Vladimir HOROWITZ - der größte Liebhaber des Klaviers

  • Zitat

    Sein Repertoire würde ich auch nicht als schmal einstufen!


    Hallo Holger,
    Den Begriff "Schmal" meine ich nicht negativ.
    Gut, nehmen wir das Konzertrepertoire, denn privat gespielt hat Horowitz sicherlich noch eine ganze Menge mehr, auch an Kammermusik.


    Zitat

    r hat Komponisten wieder im Konzertsaal etabliert wie Scarlatti, Clementi und Scriabin, die kaum noch beachtet wurden!


    Ja, das finde ich auch sehr verdienstvoll und auch bemerkenswert.
    Darauf bezieht sich meine Meinung von einem schmalen Repertoire auch gar nicht.
    Horowitz hatte ein, einen großen Zeitraum umfassendes, sehr breites Repertoire.
    Vielleicht können wir uns darauf einigen?


    Aus den Werken dieses großen Zeitraumes hat er sehr genau ausgewählt, was er öffentlich aufführen wollte.


    Und diese Auswahl macht dann für mich das relativ "schmale" Repertoire aus.


    Wo andere Pianisten zumindest noch das 2.Konzert aufführten, führte er zeitlebends ausschlieslich das 3. Rachmanninoff-Konzert auf.


    Überhaupt hatte Horowitz nur sehr wenige Klavierkonzerte im öffentlichen Gebrauch, und diese überwiegend auch nicht zur selben Zeit:


    Tschaikowsky:Nr.1
    Rachmanninoff:Nr.3
    Brahms:Nr.2
    Beethoven:Nr.5
    Mozart (erst am Ende seines Lebens) : KV 488


    Mag sein, daß ich etwas vergessen habe.
    Aber für einen weltberühmten Solisten ist z.B. sein Klavierkonzertrepertoire "schmal" gewesen.
    Sogar ziemlich schmal.


    Ich finde das nicht schlimm, es ist mir fast egal.
    Im Endeffekt bevorzuge ich Spezialisten, Künstler, welche sich immer wieder auf bestimmte Werke stürzen, um diese noch mehr zu verfeinern.
    Aber ich wollte versuchen, meine Auffassung vom Begriff eines "schmalen" Repertoires zu erklären.


    Wir dürften uns doch einig sein über den breitgefächerten Musikgeschmack und Verstand von Horowitz.


    Jetzt muß man nur einmal auflisten, was er alles an Werken aufgeführt hat.
    Und da wird es m.e. schmal.


    Wo ist denn da der große umfassende Katalog an Kammermusik mit Klavier:
    Trios, Quartette, Quintette, Lieder usw......
    Etwas, was sein direkter Konkurrent Rubinstein zum großen Teil selbstverständlich gemacht hat.


    Als Beispiel, nicht als Wertung.


    Ansonsten gehört Horowitz für mich persönlich zu den ehrlichsten Pianisten überhaupt.
    Er war grandios in seinen Triumphen und auch in seinem Scheitern-auch das kam vor, er war ja auch nur ein Mensch.
    Aber wenige Menschen waren grandios als wirkliche Künstler auch im Scheitern.
    Es gibt äußerst wenige Pianisten, welche eine derartig große Ausdrucksskala in jedem Finger besaßen.


    Was ein analytisches und entschlacktes Klavierspiel bei größter Klangraffinesse angeht, ist er einer der maßgeblichen Pianisten, wenn nicht sogar der maßgebliche.
    Ob man ihn mag oder nicht.


    Von seiner atemberaubenden Technik, welche ihm in seiner besten Zeit im Übermaß zur Verfügung stand, spreche ich jetzt gar nicht groß.


    Insofern empfinde ich den vom Threadstarter benutzten Begriff des "Blenders" als ausgesprochen falsch und entwürdigend.


    Gruß,
    Michael

  • Hallo pt_concours,

    Zitat

    der wirrklich viele verschiedene Komponisten gespieilt hat, wenn auch oft nur einige Werke von ihnen


    Sagen wir mal so:
    Immer nur einige Werke oder nur ein Werk von Ihnen.
    Das ist nicht negativ wertend gemeint.


    Zitat

    Aber welcher Pianist konnte schon MOZART, CHOPIN und RACHMANINOV gleichermaßen überzeugend speilen? (vielleicht Richter, aber sonst?)


    Oh, da gibt es sehr viele............
    nicht nur Richter.
    Na ja, jetzt möchtest Du natürlich BEWEISE.............
    Aber diese erbringe ich nicht, denn auch über Horowitz Mozart kann man geteilter Meinung sein und ich lasse mich nicht auf's Glatteis führen.


    Bei Richter sind wir uns dagegen einig.


    Wir sollten es dabei belassen.


    Gruß,
    Michael

  • Hallo Michael,


    ein solches Repertoire, daß Du >schmal< nennst, ist mir eindeutig lieber! Da gibt es ja wirklich unsinnige Entwicklungen, z.B. beim Clara-Haskil-Wettbewerb, der von den sehr jungen Teilnehmern schon 200 Repertoirestücke verlangt! Wo bleibt da noch die Möglichkeit der intensiven geistigen Auseinandersetzung mit einem bestimmten Werk und seinem kulturellen Umfeld? Es gibt ja auch nicht den Literaturwissenschaftler oder Philosophen, der gleichermaßen in mittelalterlicher, orientalischer, antiker und moderner Literatur gleich gut zuhause ist! Wirkliches Wissen verlangt Spezialisierung, eine selektive Auswahl des Interrpeten. Bei der Kunst ist das genauso! Ohne Selektion gibt es nur Routine und Standard!

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Insofern empfinde ich den vom Threadstarter benutzten Begriff des "Blenders" als ausgesprochen falsch und entwürdigend.


    Ich denke das mit dem Blender wäre ok, wenn es z.B. so formuliert wäre: Horowitz- Klaviergenius oder Blender ? dann könnte man darüber diskutieren. Mit threadtiteln die nur in eine Richtung gehen habe ich aber sowieso so meine Probleme.


    Bei aller Wertschätzung für Herrn Horowitz bin ich immer wieder erstaunt, wie Pianisten ihn gerade sehr kritisch sehen. Eine befreundete spanische Pianistin meinte mal zu mir, Horowitz sei der am meisten überschätzte Pianist überhaupt.- Allerdings konnte ich ihr ein positives Urteil für Aufnahme des 2. Brahmskonzertes mit Toscanini abringen. :D


    Aber ich kann die Kritiker eben doch auch verstehen. Teilweise sind eben Aufnahmen auch nur berühmt, weil sie von Horowitz sind und halten einem intelligenten Vergleich nicht stand.


    Zitat

    Die mehr oder weniger berühmten Bilder einer Ausstellung aus der Carnegie Hall zeigen Horowitz als Experimentator könnte ich sagen; ich vermeine einmal, dass er die Eingriffe in das Stück (gelangweiltes Husten und Räuspern im Publikum) nicht wiederholt hat.


    Die Mussorgsky-Aufnahme ist für mich gerade ein Beispiel einer nicht geglückten sache. Hier beweist Herr Horowitz weder stilistisches Gefühl, noch einen besonderen Sinn für Stimmungen und auch technisch ist es teilweise ziemlich gepfuscht.


    Auch bei den viel gerühmten Scarlattiaufnahmen, stellt sich die Frage, ob die Tempi nicht ein klein bisschen überissen sind :untertauch:


    Er ist natürlich trotzdem einer der ganz grossen :jubel: aber wenn man anfängt zum Fan zu werden, sieht man solche dinge eben nicht mehr.


    Zitat

    Wo ist denn da der große umfassende Katalog an Kammermusik mit Klavier: Trios, Quartette, Quintette, Lieder usw...... Etwas, was sein direkter Konkurrent Rubinstein zum großen Teil selbstverständlich gemacht hat.


    Also die einzigen Kammermusikaufnahmen mit Horowitz, die ich kenne, sind die bei der eröffnung der Carnegiehall. das "concert of the century"
    Dort spielt er den 2. Satz Rachmaninoff-Sonate mit Rostropowitch, sowie die Dichterliebe mit Fischer-Dieskau und dann noch Tchaikowsky-Trio mit Stern und Rostro.
    Der Rachmaninoff ist wirklich schön gespielt- die Dichterliebe gehört aber zu den Klassikern der unfreiwilligen Komik auf CD. :D :D
    Horowitz spielt sich da völlig in den Vordergrund. Ein Pianist mit Sängerbegleitung, schier unglaublich.


    Gruss :hello:


    Syrinx


  • Hallo Michael,
    ja, da bin ich mit Dir absolut einer Meinung :D
    Mehr Werke fielen mir auch nicht ein.
    Wenn ich meinen "Unterlagen" trauen darf, muss es noch eine Einspielung des 1.KK von BRAHMS mit Horowitz geben!
    Concertgebouw Orchester Amsterdam/ B. Walter (rec. 1936)
    Klingt für mich schon irgendwie interessant.


    Zitat

    Original von Michael Schlechtriem
    Wir dürften uns doch einig sein über den breitgefächerten Musikgeschmack und Verstand von Horowitz.


    Wo ist denn da der große umfassende Katalog an Kammermusik mit Klavier:
    Trios, Quartette, Quintette, Lieder usw......
    Etwas, was sein direkter Konkurrent Rubinstein zum großen Teil selbstverständlich gemacht hat.


    Ja, auch da sind wir einer Meinung (wobei ich mich bisher nicht auf seine Aktivitäten in der Kammermusik bezogen habe) Warum er fast keine Kammermusik gespielt(?), oder zumindest aufgenommen hat, darüber kann ich nur spekulieren. Immerhin hat er einmal zusammen mit D. Fischer Dieskau die" Dichterliebe" von SCHUMANN im Konzert (1976) aufgeführt, wovon es auch eine Aufnahme geben müsste, die ich aber leider nicht kenne, Die mich aber schon sehr interessieren würde (es handelt sich um einen Auftritt bei einer Veranstaltung im Weißen Haus (edit: da habe ich mich wohl getäuscht?, s.o.-s.u. ;) ), also eher ein arrangiertes Zusammentreffen, als eine "Herzensangelegenheit").


    Gerne würde ich mich auch noch zu weiteren hier angespochenen Themen äußern (vermuutl. durchaus kontrovers), aber leider bin ich z.Zt. -vorallem beriúflich- sehr eingespannt, so dass ein Antwort leider -wenn überhaupt- erst später realisierbar sein wird... X(


    Gruß pt_concours

    Hören, hören und nochmals hören: sich vertraut machen, lieben, schätzen.
    Keine Gefahr der Langeweile, im Gegensatz zu dem, was viele glauben, sondern vielmehr Seelenfrieden.
    Das ist mein bescheidener Rat. (S. Richter, 1978)

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  • Zitat

    Immerhin hat er einmal zusammen mit D. Fischer Dieskau die" Dichterliebe" von SCHUMANN im Konzert (1976) aufgeführt, wovon es auch eine Aufnahme geben müsste, die ich aber leider nicht kenne, Die mich aber schon sehr interessieren würde (es handelt sich um einen Auftritt bei einer Veranstaltung im Weißen Haus, also eher ein arrangiertes Zusammentreffen, als eine "Herzensangelegenheit").


    Zitat

    Also die einzigen Kammermusikaufnahmen mit Horowitz, die ich kenne, sind die bei der eröffnung der Carnegiehall. das "concert of the century" Dort spielt er den 2. Satz Rachmaninoff-Sonate mit Rostropowitch, sowie die Dichterliebe mit Fischer-Dieskau und dann noch Tchaikowsky-Trio mit Stern und Rostro. Der Rachmaninoff ist wirklich schön gespielt- die Dichterliebe gehört aber zu den Klassikern der unfreiwilligen Komik auf CD. Horowitz spielt sich da völlig in den Vordergrund. Ein Pianist mit Sängerbegleitung, schier unglaublich.


    ...da haben wir uns wohl überschnitten...


    Gruss


    Syrinx

  • Zitat

    Original von Syrinx
    ...da haben wir uns wohl überschnitten...


    in der Tat, also Danke für die schnelle Antwort! :D :D :D


    Zitat

    Original von Syrinx
    ...- die Dichterliebe gehört aber zu den Klassikern der unfreiwilligen Komik auf CD. Horowitz spielt sich da völlig in den Vordergrund. Ein Pianist mit Sängerbegleitung, schier unglaublich.


    ...tja, wäre ja auch zu schön gewesen... :rolleyes:


    Gruß pt_concours

    Hören, hören und nochmals hören: sich vertraut machen, lieben, schätzen.
    Keine Gefahr der Langeweile, im Gegensatz zu dem, was viele glauben, sondern vielmehr Seelenfrieden.
    Das ist mein bescheidener Rat. (S. Richter, 1978)

  • Liebe Taminos,


    ich bin ganz baff. Angeregt durch den Thread „Tamino Klassikforum - Bestandaufnahme – Zukunftsperspektiven – PR“ habe ich mir gesagt, du mußt den Laden doch einmal näher kennenlernen und da surf ich gemütlich durch die verschiedenen Threads, und sehe nun das: Horowitz, ein Blender. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, mich mehr auf Gesang, Sänger und Opern zu konzentrieren, - ein Feld, auf dem ich einerseits den größeren Aufholbedarf habe, andererseits als Laie mir einbilde, leichter meine Eindrücke beschreiben zu können - muß ich diesen Protest loswerden. Es gibt halt Protestaktionen, da muß man einfach dabei sein, auch wenn schon das Meiste zur Ehrenrettung von Horowitz gesagt wurde: Horowitz ist einer bedeutendsten Pianisten des vorigen Jahrhunderts.


    Jetzt im Nachhinein habe ich das Empfinden, daß da einer eventuell ganz geschickt eine Provokation gesetzt hat, die vielleicht ein Pro und Contra zum Spiel von Horowitz leichter auslöst. Der Themenstarter räumt ja ziemlich schnell ein, daß „in einer guten CD-Sammlung auch einige Aufnahmen mit Horowitz sein“ sollten. Diese Provokation hat dann ja auch zu ganz wunderbaren Threads im Thread geführt wie z.B: Wie ist Horowitz charakterlich einzustufen? Was dann unweigerlich zu der Frage führen müßte: Muß ein guter Musiker eine guter bzw. sympathischer Mensch sein? Prägt seine soziale Kompetenz sein Spiel? Wäre Mutter Theresa eine fantastische Klavierspielerin gewesen? Ich könnte mir vorstellen, daß solche Besessene wie die Callas, Richter oder eben Horowitz keine idealen Familienmenschen waren. Dann diese Diskussion, hatte Horowitz ein schmales Repertoire? Was ist ein schmales Repertoire? Und wenn ja, ist er deswegen ein minderer Künstler?


    Also, wenn ein Sportler nur einmal in seinem Leben 100 m in 10 Sekunden läuft, ist er dann ein Blender? Selbst wenn von Horowitz nur die von Michael genannte Aufnahme der h-moll-Sonate von Liszt (1932) existieren würde, wäre der Beweis erbracht, daß er ein glänzender Virtuose und grandioser Musiker war. Wie er bei aller Leidenschaft Struktur und Fluß mit schlankem Ton vereint, war damals sensationell und ist heute bewundernswert. Man höre die berühmten Oktavläufe gegen Ende: eine geradezu bestürzende Kraft und Geschwindigkeit bei gleichbleibender Präzision, das hat nur noch die Argerich erreicht, die aber m. E. das Motorische zu sehr betont – man muß bei Liszt auch träumen können. Das heißt nun beileibe nicht, daß Horowitz hier die ultimative Aufnahme liefert (ich persönlich ziehe Gilels und Richter vor), aber sie bleibt bis heute Zeugnis überragenden Klavierspiels. Was dieser Liszt für die Liszt-Rezeption über die Zeit hinweg bedeutet - und er hat sie überall gespielt (Petersburg, Berlin, Paris), wird einem klar, wenn man die relativ zeitnahe Aufnahme von Cortot (1929 ) hört – aber das ist ein anderes Thema.


    Wenn Guido schreibt, „Ich halte ihn für einen überschätzten Pianisten, der Noten lesen, aber nicht spielen konnte“ oder bubba, „daß Horowitz eine ziemlich verschlampte Technik hatte und es wirklich zahlreiche ihm technisch weit überlegene Pianisten gibt“, dann mögen solche Aussagen provokatorisch sinnvoll sein, aber sie sind jenseits aller Geschmacksfragen objektiv falsch. Daß der alte Horowitz mit dem Gedächtnis zu kämpfen hatte (London 1982) oder auch mit den Fingern (insbesondere Japan, Medikamente), geschenkt, da ist dann immer noch genug Überwältigendes. Sein Schumann war bis zuletzt eine Quelle der Inspiration. Man höre die Ausdruckswildheit in der f-Moll Sonate No. 3 op. 14 auf der CD „Horowitz rediscovered“. - Wenn Rubinstein meinte, er sei der bessere Musiker, so haben diese Abgrenzungsversuche unter Musikern Tradition (sehr schön auch Brendel oder Schiff, über Gould), zeigt doch aber, daß er als Techniker unumstritten war. Und der Stachel muß tief sitzen, wenn selbst Pollini noch meint, die Musik sei zwar uninteressant, das Klavierspiel singulär. In der der obengenannte Sonate (Concert sans orchestre) von Schumann arbeitet Pollini die Struktur des Stücks plastisch heraus und bleibt auch an den quasi orchestralen Stellen transparent, aber über die Intensität, Dynamik - geschweige die Klangfarben eines Horowitz verfügt er nicht. Er bleibt dem Phantastischen und Bizarren, der Poesie von Schumanns Musik einiges schuldig - kurzum er ist langweilig. Kurzum auch bei Schumann ist Horowitz immer noch maßstäblich, siehe auch die erste „Kreisleriana“, in deren Finale ich die seltsam beunruhigende Baßlinie noch nie so frei gehört habe – auch der von mir geschätzte Perahia schafft das nicht.


    Ich möchte damit sagen, daß auch der ältere Horowitz immer noch über eine grandiose Technik verfügte. Er war nicht mehr der Steppenwind, aber zauberte Klangformen bis in die feinsten Pianissimi, zeigte bisher ungehörte Nebenstimmen auf und blieb ein begnadeter Rhytmiker, zugegeben auch sehr exzentrisch. Daß er auch noch zu titanischen Ausbrüchen fähig war, zeigen beispielsweise die Steigerungen in Liszts „Vallee d'Obermann" (1966). Auch bei Liszt ist Horowitz immer noch maßstäblich. Es mögen heute einige Pianisten sauberer, die Oktaven schneller spielen, aber wo bleibt die elektrisierende, emotionale Anspannung, welche den Zuhörer niemals kalt läßt. Sicherlich kann man vom älteren Horowitz sagen, daß er tendenziell einzelnen Ereignissen eines Werkes mehr Beachtung schenkte als der formalen Geschlossenheit, aber er zeigt uns immer noch, was einst Rachmaninow veranlaßte zu sagen: „Bevor ich Horowitz gehört hatte, wußte ich gar nicht, was man auf dem Klavier alles machen kann."


    In der Tat hat Horowitz relativ wenig „große“ Werke eingespielt, das macht es mühselig all die exemplarischen Aufnahmen der Preziosen von Skrjabin, Rachmaninow, Liszt und Chopin aufzuzählen oder diese gar mit anderen Pianisten zu vergleichen. Die Thread genannten Aufnahmen Sonaten von Scarlatti bei CBS, heute Sony, sind durch spätere Aufnahmen z.B an der Met oder in London zu ergänzen, vor allem da sie eine weitere Verfeinerung der Stimmenverflechtung und der Dynamik erfahren. Zeitlos, trotz Tipo Pletnev, Schiff, Pogorelich oder Sudbin.


    Von den großen Konzerten wurde Rachmaninow 3 schon genannt, neben der Aufnahme von Reiner würde ich auch den Mitschnitt unter Koussevitzy (1950) nennen, in dem mir Horowitz noch variabler scheint. Wer meint, daß Kocsis oder Argerich (neben Janis ein weiterer Meilenstein) den Geschwindigkeitsrekord hält, muß den Mitschnitt unter Barbirolli hören (1941). Leider wurde aus der Jubiläumssaison das erste und miserabelste Konzert (8.Januar 1978 ) zur Veröffentlichung gewählt, da hört sich die Fernsehaufzeichnung unter Mehta (24.September) viel besser an.


    Auf die Live-Aufnahme des Tschaikowsky-Konzertes unter Toscanini wurde bereits hingewiesen, ich persönlich würde die geradezu hysterische Aufnahme unter Szell (1953) vorziehen, am schönsten vielleicht die Aufnahme unter seinem bevorzugten Dirigenten, Bruno Walter (1948 ), mit dem auch ein Mitschnitt des 1. Brahmskonzertes existiert (Concertgebouw 1936 ). – Weiterhin möchte ich daraufhin weisen, daß das Repertoire von Horowitz größer war, als sich in den Aufnahmen wiederspiegelt, das betrifft auch die Kammermusik. (Bei der Dichterliebe liegt die Komik eher auf Seiten Fischer-Dieskaus)


    Nun ist mein Protest etwas länger geraten, aber ich konnte an dieser wie auch immer motivierten These vom Blender, Horowitz, nicht schweigend vorbeigehen.


    arimantas


    :hello:

  • Wenn auch sehr spät, aber ich möchte noch gern was zu den "Streithähnen" TobyWilson und Klassikliebhaber sagen.
    Ich habe erst gestern entdeckt, daß meine Eltern genau die LP mit Horowitz und Giulini haben, und mir gefällts überhaupt nicht, wie er spielt!!! ich habe mal gehört, daß Horowitz nur dieses eine von Mozarts Klavierkonzerten spielte, wieso auch immer, kannte er die andren nicht?!!! :hahahaha: da fällt mir auc die Aufnahme von Rudolfs Serkin Version von KV466 ein-die find eich ebenso grausig.
    Nur MEINE Meinung!! :pfeif:

    "Ich werde allerorten an Deiner Seite seyn"

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  • Zitat

    Original von Pamina1791Ich habe erst gestern entdeckt, daß meine Eltern genau die LP mit Horowitz und Giulini haben, und mir gefällts überhaupt nicht, wie er spielt!!! ich habe mal gehört, daß Horowitz nur dieses eine von Mozarts Klavierkonzerten spielte, wieso auch immer, kannte er die andren nicht?!!! :hahahaha: da fällt mir auc die Aufnahme von Rudolfs Serkin Version von KV466 ein-die find eich ebenso grausig.
    Nur MEINE Meinung!! :pfeif:


    Hallo Pamina,


    Horowitz witzelte mit seiner Wanda, er mache keinen Mozart-Concours mit seinem Freund Serkin! Horowitz hat ja einige Sonaten u.a. von Mozart gespielt, aber nur dieses eine Konzert KV 488. Natürlich wird er die anderen auch gekannt haben. Den langsamen Satz nimmt er von allen am schnellsten. Horowitz erklärt das mit seiner Lektüre der Briefe von Mozart, er hat sich das also sehr wohl gut überlegt! Ich persönlich finde Horowitz sehr schön, ob man diesen >Horowitz-Mozart< freilich mag, ist letztlich eine Geschmacksfrage. Rubinstein z.B. spielt den langsamen Satz wunderbar traurig-getragen (und langsam!), das geht auch für meinen Geschmack letztlich tiefer, auch wenn Horowtz da klanglich wie immer becirct. Und bei aller meiner Hochschätzung für den >Klaviergott< Horowitz würde ich auch nicht bestreiten, daß er nicht über diesen quasi >angeborenen< Sinn für klassische Formarchitekturen verfügt wie ein Emil Gilels etwa.


    Beste Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    ich wußte z.B. gar nicht, daß Horowitz und Serkin befreundet waren.
    Es wäre interessant zu wissen, wie Horowitz´ Interpretation der andren Mozart-Konzerte geklungen hätte...Du hast recht, es ist alles Geschmackssache.Ich mag die mittleren Sätze auch nicht soo schnell, aber Mozart soll ja gesagt haben, sie dürften nicht zu langsam sein um das "Gesamtbild" nicht auseinander zubringen.So ungefähr.Nun ja, da kann man jetzt rätseln, wie die Tempi damals waren...soll ja alles insgesamt etwas langsamer gespielt worden sein, oder? Zu schad daß man keine Aufnahmen hat aus Mozarts Zeit.. ;(

    "Ich werde allerorten an Deiner Seite seyn"

  • Liebe Forianer,


    es ist ja bekannt, dass Horowitz in seiner Live-Aufnahme von Schumanns C-Dur Fantasie bei der berüchtigten Sprungstelle am Ende des zweiten Satzes etwas nachgebessert hat. Seit einiger Zeit kann man sich nun das ungeschnittene Original anhören. Insgesamt ist die Aufnahme meines Erachtens tonlich wesentlich besser als die bisherigen Mitschnitte des Konzerts, der Klang ist voluminöser und der Flügel nicht so weit weg.
    Während ich die Patzer bei Bach/Busoni nicht weiter erwähnenswert finde, war ich nun über die Fehler in der Fantasie doch erstaunt.
    In der lesenswerten Biographie von Plaskin wird ja gesagt, dass die Fehler gar nicht so schlimm sind. Irrtum, Horowitzu nimmt die Stelle ohnehin sehr sehr langsam, um dann erst nach und nach das Tempo anzuziehen, aber er greift gleich zu Beginn so gewaltig daneben, dass man wirklich Angst bekommt. Ich verstehe sehr gut, dass er das korrigieren wollte. Insgesamt gefällt mir vor allem der erste Satz der Fantasie sehr gut, das Stück fällt ja gerne zwischen den eruptiven und lyrischen Stellen auseinander, und obwohl Horowitz das dynamische Spektrum voll ausschöpft, geht der lyrische Faden, der alles durchwebt, doch nicht verloren.



    Viele Grüße,
    Christian

  • Zitat

    Original von Christian B.
    es ist ja bekannt, dass Horowitz in seiner Live-Aufnahme von Schumanns C-Dur Fantasie bei der berüchtigten Sprungstelle am Ende des zweiten Satzes etwas nachgebessert hat.


    Hallo Christian,


    die Stelle ist wirklich teuflisch. Auch ein anderer großer Tastentitan - Svjatoslav Richter - greift in einem Konzertmitschnitt, den ich von ihm habe, an genau dieser Stelle daneben! Horowitz ist da also in bester Gesellschaft! :D


    Beste Grüße
    Holger

  • Zitat

    Original von Dr. Holger Kaletha
    Hallo Christian,


    die Stelle ist wirklich teuflisch. Auch ein anderer großer Tastentitan - Svjatoslav Richter - greift in einem Konzertmitschnitt, den ich von ihm habe, an genau dieser Stelle daneben! Horowitz ist da also in bester Gesellschaft! :D


    Beste Grüße
    Holger


    Hallo Holger,
    aber Richter spielt in den mir bekannten Mitschnitten (zumeist Prag um 1969) auch in dem zu erwartenden, teuflischen Tempo und setzt alles auf eine Karte, und in der erst 2008 bei Supraphon erschienen Aufnahme (ebenfalls live) greift er meiner Erinnerung nach trotzdem nicht daneben.


    Die Klasse eines Pianisten bemisst sich ja auch gar nicht daran, ob er das kann oder nicht, es gibt inzwischen gewiss viele junge Pianisten, die die Stelle beherrschen und doch nie ein Horowitz oder Richter werden. Ich war eben nur überracht, dass er so krass daneben greift OBWOHL er so langsam, fast zögerlich spielt. Ich verstehe hier seinen Interpretationsansatz auch gar nicht, die Stelle muss doch explodieren! Auch in der korrigierten Einspielung ist er kaum schneller, das langsame Tempo ist also keineswegs der Technik geschuldet, sondern er wollte das auch so. Die mit dem Auftritt verbundenen Nervosität ist bekannt, aber andererseits spielt Horowitz den ersten Satz so hinreißend, dass dieses Argument hier nicht mehr greift (im Unterschied zu den ersten Takten bei Bach/Busoni).


    Herzliche Grüße,
    Christian

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  • Zitat

    Original von Christian B.


    Hallo Holger,
    aber Richter spielt in den mir bekannten Mitschnitten (zumeist Prag um 1969) auch in dem zu erwartenden, teuflischen Tempo und setzt alles auf eine Karte, und in der erst 2008 bei Supraphon erschienen Aufnahme (ebenfalls live) greift er meiner Erinnerung nach trotzdem nicht daneben.


    Die Klasse eines Pianisten bemisst sich ja auch gar nicht daran, ob er das kann oder nicht, es gibt inzwischen gewiss viele junge Pianisten, die die Stelle beherrschen und doch nie ein Horowitz oder Richter werden. Ich war eben nur überracht, dass er so krass daneben greift OBWOHL er so langsam, fast zögerlich spielt. Ich verstehe hier seinen Interpretationsansatz auch gar nicht, die Stelle muss doch explodieren! Auch in der korrigierten Einspielung ist er kaum schneller, das langsame Tempo ist also keineswegs der Technik geschuldet, sondern er wollte das auch so. Die mit dem Auftritt verbundenen Nervosität ist bekannt, aber andererseits spielt Horowitz den ersten Satz so hinreißend, dass dieses Argument hier nicht mehr greift (im Unterschied zu den ersten Takten bei Bach/Busoni).


    Hallo Christian,


    die Supraphon-Richter-Box habe ich, ich weiß im Moment auch nicht mehr, welcher Richter-Mitschnitt das war! Da müßte ich bei Gelegenheit ein bischen suchen.


    Bei Horowitz glaube ich ebenfalls, daß er unglaubliches Lampenfieber hatte. Er selbst hat ja noch gezögert, die Bühne zu betreten. Und ein bischen faul, was das Üben angeht, war er ja auch. "Ich übe im Konzertsaal!" Vielleicht spielt auch eine Rolle, daß er in der Vergangenheit erfahren mußte, daß ihn das Publikum wie einen Zirkusartisten betrachtete: Seht, der kann noch spektakulärer als spektulär spielen! Darunter hat er wohl doch ziemlich gelitten - das hat sich vielleicht im Unterbewußtsein festgesetzt. Ich finde diese Fehler immer sympathisch - besser so, als ein routinierter und langweiliger Perfektionismus. Was hat sich Emil Gilels alles für Aussetzer geleistet, worüber es jede Menge Anekdoten gibt.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat von Dr. Holger Kaletha

    Hallo Christian,


    die Supraphon-Richter-Box habe ich, ich weiß im Moment auch nicht mehr, welcher Richter-Mitschnitt das war! Da müßte ich bei Gelegenheit ein bischen suchen.


    Hallo Christian, hallo Holger,


    bei dem Prager Mitschnitt der Fantasie, den ich habe, ist als Aufnahmedatum der 2. November 1959 angegeben.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)


  • Horowitz war zunächst in den 30iger Jahren bei EMI unter Vertrag - die Nazis zwangen EMI schließlich dazu, diesen wegen des "Juden" Horowitz zu lösen. Unter dem neuen Label Warner sind nun diese historischen Aufnahmen wieder zugänglich.


    Gerade hier kann man sehr gut die überragende Bedeutung Horowitz´ für die Entwicklung des Klavierspiels des 20. Jahrhunderts nachvollziehen. Horowitz ist eben nicht einfach einer der Vertreter der romantischen Virtuosentradition wie etwa Friedman, Hofmann oder Godowsky, wie es leider immer wieder fälschlich zu lesen ist. Verblüffend neu für die Epoche damals ist die fast schon absolut zu nennende rhythmische Präzision, die Schnörkellosigkeit und Gradlinigkeit im Verzicht auf jede Art von Subjektivismen und Romantizismen - wie "swingend" er gleich zu Beginn den Bach spielt, wie klar, schlicht und ohne Allüren er nicht nur Scarlatti, sondern auch die Chopin-Etüden vorträgt, ohne in Cziffra-Mainier virtuos zu überdrehen! Virtuose Perfektion ist das eine - äußerste lyrische Sensibilität das andere. Horowitz hat die besten Seiten der alten romantischen Virtuosentradition in die Moderne herübergerettet und mit seiner Anschlagsperfektion zugleich neue Maßstäbe gesetzt. Nicht zufällig spielt er aus Debussys abstraktestem Klavierwerk, den Etüden sowie Francis Poulenc. Da wird bruchlos der Übergang von der alten in die neue Zeit vollzogen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Nach der großen Carnegie Hall-Box folgen weitere neue Live-Aufnahmen von Horowitz - und das aus seinen besten Jahren!
    Es ist wohl sogar Schumanns Carnaval dabei!!!



    Viele Grüße,
    Christian

  • Kurzer Nachtrag - es ist tatsächlich zweimal der Carnaval enthalten! Bislang gibt es davon nur einen Japan-Mitschnit auf Youtube (mit sehr vielen Fehlern).



    Disc 46-47: April 24, 1983, Boston, Symphony Hall (songs first released) ● Beethoven: Piano Sonata No. 28 in A major No. Op.101 ● Schumann: Carnival Op.9 ● Chopin: Polonaise-Fantaisie A-flat major Op.61 ● Chopin: Etudes No. 8 in F major Op.10-8 ● Chopin: Etudes No. 22 Banro minor op.25-10 "octave" ● Chopin: Etudes 19 Op.25-7 ● Chopin: Polonaise No. 6 A-flat major op.53 "hero" (encore was not played)



    Disc 48-49: May 15, 1983, New York, Metropolitan Opera (songs first released ) ● Beethoven: Piano Sonata No. 28 in A major No. Op.101 ● Schumann: Carnival Op.9 ● Chopin: Polonaise-Fantaisie A-flat major Op.61 ● Chopin: Etudes No. 8 in F major Op.10-8 ● Chopin: Trainee song 22 Banro minor op.25-10 "octave" ● Chopin: Etudes No. 19 Op.25-7 ● Chopin: Polonaise No. 6 A-flat major op.53 "hero" (encore is played I did not)



    Disc 50: September 24, 1978, New York, Avery Fisher Hall (first sale) ● Rachmaninoff: Piano Concerto No. 3 in D minor, op.30 Vladimir Horowitz (piano) New York Philharmonic (Disc50) Zubin Mehta (conductor: Disc50)

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  • Kurzer Nachtrag - es ist tatsächlich zweimal der Carnaval enthalten! Bislang gibt es davon nur einen Japan-Mitschnit auf Youtube (mit sehr vielen Fehlern).


    Das ist der eindeutig schlechteste Horowitz-Mitschnitt, den ich kenne, lieber Christian! :D Er spielt das, als hätte er die Noten zuvor im Flugzeug gelernt (Walter Gieseking, so die Legende, sagte man nach, dass er so ganze Kalvierkonzerte in den Kopf bekam und nachher auch ohne Üben spielte!) und wie er mal selbstironisch sagte dann im Konzert geübt! Da sind unglaubliche technische Fehler drin, wo man merkt, wie schwer dieser Schumann ist, dass auch ein Horowitz ohne gründliche Vorbereitung hier einfach versagt. Da hat er sich wohl selber reichlich überschätzt! Ganz schön teuer die Box in der Vorankündigung - 160 Euro! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger


  • Das ist der eindeutig schlechteste Horowitz-Mitschnitt, den ich kenne, lieber Christian! :D Er spielt das, als hätte er die Noten zuvor im Flugzeug gelernt (Walter Gieseking, so die Legende, sagte man nach, dass er so ganze Kalvierkonzerte in den Kopf bekam und nachher auch ohne Üben spielte!) und wie er mal selbstironisch sagte dann im Konzert geübt! Da sind unglaubliche technische Fehler drin, wo man merkt, wie schwer dieser Schumann ist, dass auch ein Horowitz ohne gründliche Vorbereitung hier einfach versagt. Da hat er sich wohl selber reichlich überschätzt! Ganz schön teuer die Box in der Vorankündigung - 160 Euro! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger


    Keine Frage, das Japan-Konzert mit Schumanns Caranval ist eine Katastrophe! Das war ein rabenschwarzer Tag (Medikamente?), auch bei ihm vertrauteren Werken von Chopin - den Carnaval hat er offenbar nur in diesem Jahr aufgeführt - greift er fürchterlich daneben. Aber es gibt dennoch beim Carnaval einige unvergleichliche, genialische Momente! Und ich kann mir nicht vorstellen, dass er in Boston und New York abermals so patzt. Jedenfalls bin ich sehr gespannt, zumal es das Japan-Konzert nur in sehr schlechter Klangqualität ledidglich auf YouTube gibt.


    Viele Grüße,


    Christian

  • Schumanns Karneval hat Horowitz nicht „offiziell” veröffentlicht – erst durch die aktuellen Ausgabe seiner bislang unveröffentlichten Konzerte ist die Aufnahme nun auf CD zugänglich. In einem Fernsehinterview machte Horowitz mal humorig die Bemerkung: „Ich übe im Konzertsaal“. Etwas mehr Fingerübungen hätten Horowitz bei Schumanns so schwieriger Komposition zweifellos gut getan – es gibt keine mir bekannte andere Horowitz-Aufnahme, wo der große Virtuose so erstaunlich viele manuelle Schwächen zeigt und Fehler macht. Hat der Meister Schumanns Karneval etwa pianistisch etwas „auf die leichte Schulter“ genommen? Auch interpretatorisch überzeugt mich Horowitz mit dem Carnaval letztlich nicht. Für die Kreisleriana oder die Fantasie op. 17 ist er der ideale Interpret – die gewisse hysterische Verrücktheit, die Dauerhochspannung, die Über-Sensibilität und ins Fantastische gehende Imagination, all das passt dort kongenial. Beim Carnaval op. 9 kommt jedoch Schumanns andere Seite zum Vorschein: die des romantischen Intellektuellen und Ironikers. Man kann dies nicht zuletzt an Schumanns Verhältnis zur Virtuosität erkennen: Bei „Paganini“, Inbegriff romantischem Virtuosentums, „dampft“ am Schluss der Flügel – die „schmutzigen“ Obertöne bleiben stehen. Tastendonner wird so ironisch aufgespießt als was er ist: im Grunde sinnleerer virtuoser Pulverdampf. Und dann ist da diese merkwürdige Überleitung zum Marsch der Davidsbündler gegen die Philister: Füllnoten, in schwindelerregendem Tempo über die Tasten gejagt. Was notiert Schumann hochironisch darüber? „Pause“ – d.h. ein virtuoses Ereignis, was ein musikalisches Nichts ist, purer Leerlauf. Horowitz jedoch zelebriert das Virtuosentum bei Schumann unironisch naiv gleichsam, wobei man ihm zugute halten muss, dass er nicht wie viele den abschließenden Marsch im Virtuosenrausch untergehen lässt sondern wie vorgeschrieben „Non Allegro“ spielt. Mein Haupteinwand ist jedoch, dass Horowitz Schumanns Karneval in eine Art Karneval-Kreisleriana verwandelt. Da wird fast improvisiert statt streng charakterisiert. Doch Charakteristik ist hier gefragt, denn die Karnevalsmasken sind scharf umrissene Typiken, bei denen es auf das Versteckspiel des Unerkennbarwerdens in der Erkennbarkeit ankommt. Horowitz´ Sensibilität und Sensualismus macht die Musik zweifellos „interessant“, aber genau damit verlieren die Gestalten ihre Scharfkantigkeit der Typisierung. Sie sind bei Horowitz sozusagen aus fließendem Wachs und „bewegen“ sich bei jedem Schritt. Damit sind es aber keine Masken mehr. Deutlich wird das etwa bei Chopin. Es ist zweifellos Schumann, der sich die Maske von Chopin aufsetzt, der sich gekonnt hinter Chopin verbirgt, in dessen Rolle er schlüpft wie ein Schauspieler. Horowitz dagegen lässt Schumann nicht schauspielern, er transformiert konturenfesten Chopin wie beim Farbenwechsel eines Chameläons in eine flattrige Kreisleriana: Chopin wird ganz einfach Schumann, ist von ihm nicht mehr zu unterscheiden. Das klingt zwar durchaus faszinierend, widerspricht aber letztlich dem Sinn romantischer Ironie. Nein – der „intellektualistische“ Schumann ist einfach nicht Horowitz´ Welt.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    besten Dank für Deine schöne Besprechung! Ich bin mir nur nicht so sicher, ob ausgerechnet bei Schumanns CARNAVAL die romantische Ironie der Schlüssel zum Werk ist. Man kann das natürlich so spielen - Michelangeli hat das ja gemacht. Finde diesen Ansatz auch hochinteressant, aber ist dieser distanzierte Blick von oben auf das Treiben hinab wirklich der einzige Zugang?


    Horowitz' NY-Aufnahme - die übrigens weniger Fehler hat als der Katastrophenmitschnitt aus Japan - lotet die verrückten und überbordenden Ideen dieses einzigartigen Stimmungs-Kaleidoskops (Masken) in all ihren Extremen aus, und dabei hält er gewiss weniger Distanz als andere. Aber gerade das gefällt mir hier. Ich finde aber auch Paganini mit seinen schwierigen gegenläufigen Bewegungen absolut mitreißend und nicht sinnentleert. Und allein wie er in Chiarina allen kleinsten Regungen nachspürt - einzigartig!


    Viele Grüße,


    Christian

  • besten Dank für Deine schöne Besprechung! Ich bin mir nur nicht so sicher, ob ausgerechnet bei Schumanns CARNAVAL die romantische Ironie der Schlüssel zum Werk ist. Man kann das natürlich so spielen - Michelangeli hat das ja gemacht. Finde diesen Ansatz auch hochinteressant, aber ist dieser distanzierte Blick von oben auf das Treiben hinab wirklich der einzige Zugang?


    Horowitz' NY-Aufnahme - die übrigens weniger Fehler hat als der Katastrophenmitschnitt aus Japan - lotet die verrückten und überbordenden Ideen dieses einzigartigen Stimmungs-Kaleidoskops (Masken) in all ihren Extremen aus, und dabei hält er gewiss weniger Distanz als andere. Aber gerade das gefällt mir hier. Ich finde aber auch Paganini mit seinen schwierigen gegenläufigen Bewegungen absolut mitreißend und nicht sinnentleert. Und allein wie er in Chiarina allen kleinsten Regungen nachspürt - einzigartig!


    Lieber Christian,


    das ist natürlich eine hochinteressante Frage. Wenn Du in E.T.A. Hoffmanns Kreisleriana schaust (aus: Fantasiestücke in Callots Manier), dann wird gleich zu Beginn Kreisler charakterisiert durch sein "überreizbares Gemüt", dem die "Ruhe und Heiterkeit" fehlt, die er vergeblich sucht. Das passt vollkommen auf Horowitz und seinen Vortrag des Carnavals - genau das finde ich aber unpassend. Es gibt diese Seite bei Schumann, aber eben auch die andere des romantischen Charakterstücks, dem diese sentimentalische Überspanntheit fremd ist. Diese Stücke haben sehr wohl "Ruhe und Heiterkeit": dazu gehören das "Album für die Jugend", die "Waldszenen", auch die "Kinderszenen". Gerade bei letzteren zeigt sich, dass Horowitz auch anders kann. Er kann durchaus Charaktere zeichnen ohne diese Überreiztheit. In diese Linie gehört für mich der Carnaval - das sind kurze, sehr prägnant-bildhafte Stücke mit einem sehr konstruktiven, fast schon elementarisierten musikalischen Vokabular. Die Konstruktivität opfert Horowitz seiner "romantischen" und nicht "charakterisierenden" Spielweise. Er macht daraus eine kreislerianische auschweifende Phantastik, die zur musikalischen Textur hier für meinen Geschmack einfach nicht paßt. Er fasziniert natürlich mit seiner unvergleichlichen Fähigkeit, seelische Komplexität darzustellen. Aber dies geht für meinen Geschmack auf Kosten der Klarheit der Zeichnung der musikalischen Bilder - zu wenig Linie und zuviel Farbe gewissermaßen. Meist wird der Carnaval als brilliantes Virtuosenstück vorgeführt, selbst bei Cortot. Das Charakterisierende betonen dann Arrau, Michelangeli (einzigartig finde ich, wobei seine frühe Aufnahme von 1957 noch das virtuose Begeisterungselement auslebt, wo das Stück dann Anfang der 70iger eine Purifizierung erfährt in dieser Hinsicht), auch Aimard liegt auf dieser Linie. Auch er spielt wie Horowitz die Sphinx aus (wie zuvor schon Rachmaninow) - die verschlüsselten Noten bei Schumann sollen jedoch ungespielt bleiben.


    Zu Paganini finde ich wiederum E.T.A. Hoffmann erhellend. In Kreisleriana gibt es diese Gegenfigur zu Kreisler, den Dekorateur mit seiner Maxime "Krieg dem Dichter und Musiker". Er kritisiert sie dafür, dass sie "den Zuschauer mit Trugbildern zu umfangen und ihn aus der wirklichen Welt zu treiben" suchen. Sie "betäuben" das Gemüt. Dagegen wendet er sich, indem er das "Mechanische" der Komposition aus seiner Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit überführt. Dies geschieht z.B. durch einen Donner, der die Zuschauer aus ihren Träumen reißt. Schumann macht das am Ende von "Paganini" durch das Hörbarmachen der Klaviermechanik bei den schon sehr mechanisch im Fortissimo in die Tasten gehauenen grandiosen Schlußakkorden, wo die Obertöne "dampfen". Das ist eine Entzauberung der romantischen Illusion, die sagt: Diese romantische Virtuosität spielt Theater und Poesie kippt in der virtuosen Übertreibung in Prosa. Deswegen finde ich den "puristischen" Interpretationsansatz auch so konsequent - man kann die Virtuosität ja nur zugleich bezaubern und entzaubern lassen, wenn man sich von ihr ironisch distanziert als eine Maske, die man aufsetzt aber auch wieder absetzt.


    Ich habe die Aufnahme übrigens meinem Lehrer geschickt - er spielte den Carnaval einst im inzwischen abgerissenen Düsseldorfer Schumann-Saal und ich habe die Seiten damals umgeblättert. Ich bin sehr gespannt, was er dazu sagt... :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

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  • Lieber Holger,


    Schumanns Carnaval ist gewiss einzuordnen bei seinen Charakaterstücken, da bin ich komplett bei Dir. Aber ich würde ihn nicht bei den ausgeglichenen, ruhigeren Zyklen sehen, sondern zusammen mit den Davidsbündlertänzen stellt er wieder etwas völlig Eigenständiges und dar, und ein zentraler Teil dieser Werke ist für mich durchaus Exzentrik, Überschwang und auch Irrsinn. Das ist ja das Tolle an diesen beiden Zyklen, dass sie so ein großes Spektrum abbilden! Die Aufnahme von Arrau ist für mich eine der besten, Aimard finde ich eher langweilig, er hat dann eben doch nicht die gestalterischen Möglichkeiten eines Michelangeli.


    Hinzukommt, dass Romantische Ironie meines Erachtens immer ein faszinierendes Konzept war, aber eben ein sehr theoretisches Konzept - die daraus entstandenen Werke blieben dahinter zurück. ETA Hoffmanns faszinierende Erzählungen nehme ich da aus! Und die Werke, die bei ihm ihre eigene Entstehung reflektieren, sind dann auch die schwächeren.


    Viele Grüße,


    Christian

  • Aber ich würde ihn nicht bei den ausgeglichenen, ruhigeren Zyklen sehen, sondern zusammen mit den Davidsbündlertänzen stellt er wieder etwas völlig Eigenständiges und dar, und ein zentraler Teil dieser Werke ist für mich durchaus Exzentrik, Überschwang und auch Irrsinn.


    Lieber Christian,


    Irrsinn beim Carnaval? :D Im Vergleich finde ich die Davidsbündlertänze viel "subjektiver" - da gibt es Töne von Schmerz, von Verzweiflung sogar. Dagegen malt der Carnaval Bilder - die Ex-Geliebte taucht auf als eine Figur unter anderen. Der Carnaval spiegelt das Leben - die Davidsbündlertänze leben es. Horowitz hat sie ja auch gespielt. Gibt es davon eine Aufnahme?


    Herzlich grüßend
    Holger

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    Diese Box mit 70 CDs aller offiziellen Horowitz Aufnahmen ist beim Werbepartner nicht mehr erhältlich. Allerdings gebraucht oder neu auf Marketplace. Ich erwähne sie aus einem anderen Grund.


    Geht man auf die Kundenrezensenten-Seite der Box Vladimir Horowitz - Complete Original Jacket Collection erläutert der Kunde Joachim Wagner, wie man zu einer, durch ihn erstellten A-Z Liste aller durch den Pianisten eingespielten Werke gelangt.


    Lieber Holger Kaletha


    Wenn ich mir diese Liste ansehe, hat Meister Horowitz die Davidsbündlertänze nicht eingespielt.


    lg moderato



    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Nein, die Davidsbündler hat Horowitz leider nicht aufgenommen, ich wusste gar nicht, dass er sie gespielt hat!? Wo hast du das her? Horowitz ist gewiss einer der ganz großen Schumann Interpreten, auch wenn er nur wenige Werke eingespielt hat (Kreisleriana, Kinderszenen, Fantasiestücke op. 111, Sonate #3, Humorske, Auswahl aus den Nachtstücken, Wieck-Variationen und diverse kleine Stücke).


    Holger: bspw. bei Arlequin, Florestan, Coquette, Pantalon usw. schimmert für mich - vor allem bei Horowitz - schon ein gewisser Irrsinn durch ;-) Dass CARNAVAL das Leben 'nur' spiegele, leitet sich vor allem aus Deiner Einschätzung ab, dass hier gewissermaßen der romantische Intellektuelle am Werk sei. Für mich ist der Carnaval hingegen eins von Schumanns disparatesten und auch leidenschaftlichsten Werken - die Leidenschaft verbirgt sich nur hinter Masken und tritt nicht offen ans Licht.


    Viele Grüße,
    Christian

  • Zit. Dr. Holger Kaletha: "Horowitz hat sie ja auch gespielt."
    Frage Christian B.: "Wo hast du das her?"


    Das wüsste ich auch mal gerne. War erstaunt, das zu lesen. Horowitz hatte - nach meiner Kenntnis - Schumanns "Davidsbündlertänze" nicht in seinem Repertoire. Wo und wann soll er sie denn in einem Konzert zu Gehör gebracht haben? Eine Aufnahme, im Sinne eines Mitschnitts davon, gibt es jedenfalls meines Wissens nicht.
    Woher hat denn also derjenige, der dergleichen behauptet, seine diesbezügliche Kenntnis?


    Nebenbei:
    Das Urteil von Christian B. "Für mich ist der Carnaval hingegen eins von Schumanns disparatesten und auch leidenschaftlichsten Werken - die Leidenschaft verbirgt sich nur hinter Masken und tritt nicht offen ans Licht." finde ich, hinsichtlich des Wesens, der kompositorischen Faktur und des klanglichen Charakters dieses Schumann-Werkes, höchst treffend und teile es voll und ganz.

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