György Ligeti gestorben

  • Mit Ligeti, der seit langer Zeit leidend war und dessen Tod deshalb nicht überraschend kam, ist einer der "letzten Klassiker der Moderne" vom Rang eines Messiaen, Schoenberg,Webern gestorben. Meine erste Begegnung mit einem Werk des ungarischen Meisters hatte ich als ca. 12 Jahre alt war und in einem Konzert die "Atmosphères" hörte. Diese für mich bis dahin völlig "unerhörte" Klangwelt faszinierte mcih auf Anhieb und Ligeti zählt für mich seit dem zu den Komponisten von deren Werken man sagen kann "Musik darf alles-nur NIE langweilen" !
    Ich bin davon überzeugt, daß einige seiner Werke, die jenseits alles rein Geschmäcklerischen stehen, überleben werden !

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Mit Ligeti [...] ist einer der "letzten Klassiker der Moderne" vom Rang eines Messiaen, Schoenberg,Webern gestorben.


    Solchen Formulierungen muss ich immer widersprechen (ich kann nicht anders). Wenn man als "Klassiker der Moderne" die Generationen von Schönberg bis Stockhausen definiert, von mir aus, dann ist schon klar, dass es im Laufe der Zeit immer weniger werden. Ich weiß aber nicht so recht, was diese Definition von "Klassiker der Moderne" für einen Sinn macht. Inwiefern soll Ligeti "klassischer" sein als Lachenmann, Holliger und Rihm?

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Solchen Formulierungen muss ich immer widersprechen (ich kann nicht anders). Wenn man als "Klassiker der Moderne" die Generationen von Schönberg bis Stockhausen definiert, von mir aus, dann ist schon klar, dass es im Laufe der Zeit immer weniger werden. Ich weiß aber nicht so recht, was diese Definition von "Klassiker der Moderne" für einen Sinn macht. Inwiefern soll Ligeti "klassischer" sein als Lachenmann, Holliger und Rihm?


    Dem muß ich zustimmen. Unbestritten war Ligeti ein bedeutender Komponist -schon allein seines Einflusses auf die jüngere Generation wegen.
    Mir scheint, daß man mit dem Begriff "Klassiker der Moderne" einen Komponisten noch zusätzlich edeln will, ihm einen Platz innerhalb der sehr begrenzten Anzahl der "SEHR Großen" zubilligen will.

  • Hallo KSM


    Der Widerspruch sei dir unbenommen und ich bin mir selber bewusst, daß derartige Klassifizierungen Gefahren in sich tragen.
    Auch mit sogenannten "Ranglisten" mag mancher seine Probleme haben; ich für meinen Teil komme ganz ohne dieselben nicht aus ! :beatnik:


    Die Werke von Rihm und Holliger. (Lachenmann lassen wir in dem Zusammenhang einmal aussen vor) scheinen mir nicht aus dem gleichen Stoff zu sein wie die Werke Ligetis oder Messiaens, Weberns oder eben auch Schoenbergs. Zumindest brachten sie nichts so fundamental "un-erhörtes" in mein Musik-Rezipieren ein,daß ich dergleichen nicht auch bei anderen Komponisten hätte abrufen können: Kurz und rund: ich bekenne mich ganz eindeutig zu Werken (und Komponisten) unterschiedlicher Ränge
    und (nicht nur) für mich zählen Holliger und Rihm NICHT zur ersten Liga. Ich bin bei deratigem durchaus gerne und guten Gewissens ignorant, nicht zuletzt deshalb, weil ich mich ständig mit Leuten auseinadersetzen muß, denen die Musik von Perotin bis Palestrina völlig gleich klingt und deren musikalischens
    Aufnahmevermögen schon bei Heinrich Schütz an ihre Grenzen kommt.
    Dergleichen härtet ab.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo BBB


    ich sehe das genauso wie Du, nur ist bei mir von den Komponisten, die erst nach dem 2. Weltkrieg so richtig hervorgetreten sind, nur John Cage in der ersten Liga, sonst niemand.


    Betreffend mangelndem Konsens bei Rihm muss ich schon sagen, dass in Rihms Generation kein anderer zu finden ist, der auch nur annähernd ähnlich weitverbreitete Wertschätzung wie Rihm hätte, nicht wahr? Nur ist diese Generation noch nicht gar so alt wie die von Boulez, Nono, Stockhausen, Xenakis, B.A. Zimmermann, Feldman, Berio und Ligeti, die an hoch angesehenen Komponisten keineswegs arm ist.

  • Zitat

    dass in Rihms Generation kein anderer zu finden ist, der auch nur annähernd ähnlich weitverbreitete Wertschätzung wie Rihm hätte, nicht wahr?


    Also wir Engländer hätten da noch Brian Ferneyhough, der zwar paar Jahre älter als Rihm ist und ich persönlich schätze James MacMillan (Jg. 1959)
    ganz besonders und würde ihn bedenkenlos gegen Rihm eintauschen ! :D


    Was Cage anbelangt sind wir uns einig, obwohl mich ihn (meistens) nicht ausstehen kann ! :D

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • erstaunlicherweise haben Wiener Zeitung und Standard akzeptable Nachrufe geliefert (Edwin, bitte nicht böse sein ...)


    Die Presse badet aber Klischees:


    Zitat

    Ligeti, der Name stand für äußersten kompositionstechnischen Fortschritt, für musikalischen Extremismus in den Konzertsälen, für die Position an der Spitze der Vorkämpfer einer kompromisslosen Ästhetik der Moderne.


    Wann denn?


    Zitat

    Am Beginn des 21. Jahrhunderts hört man Ligetis Werk anders, kann beurteilen, wo sich just in seinen Konzepten einer neuen, zeitgemäßen Musik die Umkehr in die so genannte Postmoderne abzeichnet, zu einem Zeitpunkt, da dieser vage Begriff noch nicht einmal geboren war. Ligeti markierte vor einem halben Jahrhundert vielleicht als allererster die Abkehr von den Doktrinen der Enkelgeneration der Wiener Schule. Während man auf den „Ferienkursen“ in Darmstatt noch einer Phalanx künstlerisch entmündigter Studenten die Durchorganisation sämtlicher kompositorischer Parameter nach dem Vorbild der Zwölftonmethode predigte, verwandelte Ligeti bereits im Gefolge der Bildenden Künste abstrakte malerische Formen in Klang, schuf an Stelle des geistreichen Spiels mit tönenden Linien ein Kaleidoskop aus Klangflächen, die ineinander und übereinander geschoben werden konnten, auseinander hervorwuchsen oder in einem dramatischen Prozess miteinander konfrontiert wurden.


    Da Ligeti nie den seriellen Hardlinern zugehörte, konnte er sich auch nicht davon abwenden. Und immer diese blöden Attacken gegen den Serialismus!


    Zitat

    Ligetis stand mit seiner Abkehr von den Vorgaben der seriellen Schule am Beginn der Eroberung jener neuen musikalischen Erlebniswelten, mit denen die Moderne überwunden werden konnte. Zugunsten einer stilistischen Vielgestaltigkeit, die mit einem Mal wieder alles, auch die Hereinnahme historisierender Musizierpraktiken möglich machte. In den gigantischen Verästelungen von Ligetis vielstimmigen Partituren, die mit naturhaften Schichtungsprozessen die alte Kontrapunktik neu definierten, durften plötzlich auch C-Dur-Akkorde stehen und nicht nur – aber, wenn es sein musste, auch – restrospektiven Effekt machen.


    Sogar in seriellen Werken finden sich Dreiklänge (ein verminderter in Stockhausens Klavierstück 3). Da Ligeti aber nie ein Serieller war, ist die Tatsache, dass er C-Dur-Akkorde schrieb, nicht so unerhört.

  • Hallo BBB!


    Wenn ich mich nicht irre, hat der ehemalige britische Außenminister nicht komponiert (oder wenn, dann nur für die Schublade). Es dürfte sich also um den hochbegabten James handeln, den auch ich ohne zu zögern über den immer wieder sich selbst kopierenden Rihm stellen würde.



    Hallo Kurzstueckmeister!


    Zu den Komponisten, die erst nach dem 2. Weltkrieg "richtig" hervorgetreten sind und IMO in die "erste Liga" gehören, würde ich Messiaen dazurechnen, weiters Britten (alle Hauptwerke ab 1945), außerdem Henze, Nono und natürlich Boulez, weiters Birtwistle. Alles andere halte ich, mit Verlaub, für ein Cage-zentrisches Weltbild, das so einfach nicht haltbar ist.


    LG

    ...

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  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Alles andere halte ich, mit Verlaub, für ein Cage-zentrisches Weltbild, das so einfach nicht haltbar ist.


    Solange Weltbilder, die im Spätbarock nur Bach in die erste Reihe stellen, wo italienische Instrumentalmusik und Rameau keine Chance haben, haltbar sind, ist ein Nachkriegsbild, in dem neben Schönberg und Strawinsky nur Cage in der ersten Reihe steht, allemal haltbar.

  • Meine bislang einzige Begegnung mit Ligeti fand Anfang der 70er Jahre im Musikunterricht statt, wo uns der Lehrer mit Athmospheres gräßlich langweilte.
    Ich bevorzugte damals Deep Purple, Hendrix und Eric Clapton. Allerdings waren die pädagogischen Fähigkeiten des Lehrers auch nicht sonderlich ausgeprägt.


    Mal sehen, wann und mit welchem Stück ich mich wieder an Ligeti wage. Wird sicher noch länger dauern.

  • Selbstzitat:


    Zitat

    Harold MacMillan


    Hallo Edwin. Ich überlege eben ob das ein "Freudscher" war oder was oder wie ?? Also Harold MacMillans Kompositionen würden mich schon interessieren
    :stumm:


    Ich korrigier da mal schnell, LG


    Harold MacMillan war wohl auch eher Jg. 1859 als 1959....

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Solange Weltbilder, die im Spätbarock nur Bach in die erste Reihe stellen,


    Nun gehe ich einmal davon aus, daß Du nicht zu solchen Mitmenschen gehörst, weshalb der Schluß naheläge, daß Du auch für die Musik nach 1945 keine Cage-Monokultur pflegst.

    ...

  • Nein, den Cluster hat der Amerikaner Henry Cowell "erfunden" und zwar insoferne, als er ihn systematisiert hat. Vor Cowell hat jedenfalls schon Bartók mit unmittelbar nebeneinander liegenden Tönen einer Tonleiter oder eines Modus gearbeitet.
    Was Ligeti als erster macht, ist, die Musik von der Thematik zu lösen und an deren Stelle den sich sukzessive verändernden Klang zu setzen. Dieser Klang kann ein Cluster sein (wie in "Atmosphères").
    Das gilt übrigens nur für die frühen Werke Ligetis (50er Jahre), danach interessieren ihn melodische Bildungen aufgrund von ineinander verzahnten Kurzmotiven wesentlich stärker als Cluster.

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Was Ligeti als erster macht, ist, die Musik von der Thematik zu lösen und an deren Stelle den sich sukzessive verändernden Klang zu setzen.


    Im Sinne von entsprechend großen, sich nur langsam verändernden Klangflächen? Oder wie muß man sich das vorstellen?

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Was Ligeti als erster macht, ist, die Musik von der Thematik zu lösen und an deren Stelle den sich sukzessive verändernden Klang zu setzen. Dieser Klang kann ein Cluster sein (wie in "Atmosphères").


    Ich würde sagen, dass das Ruth Crawford in ihrem Streichquartett von 1931 auch schon macht. Die anschwellenden sich überlagernden Einzeltöne, wozu Crawford durch Feuerwerkskörper inspiriert wurde, ergeben keine Thematik, sondern ein sich langsam vorwärtswälzendes Klanggebilde, das vielleicht am ehesten mit Ligetis viel späterem Lontano vergleichbar ist.


    Später sind dann noch die Klangballungen von Xenakis und Penderecki zu nennen, die ebenfalls noch vor Ligeti komponiert wurden.


    Ligetis Spezialität ist, diese Klangströme durch konventionelle Strukturverfahren (Kanon) zu gliedern (ich würde das also als eine Synthese von den genannten Komponisten und Webern ansehen, der im Spätwerk auch dem Kanon sehr verfallen ist), wobei diese Strukturen aber in der Regel kaum oder gar nicht wahrnehmbar sind.


    Diese Vorgangsweise führt manchmal zu Resultaten von atemberaubender Klanglichkeit (Atmosphères), manchmal verkommen sie aber zu staubtrockenem Gewusel, bei dem lediglich die Hüllkurve für den Hörer wahrnehmbar bleibt (erster Satz Requiem).

  • Wenn man es genau nimmt, dann verbindet Ligeti Wagner mit Penderecki. Soll heißen, der Cluster kommt von Penderecki, die Möglichkeit, einen stehenden Klang zu strukturieren, von Wagner ("Rheingold"-Anfang).
    Es stimmt sicher, daß Ligeti die Ingredienzen seiner Sprache nicht erfunden hat, aber die Behandlung des Materials ist eigenständig.


    Dabei darf man auch nicht übersehen, daß Ligeti seinem Frühwerk wesentlich weniger Bedeutung beigemessen hat als seinen von inherent patterns und quasi-minimalistischen Verfahren ausgehenden späteren Werken.

    ...