Das Hauptaugenmerk dieser ersten Vorstellung einer Don-Carlo-Reprise an der Staatsoper galt wohl Placido Domingo, der sich in einer weiteren Baritonpartie erstmals dem Publikum vorstellte. Vor fünfzig Jahren debütierte Domingo mit der Titelrolle an der Staatsoper, jetzt war er also zum ersten Mal Rodrigo, Marquis von Posa. Abgesehen davon, dass es lange gedauert hat, bis Domingo in die Rolle hineingefunden hat, kann man die Tatsache nicht wegwischen, dass Domingo eben kein Bariton ist, und so klingt sein Rodrigo nun mal nach einem Tenor, da fehlt es einfach an der notwendigen Tiefe. Für die großen, herrlichen Verdi-Kantilenen fehlte es ihm an Atem. Die Arie gelang ihm recht gut, wenn man eben vergessen kann, dass sie tenoral erklang, und die Sterbeszene gestaltete er ganz großartig. Da kamen sein intensiver Gestaltungswille als auch seine jahrelange Bühnenerfahrung durch. Für einen Mann Mitte 70 eine beachtliche Leistung, aber einen glaubwürdigen, leidenschaftlichen Revolutionär nimmt man ihm einfach nicht ab.
Dabei sollte man aber nicht außer Acht lassen, welch großartiges Sängerensemble um ihn herum aufgeboten wurde. Es war das Königspaar, dass an diesem Abend auch die Krone für die beste Gesamtleistung tragen durfte. Ferruccio Furlanetto, immerhin auch schon Ende 60, war ein hervorragender Filippo. Ja, das ist seine Partie, und wenn er einen guten Abend hat, so wie in dieser Vorstellung, ist er immer noch eine Klasse für sich. Sein Ella giammai m'amo sicher ein Höhepunkt. Die Sängerin des Abends war Krassimira Stoyanova, die als Elisabetta ihren kostbaren und edel-timbrierten Sopran erklingen ließ. Die Stimme ist etwas dünkler geworden und hat vor allem in der Mittellage und in der Tiefe an Volumen gewonnen. Tu che le vanità war neben der Filippo-Arie der zweite vokale Höhepunkt des Abends. Stoyanova's Sopran strömte in herrlichsten Klangfarben in den Zuschauerraum, und sie hat mit ihrer Interpretation bewiesen, dass sie in dieser Rolle derzeit wohl konkurrenzlos ist.
Elena Zhidkova sang erstmals in Wien die Eboli. Das Timbre an sich ist sehr attraktiv, doch der Mezzosopran der Russin ist schon etwas zu hell für die Partie. Da fehlte es doch etwas an Tiefe. Überhaupt bringt sie die Partie ziemlich an die Grenze dessen was die Partie verlangt. In der dramatischen Attacke sind die Töne kurz, wie auch im Finale von O don fatale. Da ist noch Luft nach oben.
Bleibt von den Hauptpartien noch die Titelrolle. Den Don Carlo sang Ramon Vargas. Der mexikanische Tenor singt schon sehr lange, die Stimme hat an Glanz verloren, Spitzentöne kommen nicht mehr so einfach wie früher. Doch mit seiner Erfahrung gelang dem sympathischen Tenor letztendlich doch eine zufriedenstellende Leistung.
Die Nebenrollen wurden aus dem Ensemble besetzt. So war Alexandru Moisiuc ein etwas zu wenig bedrohlich klingender Großinquisitor, Ryan Speedo Green war der Mönch, Carlos Osuna der Conte di Lerma bzw. der Herold, Margaret Plummer der Tebaldo und Hila Fahima die wunderschön aus dem Off singende Stimme vom Himmel.
Myung-Whun Chung ließ es aus dem Orchestergraben das ein oder andere mal schon richtig krachen - so beim Carlo-Rodrigo-Duett im ersten Akt -, sorgte aber auch für musikalische Tiefe. Die Inszenierung von Daniele Abbado verlegt die Handlung ja ins 19. Jahrhundert. Ersichtlich übrigens nur an den Kostümen, denn Ausstattung gibt es so gut wie keine. Die Inszenierung lebt aber von der hervorragenden Lichtregie von Alessandro Carletti.
Domingo hat übrigens kürzlich angekündigt, noch einige Jahre singen zu wollen. Also, noch einige Möglichkeiten sich noch weitere Baritonpartien zu erarbeiten.
Gregor