Wie unverständlich sind Opernlibretti tatsächlich?

  • Ich habe mit beiden Opern nie Probleme gehabt, die Handlung zu verstehen, sondern immer nur das Problem zu erkennen, was an den Handlungen von "Titus" und "Troubadour" unverständlich sein soll.


    Beim "Troubadour" habe ich den Verdacht, dass es sich bei der unverständlichen Handlung um ein Vorurteil der Musikwissenschaft handelt, das bis heute blind übernommen wird, obwohl gerade ein Blick auf jenes Drama, auf welchem das Libretto basiert, vieles erklärt. (Mag sein, dass bis in die 1970er-Jahre dieses Drama nicht einfach zugänglich war.) So findet sich in einem uralten Opernführer noch die Bemerkung, dass es unklar ist, um welche Kämpfe es sich eigentlich handelt.
    (Persönlich finde ich aber, dass es auch ohne Kenntisse des Dramas möglich ist, sich in der Oper auszukennen.)


    Dass das Verdikt einer unverständlichen Handlung ein Vorurteil der Musikwissenschaft als durch die Oper selbst ist, merkt man auch daran, dass die Oper seinerzeit sehr populär war und sich bis in die Gegenwart im Repertoire hält. (Wäre dies nur ein Verdienst der Musik gewesen, hätten sich die Oper niemals in Repertoire halten können, sondern lediglich ihre Einzelnnummern hätten die Zeit überdauert.)


    Weiter kommt hinzu, dass der Troubadour mit Blick auf die Entstehungszeit einiges an Tabubrüchen enthält.
    Beispiel 1: Leonora, die ins Kloster eintreten will, weil Manrico tot ist und flüchtet mit diesem (Finale des 2. Aktes).
    In der Vorlage ist Leonora tatsächlich ins Kloster gegangen, für sie ergibt sich daher ein Konflikt, als sie mit Manrico flüchtet. In der Oper ist das bereits dadurch entschärft, als Leonora noch kein Gelübde abgelegt hat und nur die Absicht dazu hat. (Sie betritt auch nicht die Klostermauern selbst, die Finalszene spielt sozusagen noch vor der Klostertüre) . Dass es dennoch für die Entstehungszeit als heikel gesehen wurde, dass sie einfach mit Manrico flüchtet, auch wenn das in Oper selbst keine direkte negative Wertung erfährt, zeigt aber zum Beispiel Verdis Vorschlag an seinen Librettisten, dass Manrico die bewusstlose Leonora entführen soll, falls die Zensur da Einwände haben sollte.


    Beispiel 2: "Der Troubadour" ist die einzige mir bekannte Oper im 19. Jahrhundert, wo eine "falsche" Messalliance (Mann ist niedrigeren Standes als die Frau) möglich. Manrico ist zwar als Hochadeliger Leonora ebenbürtig, aber das wissen beide nicht und sie erfahren es auch nicht. Manrico ist in der Oper (aus seiner Sicht und der der anderen Figuren) eindeutig ein Aufsteiger aus der Unterschicht (Sohn einer Zigeunerin). Es gibt zwar auch andere Opern wie beispielsweise "Ernani", wo das Liebespaar eine scheinbare Messalliance einzugehen bereit ist, aber dort weiß zumindest Ernani selbst, dass er ein Hochadeliger ist und somit Elivira ebenbürtig.


    Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass solche Details für die Kritiker der Entstehungszeit nicht so einfach zu ignorieren waren.


    Weiter kommt hinzu, dass viele Kritiken (gerade bei Hanslick sehr gut zu beobachten) von gewissen vorgefassten Meinungen, wie eine wirklich gute Oper auszusehen hat etc. beeinflusst sind. Wenn die Oper diesen Regeln entsprach, gab es Lob, wenn sie diesen nicht entsprach, gab es einen Verriss. Vielleicht bringt es etwas, wenn in der Musikwissenchaft endlich einmal statt den "Troubadour" weiterhin für eine Oper zu erklären, deren Handlung wirr ist und in der sich niemand auskennt, jemand untersucht, wie diese Einschätzung eigentlich überhaupt aufgekommen ist und worauf sie tatsächlich gründet.


    Bei "Titus" habe ich auch kein Problem mit der Handlung, allerdings dürfte das Happyend aus heutiger Sicht, die eher pessimistisch ist und Einstellungen wie Rache fördert, nicht mehr zeitgemäß sein. Die (irrtümliche) Meinung, die sich inzwischen durchgesetzt zu haben scheint, dass Titus homosexuell (oder zumindest bisexuell) ist, hat allerdings der Oper in den letzten Jahren einiges Popularität beschafft.
    Dabei ist Titus in der Oper eindeutig heterosexuell, wie ein Blick auf die Vorgeschichte zeigt, die allerdings in Oper selbst nur angedeutet ist. Den Zeitgenossen/innen von Mozart war die unglückliche Liebesgeschichte von Titus und Berenike sicher noch bekannt. (Abgesehen davon, dass das ursprüngliche Libretto, was Mozart bearbeiten ließ, von Metastasio stammt und mehrmals vertont wurde, gibt es auch noch die Tragödien eines Racine und eines Corneilles, wobei die von Corneille möglicherweise eine Quelle des Titus-Librettos sein könnte.


    Der Kaiser Titus liebt also die jüdische Königstochter Berenike. Aus Staatsräson darf er sie nicht heiraten, als pflichtbewusster Souverän trennt er sich von ihr. Das ist unmittelbar vor Beginn der Oper geschehen. Titus will daraufhin Servilia heiraten und als er auf die wegen Annio verzichtet (was ihm nach der Musik nicht allzu schwer fällt) will er Vitellia heiraten, für die er sich schon einmal interessiert hat.


    Tatsache ist also, Titus sucht keine Lovestory, sondern als pflichtbewusster Souverän ist er es dem Staatsinteresse schuldig, sich angemessen zu verheiraten. Er verzichtet auf die Frau, die er wirklich liebt (eben Berenike). Seine zukünftigen Ehefrauen Servilia und Vitellia wählt er nicht aus Liebe, sondern aufgrund dessen, dass sie als Ehefrauen für Rom akzeptabel sind (mag auch bei Servilia hinzukommen, dass die Freundschaft mit Sesto da mit ein Grund ist.) Es spricht allerdings für ihn, dass er auf Servilia, nachdem er weiß, dass sie einen anderen liebt, verzichtet, also zumindest anderen das gönnt (eine Heirat aus Liebe), worauf er als Kaiser verzichten muss.


    Unlogik ergibt sich in diesem Punkt beispielsweise für mich nur deshalb, weil die Geschichte um Berenike eben in der Oper nur mehr zu Beginn kurz angerissen wird und diese nicht selbst auftritt, wodurch die Gründe für Titus' Eheprojekte nicht deutlich erkennbar sind.


    Herzliche Grüße
    Waltrada


    Anmerkung:
    Das Statement wurde ursprünglich als Antwort für den Thread Mord und Totschlag ... die 'schönsten' Mordszenen in der Opernliteratur verfasst. Da es dort aber nicht wirklich hinpasst, habe ich mir erlaubt, einen eigenen Thread zu eröffnen. Falls es bereits so einen Thread geben sollte (ich habe nachgesehen, aber nichts Passendes gefunden), bitte ich die Admins/Mods im Voraus um Entschuldigung und darum, dass das Statement dorthin verlinken.

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

    2 Mal editiert, zuletzt von Waltrada ()

  • Liebe Waltrada,
    "unverständlich" bezieht sich meiner Meinung nach nicht auf die Handlung an sich, der man natürlich problemlos folgen kann, sondern auf die ihr innewohnende Logik, und daran krankt es im Falle des Trovatore doch sehr. Oder kannst du es nachvollziehen, dass eine Mutter irrtümlich (!!) ihr eigenes Kind ins Feuer wirft und an seiner Stelle das des Todfeindes, das sie eigentlich hassen müsste, nicht nur aufzieht, sondern scheinbar auch liebt?? (OK, Azucena zieht Manrico als Werkzeug für ihre Rachepläne auf, aber trotzdem :wacky: ) Auf jemanden, der mit Oper nicht sehr vertraut ist, kann gerade dieses Libretto durchaus abschreckend wirken - ich spreche da aus Erfahrung: Ich, 16 Jahre jung und theaterverrückt, von meiner Freundin zu einem Opernbesuch überredet, las also brav vorher das Libretto, betrachtete es wie einen literarischen Text (Ich wusste es damals, vor 39 Jahren, eben noch nicht besser....) und wies das Ansinnen entrüstet von mir, mir einen "solchen Schwachsinn" (O-Ton) anzuschauen, womit es mit einer möglichen Karriere als Opernfan auch schon wieder vorbei war. Die begann dann erst 10 Jahre später :]
    lg Severina :hello:

  • Hallo,


    Zitat

    Original von Waltrada
    Beim "Troubadour" habe ich den Verdacht, dass es sich bei der unverständlichen Handlung um ein Vorurteil der Musikwissenschaft handelt, das bis heute blind übernommen wird, obwohl gerade ein Blick auf jenes Drama, auf welchem das Libretto basiert, vieles erklärt.


    das betrifft nicht nur die Musikwissenschaft:


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    Zudem ist in den meisten Fällen die Handlung verworrener, als man eigentlich gewohnt ist.


    sondern insbesondere die Opera Seria an sich:


    Zitat


    Was für höfische Zuschauer 1781 auf Allgemeinwissen noch ertragbar gewesen sein mag - für heutige Zuschauer ist es nahezu unrettbar verworren.


    Kommentar von Klaus Ambrosius am 02.05.2006 über die Schwetzinger Premiere der Krausoper 'Proserpin'.


    Meine bescheidene Antwort dazu:


    Zitat


    also die Proserpin ist sehr langweilig: Der Stoff ist alt und verstaubt - kein Mensch blickt durch diese verworrene Geschichte durch; ;) dabei geht's eigentlich nur um den klassischen Raub der Proserpina. Was ist daran zu Begreifen? Proserpin lustwandelt und pflückt Blumen, plötzlich geschockt kommt Pluto mit seinen Wüstlingen daher und und schnappt sie sich. Natürlich schreit sie fürchterlich in Form von einigen beeindruckenden Koloraturen - und weg ist sie. Bis zu ihrem Wiederauftauchen wird die Zeit mit Krausscher Musik geplättet. Man weint, hat Hoffnung auf Wiederkehr, auch ein bisschen Hass kommt als Gewürz hinzu. Als sie dann endlich wieder da ist, antwortet sie auf den Ausruf ihrer Mutter ["Meine Tochter!"] sinnig mit "Meine Mutter!" - mehr ist zu Proserpina selbst nicht zu sagen.


    ~*~*~*~


    Und gerade, was Mozarts Tito betrifft, so wurde die Oper ja verschlankt und Mozart selbst gibt an, daß sein Bearbeiter jetzt "eine wahre Opera..." aus Metastasios altem Schinken gemacht habe. Was es an dieser Handlung nicht zu verstehen gibt [Pylades!?], leuchtet mir ebensowenig wie bei Proserpin ein.


    :hello:


    Ulli

    Als Pumuckl sich zum Frühstück noch ein Bier reingeorgelt hat, war die Welt noch in Ordnung.
    (unbekannt)

  • Auch wenn ich diese Oper liebe, so ist Turandot doch auch an einigen Stellen seltsam:
    Calaf ist es völlig wurscht, dass sein Vater gerade gestorben ist und Turandot wird mit einem Kuss vom mordenden Monster zum liebenden Frauchen. OK, dass liegt im nicht von Puccini komponierten Part, aber seltsam ist es trotzdem. Der Text stand ja schließlich schon fest.


    Seltsam ist doch auch das rumphilosophieren in so mancher Wagneroper, z.B. Wotans Monolog im 2 Akt der Walküre. Führt er eigentlich Selbstgespräche oder hören wir ihn denken? Oder wieso zaubert Lohengrin plötzlich den verschwundenen Bruder Elsas aus dem "Hut?" Und was erzählen sich die Walküren zu Beginn des dritten Aktes eigentlich?


    So gibt es doch einige Beispiele von seltsamen Verhalten und Situationen wenn man denn in "Echtzeit" denkt. Oper ist aber nicht "Echtzeit", ist nicht Fotographie und auch nicht Reportage. Musik macht innere Entwicklung oder anderes nicht sichtbares hörbar. Deshalb finde - und fand auch immer - das Gemäkel an den Librettis unverständlich. In der Oper ist Handlung nur ein Teil des dargestellten. Klar gibt es auch mißlungenes. Irgendeinen Grund hat es schließlich das viele Opern zurecht vergessen sind (viele jedoch auch zu unrecht). Aber der Travatore und auch Turandot (und natürlich Lohengrin und die Walküre schon dreimal nicht) sind natürlich nicht mißlungen und auch nicht unverständlich, vielleicht überraschend oder seltsam, aber nicht unverständlich.

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Original von Waltrada:
    Bei "Titus" habe ich auch kein Problem mit der Handlung, allerdings dürfte das Happyend aus heutiger Sicht, die eher pessimistisch ist und Einstellungen wie Rache fördert, nicht mehr zeitgemäß sein.


    Zitat

    Original von Severina:
    "unverständlich" bezieht sich meiner Meinung nach nicht auf die Handlung an sich, der man natürlich problemlos folgen kann, sondern auf die ihr innewohnende Logik...


    So wie Severina es deutet, meinte ich meinen "Verriss" der "Clemenza di Tito" im Mord-und-Totschlag-Thread eigentlich. Sicher lässt sich die Oper verstehen im Sinne von "Was geschieht als Nächstes?" auf der Bühne. Nicht recht verstehen lässt sie sich aus den Motiven der Handelnden, und erst recht nicht aus den musikalischen Motiven.


    Aber sicher ist sie da in "guter" Gesellschaft - z.B. einer ganzen Menge Barockopern. Die aktuelle Theaterwirksamkeit von Händel-Opern ließe sich nicht erklären, würde hier die "Regie" nicht massiv eingreifen - Händels Musik und die zugehörigen Libretti halten das nicht nur ganz gut aus, sie fordern die Herstellung von Bezügen zu unserer Erfahrungswelt geradezu - auch wenn Händel das so gar nicht gemeint haben kann.


    Einen interessanten Aspekt kann man bei Fidelio wahrnehmen: über die ganze Oper gesehen gibt es einige Handlungsstränge, die nicht recht motivisch miteinander verknüpft sind, aber...die Kerkerszene!!! - Vom Vorspiel zu Florestans Rezitativ bis hin zum Trompetensignal, welches die Ankunft des Ministers ankündigt, ist sie vielleicht die konziseste, dynamischste und folgerichtigste Opernszene, die überhaupt je komponiert worden ist, und Text und Musik bilden hier eine perfekte Einheit. Zu dieser Szene stehen das singspielhafte Geplänkel am Anfang der Oper und dann auch das feierliche Ende mit der "ministerialen" Hymne und dem Jubelchor in keinem rechten Zusammenhang.


    Gruß
    Pylades

  • Zitat

    Original von Pylades
    Aber sicher ist sie da in "guter" Gesellschaft - z.B. einer ganzen Menge Barockopern. Die aktuelle Theaterwirksamkeit von Händel-Opern ließe sich nicht erklären, würde hier die "Regie" nicht massiv eingreifen - Händels Musik und die zugehörigen Libretti halten das nicht nur ganz gut aus, sie fordern die Herrstellung von Bezügen zu unserer Erfahrungswelt geradezu - auch wenn Händel das so gar nicht gemeint haben kann.


    Ähm, das sehe ich leider komplett anders. Daß eine "Regie" eingreifen muß, dazu noch massiv, ist kompletter Unfug. Aber Du bist mit Deiner Meinung nicht alleine:


    Zitat


    Was die theatrale Umsetzung angeht, retteten allein die Regie des scheidenden Mainzer Intendanten und das von ihm mit Marie-Thérèse Jossen (Kostüme) entworfene Bühnenbild den Abend.


    Diese Aussage stammt von dem bereits oben zitierten Klaus Ambrosius am 02.05.2006 über die Schwetzinger Premiere der Krausoper 'Proserpin'.


    Ein Bühnenbild war schonmal garnicht vorhanden, aber das ist ein anderes Thema. Regie ist wichtig, keine Frage. Aber man sollte nicht ums Verrecken versuchen, der Handlung irgendeine nicht vorhandene Modernität aufzudrücken bzw. einen Bezug zum Heute herzustellen versuchen. Das geht an der Sache vorbei.


    La Clemenza di Tito z.B. ist eine Krönungsoper und wurde entsprechend komponiert. Dies sollte eigentlich bei einer Aufführung herüberkommen, und zwar auch wenn der Anlass der Aufführung heute ein anderer ist, da Krönungen in der Regel [zumindest in Deutschland] eher selten vorkommen. Viel interessanter ist doch das Herausarbeiten der historischen Bezüge, denn was soll uns eine "Clemenza" heute noch wichtiges zu sagen haben?


    Man bezeichnete die Oper damals, wie auch einige andere Werke, als porcheria tedesca, eine "deutsche Schweinerei" - vielleicht zu Recht - aber man übersetzte die "Zauberflöte" drei Jahre später ins Italienische und führte sie um Rezitative ergänzt in Prag, dem Uraufführungsort der Clemenza, mit großem Erfolg auf. Diesen Widerspruch mag bitte jemand erklären...!?


    Zitat

    Nicht recht verstehen lässt sie sich aus den Motiven der Handelnden, und erst recht nicht aus den musikalischen Motiven.


    Wer anderes als Mozart konnte zu dieser Zeit Charaktere musikalisch besser zeichnen?


    :hello:


    Ulli

    Als Pumuckl sich zum Frühstück noch ein Bier reingeorgelt hat, war die Welt noch in Ordnung.
    (unbekannt)

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Original von Ulli:
    …Daß eine "Regie" eingreifen muß, dazu noch massiv, ist kompletter Unfug. Aber Du bist mit Deiner Meinung nicht alleine…


    Oper ist eine Mischkunst, wenn man will, eine „Gesamtkunst“,, welche Musik, Literatur, Theater im weitesten Sinne sowie Bilder zusammenführt. Aus dem Anteil „Theater“ folgt meines Erachtens unwiderleglich, dass „Regie“ eine äußerst wichtige Teilkomponente der Oper darstellt. Bei alldem glaube ich nicht, lieber Ulli, dass unsere Sichtweisen sehr weit auseinander liegen. Ich plädiere nämlich überhaupt nicht für jeden „Modernisierungs“-Schwachsinn, den sich Regisseure einfallen lassen können. Ich plädiere allerdings dafür, dass die Aussage eines Stücks für das Publikum unserer Zeit sichtbar werden soll, selbst wenn das mit einer Deutungsverschiebung gewisser Einzelheiten erkauft werden muss.
    Zur Illustration: in Fidelio geht es meines Erachtens auch und vor Allem um das Thema „Liebe“ zwischen zwei Menschen. Diese Liebe konnte sich Beethoven nur als „Gattenliebe“ vorstellen – ich denke, dass angesichts der Änderungen in der Sichtweise seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts hier auch andere Gesichtspunkte möglich sind. Und insofern, wenn ein Regisseur aus der Gattenliebe eine homosexuelle Liebe werden lässt, aus der Leonore einen Leo, dann ist das vielleicht Blödsinn, aber immer noch richtiger, als wenn er, wie ich es selbst auf der Opernbühne gesehen habe, daraus eine rein gesellschaftskritische KZ-Geschichte macht (die zu einem Teil auch in der Oper steckt), aber das Thema der Liebe zwischen zwei Menschen außen vor lässt.


    Nun geht es im vorliegen Thread um die Verständlichkeit bzw. Unverständlichkeit von Libretti. Und da behaupte ich von „La Clemenza di Tito“, dass er als „Krönungsoper“ heute nicht mehr verstanden werden kann – und das liegt auch und vor Allem am Libretto. Nun bin ich sicher, dass die Oper, wäre es um die Inthronisation Josephs II gegangen, ganz anders gestaltet wäre. Josephs Nachfolger Leopold war Mozart offensichtlich als Mensch und Kaiser gleichgültig (und vielleicht verachtete er ihn sogar), außer, dass er ihn als Brötchengeber brauchte. Vielleicht wäre das sogar ein Interpretationsansatz, der einen Sinn dieser Oper in unsere Zeit transportieren könnte: in einer Aufführung Mozarts Gleichgültigkeit gegenüber dieser Staatsmacht namens Leopold zu zeigen und gleichzeitig seinen Zwang, sich um eine Stelle bei eben dieser Staatsmacht zu bemühen.


    Zitat

    Original von Ulli:
    Wer anderes als Mozart konnte zu dieser Zeit Charaktere musikalisch besser zeichnen?


    Ganz sicher niemand – aber das macht es ja gerade so schade, dass angesichts eben dieses Librettos die psychologisierende Charakterzeichnung praktisch keine Chance hat außer im Sinne einer sehr schematischen barocken "Affektgestaltung", und deswegen nur die grandiose Musik, quasi als „absolute Musik“, bleibt.


    Gruß
    Pylades

  • Zitat

    Original von Pylades
    Hallo zusammen,



    Oper ist eine Mischkunst, wenn man will, eine „Gesamtkunst“,, welche Musik, Literatur, Theater im weitesten Sinne sowie Bilder zusammenführt. Aus dem Anteil „Theater“ folgt meines Erachtens unwiderleglich, dass „Regie“ eine äußerst wichtige Teilkomponente der Oper darstellt. Bei alldem glaube ich nicht, lieber Ulli, dass unsere Sichtweisen sehr weit auseinander liegen. Ich plädiere nämlich überhaupt nicht für jeden „Modernisierungs“-Schwachsinn, den sich Regisseure einfallen lassen können. Ich plädiere allerdings dafür, dass die Aussage eines Stücks für das Publikum unserer Zeit sichtbar werden soll, selbst wenn das mit einer Deutungsverschiebung gewisser Einzelheiten erkauft werden muss.
    Zur Illustration: in Fidelio geht es meines Erachtens auch und vor Allem um das Thema „Liebe“ zwischen zwei Menschen. Diese Liebe konnte sich Beethoven nur als „Gattenliebe“ vorstellen – ich denke, dass angesichts der Änderungen in der Sichtweise seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts hier auch andere Gesichtspunkte möglich sind. Und insofern, wenn ein Regisseur aus der Gattenliebe eine homosexuelle Liebe werden lässt, aus der Leonore einen Leo, dann ist das vielleicht Blödsinn, aber immer noch richtiger, als wenn er, wie ich es selbst auf der Opernbühne gesehen habe, daraus eine rein gesellschaftskritische KZ-Geschichte macht (die zu einem Teil auch in der Oper steckt), aber das Thema der Liebe zwischen zwei Menschen außen vor lässt.


    Das sehe ich grundsätzlich wieder differenzierter - es geht m. E. nicht darum, die bestmögliche andere Sichtweise zu gestalten. Aufgabe der Regie ist es m. E., die Oper so darzustellen, wie sie gemeint ist. Für diese Umsetzung gibt es in der Regel in den Libretti verschiedentliche Anweisungen des Librettisten bzw. sofern nicht, so lassen sie sich doch mit einer gewissen Logik "erraten": Weder Homosexualität noch KZ-Geschichte im engeren Sinne sind ein Thema des Fidelio. Somit scheiden beide Sichtweisen für mich einfach aus.


    Zitat


    Nun geht es im vorliegen Thread um die Verständlichkeit bzw. Unverständlichkeit von Libretti. Und da behaupte ich von „La Clemenza di Tito“, dass er als „Krönungsoper“ heute nicht mehr verstanden werden kann – und das liegt auch und vor Allem am Libretto. Nun bin ich sicher, dass die Oper, wäre es um die Inthronisation Josephs II gegangen, ganz anders gestaltet wäre. Josephs Nachfolger Leopold war Mozart offensichtlich als Mensch und Kaiser gleichgültig (und vielleicht verachtete er ihn sogar), außer, dass er ihn als Brötchengeber brauchte. Vielleicht wäre das sogar ein Interpretationsansatz, der einen Sinn dieser Oper in unsere Zeit transportieren könnte: in einer Aufführung Mozarts Gleichgültigkeit gegenüber dieser Staatsmacht namens Leopold zu zeigen und gleichzeitig seinen Zwang, sich um eine Stelle bei eben dieser Staatsmacht zu bemühen.


    Es wäre müßig, darüber zu spekulieren, wie Tito sich angehört hätte, wäre die Oper zur Inthronierung eines von Mozart mehr geliebten und geachteten Kaisers komponiert worden. Die Musik jedenfalls, so wie sie ist, ist nicht weniger genial als jene der Zauberflöte oder der drei da-Ponte-Opern. Nur handelt sich dabei ja bekanntlich um einen für damalige Zeiten "modernisierten" Seria-Stoff - und die Seria war zu jener Zeit schon toter als tot. Nichtsdestotrotz eignet[e] sich jener Stoff durchaus noch für eine Krönung - der Stoff wurde ja sorgfältig vom Komitee auserwählt und dieses hatte mit der Wahl durchaus so seine Problemchen, weshalb ja die Bekanntgabe des Sujets auch erst ziemlich kurzfristig erfolgte. Womöglich war hier tatsächlich die Seria als solche das "Problem". Die zeitgleich entstandene "Zauberflöte" hätte sich beispielsweise für eine Krönung nicht geeignet - die drei da-Ponte-Opern ebensowenig.


    Und ich glaube durchaus, daß eine Inszenierung und Regieführung als "Krönungsoper" auch dem heutigen Publikum noch etwas vermittelt - und sei es das Feeling der damaligen Zeit.


    :hello:


    Ulli

    Als Pumuckl sich zum Frühstück noch ein Bier reingeorgelt hat, war die Welt noch in Ordnung.
    (unbekannt)

  • Lieber Ulli,


    vorweg: deine Sicht achte ich sehr hoch, und ich halte es auch für wichtig, dass dieser Standpunkt immer wieder mal vertreten und in den Opernalltag umgesetzt wird. Es handelt sich um einen wissenschaftlichen-historischen Standpunkt, der die Verbindung zu den Wurzeln eines Kunstwerks erhält.


    Auf der anderen Seite: würde nur dieser Standpunkt zählen, dann wäre die Oper heute nurmehr eine museale Kunst und es gäbe keine heutige aktuelle Opernkunst mehr (mit Ausnahme der paar zeitgenössischen Werke, die zu unserer Zeit gerade entstehen). Und dieser Gedanke ist mir doch einigermaßen fremd. Muss man wirklich Beethovens Sonaten heute so spielen, wie sie "damals" gepielt worden sind? Und was ist dann mit der "utopischen" Kraft solcher Werke? - Mit Verlaub: ich glaube nicht, dass die Sicht auf das "...wie es der Komponist beabsichtigt hat!" wirklich "differenzierter" ist als eine Sinnsuche für unsere Zeit - große Kunstwerke bieten nämlich so einen Sinn.


    Erfolg ist als Qualitätsmaßstab für Kunst völlig ungeeignet, denn wäre dies der richtige Maßstab, in "Tamino" würde ausschließlich über Britney Spears oder Michael Jackson geschrieben. Und dennoch: im Falle der "Clemenza" und der Da-Ponte-Opern bin ich geneigt zu sagen: die Da-Ponte-Opern sind besser als der Titus, der eben nicht so genial ist, eben weil die "Seria" bereits toter als tot war und Mozarts Charakterisierungkunst keinen Angriffspunkt bot - Wesentliches der Qualität Mozartscher Opernmusik fehlt eben doch, und als Folge ist der Titus weniger "erfolgreich" geworden.


    Und was das "Feeling" des heutigen Publikms für "Krönungsopern" bedeuten könnte, habe ich im Mord-und-Totschlag-Thread bereits ironisiert: zuletzt wird es wohl das Feeling eines Parteitags vor der nächsten Wahl sein...


    Gruß
    Pylades

  • Zitat

    Original von JL
    Und was erzählen sich die Walküren zu Beginn des dritten Aktes eigentlich?


    Das kann ich dir gerne beantworten. Inhaltlich finde ich speziell den Anfang des Walkürenritts eine der lustigsten Stellen im Ring. Die 9 Schwestern haben einen ebenso seltsamen wie ernstzunehmenden Job: Sie tragen mit ihren schnellen Pferden die auf der Erde in Schlachten gefallenen Helden nach Wallhall. Das wird hier recht bildlich wiedergegeben, denn es ist ein rasantes, unfallträchtiges Unterfangen und alle sind aufgekratzt. Offensichtlich müssen sich die Ladies nach getaner Arbeit immer erst sammeln und dann ihre jeweilige "Beute" Vatern gemeinsam vorlegen, der die Helden in würdigem Zustand dann in die Burg mitnimmt. Die Mädels stoßen fast zusammen (Die Stute stößt mir den Hengst :D) quasseln dann darüber, dass zwei Gäule auseinanderzuhalten sind, weil sich die jeweiligen Kerle immer noch spinnefeind sind (Der Recken Zwist entzweit noch die Rosse; Führet die Mähren fern voneinander, bis unserer Helden Hass sich gelegt), man fragt sich, wo die Nachzüglerinnen noch bleiben, begrüßt sich lautstark und ist recht gut gelaunt, bis eben die mit gutem Grund panische Brünhilde als letzte eintrifft.


    Stimmt, der Text geht in dem furiosen Hochtöner - Fortissimo völlig unter, obwol er es wirklich verdienen würde, verstanden zu werden, schon, um sich mal von dem durchgängig tragenden Ernst entspannen zu können.


    Noch ene Bemerkung zum Sinngehalt des "Troubadour". Ich sehe hier auch weniger die Gesamthandlung als unverständlich an, sondern eher manche Umsetzungsprobleme in den Gegebenheiten einer Oper, beispielsweise das Anschleichen Lunas ans Kloster mit lautem sanglichem Getöse. Aber hier kann man noch ziemlich gut die simulierte Situation gedanklich erfassen.


    Schwieriger finde ich die Vorstellung, das Azucena tatsächlich einen dermaßen langfristigen Masterplan der Rache verfolgt haben soll. Das ist nicht wirklich realistisch, denn dazu fehlt ihr doch die nötige Kaltblütigkeit. Ihre Rachegedanken sind eher diffus, die Sache verläuft viel ferngesteuerter.


    Das ganze Drama sehe ich schon in erster Linie als Anklage gegen das Gewaltsystem der Inquisition mit sehr tiefgehendem Inhalt, indem es sich mit den katastrophalen Folgen auf diejenigen befasst, die - zunächst - überlebt haben. Da Diktaturen immer noch nicht der Vergangenheit angehören und religiöse Intoleranz wieder um sich greift, bleibt der Stoff aktuell.


    LG
    :hello:


    Ulrica

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  • Zitat

    Original von Ulli


    Und ich glaube durchaus, daß eine Inszenierung und Regieführung als "Krönungsoper" auch dem heutigen Publikum noch etwas vermittelt - und sei es das Feeling der damaligen Zeit.


    Lieber Ulli,


    womit wir mal wieder bei der unergiebigen Diskussion um die Regie wären, bei der ich einen anderen Standpunkt als Du vertrete. Ich meine eben, dass man bei der Aufführung nicht vergessen kann, welches Publikum mit welchen Kenntnissen heute im Opernhaus sitzt (und wenn die Kenntnisse nur aus dem Programmheft stammen). Nach E.T.A Hoffmann und Sören Kierkegaard kann man etwa den Don Giovanni weder inszenieren noch sehen, ohne die Interpretationen dieser beiden Herren (und noch einer Vielzahl anderer bis hin zu Bloch und Adorno und weiter) im Kopf zu haben. Das schließt übrigens ausdrücklich nicht eine Inszenierung in Deinem Sinne aus, sie ist eben auch ein Interessestand der heutigen Zeit.


    Zurück auf die Ausgangsfrage: Von einem Regisseur oder einem Dramaturgen darf ich verlangen, dass ihre Arbeit eine ernsthaft unternommene Suche nach einer konsistenten Antwort auf die Fragen ist, die ein Kunstwerk notwendigerweise stellt. Auch dieses Antwortgeben kann nicht bei der Philologie oder einem wie immer wissenschaftlich abgesichertem Wissen stehen bleiben. Das Entscheidende, in dem sie meiner Meinung nach dem Komponisten, Librettisten, dem Kunstwerk dient, ist ein heutiges Publikum für das Werk zu begeistern, nicht nur für einen Nebenaspekt.


    BTW - die Seria war so tot wie die Gesellschaftsschicht, die sie trug. Wie so immer: auch wenn die Uhr der Geschichte schon geschlagen hat, tickt die alte Zeitrechnung immer noch ein wenig weiter. Man kann es an den Vertonungen sehen, die die Libretti Metastasios erfahren. Spätestens mit der Französischen Revolution waren diese Libretti geschichtlich über ihrem Verfallsdatum, tatsächlich werden aber bis ins 19. Jahrhundert hinein noch Opern komponiert, die der Konzeption der Seria entsprechen - aber es werden immer weniger nach der Zeitenwende.


    Ulrica: Viele Opern haben so ihre gefallenen Maschen im Strickwerk der Handlung. Wenn dann eine Musik wie die Verdis dazu kommt, fragt man sich nicht mehr so sehr nach Wahrscheinlichkeiten - und dass Singen in welcher Lautstärke auch immer weder von Fast-schon-Leichen wie Gilda oder in der Stille der Nacht heranpirschenden Bösewichtern einen sehr geringen Grad an Realitätsgehalt haben, zeigt nur, dass man sich mit der Oper auf ein intelligentes ästhetisches Spiel einlässt. Wer die Spielregeln nicht zur Kenntnis nehmen will, wird sich sowieso nur kopfschüttelnd vom Tatort entfernen.


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von Pylades
    Und dennoch: im Falle der "Clemenza" und der Da-Ponte-Opern bin ich geneigt zu sagen: die Da-Ponte-Opern sind besser als der Titus, der eben nicht so genial ist, eben weil die "Seria" bereits toter als tot war und Mozarts Charakterisierungkunst keinen Angriffspunkt bot - Wesentliches der Qualität Mozartscher Opernmusik fehlt eben doch, und als Folge ist der Titus weniger "erfolgreich" geworden.


    Nun, das glaube ich so nicht. Welches ist denn Deiner Deinung nach "wesentliches Qualitätsmerkmal Mozartscher Opernmusik"? Im Bereich der Seria selbst - und darauf müssen wir schon Bezug nehmen - ist der Tito nicht schlechter als Idomeneo, Lucio Silla und dergl. - nur sollte man nicht erneut Äpfel mit Birnen vergleichen wollen, also Opera Seria mit Opera buffa oder Dramma giocoso.


    Die da-Ponte-Opern sind vielleicht [?] deswegen als "besser" zu bezeichnen, weil eben ihr Librettist Lorenzo da Ponte und nicht Pietro Metastasio ist. Aber das ist wiederum eher ein Stilmerkmal und persönlicher Geschmack. Mit der Qualität der Musik hat dies m. E. rein gar nichts zu tun. Bei mir genießen beide Librettisten den gleichen Rang - natürlich innerhalb ihres eigenen Genres.


    :hello:


    Ulli

    Als Pumuckl sich zum Frühstück noch ein Bier reingeorgelt hat, war die Welt noch in Ordnung.
    (unbekannt)

  • Zitat

    Original von Pylades
    Zur Illustration: in Fidelio geht es meines Erachtens auch und vor Allem um das Thema „Liebe“ zwischen zwei Menschen. Diese Liebe konnte sich Beethoven nur als „Gattenliebe“ vorstellen – ich denke, dass angesichts der Änderungen in der Sichtweise seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts hier auch andere Gesichtspunkte möglich sind.


    Darüber läßt sich sehr gut diskutieren. Das ist aber bereits an anderer Stelle schon getan.


    Aber auch wenn das möglich wäre, bleibt die Frage ob man andere Gesichtspunkte sowieso vertreten muß. Ob nicht das Libretto ausreicht. Und ob es heute nicht mehr möglich ist, Beethovens Gesichtspunkt noch darzustellen.


    LG, Paul

  • Lieber Pylades, was fehlt deines Erachtens der Musik der Clemenza an wesentlicher Qualität?


    Da es sich um meine Lieblingsoper von Mozart handelt, die ich persönlich noch über die Da Pontes stelle, würde mich das im Detail interessieren. ?(


    F.Q.

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Original von musicophil:
    ...bleibt die Frage ob man andere Gesichtspunkte sowieso vertreten muß. Ob nicht das Libretto ausreicht. Und ob es heute nicht mehr möglich ist, Beethovens Gesichtspunkt noch darzustellen.


    Natürlich muss man nicht. Aber zum Wesen der Kunst gehört auch, neue Wege einzuschlagen, wenn sie plausibel und dabei vom vorhandenen Material gedeckt sind. Und natürlich reicht das Libretto aus - ich will duchaus nicht, dass völlig neue Texte in die Opern montiert werden! Auf der anderen Seite: kein Libretto der Welt ist, was die Regie angeht, so eindeutig, dass damit bereits Alles getan wäre. Dieses Problem der Inszenierung gibt es bereits bei der Uraufführung und auch schon bei jeder Aufführung zu Lebzeiten des Komponisten.



    Zitat

    Original von Fairy Queen:
    ...was fehlt deines Erachtens der Musik der Clemenza an wesentlicher Qualität?


    Liebe Fairy Queen, es ist genau das, was das Libretto der "Clemenza" nicht zulässt, und was es sonst bei Mozart so reich wie bei keinem anderen Komponisten zu bewundern gibt: die Nutzung der Musik als dem Medium, welches die tiefsten Schichten der handelnden Charaktere offenlegt, kommentiert und häufig ironisch bricht.


    Wenn zum Beispiel Figaro dem Cherubino im "Non piu andrai..." die Glorie des Soldatenlebens ironisch vorführt, weil er sich damit dafür rächen kann, dass der junge Mann ja gerade eben noch seine, Figaros, Braut angebaggert (und geküsst) hatte, dann fährt Mozart eine grandiose militärische Musik auf, die diese Glorie tatsächlich als erreichber, fast bereits als gegeben nimmt - vor dem zynischen Text der Arie kann man dies aber doch wohl nur als Zynismus noch höheren Grades bezeichnen. Leben und Kunst, Lüge und Wahrheit kommen in diesem Moment auf höcht humane Weise zusammen - und für uns ist dieser Moment nicht wirklich auslotbar.


    Das Libretto der "Clemenza", das statt Charakteren eigentlich nur handelnde Typen, man kann auch sehr negativ sagen: Pappkameraden, zur Verfügung stellt, gibt Mozart gar nicht die Möglichkeit, seine Differenzierungskunst anzuwenden, und es bleibt daher bei der schematischen Zeichnung der barocken Affekte. Dass Mozart trotz alldem eine Musik geschrieben hat, die in Ihrem Erfindungsreichtum, ihrer Orchestrierung und ihrer Luzidität großartig ist, bestreite ich in keiner Weise.


    Gruß
    Pylades