Edgar Allan Poe zum 200. Geburtstag

  • Hallo!


    Vor genau 200 Jahren wurde Edgar Allan Poe am 19.1.1809 in Boston geboren.
    Aus diesem Grunde startet nun die große Tamino-Poe-Leserunde mit unglaublichen 2 bis 3 Teilnehmern! (jeder weitere ist gerne willkommen)


    Ich werde morgen mit der Lektüre von "Ligeia" starten. Diese Novelle zählte Poe selbst zu seinen besten Werken. Der Inhalt, Liebe zu und Verlust einer besonderen Frau kommt bei Poe ja öfters vor. Das Ende ist aber von ganz besonderer Art (ich möchte solchen Lesern, die anders als ich keine Inhaltsangabe der Lektüre vorab lesen, nichts vorwegnehmen).
    Du liest mit, Fairy Queen? :hello:
    Ich werde mich spätestens nach dem Ende der Lektüre ausführlicher zu "Ligeia" (übrigens der Name einer der klassischen Sirenen) äußern.


    Ansonsten kann hier gerne jeder jederzeit etwas zu jedem Poe-Werk schreiben. Oder auch Biographisches.
    Ein gemeinsames Lesen wäre schön, aber ein nach und nach asynchron zusammengekommener Austausch ist sicher auch interessant.


    Es sei mir ausnahmsweise erlaubt, auf den guten deutschen und noch besseren englischen Wikipedia-Artiekl zum Schöpfer der Kurzgeschichte und Detektivgeschichte zu verlinken:


    Edgar Allan Poe


    Edgar Allan Poe


    Nun wünsche ich allen die mitmachen viel Spaß beim Lesen von Poes Lyrik, Schauergeschichten, Kriminalerzählungen und Novellen!


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Lieber Pius, na klar!
    Ich schnappe mir gleich sofort die Ligeia, muss dann aber leider mein heuteabendlich geplantes Musikprogramm ändern, da Reynaldo Hahn nun mal gerade gar nciht dazu passt.
    Was passt denn da?????? Schubert: Der Tod und das Mädchen?


    Am besten wohl die Baudeliare-Lieder von Debussy, denn Baudelaire war ein ganz grosser Poe-Verehrer.
    Die Morbidität und Dekadenz des Schönen hat er teilweise von Poe übernommen bzw einen Seelenverwandten gefunden.
    Ein guter Anlass, Poe nach jahrelanger Abstinenz wiederzulesen.
    Ich habe den Inhalt von Ligeia gottseidank fast vergessen und freu mich hauf die Wiederentdeckung


    Gute Lektüre wünscht Fairy :hello:

  • Zitat

    Original von Pius
    Du liest mit, Fairy Queen? :hello:


    Lieber Pius,


    ich bin auch dabei. In Peters Lieblingspassagen habe ich angefangen, den Text von Ligeia einzustellen, den ich auf Englisch übrigens leichter verständlich fand als in der der Übersetzung von Arno Schmidt, die ich auch bei mir stehen habe. Seine Manierismen haben mich zur Verzweiflung gebracht, aber darüber mehr dann im Thread.



    Liebe Grüße Peter

  • Ich habs gestern abend als Bettlektüre gelesen (mit Dowlands Lachrymae kombiniert, das passte hervorragend zur armen Lady Rowena!)- immer wieder faszinierend!
    Ich war etwas erstaunt,(und hatte das wirklich total vergessen!) dass es hier um eine Dame vom Rhein geht. Hat das irgendwelche Anklänge an die Loreley oder deren Schwestern ?
    Mal ganz abgesehen von der komplementären Haarfarbe......


    Das von Lady Ligeia verfasste Gedciht finde ich sehr schwierig zu lesen.
    Sich mit dem eigenen Willen gegen den Tod aufzulehnen und den Tod nur als eine Willensschwäche zu betrachten- das hätte Nietzsche wohl gefallen müssen.


    Dass sich der ich-Erzähler hier nicht nur der Schönheit sondern auch der überragenden Bildung und Intelligenz seiner Frau unterstellt, fand ich nciht nur beachtlich sondern auch sympathisch.
    Erste Reflexionen en passant.
    F.Q.

  • Allen der französischen Sprache Kundigen empfehle ich, Poe in der Übersetzung von Baudelaire zu lesen. Das ist eine entscheidende stilistische Verbesserung des mitunter gar nicht so toll geschriebenen Originals.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Allen der französischen Sprache Kundigen empfehle ich, Poe in der Übersetzung von Baudelaire zu lesen. Das ist eine entscheidende stilistische Verbesserung des mitunter gar nicht so toll geschriebenen Originals.
    :hello:


    Lieber Edwin,


    vielen Dank für den Hinweis. Bei Gallica habe ich sogar im Internet den Text gefunden und mir ausgedruckt. Nun also


    Je ne puis par me rappeler, sur mon âme, comment, quand, ni même où je fis pour la première fois connaissance avec lady Ligeia.


    :faint: :faint: :faint:


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    ... den ich auf Englisch übrigens leichter verständlich fand als in der der Übersetzung von Arno Schmidt, die ich auch bei mir stehen habe. Seine Manierismen haben mich zur Verzweiflung gebracht, aber darüber mehr dann im Thread.


    Die Geister scheiden sich über die Schmidt-Übersetzung ... man bedenke, daß er nicht der alleinige Übersetzer dieser Ausgabe war. Ich schätze sie und finde sie bringt die Atmosphäre des Originals besser rüber als andere Übersetzungen.


    Vor ein paar Jahren machte ich mal eine Lesung hier zuhause für unsere Freunde: Poes "Gold Bug" mit Klaviermusik von Gottschalk auf einem Chickering-Flügel, von der CD mit Lambert Orkis. Habe meinen Poe leider noch nicht hier im neuen Haus ...

  • Zitat

    Original von miguel54
    Die Geister scheiden sich über die Schmidt-Übersetzung ... man bedenke, daß er nicht der alleinige Übersetzer dieser Ausgabe war. Ich schätze sie und finde sie bringt die Atmosphäre des Originals besser rüber als andere Übersetzungen.


    Es ist nicht so, lieber miguel54, dass ich Schmidt (und Wollschläger) nicht schätze, im Gegenteil. Aber gerade hier bei dieser Erzählung war ich enttäuscht. Es fängt an mit der schlimmen Verballhornung des Eingangsizitats in etwas, das dem Barocken nachgebildet ist, die Sprachform von Glanville ist zwar ein wenig altertümlich (etwa lieth für lies), das rechtfertigt aber nicht, "lieth" mit "leit" zu übersetzen. Schmidt mag da seine Etyms im Kopf gehabt haben (die leider manchmal nicht mehr als Kalauer hervorbringen), aber hier ist ein frühneuhochdeutsches "leit" in einer eher dem 17. Jahrhundert angenähertem Stil einfach stilistisch daneben.


    Nehmen wir die beiden ersten Sätze, bei Poe steht:


    I cannot, for my soul, remember how, when, or even precisely where, I first became acquainted with the lady Ligeia. Long years have since elapsed, and my memory is feeble through much suffering.


    Schmidt (er ist der Übersetzer dieser Erzählung) schreibt nun:


    Ich kann nicht, und ging's um mein Seelenheil, mich entsinnen, wie oder auch nur präzise wann ich zuerst bekannt wurde mit der Lady Ligeia. Lange Jahre sind seither verflossen, und mein Gedächtnis ist matt ob der vielen Erleidnisse.


    Wenn man nun Baudelaire in seiner schönen klaren Übersetzung daneben hält, ich liefere noch den zweiten Satz nach, wird einem deutlich, wo es bei Schmidt hier hakte:


    De longues années se sont écoulées depuis lors, et une grande souffrance a affaibli ma mémoire.


    Fangen wir bei der Wortwahl an, "ob" ist ungewöhnlich und nicht gerechtfertigt durch den Text Poes, "Erleidnisse" ist ein Neologismus, bei Poe gibt es dort ein durchaus übliches Wort, das man normalerweise mit "Dulden, Leiden" übersetzt. Erleidnis ist eine manierirte Form, die vom Text eher ablenkt, noch manirierter mit der Präposition "ob".


    "Where" übersetzt Schmidt mit "wann" - warum? Warum hebt er die Nebensatzstellung bei "bekannt wurde" auf und bringt durch die syntaktische Umstellung einen so ungeschickten Erzählrhythmus in den Satz?


    Ich bleibe mal bei der Wortwahl Schmidts, wie wäre:


    Ich kann mich nicht, und ging's um mein Seelenheil, entsinnen, wie oder auch nur präzise wo ich zuerst mit [der] Lady Ligeia bekannt wurde. Lange Jahre sind seither verflossen, und mein Gedächtnis ist ob der vielen Erleidnisse matt.




    Zitat

    Vor ein paar Jahren machte ich mal eine Lesung hier zuhause für unsere Freunde: Poes "Gold Bug" mit Klaviermusik von Gottschalk auf einem Chickering-Flügel, von der CD mit Lambert Orkis. Habe meinen Poe leider noch nicht hier im neuen Haus ...


    Gold Bug ist eine fantastische Geschichte, ich hatte das Glück, dass ich damit als Jugendlicher das erste Mal in Berührung kam - ich las es als die Abenteuer-/Detektivgeschichte mit der ganzen naiven Begeisterung, die ich damals hatte.


    Liebe Grüße Peter

  • Lieber Peter,
    es ist auch der Tonfall, der bei Schmidt nicht stimmt. Nehmen wir Poes Original: Es enthält keine besonders preziösen Wörter, es suggeriert in Alltagssprache eine gewisse Atemlosigkeit, die ja durchaus paßt - aber die Wortstellung enthält nichts Unnatürliches.


    Schmidt hingegen macht die Atemlosigkeit nicht spürbar, weil er den Leser nicht wegen der Periodik ins Stocken bringt, sondern wegen der Wortwahl und der Wortstellung:
    Ich kann nicht, und ging's um mein Seelenheil, mich entsinnen, wie oder auch nur präzise wann ich zuerst bekannt wurde mit der Lady Ligeia. Lange Jahre sind seither verflossen, und mein Gedächtnis ist matt ob der vielen Erleidnisse.
    Alle gefetteten Wörter sind gesucht als Wort oder in ihrer Stellung. Poes sehr natürlicher Satz wird dadurch unnatürlich, die Sprache wirkt gespreizt.


    Nichts davon bei Beaudelaire: Er läßt, wie Poe, die Atemlosigkeit spüren, vermeidet aber Gespreiztheiten. Damit rettet er den Tonfall Poes in die französische Sprache, während Schmidt Poes Original einen Tonfall aufzwingt, den dieses nicht hat.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    ..... während Schmidt Poes Original einen Tonfall aufzwingt, den dieses nicht hat.


    Ich kann gut nachvollziehen, was ihr beide meint - aber da ich den Tonfall des Deutschen und des Englischen als sehr unterschiedlich empfinde, erst recht im 19. Jahrhundert, finde ich den fremden, weil deutschen Tonfall, den Schmidt benutzt, als eine ähnliche Atmosphäre evozierend.
    Welche deutsche Übersetzung würdet ihr denn nehmen? Eine bessere kenne ich nicht, hatte mehrere im Lauf der Jahre. Da nehme ich gerne einige von Schmidts Manierismen in Kauf. (Bei Wollschläger und Schuhmann ist es ja nicht so ausgeprägt.)

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  • Zitat

    Original von miguel54
    Ich kann gut nachvollziehen, was ihr beide meint - aber da ich den Tonfall des Deutschen und des Englischen als sehr unterschiedlich empfinde, erst recht im 19. Jahrhundert, finde ich den fremden, weil deutschen Tonfall, den Schmidt benutzt, als eine ähnliche Atmosphäre evozierend.


    Lieber miguel,


    das eben bezweifele ich. Schmidts Tonfall zielt deutlich auf das 18. Jahrhundert und früher, wie er auch Ligeias Gedicht in ein falsches Barock überträgt. Seine Verse sind dazu so hölzern, wie es von einem Prosaautor nur erwartet werden kann. Nun ist das Gedicht in Form und Inhalt kein 17. Jahrhundert:



    Lo! 'tis a gala night
    Within the lonesome latter years!
    An angel throng, bewinged, bedight
    In veils, and drowned in tears,
    Sit in a theatre, to see
    A play of hopes and fears,
    While the orchestra breathes fitfully
    The music of the spheres.


    bei Schmidt:



    Ho! Eine Gala=Nacht;
    im öden Spätjahr welch Pläsier! -
    Ein Engelhauf in Schleiertracht,
    beschwingt, mit Thränenzier,
    sitzt im Theater, anzuschaun
    ein Stück von Furcht & Gier
    und ein Blasorchester probt stoßweis', traun,
    Sphärenmusikmanier.


    Das Barock ist eines von Arno Holz geliehenes, der das aber besser konnte, durch den Reimzwang wird Inhalt und Stimmung eben nicht wiedergegeben, dass "a play of hopes and fear" kein Stück "von Furcht und Gier" ist, merke ich en passant an. Mein Missbehagen fängt mit der Verwandlung des eher pastoralen "lo" in ein derbes "ho" an., wo es keinen Reim- oder Rhythmuszwang als Ausrede gibt.

    Zitat

    Welche deutsche Übersetzung würdet ihr denn nehmen? Eine bessere kenne ich nicht, hatte mehrere im Lauf der Jahre. Da nehme ich gerne einige von Schmidts Manierismen in Kauf. (Bei Wollschläger und Schuhmann ist es ja nicht so ausgeprägt.)


    Ich werde mich mal umgucken, unterstütze aber Edwins Vorschlag der französischen Übersetzung nachhaltig, nun die beeindruckende Übersetzung der 1. Strophe bei Baudelaire:


    Voyez! c'est nuit de gala
    Despuis ces dernières années désolées!
    Une multitude d'anges, ailés, ornés
    De voiles, et noyés dans les larmes,
    Est assise dans un théâtre, pour voir
    Un drame d'espérances et de craintes,
    Pendant que l'orchestre soupire par intervalles
    La musique des sphères.


    Liebe Grüße Peter

  • Ich finde Baudelaire im Grunde noch besser als Poe- er hat ihn so serh geliebt dass er ihn nicht nur vollkommen internalisierte sondern auch empathisch überflügelte .
    Und Arno Schmidt fidne ich ebenfalls in der Sprachebene und Wortwahl indiskutabel und dazu noch leserabschreckend.
    Da wollte jemand seine eigene Sprachvirtuosität unter Beweis stellen- ohne Rücksicht auf die zu übersetzende Vorlage, scheint mir.
    Ich habe eine serh schlichte aber ordentliche Übersetzung von Hedwig Lachmann.


    Weiss vielleciht jemand irgendetwas zu der Herkunft des Ligeia-Namesn und der evtl Verbindung zu Rhein-Sagenwesen?
    F.Q.

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Weiss vielleciht jemand irgendetwas zu der Herkunft des Ligeia-Namesn und der evtl Verbindung zu Rhein-Sagenwesen?
    F.Q.


    Ligeia ist in der griechischen Mythologie eine der Sirenen. Sie ist allwissend, betört durch ihren Gesang und muss sterben, wenn ein Sterblicher ihr widersteht.


    Dazu der Hedrich:


    Sie waren anfangs Jungfrauen, und Gespielinnen der Proserpina. Weil sie aber dieser nicht zu Hülfe gekommen waren, als sie Pluto entführete, ungeachtet sie damals mit ihr spazieren gegangen, so verwandelte sie Ceres in Misgestal ten mit Flügeln, wie Vögel. Hygin. Fab. 141. Jedoch wollen auch einige, sie hätten sich selbst Flügel gewünschet, damit sie die entführte Proserpina überall desto geschwinder suchen könnten, welches ihnen denn von den Göttern gewähret worden. Ovid. Met. V. 557. Als sie sich aber von der Juno verleiten liessen, es mit den Musen auf einen Wettkampf im Singen zu wagen, so verspieleten sie, und verloren dabey ihre Flügel wieder, welche ihnen die Musen ausrupfeten, und sich Kränze von deren Federn machten. Paus. Boeot. c. 34. p. 594. Steph. Byz. in Aptera. Man sieht noch auf einem alten Denkmaale eine Muse in dieser Beschäfftigung bey einer Sirene, welche in jeder Hand eine Flöte hat und mit Schreyen davon zu fliehen scheint. Sie hat als etwas besonderes einen Mantel über ihre Schultern hinab hängen. Wnkelm. Mon. ant. 46. p. 56. Sie hatten aber ihren Aufenthalt in den Inseln bey dem pelorischen Vorgebirge an Sicilien; Serv. ad Virgil. Aen. V. v. 863. oder auch an der tyrrhenischen Küste in Italien. Tzetzes ad Lycophr. v. 653. Sie saßen daselbst auf einer grünen Wiese, und hatten einen großen Haufen vermoderter Menschengebeine um sich. Hom. Od. M. 45. Denn sie richteten von denen, die in ihre Gegend kamen, so viele hin, daß von deren Knochen die Insel endlich von ferne ganz weiß aussah. Paus. Phoc. c. 6. p. 619. & Virgil. Aen. V. v. 864. Es war ihnen aber gesaget worden, sie sollten so lange leben und bleiben, bis jemand vor ihnen vorbey fahren würde, ohne sich durch ihren Gesang anlocken zu lassen. Hygin. l. c. Als nun nach der Zeit Orpheus mit den Argonauten da vorbey gieng, und durch seine Musik machete, daß man sie nicht hören konnte; Apollon. l. IV. v. 904. oder aber, nach andern, Ulysses auf der Circe Rath seinen Leuten die Ohren mit Wachse zustopfete, sich aber selbst an den Mastbaum fest anbinden ließ, und also glücklich vorbey kam: Homer. Od. M. v. 166. so stürzeten sie sich aus Verzweifelung selbst ins Meer. Hygin. l. c. Sie wurden darauf insgesammt in harte Felsen verwandelt. Orph. Argon. v. 1281. Vorher hatten sie doch den Butes von den Argonanten zu sich gelocket. Hyg. Fab. 14. Desgleichen hatten sie die Centauren so lange mit ihrem Gesange herum geführet, bis sie insgesammt vor Hunger umkamen. Ptol. Hepbæst. l. V. p. 325.
    5 §. Bildung. Sie werden als Jungfern mit schönen Gesichtern, langen fliegenden Haaren, allein Vogelleibern und großen Hahnenfüßen, gebildet. Ovid. Met. V. v. 552. Auf einigen Denkmaalen haben sie nur ein Jungferngesicht; sonst sind sie ganz Vogel: bey andern aber besitzen sie einen menschlichen Leib mit Armen bis auf die Mitte des Leibes, von da an sie erst Vögel werden. Dabey haben sie bald große Flügel, bald gar keine. Montfauc. Antiq. expliq. T. I. P. II. pl. 222. Die eine singt, die andere pfeift, und die dritte spielet auf der Leyer. Serv. ad Virgil. Aen. V. v. 863. Eine dergleichen, und so gar mit einem großen Vogelschwanze, die auf einer Flöte spielet, und eine andere in der linken Hand hält, sieht man auf einem geschnittenen Steine. Chausse gem. ant. fig. t. 128. Dieser kömmt die auf einer Münze des Augusts sehr ähnlich: nur daß sie an statt der Flöte auf einem langen Horne bläst, und in der andern Hand nichts hat. Croyac. Reg. & Imp. num t. 13. n. 8. Beyde sind mit großen Flügeln versehen. Nach einigen werden sie auch von unten her als halbe Fische gebildet, und sollen sich im Meere aufgehalten haben. Chart. Imag. 35. p. 109. Allein, solches hat keinen Grund in dem Alterthume. Voss. Theol. gent. l. III. c. 99.


    [Lexikon: Sirénes. Hederich: Gründliches mythologisches Lexikon, S. 2222-3)]


    Liebe Grüße Peter

  • Danke!
    Also schient eindeutig eine Verbindung zur Lorelei, deren Gesang Verderben bringt und die(jedenfalls bei Apollinaire) auch sterben will , weil sie nicht wiedergeliebt wird, vorzuliegen.
    Dass das Ganze am Rhein spielt und dieser Klang Ligeia- Lorelei konnte doch kein Zufall sein!


    F.Q.

  • Liebe Fairy Queen,

    Zitat

    Ich finde Baudelaire im Grunde noch besser als Poe- er hat ihn so serh geliebt dass er ihn nicht nur vollkommen internalisierte sondern auch empathisch überflügelte .


    Das ist auch mein Gefühl. Alle hundert Jahre kommt es einmal vor, daß die Übersetzung besser ist als das Original. Bei Poe/Baudelaire ist es soweit: Poe hat einen meiner Meinung nach begrenzten Wortschatz (der nur mitunter in etwas gesuchte Bereiche umkippt) und verwendet einige Wörter obendrein falsch (der "Arthur Gordon Pym" ist voll davon). Baudelaire schwelgt in seinem überreichen Wortschatz - und obendrein in Klang.


    Die von Peter zitierte Strophe ist bei Poe gut, bei Baudelaire genial: Dieses Spiel der Klangwerte um den Laut "e" ist einfach zum Niederkieen. Hier läßt Baudelaire die "Sphärenmusik" spüren - blendet dann ganz sanft weg vom "e"-Laut, mischt ihn dann aber hauchzart wieder dazu. Das ist nahezu Instrumentierung durch die Sprache. Wunderbar!


    Hingegen Schmidt - schon das erste Wort ist Quatsch, wie Peter mit sicherem Sprachgefühl anmerkt: "Ho!" "Ho!" ist ein Wortkonstrukt, das im Deutschen als Ausruf kaum verwendet wird. Wenn schon, dann "He!" - wäre aber auch unpassend. Besser wäre wohl "Schau!", das auch die leicht biblisch eingefärbte Nuance von "Lo!" beinhaltet.


    Soll aber meinetwegen sein - wirklich schlimm ist, was folgt:
    Ho! Eine Gala=Nacht;
    im öden Spätjahr welch Pläsier!

    "Gala=Nacht" - originell, nicht wahr? Barocke Schriftsatzkunst zur Manier erhoben. Von "Pläsier" steht nichts bei Poe. Die Alliteration kapiert Schmidt nicht (aber der praktisch unfehlbare Baudelaire merkt sie und schreibt wunderschön: "Despuis ces dernières années désolées!")
    Ein Engelhauf in Schleiertracht,
    beschwingt, mit Thränenzier,

    "Thränenzier?" Bei Poe "drowned in tears", also etwas wie "ertrunken in Tränen". Oder wie Baudelaire so herrlich formuliert: "noyés dans les larmes" - eigentlich gar keine preziöse Wortwahl (wie ja auch bei Poe nicht), aber allein schon im Wortklang überzeugend!
    ein Stück von Furcht & Gier
    Das "&" ist eine Schmidt-Marotte - und es ist falsch obendrein. Das "&" signalisiert ein geschäftliches Unternehmen, früher zumeist Familienunternehmen. Man könnte originell sein wollend schreiben: "Die Märchen von Grimm & Grimm", aber "Furcht & Gier" kann es nur (und auch dann nicht ganz richtig, weil kein Firmenname damit verbunden ist) heißen, wenn das Stück meinetwegen von einem Hieronymus Conrad Furcht und einem Eusebius Valentin Gier stammt.
    und ein Blasorchester probt stoßweis', traun,
    Sphärenmusikmanier.

    Wo steht was von "Blasorchester"? Weil Poe "breathes" schreibt. Hier merkt man das allzu enge Denken Schmidts. Gemeint ist natürlich, daß ein Orchester atmet, als wäre es ein einziges lebendiges Wesen - ein herrliches Bild!
    Aber Schmidt haut gleich nocheinmal daneben: "Sphärenmusikmanier". Eben nicht! Poe schreibt, das Orchester atme die Musik der Sphären aus. Grandios! Baudelaire weiß natürlich genau, was gemeint ist, und übersetzt dementsprechend: "Pendant que l'orchestre soupire par intervalles La musique des sphères." Schmidt hingegen traut dem Ausatmen der Musik nicht, also braucht er einen kleinen ironischen Schlenker und hängt das Wort an, dessen Inhalt er selbst verfallen ist: "Manier".
    Fazit: Wieder einmal stülpt Schmidt dem Original, das nur durch ein paar ausgefallene Wörter eine "Hochsprache" suggeriert, eine permanente Maniriertheit über, die noch dazu inhaltlich teilweise falsch ist.
    Für mich ist diese Art der Übersetzung ungenießbar.


    :hello:

    ...

  • Meine Poe-Ausgabe hat inzwischen 43 Jahre auf dem Buckel (Ich bekam sie zu meinem 12. Geburtstag und fand viele der Geschichte ziemlich gruselig :D ) und nennt als Übersetzer A. von Bosse, M Bretschneider, J. von der Glotz, H. Kauders und W. Widmer.
    Leider geht nicht hervor, wer die "Ligeia" auf dem Gewissen hat, aber so schlimm wie Schmidt klingt meine Version nicht: "Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr erinnern,. wie, wann, ja, nicht einmal genau, wo ich Lady Ligeia kennen gelernt habe. Endlose Jahre sind darüber hingegangen, und mein Gedächtnis ist durch lange, bittere Leiden schwach geworden......" Da ich leider kein Französisch beherrsche :O :O, muss ich mich wohl damit zufrieden geben.....
    Falls ich in den nächsten Tagen zum Durchschnaufen komme, beteilige ich mich gerne an eurem Gedankenaustausch zu diesem genialen Amerikaner!
    lg Severina :hello:


    PS: "The Gold Bug" kannte ich beinahe auswendig, er hat mich und meine Freunde zu unzähligen "Geheimschriften" inspiriert, sehr zum Leidwesen so mancher Lehrer....

  • Zitat

    Original von pbrixius


    Lieber miguel,


    das eben bezweifele ich. Schmidts Tonfall zielt deutlich auf das 18. Jahrhundert und früher, wie er auch Ligeias Gedicht in ein falsches Barock überträgt. Seine Verse sind dazu so hölzern, wie es von einem Prosaautor nur erwartet werden kann. Nun ist das Gedicht in Form und Inhalt kein 17. Jahrhundert:


    Naja, Poe war - was ihm ja von seinen fortschrittlicheren Zeitgenossen, allen voran Mark Twain, vernichtende Kritik eingebracht hat - deutlich an europäischen Vorbildern des 18. Jahrhunderts orientiert - insofern kann man Schmidts Wortwahl z.T. nachvollziehen.


    Z.T., wohlgemerkt - optimal ist er noch lange nicht. Lyrik zu übersetzen ist ohnehin vergebliche Liebesmüh ... da lese ich lieber das Original. Poe ist ein seltsames Hybrid zwischen Stilen ...

  • Lieber Miguel,

    Zitat

    Poe war - was ihm ja von seinen fortschrittlicheren Zeitgenossen, allen voran Mark Twain, vernichtende Kritik eingebracht hat - deutlich an europäischen Vorbildern des 18. Jahrhunderts orientiert - insofern kann man Schmidts Wortwahl z.T. nachvollziehen.


    Schon, aber dann muß man auch einen Denkfehler Schmidts mitvollziehen. Poe erzählerischer Tonfall mag am 18. Jahrhundert orientiert gewesen sein, ihn deshalb aber in eine gleichsam künstlich gealterten Sprache zu übertragen, halte ich für Unsinn. Und zwar, weil das Deutsch des 18. Jahrhunderts gespreizter klingt als Poes Tonfall. Zumal Schmidt durch diesen künstlichen Alterungsprozeß zu einer unsinnigen und sogar falschen Wortwahl kommt, siehe etwa die "Thränenzier". Das Wort allein klingt zwar nach 18. Jahrhundert (obwohl noch mehr eigentlich nach 17. Jh.), ist aber im gedanklichen Kontext falsch und gegenüber dem Original deplaziert. Wenn schon, dann "ertränket in Thränen"...
    :hello:

    ...

  • Hallo!


    Zur Übersetzung: Ich kann kein Französisch. Somit bleibts beim Original und bei meiner Übersetzung (die ist von B. Neuwald-Morton); kurze Kostprobe:
    Ich kann mich - und ginge es um mein Seelenheil - nicht daran erinnern, wie oder auch nur genau wann ich zuerst die Bekanntschaft der Lady Ligeia gemacht habe. Viele Jahre sind seitdem verflossen, und mein Gedächtnis ist erschöpft wegen der zahlreichen leidvollen Ereignissen.


    Soviel zur Übersetzung - ich würde ehrlichgesagt lieber über den Inhalt sprechen.


    Seitenangaben: Zur groben Orientierung für meine Zitate: "Ligeia" geht bei mir (Weltbild Poe-Gesamtausgabe, Band 2) von Seite 119 bis Seite 137.


    Mit dem Ich-Erzähler konnte ich mich nicht identifizieren. Der kommt mir doch sehr unreif vor, bezeichnet sich auch selbst als kindisch ("voll kindlichen Vertrauens in ihre [Ligeias] Führung" (S. 124); "Ich war nur ein Kind ohne Ligeia" (125); "als sei ich vor Kummer wieder kindisch geworden" (128 )). Er ist abhängig von Ligeia bzw. süchtig nach ihr. Und nach Ligeias Tod hat er die eine Sucht gegen die andere ausgewechselt - Opium ("zu einem Sklaven in Opiumfesseln geworden" (129, ähnlich auch 131).
    Dies scheint allerdings zumindest teilweise auf Poes eigenen Charakter zuzutreffen.


    Er sagt zu Beginn, daß sein "Gedächtnis erschöpft ist" und "Eindrücke aus der Außenwelt abstumpfen" (beides 119), nur das Äußere Ligeias kann er bis ins kleinste Detail nachvollziehen - ebenso wie sein Brautgemach in der Abtei ("obwohl ich allzu vergeßlich geworden bin, was die wichtigsten Dinge des Lebens angeht" (129) - was soll man davon halten?).
    Dieses Brautgemach ist bizarr und schauerlich - wie grausam muß das sein, darin schlafen zu müssen? "Baldachin wie ein Leichentuch" , "ein riesiger Sarkophag " im Raumwinkel (beide 130) -> das sind Vorboten des Todes.
    Aber er scheint den Verfall ja zu suchen, schließlich zieht er von der "verfallenen Stadt am Rhein" (119) in eine Abtei von "grünem Verfall" (128 ).


    Der zweite Teil der Erzählung gelingt vom Stimmungsbild auch wirklich eindringlich schauerlich; beinahe würde ich "kafkaesk" sagen, da auch Poe eine recht lapidare Art hat, das Anormale in die Normalität einzubauen.
    Der erste Teil der Erzählung sagt mir eher weniger zu, acuh wenn ich das Gedicht vom Sieger Wurm toll finde. (als nächstes werde ich von Poe daher etwas Lyrik lesen)


    Zu Lady Ligeia und der Lady Rowena schreibe ich das nächste mal meine Eindrücke.


    Die für mich zentrale Frage des Werks ist: Hat sich Ligeia selbst durch ihren Willen aus dem Reich der Toten ins Leben zurückgebracht - oder war es doch ihr Mann, der schließlich nach Rowenas Tod intensiv an Ligeia dachte und in der Auferstehungs-Szene zwischen jeder Wiederbelebungserscheinung durch seine Gedanken Ligeia heraufbeschwor?
    War der Schwache letztlich doch der Starke?


    Wie seht Ihr das?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius
    Die für mich zentrale Frage des Werks ist: Hat sich Ligeia selbst durch ihren Willen aus dem Reich der Toten ins Leben zurückgebracht - oder war es doch ihr Mann, der schließlich nach Rowenas Tod intensiv an Ligeia dachte und in der Auferstehungs-Szene zwischen jeder Wiederbelebungserscheinung durch seine Gedanken Ligeia heraufbeschwor?



    Hat sie / er denn wirklich? Eigentlich sollte ich mich hier nicht äußern, weil ich mich gar nicht mehr erinnern kann, wie lang das her ist, daß ich "Ligeia" las. Aber ich habe das damals so interpretiert, daß die Wiederkehr Ligeas von den Toten nur eine (die letzte?) Opium-Fantasie des Protagonisten ist.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

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  • Hallo Reinhard!


    Zitat

    Original von Reinhard
    Aber ich habe das damals so interpretiert, daß die Wiederkehr Ligeas von den Toten nur eine (die letzte?) Opium-Fantasie des Protagonisten ist.


    Das ist natürlich eine plausible und mögliche, aber doch ziemlich rationalistische Deutung.
    Ich denke, Poe wollte hier tatsächlich ein "übersinnliches" Geschehnis beschreiben. Auch die Deutungen im Wikipedia-Artikel und im Kindler-Literaturlexikon sind entsprechend (im Kindler ist die Opiumrausch-Deutung aber implizit auch herauslesbar, wenn man es darauf anlegt) - aus letzterem zitiere ich mal:


    Zitat

    Daß die Toten sich des Willens der Lebenden bemächtigen, daß die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Wirklichkeit und Traum fließend sind, gehört zu den Axiomen nahezu aller Tales of the Grotesque and Arabesque.


    Ich denke daher, daß es in Poes Absicht lag, explizit Okkultes in seine Erzählungen einzubinden.


    Zudem habe ich aus dem Kindler gelernt, daß "Ligeia" (allerdings als Allegorie der Harmonie) bereits 1829 in einem Gedicht Poes auftauchte (die Novelle "Ligeia" entstand 1840), sowie daß das Gedicht über den Wurm erst Jahre später von Poe in die Erzählung eingefügt wurde.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Ich habe meine Poe-Literatur noch nicht hier - aber biographische Hintergründe scheint es, wenn ich mich recht erinnere, auch zu geben: Poes eigene zeitweilige Abhängigkeit von Rauschmitteln, u.a. Opium, und Krankheit und Tod seiner jungen Frau.


    Die große Biografie von Zumbach ist wieder lieferbar, sehr preisgünstig, da steht einiges dazu drin:


  • Zitat

    Original von Pius
    Das ist natürlich eine plausible und mögliche, aber doch ziemlich rationalistische Deutung.


    Hallo Pius,
    wie gesagt, lange her und ich habe keine Zeile Sekundärliteratur dazu gelesen, aber ...


    ...für mich sähe die Wiederkehr von Ligea ins Leben allzusehr wie ein "happy end" aus und würde mich ratlos zurücklassen. Das paßt wesentlich weniger zu meinem persönlichen Poe-Bild, als der Fall des Protagonisten in den Wahnsinn. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber damit wäre die Geschichte in sich abgeschlossen und beendet, die Frage "wie geht das weiter?" würde sich nicht stellen...


    Na, ich glaub, ich werde Ligeia doch noch mal lesen müssen...

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Hallo, Reinhard!


    Für mich ist dieses Ende kein "happy end". Durch die grausige Atmosphäre, die Poe heraufbeschwört, und das durchaus Schockierende, das solch eine Rückkehr von den Toten hat, bleibt ein sehr eigenartiger und keineswegs freudiger Beigeschmack nach dem Ende der Lektüre. Zumindest ging es mir so. Fairy Queen, Peter, wie seht Ihr das?


    Der Kindler geht sogar so weit, Ligeia bereits zu Lebzeiten als "übernatürlich" zu charakterisieren:


    Zitat

    Da Ligeia in einem geheimen Einverständnis mit übernatürlichen Kräften zu stehen schien...


    Habe ich da was überlesen oder falsch gelesen? Es wäre nett, wenn mir jemand die Stelle nennen könnte, auf die da Bezug genommen wird.


    Allerdings sehe ich Ligeia eher als (Ab)Bild des Ideal-Weiblichen, sozusagen als die archetypische ideale Frau. Dadurch hat sich etwas Nicht-Menschliches an sich. Sie ist wunderschön, äußerst intelligent und gebildet, sowie willensstark und selbsbewußt. Ich denke, daß der Ich-Erzähler bzw. Poe ein solches Ideal-Bild in die Figur der Ligeia hineinprojiziert. Daß sie keinen Nachnamen hat, ist IMO ein weiterer Hinweis auf das archetypische Verständnis dieser Figur.


    Lady Rowena hingegen ist eine "echte", menschliche Frau und kann die Projektion dieses Idealbildes nicht erfüllen. Somit wird sie zum Objekt des Hasses dieses reichlich unreflektierten und kindlich-schenmenhaft denkenden Mannes.
    Lady Rowena wird ja bewußt mit Ligeia entgegengesetzten Attributen beschrieben:


    Ligeia - Lady Rowena


    schwarze Haare und Augen - blond und blauäugig
    ohne (bekannten) Familiennamen bzw. Herkunft - Nachnahme und Herkunft bekannt
    (Willens)Stärke - Angst und Schwachheit
    ausgeprägter individueller Charakter - "austauschbar"
    geliebt - gehaßt
    Auferstehung - Tod




    Die nächsten Tage bin ich dienstlich unterwegs (damit auch nicht im Forum) und nehme mir die "Morde in der Rue Morgue" als Lektüre mit.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius
    Ich denke daher, daß es in Poes Absicht lag, explizit Okkultes in seine Erzählungen einzubinden.


    Lieber Pius,


    ich darf einmal an diesem Punkt ansetzen. Es gibt eine ganze Anzahl von Interpretationen der Ligeia, die widersprüchliche Ergebnisse bieten. Es spricht für das Werk, dass es so vielschichtig ist, dass von einer psychologisch-pathologischen Betrachtung bis hin zu einer gender-orientierten Auffassung Perspektiven deutlich werden, die sich an der Oberfläche auszuschließen scheinen, die man vielleicht am Ende doch in einen multidimensionalen Zusammenhang bringen kann.


    Leider ist es mir bis jetzt noch nicht gelungen, mehr an philologischen Vorwissen über das Werk zusammenzubringen als das, was reichlich zufällig und unvollständig, ja auch irreführend in Einleitungen und Anmerkungen verschiedener Ausgaben steht.


    Ich werde einige Interpretationsansätze vorstellen, dabei orientiere ich mich an Raluca Bibescu: Vorstellung und Kritik verschiedener Interpretationen der Erzählung 'Ligeia' von Edgar Allan Poe (GRIN, 2005). Grob unterscheidet Bibescu zwischen "wörtlichem Verstehen" und "allegorischen Interpretationen". Beide Begriffe scheinen mir nicht wirklich klug gewählt, aber die Präsentation des Standes der Sekundärliteratur ist doch recht hilfreich. Die Arbeit ist von einigem an sachlichen und sprachlichen Fehlern gespickt, es beginnt mit der Angabe, dass die erste Ausgabe im Jahr 1938 erschien, richtig ist natürlich 1838 (in: The American Museum of Science, Literature, and The Arts).


    Interessanterweise zeigt schon der Name des Magazins die Ambiguität an, die die Erzählung auszeichnet. Zunächst einmal ist es ja die Frage, ob es sich um eine Schauergeschichte oder ein Psychogramm handelt (oder um beides).


    Zu Beginn steht ein Zitat eines hier wohl weniger bekannten Autors. Joseph Glanvill (1636-1680) war ein englischer Schriftsteller, Philosoph und Kirchenmann. Sein "Sadducismus Triumphatus" ist eine der Quellen der Gothic Novel. Die Existenz des Übernatürlichen und der Hexerei begegnet einer Form des Empirismus, die unvoreingenommen Erscheinungen des Übernatürlichen untersucht. Dazu unterstützte für Glanvill die Bibel die Auffassung, dass es Dämonen und böse Geister gebe, so dass ihre Leugnung für Glanvill Atheismus war.


    Man hat das Zitat, das Poe voranstellt, nicht bei Glanvill dingfest machen können, darf also davon ausgehen, dass Poe es in Art von Glanvill erfand. Damit hat es eine besondere Bedeutung für die Interpretation der Ligeia, nicht zuletzt wird es ja im Text an einer markanten Stelle wiederholt.


    Gebrauch und Inhalt des Zitats unterstützen eindeutig die Kennzeichnung der Erzählung als Horrorgeschichte.


    Liebe Grüße Peter

  • Ich habe keine Sekundärliteratur gelesen, aber denke auch, dass hier viele verscheidene Aspekte zusammenkommen und von daher eine Mono-Deutung ,egal welcher Ausrichtung zu kurz, greift.
    Das macht ja gerade den Reiz echter Kunstwerke aus: sie entziehen sich einseitiger Betrachtung und sind wie ein Kristall.
    Eine aussergewöhnlich eigenständig"emanzipiert" denkende und handelnde Frau in einer Gothic Novel, die sich sogar über die Gesetze der Natur erheben will(und kann?).
    Eine Ästhetisierung des Morbiden im Sinne der Blumen des Bösen- Geburtsthilfe für eine neue literarische Epoche?
    Ein Psychogramm eines von einer Frau Abhängigen und Opiumsüchtigen und Spielgel seiner Wahnbilder?


    Von jedem etwas- ergo ganz und gar postmodern? ;)
    F.Q.

  • Hallo Peter!


    Zitat

    Original von pbrixius
    Man hat das Zitat, das Poe voranstellt, nicht bei Glanvill dingfest machen können, darf also davon ausgehen, dass Poe es in Art von Glanvill erfand. Damit hat es eine besondere Bedeutung für die Interpretation der Ligeia, nicht zuletzt wird es ja im Text an einer markanten Stelle wiederholt.


    Gebrauch und Inhalt des Zitats unterstützen eindeutig die Kennzeichnung der Erzählung als Horrorgeschichte.


    Interessant! Wenn Poe das Zitat also erfunden hat, erscheint es tatsächlich nochmal gewichtiger als durch die doppelte Verwendung als Prolog und im Klimax ohnehin schon.
    Da Zitat für sich genommen geht aber noch nicht in Richtung Horror, sondern ist eine sehr fundamentale Aussage über Mensch, Gott und Welt. Ich teile die Aussage des Zitats freilich nicht, da sie insbesondere nicht zu meinem Todes-Bild paßt, aber es lädt ein, die Novelle mit diesen Worten als Ausgangspunkt zu interpretieren oder zumindest zu betrachten. Ich mache mir dazu auch mal Gedanken...


    Hallo Fairy Queen!


    Zitat

    Ich habe keine Sekundärliteratur gelesen, aber denke auch, dass hier viele verscheidene Aspekte zusammenkommen und von daher eine Mono-Deutung ,egal welcher Ausrichtung zu kurz, greift.


    Ja, natürlich, das hatte ich ja auch nicht bestritten.
    Dennoch finde ich zumindest, daß es naheliegendere Deutungen gibt und weniger naheliegende.
    Und die charakterlichen Dispositionen der Protagonisten sind sicher nicht zufällig so extrem gewählt.


    Wie hast Du "Ligeia" denn gelesen? Als Psychogramm oder als Gothic Novel?


    Für mich gibt es einen harten Schnitt in der Mitte des Werkes. Den ersten Teil habe ich als Psychogramm gelesen bzw. wahrgenommen (mit teils nur mäßiger begeisterung) - den zweiten Teil zwar zunächst auch, habe mich aber durch die schaurigen Beschreibungen , die groteske Szenerie und den zunehmenden Spuk von den Horror-Elementen bzw. den übersinnlichen Elementen überzeugen lassen.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius
    Interessant! Wenn Poe das Zitat also erfunden hat, erscheint es tatsächlich nochmal gewichtiger als durch die doppelte Verwendung als Prolog und im Klimax ohnehin schon.
    Da Zitat für sich genommen geht aber noch nicht in Richtung Horror, sondern ist eine sehr fundamentale Aussage über Mensch, Gott und Welt. Ich teile die Aussage des Zitats freilich nicht, da sie insbesondere nicht zu meinem Todes-Bild paßt, aber es lädt ein, die Novelle mit diesen Worten als Ausgangspunkt zu interpretieren oder zumindest zu betrachten. Ich mache mir dazu auch mal Gedanken...


    Lieber Pius,


    es gibt auch an anderer Stelle ein (diesmal echtes) Motto von Glanvill bei Poe, und zwar im Maelstrom.


    Ich denke, dass das Motto bei der Ligeia zwei Aufgaben hat: zunächst gibt es durch den Namen des Autoren die Konnotation des Übernatürlichen (wie der Ausgangspunkt der Geschichte in Deutschland auch seine Doppeldeutigkeit hat, zunächst einmal als das Land, das über E.T.A. Hoffmann mit Spuk und Grauen verbunden war), dann wird das "Thema" gestellt: Gelingt es durch den Willen den Tod zu überwinden.


    Es gibt neben Glanvill noch zwei literarische Bezüge. Der eine ist Walter Scotts Roman Ivanhoe. Dort gibt es auch eine blonde Rowena, die vom Helden der Geschichte geheiratet wird. Ihre Rivalin ist die schwarzhaarige Rebecca, die fälschlich der Hexerei angeklagt wird. Könnte nicht Ivanhoe, verheiratet mit Rowena oft mit Trauer an die faszinierende Rebecca gedacht haben?


    Zu den Fassungen (ich war heute fleißig im Anglistischen Institut):


    A September 1838 (s.o.)
    B 1840 (Tales of the Grotesque ...)
    C 1842 (Phantasy-Pieces)
    Bis dahin hat es nur kleine Änderungen gegeben
    D 1845 (New York New World)
    Hier wurde das Gedicht "The Conqueror Worm" eingefügt. Dazu gab es einen zusätzlichen Abschnitt zur Einleitung des Gedichtes und einige weitere textliche Veränderungen
    E 1845 (Broadway Journal)
    F 1845 in Besitz von Mrs. Whitman korrigierte Fassung von E
    Wird heute den Ausgaben letzter Hand zu Grunde gelegt. Nur kleinere Korrekturen gegenüber D
    G 1850 (Works, posth.)


    Liebe Grüße Peter

  • Lieber Pius, weder nur das Eine noch das Andere- das wollte ich ja gerade oben deutlich machen. Und diese Beiden "Genres" reichen auch nicht aus, denn für mich ist eine solche Frauengestalt wie Ligeia, deren Macht ja eben nicht im morbiden sexuell-sinnlichen liegt(wie später bei Baudelaires maitresses des maitresses) sondern im Intellekt und Willen, ene solche Frauengestalt ist schon etwas sehr Besonderes! hiert werden Gezxchlechterrollen lange vor ihrer Zeit um gekehrt. Intellekt und Willen als männlcihe Attribute bezi Ligeia und morbide, passive und abhängige Schwäche beim Ich-Erzähler.


    Ligeia könnte fast eine Über-menschin sein.
    Diesen Aspekt sollte man nciht ausklammern.
    Und den literaturgeschichtmlcihen natürlich auch nciht.
    Ich lese es im Moment noch als das zusammen-aber vielleicht überzeugt mich ja doch noch eine Deutung ganz besonders?


    F.Q.

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Ligeia könnte fast eine Über-menschin sein.


    Liebe Fairy Queen,


    zumindest den einen Aspekt will ich vorab einmal aufgreifen. Poe schrieb in der Rezension zu Birds "Sheppard Lee" (1836), dass es drei akzeptable Sachverhalte in einer "tale of wonder" gebe:
    - eine unsichtbare Person
    - ein Lebenselixir
    - der ewige Jude


    Alle drei gibt es mE in "Ligeia", denn Ligeia, die mit Hilfe eines Lebenselixirs durch die Zeiten lebt, kommt vom Rhein, ist dunkelhaarig und in der Beschreibung wird man einige Hinweise darauf finden, dass sie wohl wie Rebecca eine Jüdin ist. Das erklärt auch, dass sie gleichzeitig aus einer alten edlen Familie stammt, ihr Familiennamen aber nicht genannt wird - es gibt keinen Familiennamen.


    Liebe Grüße Peter

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