Lieblingsstellen aus Briefen

  • Zitat

    Original von Ulli
    Mann! So ein Epigone. Nicht mal beim Briefeschreiben fällt ihm was Neues ein...


    "Kenntest Du mich, kühner Knabe....!" (Beethoven herablassend zu J.M. Kraus in einer Godesberger Pizzeria beim ersten Snack auf seiner Reise nach Wien 1792)


    Sag mal, Ulli, Du hast doch gewiß jene Briefstelle zur Hand, in der Mozart seinem Vater schreibt (ich paraphrasiere): "Ich bin kein Dichter, ich kann mich nicht mit Worten ausdrücken. Ich bin kein Tänzer...etc. Aber ich kann mich durch Töne verständlich machen..." Muß ebenfalls 1778, so um den Tod der Mamà gewesen sein. Ich würde die Stelle gern zitieren, sie befindet sich aber nicht in der Reclam-Auswahl und eine andere besitze ich nicht...


    Vielleicht kannst Du sie einstellen?



    Alex.

  • "[…] Auch bei Schiller war ich schon einigemale, das erstemal nicht eben mit Glük. Ich trat hinein, wurde freundlich begrüßt, und bemerkte kaum im Hintergrunde einen Fremden, bei dem keine Miene, auch nachher lange kein Laut etwas besonderes ahnden ließ. Schiller nannte mich ihm, nannt´ ihn auch mir, aber ich verstand seinen Nahmen nicht. Kalt, fast one einen Blik auf ihn begrüßt ich ihn, und war einzig im Innern und Äußern mit Schillern beschäftigt; der Fremde sprach lange kein Wort. Schiller brachte die Thalia, wo ein Fragment von meinem Hyperion u. mein Gedicht an das Schicksaal gedrukt ist, u. gab es mir. Da Schiller sich einen Augenblik darauf entfernte, nahm der Fremde das Journal vom Tische, wo ich stand, blätterte neben mir in dem Fragmente, u. sprach kein Wort. Ich fült´ es, daß ich über und über roth wurde. Hätt´ ich gewust, was ich jetzt weis, ich wäre leichenblaß geworden. Er wandte sich drauf zu mir, erkundigte sich nach der Frau von Kalb, nach der Gegend und den Nachbarn unseres Dorfs, u. ich beantwortete das alles so einsylbig, als ich vieleicht selten gewohnt bin. Aber ich hatte einmal meine Unglüksstunde. Schiller kam wieder, wir sprachen über das Theater in Weimar, der Fremde lies ein paar Worte fallen, die gewichtig genug waren, um mich etwas ahnden zu lassen. Aber ich ahndete nichts. Ich gieng, u. erfuhr an demselben Tage im Klubb der Professoren, was meinst Du? Daß Goethe diesen Mittag bei Schiller gewesen sei. Der Himmel helfe mir, mein Unglük, u. meine dummen Streiche gut zu machen, wenn ich nach Weimar komme. […]"


    Hölderlin an seinen Freund Neuffer, November 1794



    Grüße, viele,


    Alex.

  • Der leicht masochistische Stürmer und Dränger von gestern , der barfuss durch Dornen und Disteln laufen wollte, war übrigens Gottfried August Bürger.
    Das Objekt seiner Begierde war hier seine Schwägerin und Nebenfrau "Molly".
    Attention: dieser Text ist vollkommen unironisch , auch wenn es darin regnet und schneit!!!!!!


    Ob das hier auch unironisch ist, weiss ich leider nicht, da es heute noch nicht auf mich geregnet hat:


    "Hochverehrtes Fräulein,


    Sie sind grossmütig genug, mir zu verzeihen, ich fühle es aus der Milde ihres Briefes heraus, die ich wahrhaftig nicht verdient hatte.
    Ich habe soviel in Gedanken an meine grausame Handlungsweise gelitten, dass ich für diese Milde Ihnen nciht genug dankbar sein kann.
    Ich will ncihts erklären und weiss mich nciht zu rechtfertigen.
    Nur hätte ich den letzten Wunsch auszusprechen, dass Sie wenn Sie einmal meinen Namen lesen oder mich selbst wiedersehen sollten, nicht nur an den Schrecken denken möchten, den ich Ihnen eingeflösst habe; ich bitte Sie unter allen Umständen daran zu glauben, dass ich gerne gutmachen möchte, was ich böse gemacht habe. In Verehrung der Ihrige"



    ein deutscher Philosoph, nachdem er eine junge ihm durchaus gewogene Dame durch sein wildes Ungestüm vollkommen verschreckt und verprellt hatte.

  • Du erstaunst über das schlechte Papier, worauf ich unsere Korrespondenz mit Dir einleite - aber 1. habe ich für jetzt kein anderes, 2. ist es der antiken Sitte analog, dass einsam trauernde Liebhaber den Bart (und also auch das Papier) nicht beschneiden, 3. ist mein Brief nur das Makulatur-Kuvert zu einem äußerst feinen Gratulationsschreiben, das hier uneröffnet beiliegt. Es ist ohne Zweifel ein carmen von Fritz Vischer, das ich zu lesen recht begierig bin. Schicke uns doch zur gemeinschaftlichen Erbauung durch die Botin, etwa in einer Abschrift von Louis.


    Mörike an Luise Rau (2.9.1829)


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl
    Sag mal, Ulli, Du hast doch gewiß jene Briefstelle zur Hand, in der Mozart seinem Vater schreibt (ich paraphrasiere): "Ich bin kein Dichter, ich kann mich nicht mit Worten ausdrücken. Ich bin kein Tänzer...etc. Aber ich kann mich durch Töne verständlich machen..." Muß ebenfalls 1778, so um den Tod der Mamà gewesen sein.


    Ich kann nicht Poetisch schreiben; ich bin kein dichter. ich kann die redensarten nicht so künstlich eintheilen, daß sie schatten und licht geben; ich bin kein mahler. ich kann sogar durchs deüten und durch Pantomime meine gesinnungen und gedancken nicht ausdrücken; ich bin kein tanzer. ich kan es aber durch töne; ich bin ein Musikus.


    [W. A. Mozart am 8. November 1777 in einem Brief an seinen Vater]


    Ich bin kein Mahler :hahahaha:


    Wie Recht er hatte... woher wußte er das nur? Kommt das vom Ich-wurde-gewesen-seyn?


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • »Ich trau dem Drucker nicht der denkt!«


    August Stramm (Dichter) an Herwarth Walden (Verleger), 11. Juni 1914


    [die Interpunktion ist authentisch]

  • »Mein lieber Freund, es gibt einen Geist, der sich - obwohl Sie seit langem die ganze Lage begriffen haben - in Sie eingeschlichen hat und der, wenn Sie das Wunderbare vor Augen haben, von Ihrem Kopf zu Ihren Füßen herabsteigt und denkt: Daran glaube ich nicht, ich habe es nicht gesehen.


    Scheiße.«


    Nicht abgesandter Brief von Antonin Artaud (Psychiatrische Anstalt Rodez) an Henri Parisot, Dezember 1945


    edit: Bevor noch jemand glaubt, ich würde sowas erfinden, gibt's in diesem Fall mal den Nachweis. Die zitierte Stelle ist zu finden in folgendem (übigens - wie die bei Matthes & Seitz erscheinende Artaud-Ausgabe ohnehin - sehr schön ausgestatteten) Band:
    Artaud, Antonin: Briefe aus Rodez / Postsurrealistische Schriften, aus dem Französischen von Franz Loechler, München: Matthes & Seitz (2. erw. Aufl.) 1988, S. 62.

  • "Ganz recht."


    Thomas Mann zu unterschiedlichen Gelegenheiten an u.a. Paul Ehrenberg, Fritz Endres, Herrn und Frau Arthur Nikisch, Stefan Zweig, Ernst Heimeran, Adele Gerhard, den Bruder Heinrich, Agnes Meyer, Erich von Kahler, Lion Feuchtwanger und Hans Heinz Stuckenschmidt.



    Letterman


    (Wir müssen uns ein wenig in die Gewalt nehmen, Medard, sonst arten wir noch wieder aus und ent.)

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  • »Ich bin seit Ostern 1904 in Prima, seit Michaelis 1905 in Oberprima. Die königliche Prüfungskommission bitte ich, mich zu der nächsten Reifeprüfung zulassen zu wollen. Nach bestandener Prüfung gedenke ich die Rechte zu studieren.


    Georg Heym, Oberprimaner«



    Georg Heym an die Reifeprüfungskommission des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums zu Neuruppin, 18. Dezember 1906

  • "Stell Dir vor, Mrs. Holder ist tot. Die arme Frau, sie hat das einzige auf der Welt getan, was sie noch tun konnte, um einen daran zu hindern, über sie zu lästern."


    Jane Austen an Fanny Knight, 14. Oktober 1813

  • "Mrs. Hall aus Sherbourne kam gestern sechs Wochen vor der Zeit mit einer Totgeburt nieder, verursacht durch einen Schock. Ich vermute, sie hat aus Versehen ihren Mann angeschaut."


    Jane Austen, 27. Oktober 1798

  • Mitte Januar 1775 erhielt der Verfasser des erst kürzlich erschienenen "Werther" einen anonymen Brief von einer Verehrerin. Auguste Gräfin zu Stolberg war dreieinhalb Jahre jünger als Goethe und fuhr schwer auf empfindsames Sich-Einfühlen in das Geflecht aller Bezüge ab, welches gerade - und durch den Werther zu einem vorläufigen Höhepunkt gebracht - in Mode war.


    Goethe, nicht faul, spielte mit und gab den Genialischen mit Herz. Ein Briefcorpus endstand, das sich mehr oder weniger um den Unsagbarkeitstopos drehte: Ich kann nicht ausdrücken, was mich bewegt, doch ich schreib´ Dir trotzdem was...


    "Gustgen! - Lass mein Schweigen Dir sagen, was keine Worte sagen können."


    Auch damit kann man gleichwohl einen Briefwechsel bestreiten, exaltierte Selbstaussprache kommt genauso vor, es gehen persönlichste Begebenheiten in die Hände des jeweils unbekannten anderen.


    Goethe und "Gustchen", wie sie sich selber nannte, sind sich nie begegnet.


    Hier sein Antwortschreiben auf ihre Kontaktaufnahme.



    "Der theuren Ungenandten


    Meine Theure - ich will Ihnen keinen Nahmen geben, denn was sind die Nahmen Freundinn, Schwester, Geliebte, Braut, Gattin, oder ein Wort das einen Complex von all denen Nahmen begriffe, gegen das unmittelbaare Gefühl, zu dem - ich kann nicht weiter schreiben, Ihr Brief hat mich in einer wunderlichen Stunde gepackt. Adieu, gleich den ersten Augenblick! -
    Ich komme doch wieder – ich fühle Sie können ihn tragen diesen zerstückten, stammelnden Ausdruck wenn das Bild des Unendlichen in uns wühlt. Und was ist das als Liebe! – Musste er Menschen machen nach seinem Bild, ein Geschlecht das ihm ähnlich sey, was müssen wir fühlen wenn wir Brüder finden, unser Gleichnis, uns selbst verdoppelt.
    Und so solls weg, so sollen Sie´s haben dieses Blat, obiges schrieb ich wohl vor acht Tagen, unmittelbaar auf den Empfang Ihres Briefs.
    Haben Sie Geduld mit mir, bald sollen Sie Antwort haben. Hier indess meine Silhouette, ich bitte um die Ihrige, aber nicht in´s kleine, den grosen von der Natur genommenen Riss bitt ich.


    Adieu ein herzliches Adieu.


    Frfurt d. 26. Jan. 1775.


    Goethe


    Der Brief ist wieder liegen blieben o haben Sie Geduld mit mir. Schreiben Sie mir und in meinen Besten Stunden will ich an Sie dencken. Sie fragen ob ich glücklick bin? Ja meine beste ich bins, und wenn ich´s nicht bin, so wohnt wenigstens all das tiefe Gefühl von Freud und Leid in mir. Nichts ausser mir stört, schiert, hindert mich. Aber ich bin wie ein klein Kind weis Gott.


    Noch einmal Adieu."

  • Es gibt wohl kaum eine tragischere Lebensgeschichte als die des Dichters Heinrich von Kleist ( 1777 - 1811 )
    Seine Romanze mit Henriette Vogel, der Frau eines Königlichen Beamten, währte nur wenig mehr als ein Jahr, doch war sie gleich vom ersten Tag an von tiefer Zuneigung geprägt. Beide hatten ein schweres Schicksal; sie litt an einer schweren Krankheit, während seine Ideale an der Wirklichkeit gescheitert waren. Einen endgültigen Schlußstrich unter das ihnen aussichtslos erscheinende Leben zu ziehen, sahen sie schließlich als einzigen Ausweg. So beendeten sie an einem tristen Novembertag des Jahres 1811 am Ufer des Wannsees in Berlin gemeinsam ihr Leben. Noch wenige Tage vorher schrieb Kleist an sein "Jettchen":



    Berlin, November 1811


    Mein Jettchen, mein Herzchen, mein Liebes, mein Täubchen, mein Leben, mein liebes süßes Leben, mein Lebenslicht, mein Alles, mein Hab und Gut, meine Schlösser, Äcker, Wiesen und Weinberge, Sonne meines Lebens, Sonne, Mond und Sterne, Himmel und Erde, meine Vergangenheit und Zukunft, meine Braut, mein Mädchen, meine liebe Freundin, mein Innerstes, mein Herzblut, mein Eingeweide, mein Augenstern, o Liebste, wie nenn ich Dich?
    Mein Goldkind, meine Perle, mein Edelstein, meine Krone, meine Königin und Kaiserin. Du lieber Liebling meines Herzens, mein Höchstes und Teuerstes, mein Alles und Jedes, mein Weib, meine Hochzeit, die Taufe meiner Kinder, mein Trauerspiel, mein Nachruhm. Ach, Du bist mein zweites besseres Ich. Meine Tugenden, meine Verdienste, meine Hoffnung, die Vergebung meiner Sünden, meine Zukunft und Seligkeit, o Himmelstöchterchen, mein Gotteskind, meine Fürsprecherin und Fürbitterin, mein Schutzengel, mein Cherub und Seraph, wie lieb' ich Dich!

  • Liebe Diotima,


    daß Kleist mit Henriette Vogel eine Romanze im herkömmlichen Sinn gehabt hat, ist nicht gesichert. Das ausgewogene Urteil der jüngsten Kleistbiographie aus der Feder eines der letzten großen Experten der Deutschen Literatur um 1800, Gerhard Schulz, mag hier stellvertretend für ein gesundes "Lassen wir es offen" stehen.


    Schulz zieht auf wenigen Seiten ein nüchternes Fazit:


    "Ereignisse wie der gemeinsame Suizid Henriette Vogels und Heinrich von Kleists fördern die Phantasie des Publikums und die Legendenbildung durch die Versuche, Neugierde zu stillen, Vorurteile zu bestätigen oder Verständnis zu finden. Verstanden beide einander überhaupt oder waren sie im Grunde innerlich meilenweit von einander entfernt? [...] Gab es zwischen beiden, wie Adam Müller [Kleists Geschäftspartner in literarischen Aktivitäten, G WvSt.] feinsinnig glaubte, »keine Gemeinschaft [...] als die der herrlichsten Anlagen, der Unwissenheit über ihre höhere, göttliche Bestimmung, also der Verzweiflung und - in den letzten Stunden ihres Lebens - eines gewissen tragischen Interesses aneinander« oder war da auch körperliche Nähe? Und was empfand Kleist?"


    Ob die Beziehung zu Henriette Vogel "gleich vom ersten Tag an von tiefer Zuneigung geprägt" war (so Du in Deiner kleinen Einführung, Diotima), oder ob es doch eine Art rein freitödlicher Zweckgemeinschaft mit verzweifelt angestrebtem Überbau gewesen sein könnte, die die beiden in ihrer letzten Lebenstation zueinanderbrachte, ist nach den vorhandenen Quellen nicht nachvollziehbar zu entscheiden.


    Ich selbst sehe in den von Dir zitierten Zeilen Kleists alles Mögliche - nur keine Romanze. Wenn eine Frau derart umfangreich für alle gehabten Entbehrungen herzuhalten hat, dann geht es meist völlig aus dem gewohnten Gleise.


    Kleist hat schon als junger Mann seine Freunde einen nach dem andern gefragt, ob sie mit ihm sterben wollen. Die verquaste Freude, endlich jemanden gefunden zu haben, der mitmacht, spricht eher aus solchen (übrigens hochgradig unpoetischen, weil ebenso überfrachteten wie gänzlich unoriginellen) Worten...


    Ich zweifle grundlegend an einer "Liebe" zwischen Kleist und Henriette Vogel. Und mache hier mal was, das ich sonst zu vermeiden suche, ich stelle einem literarischen Text einen andern beinahe kommentarlos gegenüber. Man wird wissen, woher das folgende Zitat stammt, und es komme niemand und sage, hier sei von einer "anderen Art von Liebe" die Rede... :D


    "Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. [...] Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand."


    Aus Kleists Worten, des "unmöglichsten Briefeschreibers der deutschen Literatur", spricht das klare Gegenteil davon...



    Alex.

  • Wie kamst du nach Hause? Trockenen Fußes gewiß und trockenen Auges noch gewisser. Fünf Tage weiß ich mich schon auch zu trösten, aber das ist immer noch eine gar zu leichte Vorschule für die Zukunft.


    Mörike an Luise Rau (2.9.1829)


    Liebe Grüße Peter

  • Wer hat nochmal über die Deutschen gesagt "Worte, Worte, niemals Taten?"




    Hier ein handfester Franzosenbrief:





    Ne te laves plus, j'arrive!




    Napoleon an Josephine, als er wieder einmal nach einem Kriegszug auf dem Heimweg nach Paris war.

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  • Dagegen halte ich folgende Briefpassage eines ungenannt bleibenden Deutschen an ein ungenannt bleibendes Sozialamt:




    Ich muss Sie bitten, mich innerhalb einer Woche zu befriedigen, sonst muss ich mich an die Öffentlichkeit wenden.




    audiamus


    .

  • »Unser Hauptangeklagter für den der morgige Tag bestimmt war, hat sich diese Nacht aufgehängt. Sonst könnte ich Euch jetzt nicht schon schreiben. So wird man Egoist. Es läßt alles so kalt, erschreckend kalt! Aber man erschreckt nicht mehr. Rohheit oder Selbstschutz? Beides aus einem in einem! Werttod!«


    August Stramm (Westfront) an Nell und Herwarth Walden (Berlin), 16. Dezember 1914

  • Neulich verwirrten wir uns in dem Walde, und mußten 2 Stundenlang in selbigem, durch Hecken und Büsche durchkriechen. Bald stellte sich uns ein umschatteter Fels dar, bald ein düstres Gesträuch und nirgends war ein Ausgang zu finden. Gewiß wir wären biß in die Nacht gelaufen; wenn nicht eine wohlthätige Fee hier und da, an die Baüme Papagey Schwäntze, |: die aber unsere kurtzsichtige Augen für Strohwische ansahen :| den rechten Weeg uns zu zeigen gebunden hätte. Da wir denn glücklich aus dem Walde kamen.


    Johann Wolfgang an Cornelie Goethe
    Wisb. d. 21. Jun. 1765.



    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von mir, G.
    ...wenn nicht eine wohlthätige Fee hier und da, an die Baüme Papagey Schwäntze...den rechten Weeg uns zu zeigen gebunden hätte


    "Ha! Ha! Ha! [...] du bist erznärrisch, ich habe gelacht. [...] Ha! Ha! [...] Aber - Ha! Ha! ich kan für lachen nicht mehr Ha! Ha! -"


    Goethe an Cornelia 13. Oktober 1765


    "Was würde der König von Holland sagen, wenn er mich in dieser Positur sehen sollte? [...] - da! - thue die Augen auf, und sieh. - Hier steht mein Bett! da meine Bücher! [...] Und dann - Aber - ja das ist was anders."


    Goethe an Cornelia, 12. Oktober 1765



    Unter Tränen grüßt,


    Alex.

  • Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl
    "Was würde der König von Holland sagen, wenn er mich in dieser Positur sehen sollte? [...] - da! - thue die Augen auf, und sieh. - Hier steht mein Bett! da meine Bücher! [...] Und dann - Aber - ja das ist was anders."


    Goethe an Cornelia, 12. Oktober 1965


    Nun, lieber Alex, da lohnt sich schon das ungekürzte Zitat:



    Liebes Schwestergen


    Es wäre unbillig wenn ich nicht auch an dich dencken wollte. id est es wäre die größte Ungerechtigkeit die jemahls ein Student, seit der Zeit da Adams Kinder auf Universität gehen, begangen hätte; wenn ich an dich zu schreiben unterließe.


    Was würde der König von Holland sagen, wenn er mich in dieser Positur sehen sollte? Rief Hr. von Bramarbas aus. Und ich hätte fast Luft auszurufen: Was würdest du sagen Schwestergen; wenn du mich in meiner jetzigen Stube sehen solltest? Du würdest astonishd ausrufen: So ordentlich! so ordentlich Bruder! – da! – thue die Augen auf, und sieh! – Hier steht mein Bett! da meine Bücher! dort ein Tisch aufgeputzt wie deine Toilette nimmermehr seyn kann. Und dann – Aber – ja das ist was anders. Eben besinne ich mich. Ihr andern kleinen Mädgen könnt nicht so weit sehen, wie wir Poeten. Du must mir also glauben daß bey mir alles recht ordentl. aussiehet, und zwar auf Dichter Parole. Genug! Hier schick ich dir eine Messe.



    Liebe Grüße Peter

  • Aber ja, lieber Peter, schon richtig. Entschuldige, ich habe mich mehr so privatim beömmelt.


    War ein wenig "weggerißen und in einem Kreis von Lust und Unsinn herum gedreht. Erst ietzo fang ich wieder an zu dencken..." (nochmal der "Haussohn", an Ernst Theodor Langer, 11. Mai 1770).


    Hoffe, das wird mir nachgesehen... :rolleyes:


    Es ist ja der fragmentierten Überlieferungslage zuzuschreiben, daß unsere Zitate in den Ausgaben so eng zusammengerückt sind. Man darf eigentlich nicht stückeln, wie ich´s getan hab, soll auch das letzte Mal gewesen sein, naja, zumindest das vorletzte Mal, sagen wir: eines von den hinteren Malen, Humor im Einzugsbereich meiner geistigen Dämmerung... da sollte niemand bange werden.


    Ums Thema abzuschließen noch ein Goethe:


    "Wir wollen den Grafen nicht berufen, sonst müßt ich sagen er führt sich recht gut auf..." (an die Steinin, 10. März 1781)


    Nicht daß man mir bald steckt: "Verschonen Sie uns ins Künftige mit solchen Briefen, lieber Klopstock! Sie helfen nichts, und machen uns immer ein paar böse Stunden." (an den Genannten, 21. Mai 1776)


    In diesem Sinne, "Ihr Freund ist ohngefähr der Alte" (nochmal an Langer, 11. Mai 1770)


    Alex.

  • Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl
    Aber ja, lieber Peter, schon richtig. Entschuldige, ich habe mich mehr so privatim beömmelt.


    Lieber Alex,


    kein Problem meinerseits - ich fand nur das gesamte Zitat noch ein wenig farbiger und ausdrucksreicher, deshalb habe ich es gebracht. Die Verkürzung kann von Leuten, die den Kontext nicht kennen, leider missverstanden werden, da nehme ich lieber schon mal eine Portion mehr an Kontext mit als weniger. Das mit der Messe fand ich z.B. schon putzig, wie anderes auch.


    Zitat

    Man darf eigentlich nicht stückeln, wie ich´s getan hab, soll auch das letzte Mal gewesen sein, naja, zumindest das vorletzte Mal, sagen wir: eines von den hinteren Malen, Humor im Einzugsbereich meiner geistigen Dämmerung... da sollte niemand bange werden.


    Selbstverständlich darfst Du auch stückeln, solange Du das Zitat nicht verfälschst, denn dann sollten wir lieber einen neuen Thread am richtigen Ort aufmachen, wenn es um verfremdete Zitate geht (und durch geschicktes Kürzen kann man erheblich verfremden, da kannst Du Dada auch bei Goethen entdecken).




    Liebe Grüße Peter

  • Lieber Peter,


    die Messe ist tatsächlich putzig, und genauso muß man sowas bringen - unvermittelt und auf sich gestellt.


    Verkürzungen können von Leuten, die den Kontext nicht erkennen, immer mißverstanden werden und in der Regel werden sie das auch. Das ist wohl denn der Grund, aus dem sich viele ganz gewollt bemühen, fast nur Verkürzungen an sich heranzulassen. Sie entbinden sich damit von aller Mühe des genauen Aufmerkens und können ohne jeden Aufwand alles rausbehaupten, was sich dem wirren Geist herzudrängt.


    Seltsam bleibt nur, daß jene Leute dann gern meinen, mit ihren spärlich bekleideten und ungewohnten Freiluftübungen dieselbe Figur abgeben zu können wie trainierte Athleten.


    Und dann gibt es noch welche, denen nicht einmal der ganze Kontext weiterhelfen kann...


    Das sollte uns jedoch nicht kümmern. Der junge Goethe meint dazu:


    "Kannst du, wie ich wohl glaube, diese Dinge nicht ganz einsehen, so nimm sie als Wahrheiten an die dir einmal aufgeklärt werden sollen, ich werde mich darüber mit dir in keinen Briefwechsel einlassen, es sind Dinge, die sich schweer schreiben." (nocheinmal an Cornelia, diesmal zwei Jahre später, 12.-14. Oktober 1767).


    Zwischen vernüftigen Menschen gibt es diese Hindernisse nicht. Da wird durchaus auchmal drauflosgetextet unter dem Motto "erstmal das Beste annehmen, ereifern kann man sich ja später immer noch" (Prinzip des wohlmeinenden Verständnisses), selbst wenn es einmal heißen muß:


    "Noch immer so munter, noch immer so boshafft. So geschickt das gute von einer falschen Seite zu zeigen..."! [Goethe an Katharina Schönkopf, 1. November 1768].


    Mit Dir geht sowas, lieber Peter. Das macht die Sache angenehm und lohnend.



    Alex.

  • "...si rammenti quante volte le dissi ch´io temeva la fine di Donizetti,cioé rammollimento cerebrale!..."


    "Sie erinnern sich, wie oft ich gesagt habe, daß ich ein Ende á la Donizetti befürchte, nämlich das der (syphilitischen) Hirnerweichung."


    23. März 1903, Giulio Ricordi an Illica


    ....übrigens ein wunderbarer Thread, hab ich glatt alle Zeilen verschlungen

    WHEN MUSIC FAILS TO AGREE TO THE EAR;
    TO SOOTHE THE EAR AND THE HEART AND SENSES;
    THEN IT HAS MISSED ITS POINT
    (Maria Callas)

  • An Johann Jakob Riese


    Leipzig 20. Oktober 1765.
    Morgens um 6.


    Riese, guten Tag!


    den 21. Abends um 5.
    Riese, guten Abend!
    Gestern hatte ich mich kaum hingesetzt um euch eine Stunde zu widmen, Als schnell ein Brief von Horn kam und mich von meinem angefangenen Blate hinweg riß. Heute werde ich auch nicht länger bey euch bleiben. Ich geh in die Commoedie. Wir haben sie recht schön hier. Aber dennoch! Ich binn unschlüßig! Soll ich bey euch bleiben? Soll ich in die Commödie gehn? – Ich weiß nicht! Geschwind! Ich will würfeln. Ja ich habe keine Würfel – Ich gehe! Lebt wohl! –
    Doch halte! nein! ich will da bleiben. Morgen kann ich wieder nicht da muß ich ins Colleg, und Besuchen und Abends zu Gaste. Da will ich also jetzt schreiben. Meldet mir was ihr für ein Leben lebt? Ob ihr manchmal an mich denkt. Was ihr für Professor habt. & cetera und zwar ein langes & cetera. Ich lebe hier, wie – wie – ich weiß selbst nicht recht wie. Doch so ohngefähr


    So wie ein Vogel der auf einem Ast
    Im schönsten Wald, sich, Freiheit athmend wiegt.
    Der ungestört die sanfte Lust genießt.
    Mit seinen Fittichen von Baum zu Baum
    von Bußch zu Bußch sich singend hinzuschwingen.


    Genug stellt euch ein Vögelein, auf einem grünen Aestelein in allen seinen Freuden für, so leb ich. Heut hab ich angefangen Collegia zu hören.
    Was für? – Ist es der Mühe wehrt zu fragen? Institutiones imperiales. Historiam iuris. Pandectas und ein privatissimum über die 7 ersten und 7 letzten Titel des Codicis. Denn mehr braucht man nicht, das übrige vergißt sich doch. Nein gehorsamer Diener! das ließen wir schön unterwege. – Im Ernste ich habe heute zwei Collegen gehört, die Staatengeschichte bey Professor Böhmen, und bei Ernesti über Cicerons Gespräche vom Redner. Nicht wahr das ging eh an. Die andere Woche geht Collegium philosophicum et mathematicum an. –



    Liebe Grüße Peter

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