Ich war sehr erstaunt, dass noch kein Thread von Clara Haskil bestand. Eine der besten „Klaviervirtuosen“ des vorigen Jahrhunderts.
Am 7. Januar 1895 wurde sie in Bukarest geboren. Sie begann zu gleicher Zeit das Studium in Klavier und Violine. Für die Violine bekam sie sogar noch einen Preis, bevor sie sich fürs Klavier entschied.
Bereits 1901 (!) begann sie ihr Studium am Konservatorium ihrer Heimatstadt. Und schon drei Jahre später (9 Jahre alt) war ihr erster offizieller Auftritt.
Von 1902 bis 1905 studierte sie bei Richard Robert in Wien. Ab 1905 wurde ihr Studium am Pariser Konservatorium fortgesetzt und 1907 wurde sie in der Klasse von Alfred Cortot aufgenomment.
1909 lieferte ihr der zweiten Preis im Fach Klavier am Konservatorium (weiß einer wer den ersten Preis gewann?) den Beginn ihrer Konzerttätigkeit als Solistin. 1910 bekam sie im Fach Klavier den ersten Preis.
Seit 1920 ist sie international aktiv als Klavierspielerin. Und das, obwohl sie wegen einer Wirbelsäulenverkrümmung sehr behindert war und dadurch bedingt längere Pausen in der Ausübung ihres Berufes nehmen musste .
1934 war das Jahr der ersten Schallplattenaufnahme, die (teilweise?) von „befreundeten Mäzenen“ mitfinanziert wurden. Also: eine Privat-Aufnahme.
1941 emigrierte sie nach Frankreich um nichtsdestotrotz bereits 1942 in die Schweiz umzusiedeln. Sie war eine Jüdin und dort war ihr Leben nicht gefährdet. In der Schweiz wohnte sie bis zu ihrem Lebensende.
Erst 1947 fand die erste "kommerzielle" Schallplattenaufnahme statt.
1950 ist in ihrer Karriere ein wichtiges Jahr. Sie folgte einer Einladung von Pablo Casals zu seinem Festival nach Prades und machte dort Bekanntschaft mit Arthur Grumiaux, mit dem sie fortan oft zusammen spielte. Auch mit Casals spielte sie seitdem öfters.
Jahrzehntelang klagte sie, wie wenig die Pariser ihr Spiel schätzten. Als sie bereits mehr als 40 Jahre Künstlerin war und erschreckend wenig beschäftigt, äußerte sie sich: "Niemand lässt mich spielen ... In Paris liebt man mich nicht." Natürlich gab es Kollegen die ihr Genie anerkannten. Sie bekam lebenslänglich (sehr) gute Kritiken. Doch das half ihrer Karriere wenig. Erst 1951 bekam sie einen riesigen Erfolg bei Pariser Konzerten, der den Beginn ihres internationalen Ruhms einläutete.
Clara Haskil starb am 7. Dezember 1960 im Alter von 65 Jahren.
Die eigentlich von Schallplatten belegte Karriere nimmt also 13 Jahre dieses ehemalige Wunderkind ein. Eine 1947 realisierte Studioaufnahme für den Rundfunk in London wurde von Amerikanern später auf Schallplatte ausgebracht. Clara Haskil begeleitete den ungarischen Violinisten Joseph Szigeti in der Sonate Nr. 5 von Ferrucio Busoni.
1949 wurde von ihr, zusammen mit dem Winterthur Quartett, das Klavierquintett in f-Moll Opus 34 von Brahms aufgenommen. Zusammen mit der Aufnahme von 1950 von Beethovens drittem Klavierkonzert in c-moll Opus 37 (mit dem Winterthur Sinfonie Orchester) sind diese Aufnahmen erschienen beim Label „Urania“.
Obwohl sie oft in Prades bei Casals war, existiert fast nichts davon. In einem Beitrag fand ich, dass es sogar keine überlieferte Aufnahme gab. Vom Zusammenspiel mit Casals, George Enescu (Violine) und Isaac Stern habe ich nichts finden können. Das Internet zeigte jedenfalls nur eine (vom 6. Juni 1950), und da spielte sie Bachs Clavecimbelkonzert in No. 5 in f-moll BWV 1056 geleitet von Casals. Das Bild dieser CD ist Betrug. Man „sieht“ sowohl Casals als Haskil spielen. Ich fand aber den Inhalt:
[1] BACH: Violin Concerto No. 1 in A minor BWV 1041
Isaac Stern
Pablo Casals (conductor)
Prades Festival Orchestra
[2] BACH: Harpsichord Concerto No. 5 in F minor BWV 1056
Clara Haskil
Pablo Casals (conductor)
Prades Festival Orchestra
[3] BACH: Concerto for Violin and Oboe in C minor BWV 1060r
Isaac Stern (violin)
Marcel Tabuteau (oboe)
Pablo Casals (conductor)
Prades Festival Orchestra
[4] BACH: Brandenburg Concerto No. 5 in D major BWV 1050
Eugene Istomin (piano)
Joseph Szigeti (violin)
John Wummer (flute)
Pablo Casals (conductor)
Prades Festival Orchestra
Eine besondere CD ist „Haskil & Hindemith at Montreux“ (1957). Sie spielt da Mozarts Klavierkonzert No. 20 in d-Moll KV 466 und „Thema mit Variationen“ von Hindemith. Er selbst leitete das Orchester.
Mit dem Belgier Grumiaux spielte Haskil alle Beethoven-Sonaten für Philips, dass sich damals erst seit einige Jahre um klassische Musik bemühte, ein. Von dieser Sonatenaufnahme wurde mehrmals gesagt „Sie sei die Referenz für alle andere Interpretationen“. Noch immer bin ich mir nicht sicher. Ist dies Mono oder Stereo? Die Aufnahme datiert von 1957. Ich schätze es auf Mono, aber das ist ja nicht angegeben.
Auch ihre Mozartsonaten mit Grumiaux waren Sonderklasse.
Von Mozarts Klavierkonzerten gibt es mehrere Aufnahmen mit verschiedenen Dirigenten. Leider ist nicht sein ganzes Œuvre auf diesem Gebiet von ihr aufgenommen worden. Mit dem großen Bernard Paumgarten, mit Ferenc Fricsay, Karajan... Die besten Dirigenten damals hatten sie unter ihren Fittichen.
Alle Musik wurde von ihr geliebt, aber Mozart und Scarlatti scheinen doch ihren Vorzug zu genießen. Als sie in Paris als Zugabe ein paar Scarlatti-Sonaten spielte, reagierte das Publikum fast hysterisch. Vermutlich verdanken wir dieser Verbundenheit mit Scarlatti einige CDs mit Sonaten von ihm.
Was machte Haskil so besonders?
Schon zu Lebzeiten war sie ein Mythos. Ich erinnere mich noch ganz gut an die Verehrung und den Respekt meiner Eltern, die sie Haskil entgegenbrachten. Wenn es eine „Live“-Übertragung über den Rundfunk gab mit Haskil, dan saß die ganze Familie gefesselt am Radio.
Ungeheuerlich ihr später Ruhm. Aber auch unbegreiflich, daß sie erst so spät anerkannt wurde.
Ihr Leben lang prägte Selbstzweifel ihr Spiel. Nach Konzerten wo sie bejubelt wurde, fragte sie dennoch Freunde "Findet ihr, dass es geklappt hat?".
Ihre Schallplattenaufnahme gönnten ihr keine Ruhe, denn sie war damit unzufrieden. Einmal schrieb sie sogar "Zwei von meinen Platten (Es-Dur und d-Moll von Mozart), die ich gerade angehört habe, enttäuschen mich wieder einmal sehr. Ich werde sicher sterben, bevor es mir gelingt, eine Platte aufzunehmen, die mich vollständig zufrieden stellt."
Dieses nach Perfektion Streben, zusammen mit ihren emphatischen Gefühle für die Musik verschiedener Komponisten sind vielleicht die Basis ihrer Berühmtheit. Niemand könne ihrer reinen Musikalität widerstehen.
Rachmaninoffs Zweites Klavierkonzert, Brahms’ Zweites Klavierkonzert, Saint-Saëns’ Fünftes Klavierkonzert „Egypte“ und Schumanns Klavierkonzert, alle wurden sie von Haskil auf eine derartige Weise gespielt, dass Kollegen sie als eine der brilliantesten Pianisten hielten. Vom Publikum wurde sie noch immer nicht anerkannt. Der berühmte Dirigent Leopold Stokowski schrieb anlässlich Haskils Ausführung am 24. Dezember 1926 »Ihre Begabung überragt bei weitem die ihrer Zeitgenossen, um so mehr als sie sich der Musik mit einem Feuer verschreibt, das an Besessenheit grenzt.«
Sie wurde betrachtet als DIE MOZARTINTERPRETIN. Es gibt eine Anekdote von einer russischen Klavierspielerin, Tatjana Nikolajewa. Die durfte im Westen eine Weile Studium betreiben. Moskauer Musikfreunde hatten ihr geraten "Vor allem versäume die Konzerte mit Herbert von Karajan nicht, das ist der neue Toscanini!" Und so besuchte Nikolajewa das erste Konzert von Karajan nach der Aufhebung seines Verbotes durch die Besatzungsmacht, aufzutreten. Auf dem Programm standen eine Symphonie sowie ein Konzert von Mozart. Die Solistin sollte Clara Haskil sein, deren Name ihr unbekannt war. Karajan enttäuschte sie sehr. Sicher, sie hatte eine gute Aufführung gehört, doch die angekündigte tiefe Ergriffenheit war ausgeblieben. Dennoch erschien sie nach der Pause wieder im Konzertsaal um das Klavierkonzert zu hören. Als sie dann die Haskil aufs Podium kommen sah, »gebeugt, die grauen Haare zerzaust, sie hatte etwas Hexenhaftes und war befangen« verspürte Nikolajewa Lust zu gehen. »Die Introduktion des Orchesters war wiederum sehr gut dirigiert, sehr gut vom Orchester gespielt, doch ohne besondere Hingabe. So traf mich unvorbereitet, was geschehen sollte.
Als Clara Haskil die Hände über die Tasten legte, liefen mir Tränen über das Gesicht. Ich war gekommen, um den neuen Toscanini zu hören, und fand die größte Mozartinterpretin, die ich jemals gehört habe. Ihre Überzeugungskraft, ihre Anziehungskraft waren so stark, daß, als das Orchester wieder einsetzte, sich alles verändert hatte. ... Nicht Karajan dirigierte jetzt, sondern Clara Haskil mit ihren 10 Fingern und ihrem Herzen. ... Das war das schönste Kammermusikkonzert, das ich je gehört habe.«
Wie wurde Mozart von ihr gebracht? Wenn man ihre Konzerte vergleicht mit Aufnahmen von heutigen Virtuosen, dan finde ich, dass die Verzierungen eine neue Dimension bekamen, die ich bei anderen vermisse. Aber andererseits konnte sie auch spielen (Ah vous dirai-je, Maman) ob der Schnellzug vorüberdonnerte.
Am Meisten wurde/wird - meines Erachtens - ihre Auffassung geteilt von Ingrid Haebler, Murray Perahia und Maria-João Pires. Es möge deutlich sein, dass genau diese Annäherung von Mozart von mir am meisten gewürdigt wird.
Sie gehört zu dieser Sonderklasse von Musikern, deren Ruhm nicht nach ihrem Ableben verbleicht. Mit Caruso, mit Ferrier, mit Callas, mit Wunderlich und noch einigen dazu, hat sie gemein, daß der Ruhm bestehen bleibt. Die Menschen beharren auf ihr Urteil: sie war eine große Künstlerin.
LG, Paul
NB: Peter sei Dank für seinen Beistand.