paar ganz abartige Sachen gehört haben, damit Du auf Vernissagen, Cocktailparties und ähnlichen Ereignissen den Kenner raushängen lassen kannst. Achtung: Schostakowitsch, Bartok, Pärt sind schon zu bekannt. Stockhausen auch, den hören schon zu viele. Zwar finden sie seine Musik gräßlich und unausstehlich, dürfen das aber nicht zugeben, weil sie sich in bestimmten "Kreisen" bewegen, wo man Stockhausen eben cool finden muß, um nicht als reaktionär oder mindestens altbacken zu gelten.


    Abartig seltene und unbekannte Komponisten verringern auch das Risiko, als Laie entlarvt zu werden. Edwin kann schließlich nicht auf jeder Vernissage sein... :rolleyes:


    Du könntest zB mal folgende Namen fallen lassen: Louise Talma, Louis Applebaum, Marjan Mozetich, Napoleon Andrew Tuiteleapaga oder Yasushi Akutagawa. Kennt bestimmt keiner :hello:



    4. Für Dich privat hörst wie unter 2. geschildert. Wenn Dir Berio nicht gefällt, dann umso schlimmer für Berio :D


    Eines Taminos unwürdig ist Kritik a la "Das kann auch mein fünfjähriger Neffe komponieren" (kann er nämlich nicht), "Quatsch, Käse" usw.. :no:


    Stattdessen auf das Gehör verlassen. Auch wenn Kurzstückmeister und Edwin sich jetzt die Haare raufen ( :motz: ): Es genügt nicht, wenn Musik technisch versiert geschrieben ist oder der Komponist kluge Gedanken zur Musik äußert, das Ergebnis muß auch klingen (nicht unbedingt "schön" oder "gefällig", aber in den Ohren des Hörers muß sie klingen).

  • Zitat

    Du könntest zB mal folgende Namen fallen lassen: Louise Talma, Louis Applebaum, Marjan Mozetich, Napoleon Andrew Tuiteleapaga oder Yasushi Akutagawa


    O danke... ich mach das sonst immer mit Siggi Grabowski und Samuel Weizenbrot. Wobei letzterer sich vehement weigert Aufnahmen zu machen und Konzerte zu geben. Wenn immer es in St. Petersburg zu einem Verkehrsunfall kommt, strömen die Feuilleton-Fuzzis zusammen mit den Notärzten an, weil der entstandene Knall auch ein neues Werk Weizenbrots hätte sein können, das aufgrund der Tatsache des Nicht-Konservierens einen entsetzlichen Verlust bedeutet hätte. Jedenfalls erzähle ich sowas, bis ich es selber glaube... Aber ich schweife ab. Ich melde mich, wenn Berio und ich Freunde geworden sind... oder auch nicht...


    :hello:

  • Zitat

    Original von Blackadder


    O danke... ich mach das sonst immer mit Siggi Grabowski und Samuel Weizenbrot.


    Wobei die von mir genannten Personen wirklich existieren und Komponisten sind... :yes:

  • Zitat

    Original von Robert_Stuhr
    Wobei die von mir genannten Personen wirklich existieren und Komponisten sind...


    Ich weiß nicht, ob das besser ist... :untertauch:


    Aber ich gebe Berio eine Chance... unvoreingenommen, wenn er mir auch eine gibt...

  • Zitat

    Original von Blackadder
    Lieber Robert, was muss ich als Laie tun? So tun, als ob es mir gefällt, um in diese Kreise aufgenommen zu werden? Wenn die Antwort lautet, da muss man wirklich Musik studiert haben, um das wertschätzen zu können und man muss mindestens die Partitur lesen können, dann bin ich's zufrieden und widme mich wieder meinem geliebten 17. Jahrhundert und sage nie wieder Unqualifiziertes über Berio & Co (sollte ich das je getan haben) :wacky:


    Ich kenne die Sinfonia nicht. Aber eine sehr gute Hilfestellung zur Entscheidung, ob man lieber die Klappe halten (oder sich entsprechend vorsichtig äußern sollte), ganz unabhängig von der Epoche oder Kunstform finde ich folgende Passage aus einem Text von Charles Rosen ("The Irrelevance of Serious Music") (Sir Edmund Blackadder wird seine Muttersprache ja verstehen...;)), den wichtigsten Satz habe ich kursiviert):


    "Scruton's criticism is informed by resentment, an inability to believe that anything he cannot take the trouble to understand might be any good. You do not have to love a work of art or a style in order to criticize it, but you need to understand its attraction for someone who does.Those who, like Scruton, hate contemporary music believe that their dislike has equal weight with the love that others have for it. But their criticism has no significance and no importance if it is not accompanied by understanding - and that implies the comprehension of at least the possibility of love. That is what the enemies of modernism cannot concede, and that is why their criticism comes down to nothing more than an admission that they don't like modern music (which we knew) and can't appreciate it (and we're sorry for them)."(S. 305, Ch. Rosen: Critical Entertainments, Cambridge, MA 2000)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Vielen Dank für diesen Textausschnitt. Genau das ist der springende Punkt. Mir geht es um die Wertschätzung, bzw. um diese attraction. Ist diese erlernbar? Hat nicht der Liebhaber der Moderne nicht auch ein flaues Gefühl, bei dem was ihn da anzieht? Oder ich möchte es gerne mal anders ausdrücken, weil ich auf keinen Fall den Eindruck erwecken möchte, es ginge mir darum, die Musik der Moderne herunterzumachen. Ich kann zwar auf einen guten (schlechten) Gag nicht verzichten, das ist genetisch bedingt, aber auf keinen Fall möchte ich allein um des Gags willen hier posten. Ich ringe hier mit meinem "Zugang"... Wahrscheinlich ein Thema für einen eigenen Thread, aber möglicherweise ja auch nur wieder ein seltsamer Ausdruck meiner labilen Psyche. Ich habe mir letztens eine CD zugelegt. Eine Aufnahme eines Klavierstücks von Barraque. Ich kannte ihn nicht. Es war ein Instinktkauf. Ich mache das öfter. Ich hörte in das "Lento" und plötzlich fand ich das interessant, was ich da hörte. So urban, so ganz anders. Und da bekam ich Angst... Ich sah mich in einem Konzertsaal mit Metzmacher... Ich wachte schweißgebadet auf...


    Also, ich weiß, es ist mein Verlust, wenn ich es nicht ertrage, aber ich will es doch :wacky:

  • Zitat

    Original von Blackadder
    Vielen Dank für diesen Textausschnitt. Genau das ist der springende Punkt. Mir geht es um die Wertschätzung, bzw. um diese attraction. Ist diese erlernbar? Hat nicht der Liebhaber der Moderne nicht auch ein flaues Gefühl, bei dem was ihn da anzieht?


    Das Ressentiment regt sich wieder. Überleg doch mal, was würdest Du einem 15jährigen Hiphop oder HeavyMetal-Fan entgegnen, wenn der Dich als einen Klassikhörer fragte, ob Dich diese grausige Operngesinge und Geigengefiedle wirklich ebenso anzieht wie ihn selbst Hiphop. Ob man nicht auch ein flaues Gefühl dabei habe und das komische Zeugs nicht doch eigentlich nur gut fände, weil man mitreden möchte, es in seinen Kreisen dazu gehört usw. Ob das erlenrbar sei (oder eine angeborene Fähigkeit)?


    Die Situation ist exakt analog zu der von Rosen skizzierten. Und genau das, was Du dem Hiphop-Fan anwortest, kann Dir der Berio-Fan antworten. Und wenn Du Dich weigerst ihm zu glauben, warum erwartest Du, dass der Hiphop-Jüngling Dir glaubt?


    viele Grüße


    JR

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  • Das hat aber gedauert :baeh01:


    Aber ich fürchte, wir gehen schon lange OT, das wird der total humorlose Demiurg dieses Forums nicht länger tolerieren, aber dennoch zwei Dinge, bevor das Gewitter hereinbricht :untertauch:


    Zitat

    Die Situation ist exakt analog zu der von Rosen skizzierten. Und genau das, was Du dem Hiphop-Fan anwortest, kann Dir der Berio-Fan antworten. Und wenn Du Dich weigerst ihm zu glauben, warum erwartest Du, dass der Hiphop-Jüngling Dir glaubt?


    Ich könnte ja noch mit "Melodien" und "Harmonik" kommen, was vielleicht nicht überzeugt, aber so etwas wie einen notdürftigen Rahmen darstellt. Was Berio & Co angeht fehlt mir entsprechendes Vokabular (Eigentlich bitte ich ja um eine Art Wörterbuch :yes: ) Und natürlich glaube ich daran, dass es Menschen gibt, die das wirklich mögen. Und sie sollen das hören, wann immer es ihnen danach gelüstet. Aber ich habe dabei eben immer das Gefühl, ich könnte da auch einer schwarzen Messe beiwohnen. Nur weil die inbrünstig eine Gottheit anbeten, muss es diese nicht geben...


    Aber keine Angst, Du hast mir definitiv den Stachel gezogen. Außerdem nochmal danke für den Textausschnitt von Rosen. Ich denke, der hat mich wirklich beeindruckt :jubel:

  • Zitat

    Original von Blackadder
    Aber ich fürchte, wir gehen schon lange OT, das wird der total humorlose Demiurg dieses Forums nicht länger tolerieren, aber dennoch zwei Dinge, bevor das Gewitter hereinbricht :untertauch:


    Das ist eine vernünftige Diskussion, die kann ggf. in einen andere thread verschoben werden


    Zitat

    Ich könnte ja noch mit "Melodien" und "Harmonik" kommen, was vielleicht nicht überzeugt, aber so etwas wie einen notdürftigen Rahmen darstellt. Was Berio & Co angeht fehlt mir entsprechendes Vokabular (Eigentlich bitte ich ja um eine Art Wörterbuch :yes: )


    Du würdest den Hiphopper mit technischem Vokabular vollquatschen? Wirklich? Selbst wenn, würdest Du doch nur sein Vorurteil bestätigen, dass es Dir nicht wirklich(TM) gefällt, sondern dass Du Dich hinter solchen theoretischen Äußerungen verschanzt oder ihn intellektuell in die Pfanne hauen willst o.ä.


    (Wie gesagt, zu Berio kann ich Dir nichts sagen, dass müssen die tun, die seine Musik kennen.)


    viele Grüße


    JR

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  • Ich glaube, ich muss die Ernsthaftigkeit meiner Bemühungen noch mal unterstreichen :baeh01:


    Zitat

    Du würdest den Hiphopper mit technischem Vokabular vollquatschen? Wirklich? Selbst wenn, würdest Du doch nur sein Vorurteil bestätigen, dass es Dir nicht wirklich(TM) gefällt, sondern dass Du Dich hinter solchen theoretischen Äußerungen verschanzt oder ihn intellektuell in die Pfanne hauen willst o.ä.


    Natürlich würde ich diese äußerst komplizierten Begriffe benutzen, auch auf die Gefahr hin, das drogengeschwängerte Gehirn zu sehr einem cerebralen Feuerwerk auszusetzen. Aber natürlich nur, wenn er (wie ich) darum bittet, Anhaltspunkte zu bekommen, wo eine Wertschätzung dieser Musik ansetzen kann, wo es Überschneidung meiner Wirklichkeit(c) mit seiner (und umgekehrt) gibt. Ob es dann fruchtet, liegt natürlich nicht in meiner Entscheidung.

  • Zitat

    Original von Blackadder


    Da bin ich ja auch ziemlich einverstanden. Und ich werde das spätestens morgen abend tun. Ich hab nur Angst, das zwei Seelen weiterhin in meiner Brust wohnen werden. Die eine wird mir zuraunen: "Siehste? Totaler Unsinn!" und die andere wird flüstern: "Du bist eben zu doof dafür!"...


    Der ersten Seele würde ich sagen: Ok, aber das behalten wir erst einmal für uns.
    Der zweiten würde ich vehement auf die Finger hauen und sagen: Für Musik KANN man nicht zu doof sein, die Zeit ist einfach noch nicht gekommen. Vielleicht kommt sie auch nie, so what? Es gibt Menschen, die sterben ohne je Mozart in ihr Herz geschlossen zu haben. Es gibt Menschen, die verabscheuen Bach bis zu ihrem Tode, da werde ich mir auch bestimmt das Recht nehmen dürfen, so lange Berio nicht zu mögen bis ICH vom Gegenteil überzeugt bin.

  • Zitat

    Original von Blackadder
    Ich glaube, ich muss die Ernsthaftigkeit meiner Bemühungen noch mal unterstreichen :baeh01:


    Ich meine die Analogie mit dem Hiphop (oder was immer klassikfernes es sei) Hörer völlig ernst!


    Zitat

    Natürlich würde ich diese äußerst komplizierten Begriffe benutzen, auch auf die Gefahr hin, das drogengeschwängerte Gehirn zu sehr einem cerebralen Feuerwerk auszusetzen. Aber natürlich nur, wenn er (wie ich) darum bittet, Anhaltspunkte zu bekommen, wo eine Wertschätzung dieser Musik ansetzen kann, wo es Überschneidung meiner Wirklichkeit(c) mit seiner (und umgekehrt) gibt. Ob es dann fruchtet, liegt natürlich nicht in meiner Entscheidung.


    Mein Punkt war, dass Du dem Hiphopper doch überhaupt nicht hilfst, wenn Du ihn mit theoretischem Kram einlullst! Sondern Du würdest ihn ein Stück vorspielen und auf ein paar Sachen aufmerksam machen. Das geht online nunmal schlecht
    Was meinst du eigentlich mit "&Co"? d.h. wer gehört zu Berio dazu?
    Ich kann wie gesagt zu dem Stück nix sagen, aber Uwe und Edwin haben ja schon was geschrieben. Da müßtest Du nachhaken bzw. versuchen, dass am Stück nachzuvollziehen.


    viele Grüße


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Mein Punkt war, dass Du dem Hiphopper doch überhaupt nicht hilfst, wenn Du ihn mit theoretischem Kram einlullst! Sondern Du würdest ihn ein Stück vorspielen und auf ein paar Sachen aufmerksam machen. Das geht online nunmal schlecht


    Völlig richtig...


    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Was meinst du eigentlich mit "&Co"? d.h. wer gehört zu Berio dazu?


    Der Mann vom Sirius, Nono, Varese... (ja, ich werde für diese Aufzählung zerrissen :stumm:


    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ich kann wie gesagt zu dem Stück nix sagen, aber Uwe und Edwin haben ja schon was geschrieben. Da müßtest Du nachhaken bzw. versuchen, dass am Stück nachzuvollziehen.


    Ich werde es als Grundlage nehmen. Noch nie habe ich mich vor einem Stück Musik so gefürchtet, wie jetzt :untertauch:

  • Hallo Blackadder,
    verstehe ich recht: Du hast ein flaues Gefühl, weil Du glaubst, vielleicht ist "Berio und Co." nur eine gigantische Verarsche, und wenn es Dir gefällt, wärst Du einer der Verarschten?


    Nun ja, kann passieren. Aber es ist nicht moderne-spezifisch.


    Ich erinnere mich, daß ein nicht unbekannter Pianist um die Welt zog, mit einer sensationellen neu aufgefundenen Haydn-Sonate. Sie war nur leider eine clevere Fälschung.


    Also: Es kann schon geschehen, daß man auf einen Trick hereinfällt - aber es fallen auch Fachleute herein.


    Allerdings - wieviele Werke hat Berio komponiert? 50? 60? Mehr? Und immer wieder verarscht er das Publikum?
    Auf welcher Ebene?
    "Ha, ha - Ihr glaubt, das ist hochkomplexe Musik, und in Wahrheit hab' ich das in fünf Minuten zusammengebosselt"?
    Ich glaube nicht, daß das funktioniert. Einmal macht sowas Spaß, ein zweites Mal eventuell auch. Aber ein ganzes Leben in einen permanenten Schwindel investieren? - Wie wahrscheinlich ist das?


    Und in diesem Sinn: Viel Vergnügen mit der "Sinfonia"...!


    :hello:

    ...

  • Hallo,


    den Inhalt des obigen Austausches kann ich, wenngleich ich, wie gesagt, zur Sinfonia gewisse Distanz halte, nicht nachvollziehen. Und zwar weder das flaue Gefühl, einer „Verarsche“ aufgesessen sein zu können, noch die Entgegnung, dass eine Verarsche Berios wegen der großen Anzahl seiner Kompositionen unwahrscheinlich ist. Auf viele (auch mir sympathische) Stücke mag all dies vielleicht zutreffen, die Sinfonia hat einen solchen Angriff weder verdient noch eine solche Verteidigung nötig.


    Ich finde, sie macht auch beim oberflächlichen und ersten (aber natürlich: vorurteilslosen) Hören nicht den Eindruck, zufällig oder erschwindelt zu sein. Ich zumindest habe den Eindruck von Ordnung, ernsthafter Komposition, Eingängigkeit und - Harmonie. Die obige Aussage, dass dieses Werk, da nur für Chaoten geeignet, nur selten gespielt wird, stimmt so nicht ganz. Im Gegenteil: Die Sinfonia wird, auch in „konservativeren“ Konzerten, verhältnismäßig häufig und mit Erfolg gespielt und darf sich aus diesem Grund ein klassisches Werk nennen.


    Hauptverantwortlich dafür ist wohl in erster Linie der Mittelsatz, der sehr an Mahlers zweite Sinfonie (dritter Satz) erinnert und dieser ungewöhnlich stark angelehnt ist. Der ausgedehnte Satz besteht, wie kann ich es formulieren, aus einer fortdauernden Reihe von endlos vielen Zitaten oder Kollagen innerhalb dieser Adaption des Mahler-Satzes; allerdings ist es keine willkürliche, einfach mit Zitaten wild um sich geschmissene Arbeit, sondern eine kunst- und gefühlvolle Einarbeitung dieser Zitate in diesen fließenden Satz (Debussy, Ravel, Mahler, Beethoven, Bach, Strawinsky und viele andere).


    Doch auch die anderen Sätze tragen sehr dazu bei, ein geschlossenes und einheitliches Musikstück zu bilden. Der zweite und vierte von insgesamt fünf Sätzen tragen entspannende Ruhe in sich, der erste Satz wirkt durch seine Stimmen für mich sehr angenehm und schön und das „volle“ Ende des letzten Satzes und gesamten Werkes finde ich klasse. Übrigens hat Berio hier, wenn ich recht höre, weder Reihen- noch sonstige serielle Techniken angewandt.


    Ja, die Sinfonia trägt Gestaltungsinstrumente, die mir nicht sonderlich gefallen und dazu beitragen, dass sie nicht zu meinen absoluten Lieblingswerken gehört, aber es handelt sich keinesfalls um Schwindel, sondern um ein ernstzunehmendes, hochkomplexes und hochsensibles Werk, das nichts mit Zufälligkeiten oder Chaos, sondern angenehmer und fast warmer Atmosphäre zu tun hat.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

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  • Hallo Uwe,
    prinzipiell hast Du recht. Allerdings ist mir der "Verarsche"-Vorwurf in Zusammenhang mit der "Sinfonia" sehr häufig begegnet. Er wurzelt in der Zitaten-Montage. Zahlreiche Leutchen sagen nämlich: Was einem selbst nicht einfällt, muß man eben zitieren.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Blackadder
    Ich könnte ja noch mit "Melodien" und "Harmonik" kommen, was vielleicht nicht überzeugt, aber so etwas wie einen notdürftigen Rahmen darstellt. Was Berio & Co angeht fehlt mir entsprechendes Vokabular (Eigentlich bitte ich ja um eine Art Wörterbuch :yes: )


    Vielleicht kommt das "Vokabular" durch Kennenlernen verschiedener mehr oder weniger ähnlich komponierender Komponisten zustande?


    Ich mache einen eher zufälligen Vorschlag:
    Zu den "unmelodischen, unharmonischen" Stellen als Kollegen Nono (Como una ola) und Stockhausen (Gruppen).
    Zu den Zitaten Zimmermann (Requiem) und Bredemeier (Bagatelle für B).
    Zu der Stimmbehandlung Ligeti (Aventures) und Cage (Song books).


    Wenn man das mal so anhört, könnte man vielleicht eine Art "Vokabular" wahrnehmen.


    Oder?


    (Wörterbuch ist aber ein schlechter Vergleich. Übersetz mal einen Komponisten den Du "verstehst". "Verstehen" ist eigentlich auch Blödsinn ...)
    :hello:

  • Zitat

    Original von Robert Stuhr
    Stattdessen auf das Gehör verlassen. Auch wenn Kurzstückmeister und Edwin sich jetzt die Haare raufen ( :motz: ): Es genügt nicht, wenn Musik technisch versiert geschrieben ist oder der Komponist kluge Gedanken zur Musik äußert, das Ergebnis muß auch klingen (nicht unbedingt "schön" oder "gefällig", aber in den Ohren des Hörers muß sie klingen).


    Interessant, erst wollte ich Dir zustimmen, und im Falle von Berios Sinfonia ist es sowieso klar, dass das ein Werk ist, das klingen will und klingt und keiner Erklärung bedarf ( :baeh01: )


    Aber es gibt Werke die nicht klingen und die ich dennoch schätze, aus konzeptioneller oder ästhetisch-optischer Sicht. Die gehören aber nicht in diesen Thread.
    :hello:

  • zum zweiten satz mit dem anschwellen und abebben von tönen eines akkords (und attackieren derselben durch das klavier) fallen mir noch folgende "vergleichsstücke" zum "versuchsweise anwärmen" ein:


    schönberg: 5 stücke op. 16: der farben-satz
    crawford: streichquartett: 3. satz (den gibt es auch in streichorchesterbearbeitung)
    :hello:


    PS: insgesamt ist berios symphonie in meinen ohren ein sowohl stark auf harmonik konzentriertes als auch sehr wohlklingendes quasi antisprödes werk - würden nicht die sprecher so viel durcheinanderreden. auch durch letzteres aber ein vollgültiges spätsechzigerhauptwerk neben dem mehr oder weniger brüderlichen "como una ola" vom gleichaltrigen nono. dadurch wird italien zu einem der wichtigsten nachkriegsländer neben deutschland, frankreich und usa.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Interessant, erst wollte ich Dir zustimmen, und im Falle von Berios Sinfonia ist es sowieso klar, dass das ein Werk ist, das klingen will und klingt und keiner Erklärung bedarf


    Aber es gibt Werke die nicht klingen und die ich dennoch schätze, aus konzeptioneller oder ästhetisch-optischer Sicht. Die gehören aber nicht in diesen Thread.
    :hello:


    ad 1: Habe ich niemals einmal nicht abgestritten! Kenne bloß die Sinfonia nicht, nur einige andere Werke, und die klingen. :hello:


    ad 2 Eröffne einen Thread über ästhetisch-optisch gute Musik und wie sie sich dann von einem Bild oder einer Graphik unterscheidet. Wäre doch spannend! 8)

  • Zitat

    Original von Robert Stuhr
    Eröffne einen Thread über ästhetisch-optisch gute Musik und wie sie sich dann von einem Bild oder einer Graphik unterscheidet. Wäre doch spannend! 8)


    ja, darüber habe ich vor langem mit edwin hier diskutiert, der bussottis musikalische graphik einfach zur bildenden kunst geschlagen hat. ich habe begründet, warum ich meine, dass das in die musikgeschichte und nicht in die kunstgeschichte gehört. ob dieses grenzthema einen thread mit mehr als 3 beiträgen bei gegenwärtigem mitgliederstand hergibt, halte ich aber (leider) für fragwürdig.
    :hello:

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