Richard Wagner und das Ende der deutschen Oper des 19. Jahrhunderts


  • Hallo und herzlich willkommen Antalwin,



    stimme Dir in allem zu. Würde das aber auch noch für die der Tradition verpflichteten Opern geltend machen - Königskinder ist ja auch erst nach der Jahrhundertwende durchkomponiert worden. Anachronistisch sei dementsprechend noch d'Albert genannt, wenngleich der ja erfreulicherweise in letzter Zeit wieder häufiger gegeben wird. Natürlich auch immer mit dem Hinweis, dass "Tiefland" Hitlers Lieblingsoper gewesen sei. Schnarch.


    Ich habe einen Opernführer von kurz nach Ausbruch des 1. Weltkrieges: Meine Güte, was da alles an deutschen Opern genannt wird!!!!! Da reizt mich vieles schon allein vom Handlungsgewebe.


    LG,


    Knuspi

  • Doch drehen wir den Spieß mal rum: Was dem Italiener seine Oper, ist dem Deutschen vielleicht doch eher die große Sinfonie, besser noch: Symphonie.


    Welche Sinfonie eines italienischen Komponisten des 19. Jhds. hätte denn heute noch irgendeine messbare Bedeutung? Da machen sich doch Fidelio, Freischütz und HänselUndGretel immer noch ganz gut ...


    Von Klaviersonaten, Streichquartetten, Liederzyklen usw. usw aus Italien mal ganz zu schweigen. (Ausnahmen bestätigen die Regel: Verdi schrieb ein Streichquartett, Donizetti m. W. auch.)


    Richtig: Die Frage wäre die gleiche, als würde man fragen warum in Italien eigentlich mehr deutsche Instrumentalmusik des 19. Jhrdts. aufgeführt wird als italienische. Auf dem Gebiet war im 19. Jahrhundert halt die deutsch/österreichische Musik führend.


    Gruß
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Von Klaviersonaten, Streichquartetten, Liederzyklen usw. usw aus Italien mal ganz zu schweigen. (Ausnahmen bestätigen die Regel: Verdi schrieb ein Streichquartett, Donizetti m. W. auch.)


    Du bestätigst ja selbst, dass das Streichquartett in Italien bedeutende Beiträge aufzuweisen hat. Zuerst gibt es da den Zyklus von Cherubini (den hast Du übersehen), dann Donizetti und Verdi. Es folgt Sgambati in der Zeit, als in Italien das Bedürfnis stärker wurde, bedeutendes Instrumentalmusik-Land zu sein. Zur vielleicht bekanntesten Figur in dem Zusammenhang, Martucci, finde ich auf die Schnelle ein Klavierquintett.


    Orchestermusik gibt es natürlich auch:


    Ich denke, dass Cherubini und Weber etwa gleichauf hochbedeutende Komponisten sind. Wagner ist hier außer Konkurrenz.

  • 1.) Die ProtagonistInnen des heutigen "Regietheaters" in Deutschland stehen sehr wahrscheinlich alle politisch links. Man könnte ja gar für politisch rechts gehalten werden, wenn man so etwas auf den Spielplan setzen und inszenieren würde.


    Genau. Warum sollte man eigentlich nach einer Erklärung für ein Phänomen suchen, wenn man eine "linke Weltverschwörung" als Erklärung für alles nehmen kann? Dass die Kinder nicht mehr grüßen, die Züge unpünktlich sind, das Wetter so schlecht und die Sänger heiser... schlicht für alles.



    Zitat

    Arbeitet man sich durch Deutschlands Blätterwald der Kulturteile, so gelten Weber, Lortzing und Humperdinck als Komponisten für Spießer, Hans Pfitzner als gefährlicher Nationalist und Nazi-Wegbereiter.


    Belege? Wenn die Sachen (außer Freischütz) eh kaum gespielt werden, werden sie wohl kaum intensiv im Blätterwald von linken Edelfedern diskutiert. Pfitzner war sicher nicht (politisch) einflußreich genug (und außerdem anscheinend ein Querulant), aber es ist ziemlich zweifelsfrei belegt, dass er ein antisemitischer Nationalist, schon lange vor der Nazi-Zeit, gewesen ist. Das ist also mitnichten eine Unterstellung. Ebensowenig wird aber verbreitet behauptet, dass z.B. Palestrina in der (potentiell gefährlichen) Weise nationalistisch ausgenutzt werden kann wie z.B. Meistersinger. Es kann also kaum an einem linken Vorurteil liegen, dass Meistersinger oder Lohengrin heute häufiger gespielt werden als Palestrina oder "Rose vom Liebesgarten" (Ohne Daten zu kennen, würde ich jede Wette eingehen, dass diese Werke auch in den 1920ern und 1930ern seltener gespielt wurden als Wagner.)



    Zitat

    Kreutzer, Cornelius und Goldmark sind schon total vergessen. Bereits Rudolf Schock beklagte sich in seiner Autobiographie, daß Lortzings Wildschütz nur noch als Posse inszeniert werde. Zur Erinnerung: Rudolf Schock mußte die Oper "Der Evangelimann" 1973, mit immerhin 58 Jahren, für die Wiener Volksoper dem Todesschlaf entreißen, sie war seit Jahrzehnten nicht aufgeführt worden.


    D.h. die Linke Weltverschwörung herrschte schon vor über 50 Jahren sogar an der Wiener Volksoper (wenn das Stück 1973 schon Jahrzehnte nicht mehr gegeben worden war)? Eben war doch gerade das Verschwinden dieses Repertoires in dem Zeitraum seitdem beklagt worden. Wenn es vorher schon obskur gewesen ist, worüber genau wird geklagt?



    Zitat

    Ich habe die ketzerische Meinung, daß auch Richard Wagner nur noch soviel gegeben wird, weil er als "rechter" Komponist gilt, den man entnazifizieren muß.


    Das ist nun ja völliger Quatsch. Mit solchen Volten kann man alles beweisen: Komponist X wird nicht gespielt, weil er den linken Verschwörern nicht genehm ist. Komponist Y wird häufig gespielt, weil er den linken Verschwörern nicht genehm ist. Wie es gerade passt...


    Wird Wagner deswegen in USA und anderswo auch so häufig gegeben? Wer sich auch nur oberflächlichst mit Wagner befasst hat, weiß außerdem, dass der ungeachtet seines Antisemitismus und der Vereinnahmung durch die Nazis politisch ganz gewiss nicht "rechts" einzuordnen war.



    Zitat

    Die Deutschen empfinden, bedingt durch das Dritte Reich, Desinteresse, Schuld und Scham gegenüber ihrer Kultur, was verständlich ist und sich erst langsam abbaut. Man hat Aversionen gegen die als national empfundene Opernkultur des 19. Jhs. mit ihren Sagen, Helden und Schlachten. Man berauscht sich lieber an einer italienischen Hofoper des 18. Jhs., in der ein Altist eine Kastratenpartie singt, denke ich.


    Aus Scham aufgrund des dritten Reichs wird nicht in der Nachkriegszeit, sondern knapp dreißig Jahre später wenig Lortzing gespielt (Wagner und Weber dafür durchgehend und unvermindert) und die Wiederentdeckung der Barockoper in den 1980er Jahren hängt nun auch damit zusammen?


    Sorry, aber das ist völlig unplausibel. Der entscheidende Punkt ist dabei, dass die "nationalistisch" am stärksten aufgeladenen Sachen, nämlich Wagner und Freischütz seit der Nachkriegszeit ununterbrochen häufig gespielt wurden. (Und, nicht national, aber unter Spießerverdacht: Hänsel und Gretel ebenfalls) Und eine um 30 Jahre verspätete Vergangenheitsbewältigung zu Lasten der deutschen Spieloper, während Wagner weiterhin rauf und runter gespielt wird. Das glaubt doch wohl niemand im Ernst...


    Das einzige, was vermutlich richtig ist, ist, dass die Internationalisierung des Opernbetriebs ungünstig für diese deutschsprachigen Werke gewesen ist (ebenso natürlich für die Aufführung ital. Opern auf deutsch.) Das ist aber sicher kein Effekt der kommunistischen, sondern der kapitalistischen Internationale. Konkurrenz, Effizienz, Mobilität usw.


    NB: Obwohl ich kein besonderer Fan des verschwundenen Repertoires bin, halte ich das Verschwinden durchaus für beklagenswert, ebenso anderen Repertoireschwund, und ich halte auch deutschsprachige Aufführungen fremdsprachiger Opern für eine erhaltenswerte Option. Aber die Erklärung mittels linker Verschwörung ist einfach haarsträubend, bei allem Respekt (den zu behalten zunehmend schwerfällt)

    Struck by the sounds before the sun,
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Du bestätigst ja selbst, dass das Streichquartett in Italien bedeutende Beiträge aufzuweisen hat.


    Na ja, schon. Aber wer kennt die? Ich würde meinen, dass du wenigstens 98 von 100 Opernbesuchern mit der Tatsache verblüffen kannst, dass Verdi ein wunderbares Streichquartett geschrieben hat. Und die anderen Verfasser "bedeutender Beiträge" werden wohl nicht einmal dem Namen nach gekannt werden...


    :hello:

    Ciao


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  • Na ja, schon. Aber wer kennt die? Ich würde meinen, dass du wenigstens 98 von 100 Opernbesuchern mit der Tatsache verblüffen kannst, dass Verdi ein wunderbares Streichquartett geschrieben hat. Und die anderen Verfasser "bedeutender Beiträge" werden wohl nicht einmal dem Namen nach gekannt werden...


    "Bedeutend" ist halt auch ein nach Belieben dehnbarer oder wieder zusammenziehbarer Begriff.
    :D
    Ob jetzt Marschner oder Zemlinsky, Lortzing oder Korngold bedeutender ist?
    Dass in der deutschen Oper des 19. Jahrhunderts große Flaute abgesehen von Wagner war, glaube ich nicht.


    Aber wie sieht es im frühen 19. Jahrhundert in Italien aus? Die meisten berühmten Italiener sind offenbar nach England (Clemeti und Viotti), Deutschland/Österreich (Salieri) oder Frankreich (Cherubini, Paer, Spontini) ausgewandert. Wo ich Paganini hintun soll, weiss ich schon gar nicht.


    Als Gegenbewegung weiß ich nur von Johann Simon Mayr, dem "Vater der italienischen Oper" :D - er hat auch Kammermusikwerke geschaffen und starb 1845 in Bergamo.


    Paisiello lebte bis 1816, ich bin nicht informiert, welche Instrumentalwerke nach 1800 entstanden sind.
    In der jüngeren Generation gibt es ja dann einige berühmte Opernkomponisten: Soliva, Rossini, Mercadante, Donizetti, Bellini.


    Ich würde also annehmen, dass der deutsche Beitrag zur Oper der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewichtiger ist als der italienische zur Instrumentalmusik. Aber ich kenne das alles viel zu wenig.

  • Verdi hat selbst eingeräumt (sogar angesichts seines Quartetts), dass die Deutschen für das Instrumentale zuständig wären.


    Der relative Stellenwert von Instrumentalmusik und Oper ist aber, glaube ich, nicht der Punkt. Behauptet, und das scheint mir eher fragwürdig, wurde, dass die deutschsprachige Oper außer Wagner im 19. Jhd. bei weitem nicht so bedeutend sei wie die italienische. Ich wage das mangels Kenntnis kaum zu beurteilen. Aber Weber war gewiss kein schlechterer Komponist als Rossini (nur hatte er eben extremes Pech mit Libretti und vielleicht auch einen Mangel an Urteilsvermögen diesbezüglich) und ein sehr wichtiger Einfluss auf Berlioz (der Rezitative für die franz. Fassung schrieb und dafür auch die Aufforderung zum Tanz arrangierte, als Ballettmusik) und Wagner. Allerdings ist Freischütz schon seit langer Zeit außerhalb des deutschsprachigen Raums nicht annähernd so populär wie hier.
    Und Fidelio ist ebenfalls seit den 1820ern durchweg im Repertoire und als bedeutendes Stück anerkannt.


    Und wenn man mal abzählt, wie viel Donizetti, Rossini, Mercadante komponiert haben und wieviel davon heute noch/wieder regelmäßig gespielt wird, relativiert das die angebliche Dominanz auch wieder. Das war eine Tretmühle (Verdi: Galeerenjahre) und nicht unbedingt immer für die Ewigkeit (was man zumindest Beethoven und Wagner wohl unterstellen kann) gedacht.


    Der französischen Oper geht es ja eher noch schlechter, jedenfalls außerhalb des Mutterlandes, oder?

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  • Aber Weber war gewiss kein schlechterer Komponist als Rossini


    Also da sind wir mal ganz und gar nicht einer Meinung. Rossinis Leichtigkeit sollte man nicht unterschätzen. Im Vergleich zu Weber sprüht Rossinis Musik vor Pfiffigkeit, Witz und Esprit. Weber hingegen halte ich für einen der überschätztesten Komponisten überhaupt, nicht nur seine Opern finde ich musikalisch recht dünn und klischeehaft, auch seine Klarinettenkonzerte und Kammermusik kommen mir sehr floskelhaft vor. Sein Erfolg beruht meiner Meinung nach eher darauf, daß er zur richtigen Zeit am richtigen Ort das "Richtige" tat.


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Der französischen Oper geht es ja eher noch schlechter, jedenfalls außerhalb des Mutterlandes, oder?


    Definitiv nicht!


    Die Franzosen haben zwar keinen Wagner, aber Bizet, Berlioz, Offenbach, Auber, Massenet, Gounot, Halévy, Meyerbeer, Saint-Saens und Délibes werden in einer weltweiten Statistik in Summe wohl kaum weniger aufgeführt werden, als die "Deutschen". Dabei gibt es noch Chabrier, Beaulieu, Charpentier, Franck, Thomas, D'Indy....



    PS: In Liebestraums List der wichtigeren deutschen Opern des 19. Jahrhunderts fehlt Schumanns Genoveva!


    :hello:

    Ciao


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  • Also da sind wir mal ganz und gar nicht einer Meinung. Rossinis Leichtigkeit sollte man nicht unterschätzen. Im Vergleich zu Weber sprüht Rossinis Musik vor Pfiffigkeit, Witz und Esprit. Weber hingegen halte ich für einen der überschätztesten Komponisten überhaupt, nicht nur seine Opern finde ich musikalisch recht dünn und klischeehaft, auch seine Klarinettenkonzerte und Kammermusik kommen mir sehr floskelhaft vor. Sein Erfolg beruht meiner Meinung nach eher darauf, daß er zur richtigen Zeit am richtigen Ort das "Richtige" tat.


    Ich kenne Rossini vermutlich zu schlecht, da ich noch nie eine Oper durchgehalten habe und nur Ouverturen und Ausschnitte kenne. Die Instrumentalmusik von Weber halte ich zwar eher für unterschätzt, aber weitgehend nicht erstklassig. Die steht aber kaum zur Debatte und wurde überdies zum größeren Teil in ziemlich jungen Jahren und ohne tieferen Anspruch komponiert.
    .
    Musikalisch kann Dir der "Freischütz" (und die andern Opern) höchstens klischeehaft vorkommen, weil es sich eben um die "Originale" handelt, die die Klangwelt der Romantik noch eine Generation später entscheidend geprägt haben. Aber als Weber das komponierte, war es so aufregend und neuartig, dass es Revolutionäre wie Berlioz und Wagner begeisterte und beeinflusste.
    Man muss immer im Blick haben, dass Weber im Jahr vor Beethoven verstorben ist!

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  • Und wenn man mal abzählt, wie viel Donizetti, Rossini, Mercadante komponiert haben und wieviel davon heute noch/wieder regelmäßig gespielt wird, relativiert das die angebliche Dominanz auch wieder. Das war eine Tretmühle (Verdi: Galeerenjahre) und nicht unbedingt immer für die Ewigkeit.


    Das ist richtig. Rossini war führendes Mitglied der italienischen Opernindustrie. Aber man soll dabei nicht vergessen, dass er zwar einige Opern geschrieben hat, die heute nur mehr von Insidern dem Namen nach bekannt sind, aber:


    La scala di seta, Tancredi, L'italiana in Algeri, Il turco in Italia, Elisabetta, La gazza ladra, La Cenerentola, Il barbiere di Seviglia, Semiramide, Guillaume Tell.


    Das sind immerhin 10 Opern, die in den letzten Jahrzehnten weltweit ziemlich häufig auf den Spielplänen zu finden waren, zwei davon echte "all-time" Superhits. Weitere Opern finden zumindest gelegentlich auf die Bühne (Il Signor Bruschino, Otello, Armida, Mosè in Egitto, La donna del lago, Maometto secondo, Il viaggio a Reims, Le Comte Ory). Wie viele deutsche Opernkomponisten können dagegen ins Rennen geführt werden?


    :hello:

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  • Die Namen kennt man halt von den Platten mit Ouverturen (wobei ich Elisabetta nicht mal daher kenne). Natürlich gibt es keinen entsprechenden deutschen Komponisten, weil es auch diesen Tretmühlenbetrieb in der Form nicht gab. (Als Wien im Rossini-Fieber war soll Beethoven gesagt haben, die Italiener bräuchten so viele Monate zum Schreiben einer Oper wie die Deutschen Jahre...)


    Es kommt aber ja nicht auf die Anzahl an. Ich kann und will, wie gesagt, über Rossini nicht urteilen (und er wurde gerade in der deutschen Tradition sicher oft unfair runtergemacht). Aber Weber und Bizet sind nicht allein deshalb weniger wichtige Opernkomponisten, weil ihr Ruhm im wesentlichen auf bloß einem Werk besteht, während von den dutzenden von Rossini und Donizetti de facto je eine Handvoll im Repertoire verblieben sind. Bei Weber sind das ja auch Einflüsse, etwa in der Instrumentation, die nicht nur auf die Operntradition beschränkt sind.
    (Es gibt ja einen Extra-Thread zu Weber; ich bin keineswegs der Ansicht, dass der Freischütz völlig unproblematisch ist. Aber was uns heute Klischee-Romantik scheinen mag, war 1820 eben tatsächlich neu und in mancher Hinsicht revolutionär.)


    In der angeblich guten alten Zeit bis Ende der 1960er dürfte im deutschsprachigen Raum der Freischütz vermutlich etwa so häufig gegeben worden sein wie Barbier und Tell zusammen. Ich möchte nicht entscheiden, ob der Opernfreund verloren hat, weil nun "Martha" oder "Wildschütz" weniger gespielt werden, oder gewonnen, weil eben auch mal eine der von Dir genannten Rossini-Stücke drankommen, nicht nur die beiden berühmtesten.

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  • Die Namen kennt man halt von den Platten mit Ouverturen (wobei ich Elisabetta nicht mal daher kenne).


    Der "Barbier von Sevilla" und die "Elisabetta, regina d'Inghilterra" haben ein und dieselbe Ouvertüre, die Rossini ursprünglich für seine Oper "Aureliano in Palmira " komponiert hatte. Aus Zeitmangel mußte er die Ouvertüren mehrfach verwenden. Auch die Opern "La Gazzetta" und "La Cenerentola" müssen sich eine Ouvertüre teilen....


    LG


    ;)

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Man muss immer im Blick haben, dass Weber im Jahr vor Beethoven verstorben ist!

    Ja, obwohl die Generation/das Geburtsjahr auch eine entscheidende Rolle spielt, muss ich Dir da Recht geben.


    Musikalisch kann Dir der "Freischütz" (und die andern Opern) höchstens klischeehaft vorkommen, weil es sich eben um die "Originale" handelt, die die Klangwelt der Romantik noch eine Generation später entscheidend geprägt haben. Aber als Weber das komponierte, war es so aufregend und neuartig, dass es Revolutionäre wie Berlioz und Wagner begeisterte und beeinflusste.

    Die Argumentation ist schon richtig. Aber das ist was ich meinte, als ich oben schrieb, Weber hätte das zur richtigen Zeit Entscheidende gemacht. Dafür ist oft die "Qualität" der Komposition nicht das letzte Kriterium. Auf diese Weise hatte Weber wichtigen Einfluss auf die Oper in Deutschland. Vielleicht wäre die Spukszene im Holländer ohne den Einfluss der Wolfsschluchtszene so nicht möglich gewesen. Daß mir trotzdem einiges von Beethoven noch heute revolutionärer und unerhörter vorkommt, darin zeigt sich meiner Meinung nach z.B. die ungeheure Qualität von Beethovens Musik. Revolutionär zu sein ist eigentlich leicht - der Witz besteht erst darin, trotzdem oder gleichzeitig künstlerisch zu überzeugen. Das schafft Weber bei mir nicht so recht.


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Wenngleich auch ich dem Gedanken an eine "linke kulturelle Weltverschwörung" ;) nicht ganz abhold bin - so lässt sich nicht alles damit erklären.


    Es gibt sicher eine Reijhe von Gründen warum heute die Deutsche Oper hinter der italienischen hinterherhinkt.


    1) Vermutlich war das schon immer so - Es wurde ganz richtig bemerkt, daß schon zu Mozarts Zeiten der italienischen Oper der Vorzug gegeben wurde. Zum einen der musikalischen Tradition wegen (italienisch war "chick") zum anderen der besseren Librettisten wegen. Schon Mozart lobte Ignaz Holzbauers Musik für die Oper "Günther von Schwarzburg" den Einfollsreichtum des Komponisten, zu solch einem schwachen Libretto. (von Anton Klein)
    Das gilt auch für die Entführung, deren Handlung bei aller Liebe zur Musik doch eigentümlich blutleer und zudem noch verlogen wirkt. Über die Zauberflöte wurde ja schon ausführlich geschriebenm das möchte ich hier an dieser Stelle nicht aufwärmen.
    Kommen wir zu Beethovens Fidelio. Musdikalisch sicher ein Meisterwerk - aber das Libretto ?
    "Jetzt Schätzchen, jetzt sind wir allein - wir können vertraulich nun plaudern" - Tja das klingt schon arg verstaubt - zumindest für die Mehrheit des Publikums. Die unglaubwürdige Handlung, daß sich die Tochter des Gefängniswärtes in einen angeblichen Burschen verliebt, der in Wahrheit eine Frau ist - und es nicht merkt. Ein Minister der mit einem Schlag ungeprüft eine Horde von Sträflingen freilässt. All das ist schon starker Tobak - Dazu ist bei dem angeblich in Spanien spielenden Stück kein Hauch von Lokalkolorit zu bemerken...die Handlung könnte auch in Brunsbüttel spielen....


    Webers Freischütz ist natürlich ein Volltreffer, weil er ins Zentrum des romantischen Menschen (und vielleicht des Menschen überhaupt) trifft mit seiner Mischung aus Aberglauben und Religiosität - hier ist man inhaltlich schon sehre nahe bei Verdi - und man wird dafür belohnt. Der weiter oben monierte Brautchor entsprach zum einen dem Zeitgeschmack- und er erfüllte eine wichtige dramaturegische Wirkung - nämlich dann wenn die Brautkrone als Totenkrone erkannt wird.
    Der Librettist war sich aber bewusst wie nahe er am Kitsch lavierte. Mittels des Liedes von der Ahne wird das gezielt abgeschwächt. Es finden sich zahlreiche Tricks die das Publikum beeindrucken in dieser Oper - deshalb ist das Werk auch nicht umzubringen.


    Lorzings Opern , aber auch "Martha" oder "Die Lustigen Weiber von Windsor" sind eigentlich frühe Operetten - wenngleich sie nicht so genannt wurden. Das gilt auch für Dittersdorfd "Doktor und Apotheker. - und sie wurden vermutlich vom Publikum auch so gesehen.


    Damit sind wir schon beim nächsten Punkt:


    2)Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Deutsche Spieloper allmählich von der Operette verdrängt,
    Der Operette hat man ja schon lange nachgesagt, sie sei tot. Aber in Mörbisch am Neusiedlersee
    wird jährlich bewiesen, daß das nicht stimmt.



    3)Deutsche Oper des 19. Jahrhunderts widersetzt sich weitgehend dem Regietheater - nimmt man ihr das altertümelnde, dann zerstört man das ganze Werk....



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die Namen kennt man halt von den Platten mit Ouverturen (wobei ich Elisabetta nicht mal daher kenne). Natürlich gibt es keinen entsprechenden deutschen Komponisten, weil es auch diesen Tretmühlenbetrieb in der Form nicht gab. (Als Wien im Rossini-Fieber war soll Beethoven gesagt haben, die Italiener bräuchten so viele Monate zum Schreiben einer Oper wie die Deutschen Jahre...)


    1. Deine Kenntnis von Rossini-Ouvertüren wird dem Komponisten eben nicht vollständig gerecht. ;) Ich meine, du unterschätzt ihn doch beträchtlich. Auf der Suche nach Statistiken fand ich eine, die den Feber und März 1994 widerspiegelt und bis auf die ehemaligen Länder der UdSSR die Opernhäuser dieser Welt recht gut abdeckt. In diesen beiden Monaten liefen 9 verschiedene Rossini-Opern in 23 Inszenierungen! Nur Wagner (10) und Verdi (14) waren weltweit mit mehr Werken vertreten! Und nur von Mozart, Puccini und Verdi gab es mehr Inszenierungen! Auch wenn es deutschem Musikverständnis schwer fällt, Rossini ist auf den Opernbühnen dieser Welt ein ganz großer. Dazu kommt, dass er einer der ganz wenigen ist, die sowohl das komische wie das ernste Fach großartig beherrschten. Er bescherte uns nicht nur zwei der herrlichsten komischen Opern (und noch eine ganze Reihe kleinerer, aber nicht weniger lustiger Werke), sondern überzeugte auch bei ernsten Stoffen (Elisabetta oder Guillaume Tell). Wer konnte das noch auf diesem Niveau? Mozart natürlich, dann Donizetti und mit Abstrichen Strauss. Das war's dann aber im Wesentlichen.


    2. Was heißt "..., weil es auch diesen Tretmühlenbetrieb in der Form nicht gab."? Es gab keinen Komponisten deutscher Opern, den man auf diese Weise hätte beschäftigen können! Schließlich wurden ja die italienischen Opern auch in deutschsprachigen Ländern fleißig gespielt - Rossini-Fieber! Hätte Beethoven bei seinem ersten Opern-Versuch den Fidelio produziert, wäre er vielleicht als Opernkomponist in die Geschichte eingegangen. So hat er trotz Bemühen keinen weiteren Auftrag bekommen, da man sich zu sehr an diese mehr als schwere Geburt erinnerte. Das mangelnde Vertrauen an nicht-italienische Komponisten hat wohl auch keinen Wiener Impresario an Schubert denken lassen, um ihn mit einem professionellen Libretto-Autor und den entsprechenden finanziellen Mitteln zu versehen. Wenn man sich anschaut, was Schubert aus dem Amateur-Libretto zu Alfonso und Estrella gemacht hat, mag man gar nicht daran denken, was entstanden wäre, hätte er einen gewieften Theaterpraktiker als Autor zur Seite gehabt.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Das gilt auch für die Entführung, deren Handlung bei aller Liebe zur Musik doch eigentümlich blutleer und zudem noch verlogen wirkt.


    Einspruch! Egal, wie die Handlung auf dich wirkt - das ist ein ziemlich gutes Textbuch!


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Kommen wir zu Beethovens Fidelio. Musdikalisch sicher ein Meisterwerk - aber das Libretto ?
    "Jetzt Schätzchen, jetzt sind wir allein - wir können vertraulich nun plaudern" - Tja das klingt schon arg verstaubt - zumindest für die Mehrheit des Publikums. Die unglaubwürdige Handlung, daß sich die Tochter des Gefängniswärtes in einen angeblichen Burschen verliebt, der in Wahrheit eine Frau ist - und es nicht merkt. Ein Minister der mit einem Schlag ungeprüft eine Horde von Sträflingen freilässt. All das ist schon starker Tobak - Dazu ist bei dem angeblich in Spanien spielenden Stück kein Hauch von Lokalkolorit zu bemerken...die Handlung könnte auch in Brunsbüttel spielen....


    Genau! Richtig, Alfred! Messerscharf erkannt! Meisterlich!! :jubel::jubel::jubel::jubel:


    Genau darum lässt man im sog. Regietheater den Fidelio eben in Brunsbüttel, im Schatten des dortigen Atomkraftwerkes spielen! Das hast Du unübertrefflich auf den Punkt gebracht und gleich die Rechtfertigung mitgeliefert! Danke!!!


    Wenn es sowieso unglaubwürdig ist, wie Du völllig richtig urteilst, wenn also damit einem mündigen Publikum - außer einem dumpfen, oberflächlichen Genuss - nichts geboten werden kann, was dessen Auffassungs- und Urteilsgabe halbwegs gerecht würde, dann schreit so ein Werk doch nach Verfremdung!


    3)Deutsche Oper des 19. Jahrhunderts widersetzt sich weitgehend dem Regietheater - nimmt man ihr das altertümelnde, dann zerstört man das ganze Werk....


    Das klingt jetzt natürlich wie ein Widerspruch zu Deiner oben zitierten Aussage ...

  • Lieber Wolfram,


    hier hast du Alfred falsch verstanden. Während Beethoven dem "Fidelio" seine Sinfonie-Musik aufdrückt, ist für Weber immer auch das musikalische Lokal-Kolorit in seinen Werken wichtig. Damit widerspreche ich auch Byron, der von einer revolutionäreren Musik Beethovens im Bereich der Oper sprach. Das zeugt von wenig Kenntnis der Weberschen Opernmusik. Denn immerhin schwärmten viele Operngrößen des 19. Jahrhunderts eben für Weber und nicht für Beethoven.



    Es wird immer wieder der Fehler gemacht, die Musik aus heutiger Sicht zu beurteilen und dabei die zeitlichen Umstände, den Kontext und den Stand der Musikentwicklung zu berücksichtigen.


    Webers Wolfsschluchtszene muss damals eingeschlagen haben wie eine Bombe. Und es ist klar: eine solche Orchestersprache, die das gespenstig-düstere der Szene so meisterhaft darstellte, war völlig neu. Mit dem Jägerchor schuf Weber eine Musik, die auch auf Jäger gemünzt war. Diese Art eine Chorszene darzustellen, lebte bis zu Wagner fort. So ist der "Matrosen"-Chor aus seinem "Holländer" eigentlich im übertragenen Sinne ein Plagiat des Jägerchores. Wenn wir die "Freischütz"-Ouvertüre hören, dann wird klar, wo sich das Geschehen abspielt: im Wald. Lauscht man der "Euryanthe"-Ouvertüre, merkt man gleich, das man in die Ritterzeit versetzt wird. Auch die Sturmmusik im "Oberon" ist so prägnant komponiert, dass man tatsächlich einen musikalischen Sturm erlebt. Beethovens "Fidelio"-Ouvertüre könnte auch für "Marianne Schnepfenteich" komponiert sein. Sie sagt nichts in Bezug auf die nun gleich beginnende Oper aus. Nun könnte man sagen, dass hat Beethoven ja mit mehreren Komponisten gemein. Ja schon, aber das zeigt nur noch deutlicher auf Webers Qualitäten. Er überließ nichts dem Zufall, alles war wohl überlegt auf dem Weg zum musikalischen Gesamtkunstwerk. Überhaupt ist Beethovens Sinfoniemusik-"Fidelio" zu eindimensional und zu einfach gestrickt.


    :hello: LT - Der große Weber-Verehrer

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  • Und es ist klar: eine solche Orchestersprache, die das gespenstig-düstere der Szene so meisterhaft darstellte, war völlig neu.


    Wer sich dafür interessiert, was sich sonst so getan hat, und wodurch total Revolutionäres relativiert wird, dem empfehle ich:

    Antonio Cartellieri (1772 - 1807)
    La Celebre Nativita Del Nostro (1806)
    mit einem durchwegs schauerlich-frühromantischen Abschnitt.


    Bislang glaubte ich ja, dass Rossini und Weber etwa gleichermaßen hochgeschätzt sind. Und Verdi hätte ich auch nicht weit entfernt gesehen. Aber das kann ich ja mal revidieren.

  • Er bescherte uns nicht nur zwei der herrlichsten komischen Opern (und noch eine ganze Reihe kleinerer, aber nicht weniger lustiger Werke), sondern überzeugte auch bei ernsten Stoffen (Elisabetta oder Guillaume Tell). Wer konnte das noch auf diesem Niveau? Mozart natürlich, dann Donizetti und mit Abstrichen Strauss. Das war's dann aber im Wesentlichen.


    Das deckt sich so überhaupt gar nicht mit meiner Wahrnehmung.
    :D
    Zumindest Lully muss unbedingt dazukommen. Und ist Donizetti wirklich so viel besser als Paisiello?
    ?(

  • Hallo Kurzstueckmeister,


    also von neuer Tonsprache ist da wenig zu vernehmen, das klingt alles sehr nach Haydn und Salieri, selbst wenn dort mal düster-gespenstige Momente sind, zerfällt es dann doch gleich wieder in all bekannte Muster.


    :hello: LT

  • Hallo Kurzstueckmeister,


    also von neuer Tonsprache ist da wenig zu vernehmen, das klingt alles sehr nach Haydn und Salieri, selbst wenn dort mal düster-gespenstige Momente sind, zerfällt es dann doch gleich wieder in all bekannte muster.


    :hello: LT


    Es geht da genau um eine "Nummer" ... muss ich nochmal nachsehen/-hören.
    :hello:

  • Ach Kurzstueckmeister,


    wer redet denn hier von einer Nummer. Ich spreche hier von den gegebenen Momenten einer Oper und deren musikgestalterischer Umsetzung durch eine spezifische Orchestersprache. Die fast 20-minütige Wolfsschlucht markiert einen noch nie dagewesenen spannungsgeladenen Moment, der zur damaligen Zeit seinesgleichen suchte. Dagegen ist Beethovens-Fidelio-Melodram, na ja, schweigen wir darüber...


    :hello: LT

  • Damit widerspreche ich auch Byron, der von einer revolutionäreren Musik Beethovens im Bereich der Oper sprach.


    Um Gottes Willen nein!!! Doch nicht in der Oper! Fidelio ist ja genau deswegen nicht so recht gelungen, weil Beethoven dort seine Qualitäten nicht zum Zuge bringen konnte.


    Zitat

    Wenn wir die "Freischütz"-Ouvertüre hören, dann wird klar, wo sich das Geschehen abspielt: im Wald. Lauscht man der "Euryanthe"-Ouvertüre, merkt man gleich, das man in die Ritterzeit versetzt wird. Auch die Sturmmusik im "Oberon" ist so prägnant komponiert, dass man tatsächlich einen musikalischen Sturm erlebt. Beethovens "Fidelio"-Ouvertüre könnte auch für "Marianne Schnepfenteich" komponiert sein. Sie sagt nichts in Bezug auf die nun gleich beginnende Oper aus.


    Kann man so nicht sagen: da ist genau ein Unterschied zwischen Beethoven und Weber: bei den Weber Ouvertüren stimmt Deine Aussage höchstens für die "Stimmung". Beethoven versuchte mit den Leonore Ouvertüren zunächst, die Handlung musikalisch nachzuzeichnen, die ungelöste Sensucht nach Freiheit, die Fanfare, die den Minister ankündigt, der gewaltige Durchbruch zur Freiheit. Das Problem war, daß auf diese Weise die Handlung musikalisch vorweggenommen war. Die Fidelio Ouvertüre enthält sich deshalb dieses Durchbruchs und leitet nur in den ersten Akt ein. Leider geht die großartige Leonore Ouvertüre dadurch verloren. Deshalb war es eine Zeitlang üblich die Leonore 3 in die Oper als Zwischenmusik einzufügen, bevor der Minister erscheint - dort passt sie dann dramaturgisch hin (zu hören z.B. in der Furtwängler Einspielung). Weber gestaltet Stimmungen, Beethovens Musik versucht in ihrer inneren Logik der Handlung zu folgen - was freilich in Fidelio weitestgehend nicht gelingt. In der Oper verbindet Wagner beides in gelungener Weise. Mit den ersten Takten des Tristan Vorspiels ist nicht nur die Stimmung ungestilllter Sehnsucht nach Überwindung der Individuation erzeugt, sondern über die nie auflösende harmonische Weiterführung der Bogen gespannt, bis hin zu Isoldes Liebestod, wenn die Musik eine Tonika erreicht, die in der Handlung einhergeht mit Isoldes dionysischem Verschmelzen mit einem Weltganzen (der Einfluss des Buddhismus und Schopenhauers).


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Hallo Byron,


    in den Ouvertüren gestaltet Weber Stimmungen, das stimmt, aber es klingt bei dir wie eine Herabwürdigung. Aber wenn wir nur einmal der "Freischütz"-Ouvertüre näher betrachten, dann ist das ein wahres Meisterwerk. Man kann nicht nur die die Stimmung wahrnehmen, sondern der ganze Handlungsverlauf wird hier ja praktisch musikalisch vorweg genommen und folgt dadurch der inneren Logik der Handlung, die du zu vermissen scheinst. Im Orchester ist ein wahres Ringen um Gut und Böse zu vernehmen, bis zum strahlende C-Dur-Sieg. Du siehst, schon Weber hat es verstanden, beides miteinander zu verbinden. Das ist ja das grandiose an Weber. Bestes Beispiel ist hier das Rezitativ und die Arie der Agathe. Über dieses musikalische Juwel, hat ja bekanntlich Hector Berlioz wahre Lobreshymnen geschrieben.


    Und noch etwas: Weber hat das gemacht, was es vorher so noch nicht gab. Dann gleich die Messlatte von Wagners "Tristan" anzusetzen ist unglaublich. Immerhin trennen beide Werke von Uraufführung zu Uraufführung fast 45 Jahre. Das sind über 2 Generationen... !!!


    :hello: LT

  • Da muss ich Liebestraum vollkommen recht geben. Ich habe an anderer Stelle einmal erzählt (Thema"Was bedeutet euch die Oper?"), wie ich gerade über das Schlüsselerlebnis "Freischütz" überhaupt auf die Oper aufmerksam wurde. Mit den nach heutigen Begriffen primitiven Mitteln eines alten Flügels (Schallplatten und ein Radiogerät standen meiner Schule damals nicht zur Verfügung) hat uns unser Musiklehrer so intensiv mit den Einzelheiten der Ouvertüre bekanntgemacht, wie sie Byron vielleicht nicht erfahren hat, und die für mich ebenfalls ein Meisterwerk ist. Und ich muss sagen, dass mir heute - noch 60 Jahre nach diesem Erlebnis - die Einzelheiten so genau in Erinnerung sind, dass mir schon in der Ouvertüre die gesamte Oper gegenwärtig ist.
    Ein Vergleich mit der Ouvertüre von "Tristan" hinkt auch in meinen Augen sehr stark.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Und noch etwas: Weber hat das gemacht, was es vorher so noch nicht gab. Dann gleich die Messlatte von Wagners "Tristan" anzusetzen ist unglaublich. Immerhin trennen beide Werke von Uraufführung zu Uraufführung fast 45 Jahre. Das sind über 2 Generationen... !!!


    Das verstehst Du falsch: es geht ja nicht darum wieviel moderner Tristan klingt, sondern wie Wagner es geschafft hat Stimmung und "Struktur" (ich weiß das Wort wird oft für jedes Wischiwaschi gebraucht, auf die Schnelle fällt mir gerade nichts besseres ein) zu verbinden. Das ist überhaupt keine Frage, der Epoche, sondern der Qualität des Komponierens, wenn man nicht gerade auf Fidelio schaut, ist Beethoven ein Meister darin und sicher lassen sich auch viel frühere Beispiele dafür finden.


    Das Vorwegnehmen der Handlung in der Ouvertüre ist garnicht so selten, Beethoven war aber gerade damit nicht zufrieden und laborierte an der Ouvertüre, bis er sie durch die Fidelio-Ouvertüre ersetzte. Wagner kam zum selben Ergebnis: der Holländer hat noch so eine Ouvertüre, die den Verlauf der Oper nachzeichnet, bis hin zur "Erlösungsmusik" des Schlusses, in den Musikdramen gibt es nur noch Vorspiele, die in die erste Szene einleiten. So ist es auch mit dem Tristan Vorspiel - die Unterscheidung Vorspiel und Ouvertüre macht Wagner nicht umsonst.


    Zitat

    in den Ouvertüren gestaltet Weber Stimmungen, das stimmt, aber es klingt bei dir wie eine Herabwürdigung.

    Das gebe ich zu und eigentlich sollte man das nicht unbedingt negativ bewerten. Es gibt auch Komponisten, die ich schätze und die das Gleiche tun. Irgendwie ist das meiste von Weber wohl nicht so mein Fall und ich suche Gründe dafür. Übrigens mag ich aber, wie oben schonmal erwähnt die Freischütz Ouvertüre oder die Wolfsschluchtsszene durchaus. Aber den grössten Rest des Freischütz habe ich in der Oper eher abgesessen.


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Lieber Byron,


    ich glaube, du musst dich wieder einmal intensiver mit dem "Freischütz" beschäftigen. Ich habe es oben bereits schon gesagt, in dieser Oper ist es bereits Weber gelungen Stimmung und Struktur miteinander zu verbinden. Natürlich noch nicht in der Qualität wie Wagner, aber immerhin...


    Im übrigen geht es ja nicht darum, ob Weber nun dein Fall ist oder nicht, sondern es gilt anzuerkannen, was er geleistet hat und das lange vor Wagner. Im Bereich der Oper ist ganz klar Weber Wagners Vorbild und nicht Beethoven, um das mal all für allemal klarzustellen.


    :hello: LT

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