Der auf ADELE STOLTE bezogene Ausspruch KURT MASUR's: "Wenn sie erschien, ging die Sonne auf", bezog sich vermutlich nicht nur auf deren sängerische Qualitäten, sondern sicher auch auf den äußerst sympathischen, natürlichen und immer bescheiden gebliebenen Menschen von sehr einnehmendem, gewinnendem Wesen, und KURT MASUR fügte noch hinzu: "So oft ich sie hören konnte, waren alle ihre Interpretationen geprägt durch eine starke Persönlichkeit.
Die Sopranistin ADELE STOLTE, die im Laufe ihrer Karriere große Erfolge als Oratorien- und Konzertsängerin verzeichnen konnte, und die als eine der bedeutendsten BACH-Interpretinnen und profiliertesten Konzert-Sängerinnen der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt, deren große Liebe aber auch HÄNDEL und MOZART galt, und die Werke des Barocks bis hin zu zeitgenössischer Musik gleich überzeugend interpretierte, hatte es in ihrem Leben nicht leicht, und mußte viele Hindernisse überwinden und Einschränkungen hinnehmen, um sich am Ende auf breiterer Basis international durchzusetzen.
ADELE STOLTE wurde am 12 .10. 1932 in Sperenberg geboren. Wegen Luftangriffen auf Lübeck, wo sie zur Schule ging, mußte sie 1942 nach Dresden übersiedeln. Nachdem es noch im gleichen Jahr auch zu Luftangriffen auf Dresden kam, mußte sie wiederum fliehen, diesmal nach Potsdam, wo sie bis 1952 die Schule weiter besuchte. Ihr Vater, dort zum Superintendenten ernannt, übernahme dort auch das Pfarramt an der Friedenskirche. Hierdurch kam sie dann auch erstmals mit Kirchenmusik in Berührung. Sie sang in verschiedenen Kirchenchören, und erhielt eine musikalische Förderung durch KARL LANDGREBE , der sie auch erstmals mit kleinen Solopartien betraute. 1952 begann sie ein richtiges Gesangsstudium bei ANNELIESE BUSCHMANN in Rostock. Ein Jahr später heiratete sie den Kirchenmusiker und Pianisten WOLFRAM IWER. Bereits ab 1955 trat sie als Solistin in verschiedenen Oratorionaufführungen in Dresden, Leipzig und Mannheim mit dem DRESDENER KREUZCHOR und dem LEIPZIGER THOMANERCHOR auf. 1958 wirkte sie bei der Premiere des TE DEUM von ERNST PEPPING in Dresden mit. Noch im gleichen Jahr fanden erste Rundfunkaufnahmen in Leipzig mit dem THOMANERCHOR statt, und in der Folge kam es zu zahlreichen bedeutenden Oratorienaufführungen in der DDR, wie auch in der BRD und im Ausland.
In dieser Zeit erregte diese Sängerin in Rundfunkkonzerten auch meine besondere Aufmerksamkeit, und ich verfolgte von da an mit großem Interesse ihre weitere Karriere. Nach ihrem Auftritt 1959 beim BACH-Fest Mühlhausen galt sie bald als eine der großen BACH-Interpretinnen ihrer Zeit. 1960 konnte sie erste Schallplattenaufnahmen mit dem THOMANERCHOR LEIPZIG verzeichnen. 1962 kam es zu regelmäßigen Rundfunkproduktionen, die am Sonntag vormittag im DDR Rundfunk gesendet wurden, vor allem BACH-Kantaten unter ERHARD MAUERSBERGER. Auch gab sie Liederabende mit WOLFRAM IWER, ihrem Ehemann. Für ihre Leistungen wurde sie 1962 mit dem EDISON-Schallplattenpreis ausgezeichnet, wie auch mit verschiedenen anderen Preisen geehrt.
Ihre internationale Karriere wurde immer wieder durch Reiseverbote bzw. -einschränkungen erschwert und beeinträchtigt.
1963 wurden nach Lockerung der Reiseverbote für sie wieder Reisen ins westliche Ausland möglich.
1964 gründete sie mit GERDA SCHRIEVER, Alt, HANS-JOACHIM ROTZSCH , Tenor, und HERRMANN CHRISTIAN POLSTER , Bass, das Quartett "LEIPZIGER BACHSOLISTEN". 1966 wurde sie Direktoriumsmitglied der NEUEN BACHGESELLSCHAFT LEIPZIG, gleichzeitig wurde ihr der KUNSTPREIS DER DDR verliehen, und es kam zu einem Exklusivvertrag mit dem VEB Deutsche Schallplatten Berlin. Dieses Jahr gestaltete sich für sie besonders erfolgreich. Mit der SOLISTENVEREINIGUNG DES DEUTSCHLANDSENDERS kam es zu einer Reise nach Italien unter HELMUT KOCH , ebenfalls mit HELMUT KOCH zu weiteren Schallplattenaufnahmen, und zu wichtigen Konzertauftritten mit der DRESDNER PHILHARMONIE unter HEINZ BONGARTZ. 1968 folgten Reisen mit dem BACHORCHESTER LEIPZIG nach Jugoslawien und in die CSSR, gab sie Konzerte im Rahmen der Wiener Festwochen, 1969 Konzerte in Zürich . Im gleichen Jahr kam es zu Konzerten und Aufnahmen mit KURT MASUR , auch mit Privatschülern. 1970 wirkte sie bei den 19. HÄNDEL-Festspielen in Halle mit, und wurde von der Fachpresse ihre Leistung als "IPHIS" in HÄNDEL's "JEPHTA" als "brillant" gepriesen.
1970 und 1971 trat sie mit dem BACHORCHESTER LEIPZIG in Frankreich und der Sowjetunion auf und gab sie auch Liederabende mit ihrem Ehemann WOLFRAM IWER, Klavier. Noch bis 1980 gab sie Liederabende und wirkte in Oratorienaufführungen mit, wobei sie seit 1969 parallel auch immer mehr als Pädagogin und Stimmbildnerin von Chören wirkte.
1995 wurde sie zur Honorarprofessorin der Universität der Künste ernannt und nahm noch verschiedene Ehrenämter ein.
1999 war sie an der Gründung des NEUEN KAMMERCHORES POTSDAM beteiligt.
2007 wurde ihr für hre musikalischen Leistungen und musikpädagogischen Verdienste als Botschafterin deutscher Hochkultur durch Matthias Platzeck im Auftrage Horst Köhlers das VERDIENSTKREUZ AM BANDE DES VERDIENSTORDENS DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND verliehen.
Von den zahlreichen Schallplattenproduktionen auf Eterna und Eterna-DGG sind besonders die Aufnahmen "Bastien und Bastienne", viele BACH-Kantaten, die Matthäuspassion, und ihre "Echo"-Partie in "Ariade auf Naxos" herauszustellen. Ich besitze mit ADELE STOLTE noch viele andere mir sehr teure Aufnahmen, z. B. CDs von J.S. BACH's "Aus dem Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach", mit den BACH-Kantaten BWV 51, 199 und 202 mit dem GEWANDHAUSORCHESTER LEIPZIG unter KURT MASUR , ferner mit HÄNDEL's "Neun deutsche Arien" (mit KARL SUSKE!!), ferner HÄNDEL's "Italienische Solokantaten HWV 97, 170 und 230 mit dem HÄNDEL-FESTSPIELORCHESTER HALLE unter THOMAS SANDERLING, schließlich von HEINRICH SCHÜTZ "Kleine geistliche Konzerte" unter WILHELM EHMANN, und nicht zuletzt eine wunderbare CD mit "Bastien und Bastienne" mit dem KAMMERORCHESTER BERLIN unter HELMUT KOCH, u. a. mit PETER SCHREIER und THEO ADAM. Was mir noch fehlt ist die Aufnahme der Matthäuspassion mit ihr und HANS-JOACHIM ROTZSCH, ANNELIES BURMEISTER, PETER SCHREIER, THEO ADAM, GÜNTHER LEIB, dem DRESDNER KREUZCHOR, dem THOMANERCHOR LEIPZIG, und dem GEWANDHAUSORCHESTER LEIPZIG unter RUDOLF UND ERHARD MAUERSBERGER!
ADELE STOLTE ist übrigens nach meinem Wissen auf der Bühne nicht in Erscheinung getreten.
Es ist bewundernswert, zu welch großartiger Leistung und künstlerischem Ansehen es diese Sängerin trotz aller Widrigkeiten und der ihr auferlegten Hürden und Hindernisse gebracht hat. Ihre helle, reine, natürliche Stimme, wie auch ihre unprätentiöse, unmanierierte Interpretation nehmen für sich ein und prädestinieren sie ganz besonders für die Musik von BACH und HÄNDEL.
ADELE STOLTE ist übrigens auch auf Youtube mit verschiedenen Aufnahmen zu hören.
Es wäre dieser großartigen Künstlerin zu wünschen, daß ihrem beindruckenden Lebenswerk noch zu Lebzeiten die wohlverdiente Aufmerksamkeit zuteil wird.
Viele Grüße
wok