LAURITZ MELCHIOR - Der unerreichte Wagner-Tenor

  • Es ist seltsam: So richtig berührt hat mich Lauritz Melchior eigentlich sehr selten. Ich weiß nicht mal, woran es genau liegt. Stimmlich über jeden Zweifel erhaben, aber doch fehlt mir etwas. Die Stimme ist m. E. nicht eben "schön". Vielleicht fehlt mir die empfundene Anteilnahme? Bei seinem Antagonisten Max Lorenz kann man bestimmt viel mehr kritisieren, aber er erreicht mich einfach viel eher. Vielleicht gerade auch wegen seiner Freiheiten. Wenn Lorenz etwa Siegfrieds Tod singt, dann bekomme ich wirklich eine Gänsehaut. Er klingt wirklich wie einer, der gerade am Sterben ist. Melchiors Wälse-Rufe mögen die beeindruckendsten aller Zeiten sein. Allein, mich erreichen andere Rolleninterpreten eher.

    Es sind fünf Jahre verstrichen hast, lieber Joseph, seit Du diesen Text geschrieben hast. Bist Du bei diesem Urteil, welches ich seinerzeit teilte, geblieben oder hast Du neue Erkenntnisse gewonnen? Heute hat uns Alfred an anderer Stelle diesen Sänger durch die Preiser-CD wieder in Erinnerung gebracht, und ich habe mir mal eben die (eine) Romerzählung angehört. Da dies via Spotify geschah, kann ich im Moment nicht mit dem Jahr der Aufnahme diesen. Es ist aber ohne Zweifel ein Dokument aus seiner Glanzzeit. Ich schätze die Kultur seines Singens. Er führt sehr vorbildlich vor, dass man Wagner nicht brüllen und stemmen muss. Er singt ihn mit Kantilenen. Er singt ihn so, dass man die Reserven mithört, die er nach oben hat. Er geht nicht an Grenzen. Schon gar nicht überschreitet er sie. Max Lorenz, den auch Alfred vergleichend wieder ins Spiel bringt, geht an seine Reserven, und er verausgabt sich so, dass die musikalische Linie auch verlassen wird. Das packt mich immer aufs neue. Er ist Dramatiker, Melchior ein Lyriker. Zumindest in meiner Wahrnehmung.


    Gemessen an seiner Bedeutung hat sich das Interesse an den Lauritz Melchior gewidmeten Threads seit jeher deutlich in Grenzen gehalten. Dieses Forum gibt sich mitunter schon seltsam. ;)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Er ist Dramatiker, Melchior ein Lyriker. Zumindest in meiner Wahrnehmung.

    Da habe ich eine völlig andere Wahrnehmung. Ich habe mir kürzlich für mein Lieblingsrolleninterpreten-Spiel nochmal frisch einen MET-Venusberg mit Kerstin Thorborg neben Melchior angehört. Und als ich ihn da hörte, fragte ich mich, warum ich mich im Zusammenhang mit der Rolle des Tannhäusers etwas kritisch über ihn geäußert und Hopf den Vorzug gegeben hatte. Dieses Drängende dieses Feuer, diese Dramatik - das alles hat mich wieder ungemein gepackt und begeistert.


    Wenn ich danach diese Unterscheidung zweier dramatischer Tenöre in einen "Lyriker" und einen "Dramatiker" lese, kann ich das eigentlich nicht fassen. Melchior war alles andere als ein Lyriker, wie auch mein frischer Höreindruck wieder zeigte - Klaus Florian Vogt ist ein "Lyriker". Dass Melchior das müheloser singt als Lorenz, macht ihn nicht zum "Lyriker", denn seine Emphase höre, seine Totalität im Ausdruck ich bei keinem anderen Tenor. (Mag sein, dass ich mich bei Max Lorenz aufgrund seiner Unarten, die mich stören, nicht genug auf das einlassen kann, was man "Ausdruck" nennt.)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich tue mir auch immer sehr schwer mit Lauritz Melchior, das Problem ist v.a., dass ich selbst nicht recht ergründen kann, warum, deswegen habe ich auch noch nicht soviel über ihn geschrieben.


    Völlig klar, er ist ganz ohne Zweifel ein höchst bedeutender Tenor, er ist eine Klasse für sich: so souverän, wie er auch schwierigste Partien bewältigt, das ist absolut Ehrfurcht gebietend. Die Stimme sitzt, ist technisch sehr gut geführt, Diktion und Phrasierung sind absolut untadelig - und doch, irgendetwas stört mich, ohne dass ich genau weiß, was, andere, eher limitierte Sänger als er, erreichen mich da mehr.


    Ist er vielleicht ZU souverän? Ist es dieses charakteristische Timbre, das mir irgendeinen letzten Grad der Annäherung verwehrt?


    Ich weiß es nicht - da hilft wohl nur eines: noch viel mehr Melchior hören! Und dann neuerlich bewerten.

  • Schön, dass dieses Thema mal wieder aufblinkt. Wie es der Zufall will, machte ich mir dieser Tage wirklich Gedanken dazu. Und wo ich noch überlegte, wie ich es am besten formuliere, kam mir Don_Gaiferos zuvor und bringt es so ziemlich genau auf den Punkt, wie es auch mir bei Lauritz Melchior oftmals ergeht.


    Lyriker oder Dramatiker? Ich glaube, man muss das in den jeweiligen Kontext setzen. Verglichen mit Max Lorenz kommt auch mir Melchior lyrischer vor. Verglichen mit dem, was einem heutzutage so geboten wird, ist er allerdings hochdramatisch. Vergleiche ich Melchior direkt mit Lorenz, dann bringt letzterer (für mich) die ekstatischen Ausbrüche noch packender herüber. Dass Melchior die bessere Gesangstechnik hatte, würde ich aber nicht im Ansatz bestreiten wollen. Letztlich sind die beiden aber doch Unvergleichliche.


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    Die bei Naxos erschienenen Auszüge aus Siegfried, eingespielt zwischen 1929 und 1932 unter drei verschiedenen Dirigenten (Heger, Coates und Alwin), habe ich mir dieser Tage auch vorgenommen, wie angekündigt. Was kann man da groß kritisieren? Das ist höchste Wagner-Gesangskunst.


    Die genannte Romerzählung von der Preiser-CD datiert übrigens auf 1923 - also noch eine rein akustische Aufnahme. Es gibt aus den 1930er und 40er Jahren diverse Mitschnitte des Tannhäusers mit Lauritz Melchior - wenn ich das richtig überblicke, nicht weniger als sechs zwischen 1935 und 1948. Auf die Schnelle fand ich die Aufnahme unter George Szell von 1942 aus der Met, die mir deutlich mehr gibt als die fast 20 Jahre ältere. Sie klingt vergleichsweise besser und hier geht Melchior auch weit mehr aus sich heraus, was an der Live-Atmosphäre liegen mag. Das ist stellenweise schon sehr dramatisch, und ich muss zugeben: mit das Beste, was ich von Melchior bisher hörte.


    Hier zum Nachhören:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nun geht es mal wieder um Max Lorenz, über den wir uns schon früher so intensiv ausgetauscht haben.


    In dem Thread MAX LORENZ - WAGNER wahrhaftig habe ich seinerzeit versucht, die Ambivalenz in allem Urteilen über Max Lorenz zu thematisieren. Daran knüpfte sich eine Diskussion, die ich noch heute interessant finde (bis zum Beitrag #39 MAX LORENZ - WAGNER wahrhaftig).


    Bei allem Reden und Schreiben über Lauritz Melchior macht die Unterscheidung zwischen emphatischer Deklamation und Kantabilität keinen Sinn. Er muss nicht mit exaltierten, oft fast neurotisch wirkenden Akzentuierungen punkten, weil er Wagner vertraut und den dramatischen Ausdruck in der Gesangslinie aufspüren und zum Klingen bringen kann.

    Insofern möchte ich nachdrücklich Stimmenliebhaber zustimmen, wenn er sagt:

    … Dieses Drängende dieses Feuer, diese Dramatik - das alles hat mich wieder ungemein gepackt und begeistert.


    Wenn ich danach diese Unterscheidung zweier dramatischer Tenöre in einen "Lyriker" und einen "Dramatiker" lese, kann ich das eigentlich nicht fassen. Melchior war alles andere als ein Lyriker, wie auch mein frischer Höreindruck wieder zeigte....

    Lauritz Melchior dürfte vielleicht der letzte Tenor gewesen sein, der Wagners Vorstellungen vom "vaterländischen Belcanto" also der Symbiose von italienischem Gesangswohllaut und dramatisch sinnrichtigem Vortrag perfekt umzusetzen wusste!


    Beste Grüße

    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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  • Da habe ich eine völlig andere Wahrnehmung. Ich habe mir kürzlich für mein Lieblingsrolleninterpreten-Spiel nochmal frisch einen MET-Venusberg mit Kerstin Thorborg neben Melchior angehört. Und als ich ihn da hörte, fragte ich mich, warum ich mich im Zusammenhang mit der Rolle des Tannhäusers etwas kritisch über ihn geäußert und Hopf den Vorzug gegeben hatte. Dieses Drängende dieses Feuer, diese Dramatik - das alles hat mich wieder ungemein gepackt und begeistert.

    Die Diskussion Lauritz Melchior im Vergleich zu Max Lorenz ( dieser soll, wenn meine Informationen stimmen mit richtigem Namen Sülzfuß geheißen haben:hahahaha:.) läuft Der Nenner auf dem ihr euch einigen könnt wird sicherlich gefunden. Worüber ich mich jedoch freue ist, dass Stimmenliebhaber endlich wieder einmal auf den völlig falsch eingeschätzten Hans Hopf und seine überragenden stimmlichen Qualitäten hingewiesen hat. Er hatte in seiner Zeit die schönste, durchschlagkräftigste, strahlendste Heldentorstimme. Das ganze Gerede von die Stimme sei in den Hals gerutscht usw. stimmt nicht. Ich habe ihn X-mal gehört und war fast immer hell begeistert. Er war vielleicht in seiner Darstellung etwas aus der Zeit gefallen. Privat war er ein richtiger, sympathischer Kumpeltyp. Ich war zusammen mit Gottlob Frick sogar privat bei ihm eingeladen. Sobald allerdings Publikum da war, veränderte er sich, wurde der große Kammersänger, aus meinem Erlebnis zum richtigen "Tenorschloch". Vielleicht hat diese Macke zu diesem unrichtigen Image geführt. Alles was zur Richtigstellung der Meinung über den Sänger Hans Hopf führt ist meines Erachtens notwendige künstlerische Wiedergutmachung.


    Herzlichst

    Operus (Hans)

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Max Lorenz ( dieser soll, wenn meine Informationen stimmen mit richtigem Namen Sülzfuß geheißen haben :hahahaha: .)

    Sülzenfuß, lieber Operus, so hieß sein Vater, ein Metzger (was ja irgendwie sogar passt). Lorenz war offenbar der gebürtige Name seiner Mutter, den er dann annahm.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Danke für die Richtigstellung, lieber Jospeph, nun kann ich den richtigen Namen Sülzenfuß in mein Repertoire aufnehmen. Wenn ich wieder nach Wien komme- im Moment ist ja nicht daran zu denken - würde ich Dich gerne zu meinem obligatorischen Heurigen Treffen mit meinen Wiener Freunden einladen, es sind auch eine ganze Reihe Künstler dabei. Ich versuchte es schon einmal über Alfred, der immer dabei ist, es hat jedoch nicht geklappt. Dazu müsste ich allerdings wissen, ob Du Interesse hast und wie ich an Dich rankomme. Ich bin gut im Internet unter Hans A. Hey zu finden.

    Liebe Grüße

    Herzlichst

    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Operus: "Worüber ich mich jedoch freue ist, dass Stimmenliebhaber endlich wieder einmal auf den völlig falsch eingeschätzten Hans Hopf und seine überragenden stimmlichen Qualitäten hingewiesen hat. Er hatte in seiner Zeit die schönste, durchschlagkräftigste, strahlendste Heldentorstimme."


    Lieber Hans! Hier sehe ich uns mal wieder auf einer Linie. Hans Hopf gehörte für mich zu den größten deutschen Tenören. Als Kalaf auf einem Querschnitt aus "Turandot" überzeugt er mich mit einer heldischen Tenorstimme und einer unangestrengten sicheren Höhe. Und auf einer LP mit Wagner-Partien singt er hervorragend und überzeugend die schweren Siegfried-Partien.

    W.S.