Das Vibrato in der Barockmusik

  • Wie lange wollt ihr denn diesen Unsinn noch weitertreiben?


    Ich habe 10 Jahre Gesang studiert, unter anderem bei


    Julius Patzak in Salzburg. 20 Jahre lang habe ich Oratorien


    gesungen. Aber noch nie hat mir jemand so einen Unsinn


    über Vibrato erzählt. Ein schönes schnelles Vibrato gehört einfach


    zu einer schönen Stimme. Es ist die Seele der Stimme, und


    wenn das vor 300 Jahren anders gewesen sein sollte, ist das


    völlig wurscht. Die Gesangskunst hat sich, wie alles andere


    weiterentwickelt.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat

    Original von Eponine


    Nein, nicht "Dauervibrato = automatisch Waerme". Ich wuerde eher sagen: "Null Vibrato = Kaelte".


    Aber das ist doch auch wieder eine Interpretation, die sich vielleicht auf das stützt, was Du selbst gewöhnt bist und als schön oder angemessen „erlernt“ hast. Dadurch wird sie nicht schlechter, greift aber hier nicht so richtig.


    Zitat

    Mir draengt sich hier der Verdacht auf, dass aktive Saenger Vibrato doch anders definieren als Instrumentalisten (wer hier was ist, weiss ich auch nicht so genau, bin noch nicht lange dabei, nur die aktiven Saenger sind offensichtlich ) . Unterdrueckung des natuerlichen Vibratos macht die Stimme muede und ist schaedlich. Punktum. Und ich glaube nicht, dass da vor 300 Jahren andere Gesetzmaessigkeiten galten. Dafuer gibt es m.W. nach auch keinerlei Beweise.


    Die Unterdrückung des natürlichen Vibratos wird nur ganz selten und auch nur während einer bestimmten Zeit in Deutschland für Knabenstimmen gefordert: „die Stimme festhalten, dass sie nicht zittert“ (oder so ähnlich).


    Zitat

    Das erste Missverstaendis: Hier wird oefter angefuehrt, Vibrato in alter Musik sei ein Ornament gewesen. Nein, Vibrato war immer schon Naturvibrato (Frequenzvibrato), das "Ornament-Vibrato" ist nach strenger Definition ein Tremolo (Amplitudenvibrato). Nur: Gerade Saenger benutzen den Begriff nicht so gern, da er fuer sie was Unschoenes impliziert, naemlich einen "Meckerton", der oft durch mangelnde Stuetze verusacht wird. Tremolo rein musikpraktisch angewandt ist aber ein Ornament.
    Wenn ich also von einem Vibrato als "Verzierungsvibrato" spreche, meine ich strenggenommen ein Amplitudenvibrato bzw. Tremolo. Das kann das Naturvibrato, das per definitionem ein Frequenzvibrato ist, doch eigentlich gar nicht ueberlagern, zumindest nicht so wie es hier befuerchtet wird?


    Am besten hier vielleicht die grundsätzliche Voranstellung aus besagtem Buch:
    „Im Prinzip werden jedoch all jene Formen berücksichtigt, die in den Quellen mit einem sich auf das Vibrato beziehenden Terminus umschrieben bzw. als Vibrato beschrieben werden. Dabei war auch darauf zu achten, daß die frühere Terminologie um vieles flexibler war als unsere heutige.
    Konstante Elemente dieser Arbeitsdefinition sind also folgende: Vibrato ist eine vom Musiker erzeugte periodische Schwingung, die entweder in Frequenz, Amplitude oder Timbre, oder auch in mehreren dieser Faktoren zugleich schwankt.“
    Das V. wird oft und gerade im Vokal-Kapitel gegen Tremolo abgegerenzt, wenn es an den Randbereichen auch zu Überlappungen kommt. Und bei den Verzierungen geht es ausdrücklich um Vibrato, nicht um Tremolo.



    Zitat

    Saenger haben m.E. immer schon mit Naturvibrato gesungen, das macht umso mehr Sinn, da z.B.die Violinen nicht umsonst in ihrem Vibrato die menschliche Stimme imitieren (warum sonst sollten sie das tun, wenn das "Vorbild" nicht vorhanden waere?).


    Gerade bei den Violinen fällt es ja besonders auf: hiP spielt Geige ohne Dauervibrato, wohl aber mit dosiertem Verzierungsvibrato – meistens mit dem Bogen, nicht mit den Fingern. Und an der Berechtigung dieser Praxis lässt sich nicht rütteln.



    Zitat

    Warum gibt es in Orgeln die Voce Umana (oder Vox Humana), die das menschliche Vibrato durch Schwebung nachahmt? Und das schon lange vor dem Barock? Warum wurde das von Orgelbauern als schoen und nachahmungswert erachtet? Sicher nicht, weil vor der Romantik alle Stimmen vibratolos gefuehrt wurden.


    Die Voce umana der Renaissance-(und späteren)Italiener ist eine sehr langsame Schwebung, die hauptsächlich in leisen, langsamen Stücken „per l’Elevazione“ eingesetzt wurde. Hierzulande hätte man am ehesten eine Entsprechung in der „Unda maris“. Die deutsche (oder frz.) Vox humana ist ein ziemliches Quäkding, das nicht schwebt. Aber es gibt noch den Tremulanten, der den Wind beeinflusst, also alle gezogenen Register eines Manuals oder auch der ganzen Orgel je nach Orgelbauer langsamer oder schneller tremolieren lässt. Aber das alles sind Dinge, die zeitweise eingesetzt werden. Eine Orgel, die permanent tremoliert, war nicht gewünscht.


    Zitat

    Mir scheint viel eher, dass das als unschoen empfundene "Dauervibrato" als etwas empfunden wird, das "gemacht" ist. Ich behaupte aber mal ganz dreist, dass das nicht so ist, sondern in den meisten Faellen die Stimme einfach freigelassen wird. Ob einem das gefaellt, ist ja wieder eine andere Frage, aber dem Problem werden wir vermutlich auch nicht beikommen


    Dann wäre aber nach den Quellen, die ziemlich ausführlich über ein schwaches Naturvibrato berichten, selbiges im Lauf der Zeit erheblich angewachsen. Denn das hatten wir ja schon, dass das Naturvibrato mit Cembalosaite und Glocke verglichen wird und meistens mindestens akzeptiert wurde. Die Differenzierung Natur-/Verzierungsvibrato ist aber in allen Quellen vorhanden, und häufig wird sie extra betont.

  • Gut, um es greifbar zu machen:


    Nenne mir doch mal ein/e Saengerin/Saenger mit fuer Dich akzeptablem Vibrato. Dass Du Frau Schlick nicht magst, weiss ich ja schon. Ich auch nicht, das hat aber nichts mit ihrem Vibrato zu tun. Oder nicht damit, dass ich es zu "ausladend" faende. Ich finde sie vielmehr in der Hoehe mittlerewile extrem eng klingend, und die Stimme klingt mittlerweile gealtert (das empfinde ICH so, muessen andere nicht, aber irgendwo muss man ja ansetzen). Ihr Vibrato z.B. ist alles andere als ausladend, wenn man es rein gesangstechnisch betrachtet, sondern sehr schnell und eher klein von der Frequenz. Auf mich wirkt das aber unruhig, weil es schnell ist. Eine Stimme wie Vivica Genaux z.B. hat ein langsamer schwingendes Vibrato, auch eine hoehere Frequenz (Tonhoehe). Wirkt auf mich aber trotzdem waermer und ruhiger.


    Das hat doch ALLES was mit persoenlichen Vorlieben zu tun (AUCH mit Deinen, Du kannst ja anderen nicht vorwerfen, was Du selbst praktizierst ;) ). Gerade Frau Schlick ist eigentlich das Paradebeispiel, denn ihr Vibrato ist alles andere als ausladend. Objektiv gesehen ist ihre Stimme viel naeher am "barocken" Ideal, WEIL die Stimme tendenziell klein und eher leicht ist und ein ziemlich schnelles, kleinfrequentes Vibrato hat. In Wagneropern oder romantischer Literatur ist dieser Stimmtyp z.B. rein objektiv gesehen viel schwerer einsetzbar (ausser vielleicht im Lied).


    Ich waere also sehr interessiert, was es mit der von Dir geforderten Stimmfuehrung auf sich hat bzw. wer diesem Ideal denn nahe kommt oder es erreicht, sonst bleibt das fuer mich Stochern im Nebel ...


  • Jetzt weiß ich es: Alle, die das anders sehen oder praktizieren, reden, spielen und singen Unsinn.
    Dann bin ja richtig belehrt worden und kann mich, jetzt endgültig unterrichtet, zur Ruhe begeben.
    Vielen Dank, Herbert. :jubel:

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  • Guten Abend


    Zitat

    Original von Hildebrandt


    Danke, da kommen wir doch schon weiter.
    Nur mit diesem Satz sind wir wieder in einer Wertung gelandet, die sich mir nicht erschließt. Warum erwartest Du auf der barocken Opernbühne etwas anderes als von der Empore einer Kirche?
    Die Quellen machen fast nie Unterschied zwischen geistlich und weltlich und wenn, geht es um andere Dinge. Dabei stammen sie von Praktikern, die mit der Materie Umgang hatten.


    Erdmann Neumeister, Pastor zu Hamburg und Textautor vieler Bach-Kantaten schrieb z.B. im Vorwort seiner 1704 erschienenen "Geistliche Cantaten statt einer Kirchen-Music":


    "Soll ichs kürzlich aussprechen, so sieht eine Kantate nicht anders aus als ein Stück aus einer Oper, zusammengesetzt aus stilo recitativo und Arien [...] Ich dürfte fast mutmaßen, dass sich mancher ärgern möchte und denken, wie eine Kirchenmusik und die Oper zusammenstimmen ? Etwa wie Licht und Finsternis"


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Liest man sich bis hierher alles durch, bleiben am Ende neben der Ansicht, dass alles immer besser geworden ist, mehrere ernst zu nehmende Möglichkeiten, denn auch zwischen den PraktikerInnen herrscht hier nicht komplette Einigkeit. Dabei möchte ich schon voraussetzen, dass sich die besagte Arbeit seriös mit den Dingen auseinandersetzt und jede Wertung vermeidet.


    Die Unterscheidung zwischen Naturvibrato und beabsichtigtem Vibrato wird im Barock immer gemacht, daran ändert eine andere Sichtweise nichts. Das Naturvibrato darf dabei aber nicht so groß sein, dass es das Verzierungsvibrato überdecken könnte, die Vergleiche mit Glocke und Cembalosaite für Naturv. sind recht anschaulich. Die heutige Definition von V. ist nicht unbedingt für Alte Musik gültig, sondern muss anders gefasst werden. „Ein theoretisches Idealvibrato wie heute [...] gab es im Barock überhaupt nicht. ... Nur beabsichtigtes Vibrato, mit Ausnahme vielleicht des Alterstremolos, wird als Vibrato gesehen.“


    Dazu gibt es die Unterscheidungen in zahlreiche Verzierungsvibrati, die von Tremolo und anderen Verzierungen abgegrenzt werden.
    Bleibt mir die Einschätzung, dass entweder das Naturvibrato bis heute kolossal angewachsen ist oder dass es durch Willkür – möglicherweise im Zusammenhang mit der Ausbildung – fester, aber nicht ursprünglicher Bestandteil der Singstimme geworden ist.


    Jedenfalls ist das Dauervibrato, das heute wieder auch bei hiP-Aufführungen mehr und mehr zu hören ist und das ich im Verdacht habe, kein reines Naturvibrato zu sein, zu groß, um Differenzierungen im Sinne der Quellen überhaupt zuzulassen.


    Folglich sind diese Nuancierungen des Verzierungsvibratos überhaupt nicht vorhanden und als Ausdrucksmittel verloren. In der allgemeineren Gesangsausbildung scheinen sie auch nicht aufzutauchen.
    Mit Gefallen oder Wertung hat das nichts zu tun.

  • Gerade bin ich auf die Zusammenfassung eines Aufsatzes gestoßen, der mir in diesem Zusammenhang hier ganz passend erscheint. Der Artikel findet sich im


    Basler Jahrbuch für historische Musikpraxis 26 (2002)
    zu finden unter: scb-basel.ch


    und stammt von Richard Wistreich.
    Hier als Zitat besagtes Abstract:


    Zitat

    Das Ausführen und Lehren historisch informierten Singens - wen kümmert es?


    Die Alte Musik-Bewegung hat während der letzten 30 Jahre von Grund auf die Art verändert, wie historische westliche klassische Musik gespielt wird; und sie hat ein berufliche Legitimierung entstehen lassen, die heute als Rechtfertigung für einen Prozess benutzt wird, der als eine Art Umsturz des status quo begonnen hat. In diesem Aufsatz wird die Auffassung vertreten, dass auf dem Gebiet des Singens keine vergleichbare "Revolution" stattgefunden hat, sondern höchstens, trotz einiger Gesten, mit denen Vorurteile im Hinblick auf Gesang angefochten werden, bestehende konservative Paradigmata klassischen Singens - ich nenne sie "übernommene Traditionen" - nach wie vor bestimmen, was im Konzertsaal oder in einer Aufnahme gestattet ist. Umgekehrt findet sich dies in der Art gespiegelt, wie "Alte Musik-Singen" zugelassen und im Konservatorium gelehrt wird; dort ist es nach wie vor eine Beigabe zum eher engen Konstrukt des "klassischen Singens". Der Aufsatz bietet einige Vorschläge für Forschungsgebiete und Experimente, die Alte Musik-Sänger von diesen Restriktionen befreien könnten.


    Demnächst werde ich mir das genauer zu Gemüte führen, aber vielleicht hat es ja schon jemand gelesen und mag sich äußern.


    Auch das hier (im selben Band) scheint ganz interessant zu sein:


    Zitat


    Jörg-Andreas Bötticher
    "Singend denken"- und denkend singen? Zur Wechselbeziehung barocker Vokal- und Instrumentalpraxis


    Bisher haben sich Instrumentalisten meistens den guten Sänger "zum Muster" genommen und waren bemüht, singend zu denken und zu spielen. Viele Aussagen belegen die imitatio vocis als Ansatzpunkt und Ziel des Instrumentalspiels. Die differenzierte Instrumentalausbildung in der Alten Musik, verbunden mit dem hochspezialisierten Instrumentenbau, hat aber inzwischen hinsichtlich klanglicher und stilistischer Fragen zu einem Vorsprung der Instrumente gegenüber der Gesangspraxis geführt. Deshalb ist es dringend angebracht, von Seiten der Gesangs die Instrumente und ihre Spielpraxis neu zu befragen und denkend zu singen. Ausgehend von Klangbeschreibungen der die Stimme imitierenden Instrumente und Orgelregister (vox humana) wird gezeigt, wie sich die Vorstellungen eines Idealklanges von 1600 bis1800 wandeln. Daraus entstehen neue Anregungen für die historically informed practice.

  • Ich kann da den bereits zu Wort gekommenen Sängern nur zustimmen.
    Ich hatte früher kein Vibrato (wie fast alle unausgebildeten Stimmen), es ist durch das Fortschreiten der Entwicklung meiner Stimme entstanden.
    Nach wie vor kann ich natürlich auch ohne Vibrato singen, doch dann wird die Stimme schneller müde und ich werde nach einigen Stunden z.T. heiser (das merke ich dann mehr an der Sprech- als an der Singstimme). Wenn man locker ist und die Stimme frei schwingen lässt, stellt sich bei richtiger Technik automatisch ein Vibrato ein und man kann viel länger singen, ohne zu ermüden, da nichts "festgehalten" wird. Daher ist es mir schon allein aus gesundheitlichen Gründen lieber, mit meinem natürlichen Vibrato zu singen.
    Nun ist aber jede Stimme anders und bei manchen ist das natürliche Vibrato schnell und "klein", bei anderen ausladender, langsamer o.ä. - das ist einfach von der Natur so gegeben. Danach muss man sich eben auch sein Repertoire aussuchen. Wenn man trotz großer und schwerer Stimme mit großem Vibrato nicht auf Barockmusik verzichten will, ist es ja immer noch Sache des Dirigenten, ob er einen engagiert oder nicht.
    Im Gesangsunterricht sagt übrigens keiner "So, und jetzt sing das ganze mal mit ordentlichem Vibrato, deine Stimme ist ja viel zu gerade" (zumindest hätte ich das noch nie erlebt), sondern es stellt sich bei richtiger und gesunder Technik einfach von selbst ein.
    Wenn ich mir heute z.B. einige der BachCDs meines Freundes anhöre, klingen viele der Solisten wie relativ unausgebildete Stimmen. Da ist es dann natürlich klar, dass sie kein oder wenig Vibrato haben. Würden sie jedoch eine Gesangsausbildung machen, die ihnen ermöglicht, frei und locker zu singen, würde sich auch bei ihnen ein natürliches Vibrato einstellen. Denn: Das natürliche Vibrato ist meist nicht von Anfang an einfach "da", sondern entsteht durch Entwicklung.
    Kurz gesagt: Auch ausgebildete Stimmen können vibratolos singen, um es hiP-Anhängern rechtzumachen, doch wenn sie nicht gerade zu den paar Glücklichen gehören, die einen extrem unempfindlichen Stimmapparat haben, werden nur die wenigsten dafür ihre Stimmgesundheit riskieren.
    Der Vergleich mit Violinen o.ä. ist nicht wirklich gerechtfertigt, denn eine Violine wird sicher keinen Schaden davon nehmen, wenn sie vibratolos gespielt wird ;)
    Es bleiben also die Möglichkeiten, kleine, leichte Stimmen mit natürlicherweise sehr geringem Vibrato (die gibts aber auch nicht wie Sand am Meer), oder Sänger, denen ihre Stimmgesundheit egal ist oder die sehr robust sind, oder relativ unausgebildete Stimmen zu engagieren.


  • Hallo Hildebrand,
    ich tue mich etwas schwer mit der Bezeichung "Restriktion".
    Wenn jemand sich auf das Singen von Alter Musik spezialisieren will, dann kann er dies doch durchaus machen. Es wurde ja zu Recht darauf hingewiesen, dass es hierfür Fachbereiche an den Universitäten oder Konservatorien gibt. Und ich denke, der Markt für solche Stimme ist auch da. Aber es wird eben ein Spezialgebiet bleiben. Warum sollte sich daher die "Grundausbildung" daran ausrichten? Wenn Pianisten (stattl. geprüfte) Liedbegleiter werden wollen, müssen sie doch auch ein Aufbaustudium absolvieren.....
    Und eine Gesangsausbildung ist sicher kein "enges Konstrukt", sondern wird sich - wenn sie verantwortungsvoll ausgeführt wird - immer an den Fähigkeiten des Stimmmaterials orientieren.
    Auf keinen Fall würde ich die Freude der Zuhörer an und den Wunsch nach einer frei schwingenden Stimme als "bestehende konservative Paradigmata klassischen Singens" bezeichnen. Wie überall, wo ein Produkt verkauft werden soll, ist nunmal Angebot und Nachfrage zu beachten....


    LG
    Rosenkavalier

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  • Den Wistreich-Aufsatz zu lesen bereitet Schmerzen. Fazit des Autors ist nämlich, dass selbst dort, wo das "Alte-Musik-Singen" gelehrt wird, es sich wirklich lediglich um eine Beigabe handelt, die kaum der Rede wert ist, da sie sich nie eingehend mit den Grundlagen früherer Singweisen – und die gibt es sehr wohl – auseinandergesetzt hat.
    Die wenigen Sänger und -innen, die sich etwa seit den 70er Jahren spezialisiert haben, sind nahezu ausnahmslos entweder akademisch unausgebildete Autodidakten oder haben ihre Studieninhalte komplett über Bord geworfen.


    Es bestätigt sich also aufs Grässlichste meine bange Vermutung, dass es im Bereich des Gesangs überhaupt keine Techniken, Kenntnisse und Fertigkeiten gibt, die dem im Instrumentalbereich inzwischen Üblichen vergleichbar wären.


    Übertragen auf die gängige Praxis hieße das, dass kaum eine Vokalkraft auf unseren geliebten CDs oder in noch so umjubelten Aufführungen überhaupt in der Lage ist, den jeweiligen Kompositionen gerecht zu werden.


    Dass das Vibrato dann eine nachgeordnete Problematik darstellt, ergibt sich von selbst. Wie sollen die Leute etwas von historisch richtig angewendetem Vibrato verstehen, wenn sie nie barockes Singen gelernt haben und noch nicht einmal wissen, wie das überhaupt funktioniert?

  • Zitat

    Original von Hildebrandt
    Die wenigen Sänger und -innen, die sich etwa seit den 70er Jahren spezieliseirt haben, sind nahezu ausnahmslos entweder akademisch unausgebildete Autodidakten oder haben ihre Studieninhalte komplett über Bord geworfen.


    Gilt das auch für Emma Kirkby ?( ?( ?(

  • Zitat

    Original von Eponine
    Nein, nicht "Dauervibrato = automatisch Waerme". Ich wuerde eher sagen: "Null Vibrato = Kaelte". :D


    Ich habe hierüber noch einmal nachgedacht und bemerkt, dass für mich die Frage nach der "Wärme" oder "Kälte" einer Stimme sich nach der Klangfarbe richtet, dem Timbre, und nicht nach dem Einsatz von Vibrato.


    Wenn ich an Jazzsänger (und -Instrumentalisten) denke: von denen wird automatisch erwartet, dass sie das Ausmaß des Vibratos kontrollieren können und angemessen als Ausdrucksmittel einsetzen.
    Bei der Klassik hat sich - zumindest habe ich diesen Eindruck - das unkritische Dauervibrato als Stilmittel völlig verselbständigt.

  • Zitat

    Original von musicophil


    Gilt das auch für Emma Kirkby ?( ?( ?(



    Emma Kirkby ist von Beruf Lehrerin, hat aber Gesangsunterricht gehabt.
    Nur hat sie ihren Gesang den instrumentalen Gegebenheiten der historischen Aufführungspraxis angepasst, also genau das getan, was von Wistreich gefordert wird.

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  • Zitat

    Original von Herbert Henn
    wie funktioniert denn barockes Singen ?


    Wenn Wistreich seinen Vortrag mit einer Analogie zu der berühmten Gandhi-Antort auf die Frage, was er von der westlichen Zivilisation hielte, beginnt – "Well, Mr. Wistreich, what do you think of the Historically Informed Singing Revolution?... I, too, reply without (much) irony: Well, I think it might be a very good idea." – kann man wohl kaum erwarten, dass es da eine kompakte Handreichung für die Praxis gäbe.


    Man mus sich in den Brutstätten unserer Sangeskunst wohl endlich einmal ernsthaft mit den Gesangsschulen der Zeit auseinandersetzen. Die gibt es zuhauf, und sie richten sich allesamt an den Profi. Prominentes Beispiel: Tosi/Agricola.


    Einen ersten Überblick über so einen Interpretationsversuch findet man ebenfalls in dem Schola-Cantorum-Band. Seedorf und Richter setzen sich sowohl musikwissenschaftlich als auch unter dem Aspekt moderner Gesangsphysiologie damit auseinander und beleuchten Atmung, Stimmgebung, Klangbildung und -formung, Register ein wenig näher.


    Und wenn miguel schreibt

    Zitat

    Wenn ich an Jazzsänger (und -Instrumentalisten) denke: von denen wird automatisch erwartet, dass sie das Ausmaß des Vibratos kontrollieren können und angemessen als Ausdrucksmittel einsetzen.


    geht Wistreich noch ein paar Schritte weiter und propagiert das Studium jeglicher menschlicher Schallerzeugung im Gesangsbereich. Schließlich mussten sich die Instrumentalisten ja auch auf die Reise begeben und sich mit Instrumenten und Spielweisen auseinandersetzen, die sich verwandt nur noch in der Volksmusik (nicht die der ARD oder des ZDF) fanden.


    Ein ähnliches Dilemma haben wir übrigens ja auch bei der Gregorianik, wo wir eine Gesangstradition bestenfalls des 19., meistens aber des 20 Jahrhuinderts hören. Bis jetzt haben Marcel Pérès und sein Ensemble Organum nur wenige Mitstreiter oder Nachahmer gefunden – schon gar nicht im kirchlich-liturgischen Bereich.

  • Zitat

    Original von miguel54


    Ich habe hierüber noch einmal nachgedacht und bemerkt, dass für mich die Frage nach der "Wärme" oder "Kälte" einer Stimme sich nach der Klangfarbe richtet, dem Timbre, und nicht nach dem Einsatz von Vibrato.


    Da muss man entgegnen, dass Timbre und Vibrato nicht voneinander zu trennen sind.... Und das sagen nicht nur Gesangslehrer, sondern auch Phoniatriker.
    Das Vibrato schafft nunmal einen komplexeren Ton, der für das Ohr in der Regel aufgrund der mitschwingenden Harmonien angenehmer klingt.


    LG
    Rosenkavalier

  • Da das Vibrato eine absolut natürliche Begleiterscheinung einer über längere Zeit GESUND ausgebildeten Stimme ist, halte ich es für absurd und schädlich das mit Willen oder Gewalt unterdrücken zu sollen/zu müssen.
    Man sollte , wenn vibratoarmer(vibratolos ist in meinen Augen eine Zwangsjacke) Klang gewünscht wird, eben leichte Stimmen einsetzen, die, wenn sie keine pathologische Gesangstechnik haben(siehe Tremolo, Wobble etc) von Natur aus ein deutlich geringeres Vibrato besitzen als schwerere Stimmen.
    Auch Emma Kirkby singt nicht komplett vibratolos, zumindest nciht zu einem fortgeschritteneren Zeitpunkt ihrer Karriere.
    Der Klang einer natürlich schwingenden Stimme ist m.E. in jedem Fall angenehmer und musikalisch ganzheitlicher als eine erzwungen kastrierte Stimme mit abgeschnürten Obertönen.


    Ich hasse jedes Überdimensionieren in der Barockmusik und bin da durchaus ein echter Fan von "Kirkby-Klang", aber wenn das auf Kosten gesunder Stimmhygiene geht und Stimmen kastriert werden, hört die Toleranz bei mir auf.
    Praktisches Beispiel:
    Eine barocke Händel Alcina mit Fleming, Graham und Dessay empfinde ich z.B. als Gipfel der wunderbaren Besetzung-alle Drei haben ein natürliches, je nach Stimmfach verschiedenes aber unaufdringlcihes Vibrato.
    Was daran evtl. zu verurteilen sein sollte, muss mn mir erstmal erklären. ?(


    F.Q.

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  • Hallo!


    Meine bescheidene Betrachtungsweise: Geschmacksache.


    Ich persönlich mag auch keine Stimmen, die quasi auf jedem Ton "trillern" [oder vibrieren oder tremolieren oder wie auch immer man das zu nennen gedenkt].


    Die Natürlichkeit der Stimme geht m. E. vor - und Einsatzmöglichkeiten gibt es da m. E. auch ziemlich viele. Das "Vibrato" ist ein Grund, warum ich beispielsweise Belcanto eher nicht mag, denn da kommt es für meinen Geschmack sehr häufig vor.


    Besonders schätze ich beispielsweise die relativ trockene, sehr klare und deutlich "abgegrenzte" Stimme von Simone Kermes. Besonders auffallend [mir jedenfalls]: Das hier "angeprangerte" überdosierte [von göttlicher Hand natürlich] Vibrato tritt m. E. häufiger bei den Damen als bei den Herren auf [?].


    Interessieren würde mich, warum das Vibrato mit dem Alter der Stimme zunimmt? Leiern die Stimmbänder aus?


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Hildebrandt


    Wer hat hier was verurteilt?


    Nun ja, Formulierungen wie "jammervolle Praxis des Dauerschwankens", "Fliegeralarm", "gejodelt, dass man den notierten Ton nur noch erahnen kann" und "Brutstätten der Sangeskunst" lassen nicht gerade auf eine wertneutrale Betrachtung des Themas schließen....


    LG
    Rosenkavalier

  • Zitat

    Original von Ulli


    Interessieren würde mich, warum das Vibrato mit dem Alter der Stimme zunimmt? Leiern die Stimmbänder aus?


    Altersvibrato ist eine ganz normale Erscheinung, weshalb schon in älteren Gesangsschulen auf ein eher frühes Ende der Vokalistenkarriere hingewiesen wird.

  • Zitat

    Original von Rosenkavalier


    Nun ja, Formulierungen wie "jammervolle Praxis des Dauerschwankens", "Fliegeralarm", "gejodelt, dass man den notierten Ton nur noch erahnen kann" und "Brutstätten der Sangeskunst" lassen nicht gerade auf eine wertneutrale Betrachtung des Themas schließen....


    Ohne Provokation kommt man da ja auch nicht weiter. :D
    Aber man muss auch nicht einfach davon ausgehen, dass die gegenwärtige Art des akademisch gelehrten Singens die einzige, die einzig richtige und die für alle Fälle am besten geeignete ist.
    Eine Chroralschola darf sich auch kein Vibrato leisten, südosteuropäische Frauenchöre würden jede Sängerin mit Vibrato rauswerfen, und in zahlreichen Volksmusiken wird völlig vibratolos gesungen.


    Die überaus zahlreichen Differenzierungen, die in der Vibrato-Arbeit aus den Quellen zutage gefördert worden sind, legen jedenfalls mehr als nahe, dass das Dauervibrato nicht unerwünscht, sondern eigentlich sogar unbekannt war. Woraus sich ergäbe, dass es eine Erscheinung der Zeit danach ist.
    Und das Dauervibrato ausgebildeter SängerInnen halte ich in der Tat für ein Ergebnis der Ausbildung und keineswegs für eine notwendige Begleiterscheinung. Immerhin gibt es eine Reihe von Vokalisten, die es offensichtlich auch anders beherrschen.


    Die Argumentation, dass Dauervibrato eine natürliche Begleiterscheinung einer gesund ausgebildeten Stimme sei, kann ich angesichts der Beispiele vibratoloser bzw. -armer Singerei nur dann teilen, wenn ich diese Art der Ausbildung als die einzig mögliche ansehe und alle eventuell anderen als ungesund betrachte.
    Das bedeutet aber einen von vornherein eingeengten Blickwinkel, der mir die Möglichkeit nimmt, unbefangener mit möglichen neuen (oder eben vergessenen) Ideen umzugehen.
    Damit wären wir dann beim Standpunkt "heute ist alles am besten" angelangt, was die Reaktion von Wistreich wiederum unerklärlich werden ließe.

  • Das Entscheidende ist m.E.: Die Stimme eines solistisch ausgebildeten Sängers muss über einen Konzertsaal, durch ein Opernhaus bis in die letzte Reihe tragen und gut hörbar sein, und das bei voller Orchesterbegleitung. Das ist absolut nicht vergleichbar mit den Anforderungen eines Chor- oder gar Jazzsängers, da letztere gewöhnlich ein Mikrofon zur Verfügung haben und erstere nicht auf sich allein gestellt sind, sondern viele stimmliche Mitstreiter haben. Wie schon mehrfach festgestellt wurde, ermüdet die Stimme schneller, wenn man sie "festhält" und das natürliche Vibrato unterdrückt, das auftritt, wenn man mit möglichst geringer Anstrengung und schönem Klang die nötige Lautstärke und Tragfähigkeit erreichen will. Singt man im Chor oder mit Verstärkung, erfordert das Singen ganz einfach wesentlich weniger Kraft und strengt daher natürlich auch weniger an. Man ermüdet hier also je nach Veranlagung auch ohne Vibrato nicht oder zumindest deutlich weniger (wobei schon zahlreiche Solisten die Erfahrung gemacht haben, dass es auf die Stimme geht, sich im Chor zurückzuhalten). Man kann da schlecht Äpfel mit Birnen vergleichen.
    Und soweit ich weiß, meint niemand hier, der sich für ein natürliches Vibrato ausspricht, damit Dauerwobble über Quinten o.ä., sodass man den eigentlich Ton nicht mehr erkennt ;)
    Ansonsten sehe ich die Sache wie Fairy Queen:

    Zitat

    [...]halte ich es für absurd und schädlich das mit Willen oder Gewalt unterdrücken zu sollen/zu müssen.
    Man sollte, wenn vibratoarmer (vibratolos ist in meinen Augen eine Zwangsjacke) Klang gewünscht wird, eben leichte Stimmen einsetzen, die, wenn sie keine pathologische Gesangstechnik haben(siehe Tremolo, Wobble etc) von Natur aus ein deutlich geringeres Vibrato besitzen als schwerere Stimmen.
    Auch Emma Kirkby singt nicht komplett vibratolos, zumindest nciht zu einem fortgeschritteneren Zeitpunkt ihrer Karriere.
    [...]Ich hasse jedes Überdimensionieren in der Barockmusik und bin da durchaus ein echter Fan von "Kirkby-Klang", aber wenn das auf Kosten gesunder Stimmhygiene geht und Stimmen kastriert werden, hört die Toleranz bei mir auf.

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  • Lieber Hildebrandt, du hast mit deiner Frage nach der enizig seligmachenden Gesangstechnik, bei der automatisch ein Vibrato entsteht natürlich Recht.
    Im 19. Jh entwickelte sich u.A. unter dem Einfluss der spanischen Gesangspädagogenfamilie Garcia( Vater bzw. Bruder der berühmten Maria Malibran) eine neue Gesangstechnik, das Singen mit gesenktem Kehlkopf, bei der die Stimme frei schwingen soll und nichts festgehalten wird. Dei Erfindung des Kehlkopfspiegels hat nach meinen Infos entscheiden dazu beigetragen.
    Eine Gesangstechnik, die tauglich war, die romantische Opernliteratur und dann z.B. auch Strauss und Wagner zu singen ,wurde immer weiter entwickelt und die Anforderungen an die Solisten veränderten sich , wie Fliu schon oben erklärt, mehr und mehr. Da speilen die Orchestergrössen natürlcih entscheiden mit.
    Eine Stimme, die bewusst festgehalten wird oder von Beginn an in einem mehr oder weniger flachen und körperlosen Singen ausgebildet wird, kann heute nciht im modernen Opernrepertoire bestehen.
    Natürlcih kann man trotzdem anders singen lernen, wenn man andere Ziele hat-wie gesund das aber für einen natÜrlich entwickelten Stimmklang sein kann, wage ich allerdings zu bezweifeln.
    Das barocke Virtuosenideal im Sinne der Kastraten war en ganz anderes als wir heute auf den bühnen haben und daher unterscheidet sic hnatürlcih auc hdie Ausbildung. Wie gut oder wie schlecht das ist, darüber lässt sich natürlich streiten.


    Man muss sich m.E. heute d vor allem der verschiedenen Stimmtypen und Facher bedienen. Wie Ulli ja schon mit Simone Kermes gesagt hat: es gibt Sänger, die eine moderne Gesangsausbildung "genossen" haben und solistisch singen und trotzdem leichter und "gerade" klingen, auch wenn die Stimme vibriert. Ein überdimensionales Dauervibrato , insbesondere der gefürchtete Wobble ist sehr oft Zeichen von falschem Repertoire, Überanstrengung einer Stimme oder schlechter Stimmhygiene.
    Was noch als tolerabel empfunden wird, ist reine Geschmackssache und je nach Repertoire auch sehr verschieden. Einen vibratolosen Verdi oder gar Wagnersänger gibt es z.B.nciht- wie soll die Stimme das schaffen, wenn sie irgendwie festgehalten werden muss? Mir persönlich gefällt starkes Vibrato auch nicht und ich höre daher manche Stimmarten ziemlcih ungern, aber ich sehe da eine pysiologische Konsequenz, die nciht verhindert werden kann und soll.
    Was das Altern von Muskeln angeht: das geht Sportlern ja nciht anders, aber mit guter Technik und vernünftigem Repertoire schaffen es etliche Sänger trotzdem auch bis in die 60iger/70iger Jahre noch nciht "ausgeleiert" zu klingen.
    Fairy Queen

  • Liebe Mezzo, liebe Fairy Queen,


    da sind wir vermutlich schon an einer entscheidenden Stelle angelangt.
    Wie die Instrumente verändert wurden, um mit größerer Lautstärke immer größer gewordene Aufführungsräume zu füllen, so musste es eine parallele Entwicklung im Gesang geben.


    So haben wir heute den Fall, dass das Instrumentalensemble mit Arbeitsgeräten antritt, die wieder lautstärkereduziert an den Originalen orientiert sind, während die Vokalisten mit einer Stimme daherkommen, die auch im Opernbetrieb bestehen muss. Dass das nicht ganz zusammenpasst, finde ich zumindest logisch. Von den ausgemachten Spezialisten erwartet dann ja auch niemand ein anderes Repertoire – eben wie bei den Instrumentalisten; da möchte ja auch niemand die Musika antiqua mit Bruckner hören.


    Bleibt folglich die Frage, warum sich kaum jemand auf die Gesangsschulen der Zeit gestürzt hat und analog zur instrumentalen Welt eine Gesangskultur und -ausbildung entwickelt hat, die den Anforderungen auch wirklich entspricht. Ob das jetzt allerdings noch viel Sinn hat, halte ich für fraglich. Der Zug ist wohl abgefahren, denn das Publikum hat sich in seiner Mehrheit für den status quo entschieden.
    Und da singen eben Kermes, Argenta, Piau und wie sie alle heißen zwar ganz hervorragend, aber meinem Dafürhalten nach oft schon im Ansatz falsch.


    Wenn ich oben geschrieben habe, dass man mit größerer Laustärke größere Räume füllen wollte, trifft das die Sache nur halb. Man wollte auch die absolut höhere Lautstärke. Das lässt sich mit Vergleichen in Kirchenräumen, die ja nun wirklich oft groß sind, beweisen. Dort behaupten sich die leiseren Instrumente durchaus. Sie tun das mit einer anderen Tragfähigkeit.
    Auch an den Orgeln lässt sich das nachvollziehen. Die wurden ab etwa 1800 erheblich lauter, die Kirchen aber keineswegs größer. Nur füllt eine Barockorgel den Raum auf eine völlig andere Weise als ein Instrument aus dem 19. Jahrhundert.
    Aber damit schweifen wir vielleicht schon zu sehr ab.

  • Zitat

    Original von Hildebrandt


    Bleibt folglich die Frage, warum sich kaum jemand auf die Gesangsschulen der Zeit gestürzt hat und analog zur instrumentalen Welt eine Gesangskultur und -ausbildung entwickelt hat, die den Anforderungen auch wirklich entspricht.


    Weil dem Sänger eben nur EIN Instrument zur Verfügung steht, mit dem er seinen Lebensunterhalt verdienen muss. Ich unterstelle jetzt einfach mal (und lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen), dass ein Geiger zwischen den Spieltechniken und Instrumenten problemlos wechseln kann, indem er einfach mal das "Arbeitsgerät" austauscht.
    Das geht beim Instrument Stimme natürlich im Bereich der Technik nur eingeschränkt und im Bereich des "Arbeitsgeräts" überhaupt nicht.


    Wer sich also als Sänger auf alte Musik beschränkt, nimmt sich einen großen Teil der Verdienstmöglichkeiten. Und das Geschäft ist auch so schon hart genug :wacky:


    Und wer bestimmt eigentlich die Anforderungen? Du schreibst ja selbst, das Publikum ist anscheinend nicht wirklich unglücklich damit, dass Stimmen mit Vibrato auch Barockmusik singen.... Und ich wiederhole gerne - jeder halbwegs musikalische Sänger wird Bach anders singen als Verdi - auch mit Vibrato! Die Musik holt sich die Stimme, die angemessen ist, schon selbst.


    LG
    Rosenkavalier

  • Lieber Hildebrandt, jetzt wird es für mich erst richtig interessant! :yes:
    Wie stellst du dir eine Gesangsschule vor, die "den Anforderungen auch wirklich entspricht"???
    Was machen Sandrine Piau, Simone Kermes etc in deinen Augen/Ohren "schon im Ansatz falsch"?


    Was die Tragfähigkeit von Stimmen angeht, was verstehst du unter absoluter Lautstärke?
    Dieser Zusammenhang wird mir noch nciht klar.


    Ganz neugierig geworden
    Fairy Queen

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