Luigi Boccherini und seine Streichquintette

  • Hallo!


    Zu Boccherini, dem "Vater des Streichquintetts" sollte es einen entsprechenden thread geben, allein schon, um mal einen Überblick über das Streichquintettschaffen des italienischen Meisters zu bekommen.


    Boccherini war wohl nicht der erste, der Kammermusikwerke für fünf Streicher komponiert hatte, allerdings war er der erste, der dies systematisch und im "größeren Stile" tat. Er prägte denn auch diese Gattung wie kein anderer (Schuberts erratischer Block sei mal ausgenommen).


    Seine ersten Werke in dieser Besetzung komponierte er 1771 (op. 10), also zwei Jahre vor Mozarts erstem Streichquintett (KV 174) bzw. vor dem Michael Haydns, der Mozart zu dessen Werk inspirierte.


    Zudem ist die Besetzung bei Boccherini meist eine andere als bei Mozart (und den meisten anderen Streichquintettkomponisten). Boccherini bevorzugte die Besetzung 2 Violinen - Viola - 2 Celli (A), wobei eines der Celli häufig so solistisch agiert, daß man bei etlichen Werken von "Celloquintetten" sprechen könnte. In einigen Spätwerken verwendete allerdings auch Boccherini die Besetzung 2 Violinen - 2 Violen - Cello (B). Zudem experimentierte er einmal mit 2 Violinen - Viola - Cello - Kontrabaß (C).


    Nun ein Versuch, die Streichquintette Boccherinis aufzulisten (wenn nicht anders Vermerkt, sind alle Opera "Sechsepacks"; daneben Entstehungsjahr und Besetzung):


    Op. 10 (1771) (A)
    Op. 11 (1771) (A)
    Op. 13 (1776) (A)
    Op. 20 (1777) (A)
    Op. 25 (1778 ) (A)
    Op. 27 (1779) (A)
    Op. 29 (1779) (A)
    Op. 30 (1780) (A)
    Op. 31 (1780) (A)
    Op. 36 (1784) (A)
    Op. 39 (1787) (C) - vier Werke
    Op. 40 (1788 ) (A)
    Op. 42 (1790) (A) - zwei Werke
    Op. 46 (1793) (A)
    Op. 51 (1795) (A) - zwei Werke
    Op. 60 (1801) (B)
    Op. 62 (1802) (B)
    zudem Arrangements der 12 Klavierquintette opp. 56 & 57 für Streichquintett (1800) (B)


    (Die Liste wurde mit Unterstützung des Reclam Kammermusikführers erstellt)


    Das macht summa summarum 104 Werke.
    Auf Klassika.info sind allerdings 118 Streichquintette von Boccherini aufgelistet. Es ist mir aber zu mühsam, die dort nach Gerard-Nummern sortierten Werke den hier aufgelisteten zuzuordnen.
    Wer Fehler in der Liste findet oder Ergänzungen hat, der möge sie bitte entsprechend korrigieren.


    Derzeit entsteht bei Brilliant Classics eine Gesamtaufnahme (zumindest der Werke in A-Besetung) mit dem Ensemble La Magnifica Comunita.
    Obwohl ich da auch schonmal zugegriffen habe, warte ich ich wohl solange ab, bis die Gesamtaufnahme fertig und als Mega-Box zu haben sein wird.


    Als nächstes möchte ich die drei wohl populärsten Streichquintette Boccherinis vorstellen, nämlich op. 11 Nr. 5 E-dur (mit DEM Menuett), op. 30 Nr. 6 C-dur "La Musica Notturna delle strade di Madrid" und op. 36 Nr. 6 "Quintetto dello Scacciapensiero" ("Maultrommel-Quintett"). Ich hoffe, ich habe nächstes Wochenende Zeit dazu.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius
    Boccherini bevorzugte die Besetzung 2 Violinen - Viola - 2 Celli (A), wobei eines der Celli häufig so solistisch agiert, daß man bei etlichen Werken von "Celloquintetten" sprechen könnte.


    Hallo,


    man spricht ohnehin in dieser Konstellation, unabhängig vom solistischen Einsatz, von Cello-Quintetten - übertragen auf die von Dir so bezeichnete B-Variante spricht man von Bratschen- oder Viola-Quintetten.


    Von Boccherinis Quintetten bin ich bisher nicht so angeprickelt - mir ist diese Besetzung mit due Celli einfach zu dick im Bass [die Bratsche tut ja auch noch einiges dazu], so daß ich die einzelnen Stimmen nicht mehr heraushören kann. Die Doppeltrios bzw. Streichsextette sind da wiederum ausgewogener, aber für mich keine Kammermusik im herkömmlichen Sinne mehr - eher kleine Kammerkonzerte oder Divertimenti.


    Dennoch habe ich eine Quintett-Einspielung, die ich ganz gerne höre, vor allem wegen der Interpreten:



    Streichquintette op. 11 Nr. 4-6


    Streichquintett A-Dur op. 11 Nr. 5
    Streichquintett f-moll op. 11 Nr. 4
    Streichquintett D-Dur op. 11 Nr. 6


    The Smithsonian Chamber Players


    Bei jpc sehr günstig erwerbbar.


    Aus der La Magnifica Comunità-Edition reicht mir Vol. V voll und ganz - die Interpretation ist überhaupt nicht mein Fall. So habe ich das jedenfalls abgespeichert: langweilig, hallig, uninspiriert, nervtötend. Aber ich werde dies bei Gelegenheit überprüfen, wenn mir nichts sinnvolleres einfällt.


    Übrigens:


    Zitat


    Als nächstes möchte ich die drei wohl populärsten Streichquintette Boccherinis vorstellen, nämlich op. 11 Nr. 5 E-dur (mit DEM Menuett)


    A-Dur, wenn ich nicht irre [steht jedenfalls so auf der Cover-Rückseite]. Möglich aber, daß das Menuett selbst in EUR steht.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo!



    Ja, diese CD gefällt mir sehr. Die ist auch bei meinen Unverzichtbaren zu finden.


    Zitat


    Aus der La Magnifica Comunità-Edition reicht mir Vol. V voll und ganz - die Interpretation ist überhaupt nicht mein Fall. So habe ich das jedenfalls abgespeichert: langweilig, hallig, uninspiriert, nervtötend. Aber ich werde dies bei Gelegenheit überprüfen, wenn mir nichts sinnvolleres einfällt.


    Ja, die sind leider nicht so spritzig (aber Vol. V ist IMO besonders langweilig interpretiert). Das ist durchaus schade, denn die Brilliant-Gesamtaufnahme der Boccherini-Klavierquintette mit dem Ensemble Claviere gefällt mir sehr. Da hätten Sie einfach den Pianisten durch einen Cellisten ersetzen können und mit denen die Streichquintette aufnehmen sollen!


    Zitat

    A-Dur, wenn ich nicht irre [steht jedenfalls so auf der Cover-Rückseite].


    Nein, die Rückseite irrt, das Werk steht in E-dur!


    Wo wir nun schon dabei sind:



    Luigi Boccherini: Streichquintett E-dur op. 11 Nr. 5 G 275


    Dieses Quintett wurde wegen seines berühmten Menuetts bereits mehrfach eingespielt (mit allen vier Sätze).
    Die Satzfolge ist Amoroso – Allegro (con spirito) – Minuetto – Rondo. Andante


    Der erste Satz (E-dur) ist ein lieblicher (amoroso), unauffälliger Satz, der con sordino gespielt wird.
    Im Reclam Kammermusikführer steht die Bemerkung: Ein Satz, der fast ohne melodisch-thematische Substanz auskommt, ohne daß dies im geringsten als Mangel zu spüren wäre. Kein anderer Komponist der Epoche hätte ein solches Stück schreiben können.


    Der deutlich längste Satz des Werkes ist der darauffolgende schnelle Satz (E-dur), der durch Melodiereichtum und Klangschönheit brilliert. Die virtuosen Passagen sind hier den Violinen und weniger dem Cello (wie sonst bei Boccherini üblich) vorbehalten.


    Als dritter Satz kommt dann DAS Menuett, nicht in der Grundtonart E-dur, sondern in A-dur. Die Popularität des Menuetts begann übrigens im späten 19. Jahrhundert in Frankreich (wo Boccherini stets besonders gut ankam).


    Das Werk wird beschlossen durch ein gemächliches Rondo (E-dur), in dem Boccherini verschiedene Kombinationen der fünf Instrumente durchprobiert.



    Nicht minder bemerkenswert als das Menuett dieses Quintetts ist das aus op. 11 Nr. 4, in dem 48 Takte lang 400mal der Ton C wiederholt wird (mit wechselnden Instrumenten und Tonlagen).



    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo!


    Ein wenig zu op. 11 steht auch noch hier im Streichquintett-thread.


    Das Streichquintett F-dur op. 36 Nr. 6 G 336 hat Boccherini wohl mit einem zwinkernden Auge komponiert.
    Es ist nur zweisätzig:
    1. Lento e amoroso - Allegro giusto dello scacciapensiero
    2. Minuetto. Allegro assai
    "Scacciapensiero" heißt auf Deutsch "Maultrommel".
    Nach der langsamen Einleitung vernimmt man als Hörer merkwürdige Klangeffekte, die folgenden Hintergrund haben (aus dem Beiheft zur Boccherini-Edition von Capriccio zitiert):


    Zitat

    Das Flageolett- und Sulponticello-Spiel der Celli ahmt auf frappante Weise den Klang jenes merkwürdigen Instruments nach, das unter den verschiedensten Bezeichnungen (Brummeisen, Maulgeige, jew's harp, ...) seit dem 16. Jahrhundert in der Volksmusik vieler europäischer Länder verbreitet war.


    Das Werk ist durchweg heitere Gute-Laune-Musik und wird von mir gerne mal zwischendurch gehört.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo!


    Daß das Thema kein Renner wird, war mir klar. Aber daß so wenig los ist... ?(


    Ich mache weiter mit der Vorstellung des Streichquintetts C-dur op. 30 Nr. 6 G 324.
    Es handelt sich dabei um ein interessantes Programmusik- und Experimental-Werk mit dem Titel La Musica Notturna delle strade di Madrid.
    Boccherini wollte so die Klänge, die er im abendlichen Madrid vernahm, verewigen.
    Die fünf Sätze lauten:
    1. Ave Maria delle Parrochie
    2. Minuetto dei ciechi
    3. Largo assai Rosario
    4. Los Manolos. Allegro vivo
    5. Ritirada con variazioni


    Ich zitiere in Kursiv nun aus dem Booklet-Text der Capriccio-Boccherini-Edition von Michael Stegemann:


    1. Satz:
    Das Läuten des Ave Maria der verschiedenen Pfarrkirchen der Stadt - größtenteils pizzicato gespielt. Der Satz dauert nur 42 Sekunden und ist als eine Einleitung zu betrachten.


    2. Satz:
    Das Menuett der blinden Bettler mit der Spielanweisung "con mala grazia". Die Cellisten müssen ihr Instrument quer über die Knie legen und mit sämtlichen Fingernägeln den Klang einer Gitarre imitieren. 8o


    3. Satz:
    Das abendliche Rosenkranz-Gebet, ohne festes Metrum gespielt.


    4. Satz:
    Straßen-Sänger, wiederum mit gitarrenähnlichen Pizzicato-Effekten.


    5. Satz:
    Man muß sich vorstellen, daß dieses Aufziehen der Nachtwache zunächst aus der Ferne zu hören ist und so piano gespielt werden muß, daß man sie kaum Wahrnimmt; die nachfolgenden crescendo- und marcando-Anweisungen sind strikt zu beachten. Boccherini-Fans wissen, daß er das Thema der spanischen Nachtwache später nochmals und noch besser in seinem Klavierquintett C-dur op. 57 Nr. 6 G 418 bearbeitet hat (dieses wiederum wurde dann nochmal als Streichquintett mit zwei Bratschen arrangiert - G 453).


    Viele Grüße,
    Pius.

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  • Zitat

    Original von Pius
    Daß das Thema kein Renner wird, war mir klar. Aber daß so wenig los ist... ?(


    Jetzt sei doch nicht so ungeduldig, lieber Pius! :no: Kommt Zeit, kommt CD ...


    Im britischen Marketplace hab ich mir jetzt erst mal für noch weniger Geld - außerdem steht das britische Pfund im Augenblick anscheinend extrem günstig! - die von Ulli und Dir empfohlene Smithsonians-CD bestellt.


    Was soll man so spontan mit einem Typen anfangen, der mal eben 102 bis 118 Streichquintette aufs Papier kleckert? :pfeif: Von daher sind Deine Erwägungen, die einen sicheren Pfad durch die Verschlungenheit dieses Dschungels schlagen, wirklich überaus bedankenswert:


    :jubel: :jubel: :jubel: Bedankt!!! :jubel: :jubel: :jubel:


    Aber dass Du Dir die Gesamtaufnahme bei Brilliant holen willst, wenn sie irgendwann fertig ist, war bloß ein Scherz, gelle? :hahahaha:


    Liebe Grüße, Ulrich


  • Davon existiert ebenfalls (oder ist die gemeint?) eine Version für Gitarre + Streichquartett. Allerdings nur dieses letzten Satzes, die vorhergehenden Sätze sind ebenfalls Bearbeitungen, aber nicht dieser anderen pittoresken Stücke, sondern aus anderen Werken genommen.


    Ich werde mir vielleicht die o.a. CD mit den Quintetten noch besorgen. die Klavierquintette mit "Les Adieux", zwei Handvoll Streichquartette (bei cpo) und zwei Arrangements für Gitarrenquintett (G 453 und 448 mit dem "Fandango") haben meinen Boccherini-Ersteindruck (Muzak) zwar etwas modifizieren, aber nicht grundlegend verändern können.
    Diese naturalistischen (Nahen und Abmarschieren), dabei sehr minimalistisch vorgehenden Variationen sind ja mal ganz nett, aber Wiederhören lohnt sich eigentlich kaum... :rolleyes:


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo,


    bevor ich in einem weiteren Beitrag etwas weiter ausholen möchte, um Vorwürfen wie „Muzak“ (siehe JR oben) oder „Klein(st)meister“ gegen Boccherini zu begegnen, hier erstmal eine Korrektur meiner Quintettliste aus dem 1. Beitrag. Ich hatte die beiden Quintette op. 42 vergessen (inzwischen eingefügt) – besonders peinlich, da ich sie auf CD besitze:



    Das Streichquintett f-moll op. 42 Nr. 1 ist ein formal eher konservatives und vom Charakter her ernstes Werk. Auch das C-dur-Quintett op. 42 Nr. 2 ist für ein Dur-Werk Boccherinis recht ernst. Die Satzfolge ist hier recht unkonventionell (langsam-Menuett-schnell-schnell) und das 1. Cello ist hier teilweise recht virtuos unterwegs.


    Das Stabat Mater für Sopran und Streichquintett (1781) sollte in diesem thread auch erwähnt werden, da es ja auf Boccherinis Paradebesetzung basiert.
    Erst hatte ich gezögert (geistliche Musik von Boccherini? - geht das?), finde das Werk aber sehr schön.


    Zitat

    Aber dass Du Dir die Gesamtaufnahme bei Brilliant holen willst, wenn sie irgendwann fertig ist, war bloß ein Scherz, gelle?


    Nein. Wieso? :untertauch:


    Zitat

    Davon existiert ebenfalls (oder ist die gemeint?) eine Version für Gitarre + Streichquartett.


    Die Gitarrenquintette wiederum sind größtenteils eine Bearbeitung der Klavierquintette, daher die verschiedenen Versionen.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo!


    Wie bedeutend ist nun die Musik Boccherinis? Welchen Stellenwert ist ihm in der Musikgeschichte beizumessen. Sicher muß man bei der Beantwortung der Frage vor allem das Augenmerk auf sein kammermusikalisches Schaffen legen. Denn trotz vieler Symphonien, Cellokonzerte etc. ist der quantitative und qualitative Schwerpunkt der Musik Boccherinis die Kammermusik, insbesondere die für Streicher, und hier nochmal seine Spezialdisziplin, das Streichquintett.


    Er kann gewissermaßen als „Vater des Streichquintetts“ gesehen werden, ebenso für das Streichsextett und das Klavierquintett – drei Werkgattungen, die ich sehr gerne höre. Allein schon deswegen gebührt Boccherini Anerkennung. Insbesondere beim Streichquintett hat Boccherini bei seinen über 100 Kompositionen so gut wie alles (damals) denkbare ausprobiert was Form, Stellung und Anzahl der Sätze betrifft und auch, was musikalische und klanglische Details betrifft. Einige Experimente möchte ich durchaus als kühn bezeichnen. Daß nicht er, sondern Haydn stilprägend wurde, ist IMO auch sehr in den historischen Umständen zu sehen und nicht nur darin, daß Haydn so viel besser war. Haydn ist der bessere Komponist im Vergleich, aber die Niveau-Kluft zwischen Haydn und Mozart auf der einen Seite und Boccherini auf der anderen Seite ist nicht so groß, wie sie von vielen vielleciht vorschnell gesehen wird. Ich beziehe mich hierbei – wie bereits erwähnt – auf die Kammermusik.
    Klar, Haydn und Mozart waren universelle Komponisten, die in allen Gattungen herausragendes geschaffen haben. Aber zumindest in der Teildisziplin Kammermusik kommt Boccherini ihnen nahe (so wie z.B. Gluck in der Oper oder Clementi im Klavierwerk).


    Es wurde schon darüber diskutiert, wie sinnvoll oder sinnlos es ist, zu zählen, wie viele Seiten einem Komponisten im Lexikon oder in Musikführern gewidmet sind, um damit Bedeutungsunterschiede zu belegen – ich möchte es jetzt dennoch einmal tun, allein schon, um zu zeigen, daß ich mit meinem Werturteil nicht alleine dastehe.
    Im Reclam-Kammermusikführer sind ganze 25 Seiten Boccherini gewidmet. Das sind nich so viel weniger als die für Mozart (34; von Haydn spreche ich erst gar nicht). Eklatant wird aber der Abstand zum nächstausführlich behandelten Komponisten der Epoche. Da ist sonst keiner mehr, der über ein paar Seiten hinauskommt. Die Mannheimer Schule kommt zusammen auf 13 Seiten, die Bach-Söhne zusammen auf 7 Seiten.


    Ich lasse nun zum Schluß noch einige andere sprechen, zunächst den Harenberg-Konzertführer:


    Viel bedeutsamer ist, daß Boccherini, zeitgleich aber völlig unabhängig von Haydn, zahlreiche Elemente des klassischen Stils erfunden hat: Bereits in seinen ersten Werken sind die Stimmen gleichberechtigt am musikalischen Satz beteiligt, und auch die Sonatenhauptsatzform, mit Themendualismus und Gliederung in Exposition, Durchführung und Reprise erscheint schon voll ausgebildet.
    Trotz dieser Gemeinsamkeiten ist Boccherinis Musik ganz anders gedacht als die Haydns. Er richtet sein Interesse weniger auf die Form, mehr auf das Detail, beteichnend hierbei die oft sehr genauen Phrasierungshinweise.


    Aber auch formale Aspekte interessierten Boccherini. Es gibt dabei sogar erstaunliche Parallelen zu Haydn. Ich zitiere aus dem Reclam Kammermusikführer:


    Ein ganz anderes Formexperiment scheint Boccherini in op. 29 versucht zu haben: eine Viersätzigkeit, in der sich die Stellung des Menuetts und das Tempo des Finales nach dem Tempo des 1. Satzes regulieren – also das Prinzip des Tempokontrasts, das Haydn erst einige Jahre später in seinen Streichquartetten op. 33 durchführte. Bei Boccherini wie bei Haydn folgen einem schnellen Allegro der langsame Satz, dann das Menuett und schließlich ein „normal“ schnelles Finale; einem Allegro moderato aber erst das Menuett, dann der langsame Satz und als Finale ein sehr schnelles Allegro oder Presto.


    Nun noch ein zeitgenössisches Zitat über Boccherini:


    Wollte Gott zu den Menschen in Musik sprechen, so täte er es mit den Werken Haydns; doch wenn er selbst Musik hören wollte, so würde er sich für Boccherini entscheiden.


    Und nun Urteile von Musikwissenschaftlern:


    Francois Joseph Fetis:


    Nie hat es einen originelleren Komponisten als Boccherini gegeben: die absolute Eigenständigkeit seiner Ideen macht jedes seiner Werke zu einer bemerkenswerten Schöpfung, und man könnte fast glauben, er habe nie eine andere Musik als seine eigene gekannt.


    Ludwig Finscher:


    Unter den bedeutenden Komponisten des 18. Jahrhunderts ist Boccherini wahrscheinlich derjenige, dem die Geschichte am meisten Unrecht getan hat. Erst langsam beginnen Musikforschung und Musikpraxis, den anderen Boccherini zu entdecken: den Generationsgenossen und, in mancher Hinsicht, Gegenspieler Haydns, dessen historische und ästhetische Bedeutung sich erst in Umrissen abzuzeichnen beginnt.


    Irgendwas muß doch also dran sein an dem Mann!?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius
    P.S.: @ Ulrich K.:



    Prima, jetzt findest Du es wohl nicht mehr abwegig, eine Boccherini-Quintett-GA zu kaufen? ;)


    Tja, hmm, nun gut, lieber Pius, ich habe jetzt op. 11 Nr. 5 diverse Male ganz oder auch in Details oder einzelnen Sätzen gehört, und ich muss gestehen, dass sich mir die Musik nicht so ohne Weiteres erschließt. Beispielsweise dieses unstete Geflirre, das mir da entgegenschwirrt - es stößt mich eigentlich eher ab. Stellenweise ging mir andererseits als erster Gedanke durch den Kopf: "Vorläufer der Minimal Music ...". Ich entschuldige mich für diese völlig unsachliche und blamable Empfindung, aber sie mag Hinweis sein, dass mir diese Musik nicht sehr leicht fällt.


    Dabei sollte ich ja eigentlich begeistert sein, das sind ja wahre Cellokonzerte. Nur frage ich mich: Was soll der Quatsch, dass er das Cello den Geigenpart wortwörtlich und vor allem in gleicher Höhe wiederholen lässt und die Viola als Basslinie einsetzt. Will er mich absichtlich verwirren? Oder ist das ein frühes Vergnügen an besonderem Klangfarbenspiel??? Ich verstehe es nicht, siehst Du, aber das ist nun mal etwas, was ich unbedingt verstehen will. Und deshalb werde ich mich jetzt an die weiteren beiden Quintette auf der Smithsonian-CD geben und hoffen, dass ich da noch mehr entdecke.


    "Vater des Streichquintetts" ist schön und gut, aber für mich ist der Weg zum Verständnis noch weit, weshalb ich 118 dieser Quintette kennen sollte, für die doch op. 11 typische Beispiele bieten soll.


    Ich bleibe mal dran.


    Liebe Grüße, Ulrich

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  • Hallo Ulrich!


    Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh
    Was soll der Quatsch, dass er das Cello den Geigenpart wortwörtlich und vor allem in gleicher Höhe wiederholen lässt und die Viola als Basslinie einsetzt. Will er mich absichtlich verwirren? Oder ist das ein frühes Vergnügen an besonderem Klangfarbenspiel??? Ich verstehe es nicht, siehst Du, aber das ist nun mal etwas, was ich unbedingt verstehen will.


    Also entweder wußte Boccherini, was er tat - und dann ist ein ein Komponist, dem wir viel Aufmerksamkeit widmen sollten - oder er wußte nicht, was er da tat - in dem Fall sollte man lieber über ihn schweigen.
    Ehrlichgesagt, ich bin mir gar nicht sicher, was von beidem zutrifft, mag sein abwechselnd das eine und das andere. Jedenfalls hatte er große freude am Experimentieren, u.a. auch mit Klangkombinationen.
    Du hörst die Musik viel analytischer als ich, mir fallen solche Sachen bewußt gar nicht auf. Ich glaube, für analytische Hörer ist Haydn 100mal besser geeignet, der komponierte formal sehr ausgefeilt, während Boccherini sich wohl oft nur nach dem Klangeindruck orientierte.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh
    Was soll der Quatsch, dass er das Cello den Geigenpart wortwörtlich und vor allem in gleicher Höhe wiederholen lässt und die Viola als Basslinie einsetzt. Will er mich absichtlich verwirren? Oder ist das ein frühes Vergnügen an besonderem Klangfarbenspiel??? Ich verstehe es nicht, siehst Du, aber das ist nun mal etwas, was ich unbedingt verstehen will.


    Wo ist da jetzt der Unterschied zu Mozarts KV 575, insbesondere dem 4ten Satz? Ich weiß jetzt nicht, ob op. 11 nun dazu zu rechnen ist, aber Boccherini komponierte u.a. ebenfalls für den König von Preußen - Mozart exponierte das Cello wegen der Liebhaberei des Königs [der selbst Cello spielte] zu diesem Instrument. Boccherini bedurfte dieses Tricks aber eigentlich nicht, da er selbst Cellist war. Wen wunderts also, wenn er das Cello in den Vordergrund rückt?


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Wo ist da jetzt der Unterschied zu Mozarts KV 575


    Ja wo ist er denn - der Unterschied?


    Kronprinz Friedrich "der Cellist" Wilhelm von Preußen, der spätere Friedrich Wilhelm II. von Preußen, ernannte den vor wie nach in Spanien wohnenden und dirigierenden Boccherini 1786 zu seinem "compositeur de notre chambre". Nach Pius' Auflistung komponierte Boccherini sein Sixpack op. 11 1771, also lange vor dieser prestige- und talerträchtigen Ernennung. Zu der Zeit war er für den spanischen Infanten Don Luis Antonio de Borbón y Farnesio als Kammerkomponist und -virtuose tätig und wirkte an wechselnden Einsatzorten als Kapellmeister und Komponist, von 1770 bis 1776 speziell in Boadilla del Monte (Quelle für das Vorstehende: de.wikipedia.org/wiki/Luigi_Boccherini, Abfragestand: 15.04.2008 ).


    Er musste sich seinem Brötchengeber als als Kammervirtuose beweisen, und das erklärt dieses unsägliche Virtuosengeflimmer, was er dem Cellisten da, speziell im letzten Satz, in die Hand geschrieben hat. Ein bisschen weist es vielleicht auf die Stimmung in Mendelssohns Oktett voraus, aber Mendelssohn hat nicht mit dem Ziel geschrieben, Virtuosität zu präsentieren; bei Boccherini hört man's dagegen schon recht arg, finde ich. Der Friedrich Wilhelm hätte sich bedankt, wenn er das als Celloliebhaber hätte spielen sollen :D :no: :untertauch:


    Ach ja, und der Mozart im ersten der Preußischen Quartette, im KV 575: Der hat den Liebhaber-Status Fritz Willis schon recht berücksichtigt. In den ersten beiden Sätzen traut sich er Cellist ja kaum mal in die Lagen, hat dafür aber recht schöne Kantilenen - "zum Einspielen", hat der Mozart sich bestimmt gedacht. Im Trio zum Minuett und im vierten Satz dann gar, da geht ja jedem Liebhabercellisten das Herz auf, wenn er das spielen soll. Sowohl die Kantilenen in den hohen Lagen als auch das teilweise Gerumpel im tiefen Bereich zeigen aber auch, der König war kein Dilettant, für einen Liebhaber konnte er schon was. Aber von dem Virtuosentum, das Boccherini in seine Quintette hineingeschrieben hat, ist das doch weit entfernt.


    Nun mag es wohl sein, dass das ab 1786, also op. 39, anders aussah, weil jetzt der Kronprinz bedient werden musste. Pius?


    Übrigens: dass Boccherini schon wusste, was er tat, will ich bei seinem europaweiten Erfolg in hochherrschaftlichen Kreisen mal einfach und generell unterstellen - muss ein rechter Popstar und Hans-Dampf-in-allen-Gassen gewesen sein, damals.


    Zitat

    Original von Pius
    Du hörst die Musik viel analytischer ...


    Ist das was Schlimmes, oder werd ich damit bis ans Ende meiner Tage leben können??? :D


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Boccherini hat bekanntlich sehr viel mit der Besetzung seiner Streichquintette herumexperimentiert - unschlüssig komponiert er für die Besetzungen a) 2 Violinen, 2 Violen, Cello oder b) 2 Violinen, Viola, 2 Celli - wovon mir persönlich die Variante a) [Violine, Geige, Viola, Bratsche und Cello] mit den kräftigen Mittelstimmen am besten gefällt.


    Eine Besonderheit stellen die Quintette op. 39 dar, bei denen sich zur Standardquartettbesetzung [V1, V2, Va, Vc] ein Kontrabaß gesellt. Der Kontrabaß übernimmt hier allerdings mehr die Funktion eines festen Fundamentes, auf dem sich die anderen Instrumente mehr oder weniger solistisch betätigen. Bei Haydns frühen Quartetten war in den Erstdrucken interessanter Weise der Bass beziffert, so daß auch hier ein Kontrabaß mitspielte - ob das Sinn der Sache war, sei dahingestellt.


    Diese untypische Besetzung wurde vom Ensemble 415 eingespielt:



    Luigi Boccherini [1743-1805]


    Quintettes avec contrbasse


    Quintett B-Dur op. 39 Nr. 1 [G 337]
    Quintett F-Dur op. 39 Nr. 2 [G 338]
    Quintett D-Dur op. 39 Nr. 3 [G 339]


    Ensemble 415
    Chiara Banchini, Violine
    Enrico Gatti, Violine
    Emilio Moreno, Viola
    Käthi Gohl, Violoncello
    Cléna Stein, Kontrabaß


    Anstelle des von Pius bei der Threaderöffnung erwähnten vierten Werks aus op. 39 wird hier als Zugabe [und zum Klangvergleich] noch das Quartett G-Dur op. 44 Nr. 4 [G 223] La Tiranna angeboten.


    Diese Einspielung aus der Serie Musique d'Abord ist, wie alle ebensolche mit dem Ensemble 415, sehr empfehlenswert und keine Massenproduktion.


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Der Kontrabaß übernimmt hier allerdings mehr die Fuktion eines festen Fundamentes, auf dem sich die anderen Instrumente mehr oder weniger solistisch betätigen.


    Versuche es einmal mit Funktion


    Peter


    :hello:

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  • Funkt prima!


    :]


    P.S. Nur habe ich allerdings Deinen "Fehler" an anderer Stelle nicht einfach nur unterstrichen, um einen kleinen Fehler deutlich herauszustellen, sondern verlinkt - in der Annahme, daß Deine Schreibweise für Dich zum Nichtauffinden des gesuchten Titels führte. Daß die EMI-CD leicht zu finden war, zeigt ja der Link.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Mein Beitrag zum Plaidoyer von Pius :


    "Aufgrund des zu unseliger Berühmtheit gelangten Menuetts aus seinem Streichquintett in E-Dur galt Boccherini lange Zeit als bloß gefälliger Kleinmeister des galanten Rokokostils, aber in den letzten 10-15 Jahren ist dieses Bild doch entschieden zu Recht gerückt worden. Heute weiß man daß, vor allem seine nach Hunderten zählenden Trios, Quartette und Quintette, den Werken eines Haydn oder Mozart nicht nur ebenbürtig sind, sondern in vielem eine ganz und gar eigenständige weit über Ihrer Zeit hinausweisende, fast schon romantische Handschrift zeigen....Was diese neue CD (*) auszeichnet ist die ungeheure Stringenz mit der die fünf Musikern die Werke angehen. Die ganze galante Rokoko-Tändelei mit der man diese Musik so oft überzuckert hat, ist fort. Plötzlich treten unter der Glasur solche harmonische Kühnheiten und formale Brüche zutage, schroffe Kanten und steile Abstürze, das es einem geradezu schwindeln könnte. Dieser Boccherini war eben sehr viel mehr ein Zeitgenosse – und übrigens wohl auch ein persönlicher Freund – Goyas, als daß er ein Zeitgenosse Fragonnards gewesen wäre. »
    (Michael Stegemann , Plattenprisma vom 21.04.2001, SWR 2)


    (*) Es handelte sich um eine Neuaufnahme mit Fabio Biondi.


    Mehr braucht man nicht zu sagen !


    Viele Grüße
    Jacques

  • In den letzten Jahrzehnten sind in der Tat etliche Aufnahmen von Boccherini veröffentlicht worden. Hier geht es ja speziell um die Streichquintette. Man hat auch die Sinfonie ausgegraben - darüber werden wir uns in einem anderen Thread unterhalten, ebenso wie über die Quartette, die Boccherini ja parallell und völlig unabhängig von Joseph Haydn "erfunden" hat - neueste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, daß er sogar ein wenig VOR Joseh Haydn war.
    Das alles aber hat wenig bis nichts genützt. In den Augen der meisten Klassikhörer ist er ein Komponist gefälliger Kammermusik ohne Tiefgang - und daher vergessen. Dies erinnert an Antonio Vivaldi, der jahrzehntelang, wenn nicht über Jahrhundert hinweg ähnlich falsch beurteilt wurde.
    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich bin absolut dieser Meinung und freue mich schon auf die nächsten Boccherini-Threads!
    Ich kann ja verstehen daß man Boccherini nie gehört hat (sein 250. Geburtstag wurde in 2005 fast wie gar nicht gefeiert, ein Skandal!), kann aber überhaupt nicht nachvollziehen, dass manche Musiker nur müde, halbherzige Meinungen formulieren können beim Hören seiner Meisterwerken.
    Der Grund wofür ich in Tamino bin ist in erster Linie, dass es in diesem Forum Boccherini-Liebhaber gibt, sowie Musiker die mehr über ihn wissen möchten. Hier fühle ich mich wohl.
    Ich muss aber gestehen dass meine Rezeption von Boccherini nicht so geradlinig war, als ob man es sich vorstellen könnte. Ich hatte zwar sehr früh (mit 16 Jahren ?) die Partitur seiner Violinduetten gekauft und spielte sie sehr gerne. Ich hatte aber nicht das Bedürfnis diesen Komponist näher kennenzulernen, obwohl ich ziemlich erstaunt war, daß man so viel Musik in einem Duo hineinbringen konnte. Ich war jung und wollte viel mehr weitere Werken von Mozart entdecken als Zeit zu verlieren mit einem ziemlich unbekannten Komponisten . So schwer ist die Last der Musikgeschichte und die Treuherzigkeit in diesem Alter!
    Dann kam, mit 51 Jahren, meine zweite Begegnung mit Boccherini. Ich habe zuerst seine Gitarrenquintette gekauft, fand seine Musik wunderschön und war sehr erstaunt, hier Sätzen zu finden die stark an Schubert erinnerten.
    Dann die zweite CD, die Streichquintetten op. 29 (mit Bylsma). Und schon war es passiert : ich hatte den Boccherini-Virus! Diese Meisterwerke hatten einen richtigen Schock in mir ausgelöst (Dasselbe, ungefähr, hatte ich, mit 18 Jahren, mit dem 15. Streichquartett von Beethoven erlebt.). Dann hat sich eine Begeisterung - oder besser gesagt, eine Besessenheit - entwickelt, die mich gebracht hat, in wenigen Jahren alle erhältlichen Werken von Boccherini zu kaufen.
    Das hat mich, auf jedem Fall, an die wunderbare Zeit meiner Jugend erinnert, wo ich, Stück für Stück, die Werken von Beethoven entdeckte (Gesamteditionen gab es noch nicht). Was für eine Wonne!


    Viele Grüße


    Jacques

  • Ich denke, ich kann mich durchaus als Boccherini-Liebhaber deklarieren, auch wenn er für mich vielleicht nicht so zentral ist wie für Jacques. Manche Werke halte ich auch für erstaunlich unbekannt. Ich finde z.B. Die Quintette op. 13 für fantastisch, allen voran natürlich das d-Moll Werk, das zu den schönsten Streichquintetten gehört, das ich kenne. Opus 29 gefällt mir auch gut, man hört da durchaus die zeitliche Nähe zu den von mir geliebten op. 32 Quartetten Boccherinis. Neben den Quarteten und Quintetten sind auch die Streichsextette wirklich sehr hörenswert.

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  • Es freut mich zu sehen daß wir auf die gleiche Wellenlänge sind, was die Werkauswahl betrifft! Das d-moll Quintett ist tatsächlich eine echte Ausnahme in diesem Opus (kein Wunder dass es auf dem Programm des Petersen-Quartetts für ihre CD (Boccherinis Streichquintetten) steht!). Selten war die Inspiration von Boccherini auf diesem Niveau wie im ersten Satz : eine Perle jagt die andere.


    Viele Grüße
    Jacques

  • Hallo Jacques,


    dass es einen "Boccherini-Virus" gibt, wusste ich nicht. Aber man kennt ja nicht alle Krankheuten, mit denen man infiziert ist. Danke, dass Du diesen Thread wieder aufleben lässt.


    Für mich ist Boccherini auch einer der wichtigsten Komponisten. So sehr und "über alles" ich Haydn schätze: diesen Hauch Melancholie eines Boccherini bringt er nicht mit.
    Diese so ganz leichte Schmerzlichkeit bei all der Schönheit der Werke.
    In Worte zu fassen gelingt mir nicht wirklich, was ich empfinde beim Hören.


    Empfehlen aber kann ich jedem nur, sich die Aufnahmen Biondis anzuhören.
    Egal ob nun Trios, Quartette oder Quintette, Biondi und sein Ensemble finden den genau richtigen Ton zwischen Virtuosität, Sprudeln-und diesem Hauch Schmerz, der manchmal offen aufbricht bis hin zum Verstummen.


    Haydn ist "die Liebe meines Lebens", Boccherini wohl die große Liebe.


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Hallo Mike,


    Danke für diese Post.


    Zitat

    dass es einen "Boccherini-Virus" gibt, wusste ich nicht

    Es ist eine Verschwörungstheorie :D



    Zitat

    Danke, dass Du diesen Thread wieder aufleben lässt.

    Ich bin in geheimer Mission (Tamino-Stützpunkt in Frankreich) und werde meine nächste PR-Aktion für Boccherini in Januar starten. :angel:



    Zitat

    diesen Hauch Melancholie eines Boccherini bringt er nicht mit.

    Du hast völlig Recht, die Melancholie von Boccherini zu unterstreichen. Ich finde sie sogar noch größer als bei Mozart.



    Zitat

    In Worte zu fassen gelingt mir nicht wirklich, was ich empfinde beim Hören.

    Auf diesem Gebiet bin ich der Weltmeister :jubel:



    Zitat

    Biondi und sein Ensemble finden den genau richtigen Ton zwischen Virtuosität, Sprudeln-und diesem Hauch Schmerz, der manchmal offen aufbricht bis hin zum Verstummen.

    Ich finde, Du hast hier das Gegenteil bewiesen, Du hast das sehr gut beschrieben.
    Ich stimme dir völlig zu, was Biondi betrifft. Was er, z.B., mit den Trios macht ist unglaublich.



    Zitat

    Haydn ist "die Liebe meines Lebens"

    Ich hatte eine Haydn-Phase und war sehr beeindruckt von diesem Genie. Ein deutscher Sender hatte, vor längerer Zeit, die geniale Idee, ALLE Haydns Sinfonien, Woche für Woche, auszustrahlen. Wie Du es Dich vorstellen kannst, war es eine ganz spannende Geschichte (um Neudeutsch zu sprechen), die ganze Entwicklung zu verfolgen. Ich habe so fantastische Sachen gehört, daß ich dachte - genauso wie bei Boccherini - daß Haydn total unterschätzt ist.



    Herzliche Grüße
    Jacques

  • Ich kann ja verstehen daß man Boccherini nie gehört hat (sein 250. Geburtstag wurde in 2005 fast wie gar nicht gefeiert, ein Skandal!), kann aber überhaupt nicht nachvollziehen, dass manche Musiker nur müde, halbherzige Meinungen formulieren können beim Hören seiner Meisterwerken.

    Ich muss zugeben, ich kenne von Boccherini so gut wie gar nichts. Als großer Streichquartettfan weiß ich natürlich, dass er genauso viele wie Haydn geschrieben hat. Die Haydn-Quartette kenne ich praktisch auch alle, die von Mozart und Beethoven sowieso (ich habe jeweils mehrere Gesamtaufnahmen). Aber ich kenne bisher kein einziges Boccherini-Quartett. Das geht natürlich eigentlich nicht und deshalb wäre ich dankbar für Empfehlungen, wo man anfangen könnte/sollte.

  • Ich muss zugeben, ich kenne von Boccherini so gut wie gar nichts. Als großer Streichquartettfan weiß ich natürlich, dass er genauso viele wie Haydn geschrieben hat. Die Haydn-Quartette kenne ich praktisch auch alle, die von Mozart und Beethoven sowieso (ich habe jeweils mehrere Gesamtaufnahmen). Aber ich kenne bisher kein einziges Boccherini-Quartett. Das geht natürlich eigentlich nicht und deshalb wäre ich dankbar für Empfehlungen, wo man anfangen könnte/sollte.


    Das kann ich kurz und bündig beantworten: die Streichquartette op. 32 (6 Stück) und das Einzelopus op. 39 sind mMn die schönsten Streichquartette Boccerinis. Sollte Dir das nicht reichen, kannst Du auch noch op. 52 erwerben.


    Meine Empfehlung:


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  • Ich habe hier keinen Überblick nach Opuszahlen, ohne in die Stücke nochmal reinzuhören (und ich schätze Boccherini auch nicht so hoch ein wie einige der hiesigen Mitstreiter, auch wenn ich ebenfalls der Ansicht bin, dass er durch das "Menuett" nicht fair repräsentiert wird).
    In der Capriccio-Edition sind m.E. sehr gute Auswahl-CDs mit Quartetten, Quintetten und Sextetten erschienen.


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Felix, lieber Johannes


    danke für Eure Hinweise, die werde ich mir mal kommen lassen. Die beiden CDs mit dem Petersen Quartett sind ja gebraucht konkurrenzlos billig (0,01 und 0,09€), und das Quartett schätze ich sehr. Gibt es ja leider nicht mehr.


    Gruß
    Lutgra

  • Ich habe hier keinen Überblick nach Opuszahlen, ohne in die Stücke nochmal reinzuhören (und ich schätze Boccherini auch nicht so hoch ein wie einige der hiesigen Mitstreiter, auch wenn ich ebenfalls der Ansicht bin, dass er durch das "Menuett" nicht fair repräsentiert wird).


    Im allgemeinen schätze ich Mozart und Haydn auch mehr als Boccerini, was vor allem an den mMn oft (keineswegs immer!) recht stereotypen Themen Boccherinis liegt. In diesem Sinne ist er dem von mir ebenfalls hoch geschätzten Clementi nicht unähnlich. Allerdings hat Boccherini gar nicht so wenige Werke geschrieben, die ich denen Mozarts und Haydns als durchaus gleichwertig empfinde. Die Streichquartette op. 32 oder das von mir zuvor erwähnte d-Moll Streichquintett aus op. 13 wären solche Fälle. Was Boccherini manchmal an formaler Stringenz fehlt, gleicht er mit Spielfreude und Spontaneität aus (sagen wir mal analog Brahms und Dvorák). Jedenfalls finde ich es erstaunlich, dass Meisterwerke wie das op. 32 bisher von keinem berühmten Ensemble eingespielt wurden. Für mich eindeutig ein Missstand. Manchmal denke ich, dass wenn man Boccherini, Clementi und Cherubini (keiner lebte in Italien!) in einen Komponisten fusionierte, einen weiteren Titanen der Epoche neben Haydn, Mozart und Beethoven erhielte. So aber weisen alle drei Lücken in bedeutenden Musikgattungen auf, was jeweils zur Unterschätzung geführt hat. C'est dommage ;)

  • Darf ich sanft darauf hinweisen, daß es sich um die StreichQUINTETTE handeln sollte und daß wir in Erwartung eines Boccherinie Freundes bereit folgende Threads angelegt haben : ;)


    Luigi Boccherini: Streichquartette Opus 32
    Boccherini, Klavierquintette
    Luigi Boccherini-Die Sinfonien
    Auf den Leib geschrieben - Die Cellokonzerte des Luigi Boccherini
    Haydn vs Boccherini - Wer schrieb die einprägsameren Streichquartette ??
    Boccherinis Streichquartette VOL 1 op 2 Nr 1.6 (G159-164)


    Auch wenn die meisten damals aktiven Mitgliedern nicht mehr bei uns sind - die Threads können dennoch erweitert werden...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Grave aus dem Streichquintett op. 31 Nr. 1 (1780) von Boccherini : eine richtige Trauermusik.


    Es handelt sich hier um einer der traurigsten Sätzen die ich in der Kammermusik dieser Zeit kenne. Der ganze Satz enthält alle denkbaren Ausdrücke des Leids. Boccherini, dessen Melancholie noch größer ist als die von Mozart, hat dafür das düstere c-Moll gewählt und verwendet viele stilistische Mittel ( zahlreiche Modulationen, Dissonanzen, Chromatismus, übermäßige Sekunden, verminderte Intervalle, Dominant-septnonakkorde, große Intervallsprünge).


    Es lohnt sich, diesen komplexer Satz zu analysieren. Da ich jedoch über keine Partitur verfügte, habe ich nicht zwischen Vl1/Vl2 und Vc1/Vc2 unterscheiden können und schreibe deshalb nur « Violine » oder « Cello ".


    Schema :


    a / b / a' / a '' / b / c / d / d' / e / f / a''' / g


    a : (c- Moll) Der Anfang ist ungewöhnlich : über Haltenoten des Cellos erhebt sich eine kurze desolate Melodie (Violine) deren 5 Noten (c'-d'-es'-fis'-g') den Anfang einer Zigeunerskala (*) bilden. Dann bleibt dieser kurzer Teil in dieser desolaten Stimmung.


    b : Wehmütige Melodie mit Wellenbewegungen (Violine).


    a' : Verkürzte Wiederkehr des a Teils (Anfang der Zigeunerskala diesmal im Cello) .


    a '' : Verkürzte Wiederholung vom Anfang diesmal in Es-Dur


    b : (g-Moll ) Hilferufe der Violine (Beginn mit einer absteigenden Skala, erinnert an das Adagio von Albinoni).


    c : CODA 1 auf einer Pedal des Cellos, schönes Schlußmotiv mit Echo (g-Moll). Grosse Intervallsprünge, Arpeggien am Ende.


    d : 3 pathetische Akzente mit punktierten Rhythmen. (Es-Dur- B-Dur- und c-Moll Akkorde), wiederholte Motive (Violine), Teil endet in b-Moll .


    d' : 3 andere pathetische Akzente (b-Moll- f-Moll- und Ges-Dur Akkorde), wiederholte Motive (Violine), Teil endet in f-Moll.


    e : Absteigende Phrase des Cellos unter einer Haltenote, dann eine Melodie, das Ganze wird dreimal in verschiedenen Instrumentationen und Tonarten wiederholt . Ende dieses Teils in d-Moll. Desolater Charakter.


    f : Übergangsteil mit Trillern, dann unruhige Stimmung mit Schmerzcharakter (Dialog der Violinen, Rückkehr der melodischen Wellenbewegungen des b-Teils). Ruhe kehrt ein, absteigende Phrase (Cello) führt zur


    a''' : Widerkehr des ersten Teils der eine andere Richtung einschlägt als am Anfang.


    g : CODA 2 von den 2 Violinen im Terzabstand eingeführt. Chromatismus. Letztes Aufbäumen. Dramatische Verlagerung in die Tiefen (Cello).
    Der Satz endet pp in einer resignativen Stimmung mit Schlußmotiv und Echo (wie im CODA 1 jedoch ohne die Arpeggien) (c-Moll).
    Ein wunderschöner und ergreifender Satz!



    Diskographie :


    Soviel ich weiß, gibt es nur diese CD :



    1-3 Quintet in C, Op.25 No3, G.297
    4-6 Quintet in D, Op.40 No2 'Del Fandango', G.341
    7-8 Quintet in D, Op.11 No6 'L'Uccelliera', G.276
    Quintet in E flat, Op.31 No1, G.325
    9 III Grave
    Quintet in E, Op.11 No5, G.275
    10 III Menuetto - Trio
    11-14 Quintet in G, Op.60 No5, G.395


    Für mich eine großartige, emotionsgeladene Interpretation des Quintetto Boccherini.


    Zitat (CD-Booklet) :


    « Es dürfte auf dem Gebiet der grossen Musik wohl kaum einen Katalog an Werken geben, der so sträflich vernachlässigt wurde wie die 125 Streichquintette von Luigi Boccherini (1743-1805). Und das will etwas heissen, denn auch das Gesamtschaffen dieses feinsinnigen Komponisten hat man nicht eben mit Vorzug behandelt – mit Ausnahme eines Menuetts, das durch unzählige grobe Arrangements trivialisiert wurde, und einem Cellokonzert, das ein Herausgeber des 19. Jahrhunderts über alle Massen verstümmelt hat. Wenn sich seit dem Beginn des CD-Zeitalters überhaupt etwas zugunsten Boccherinis getan hat, so muss man dafür vor allem die Seitenlinie seiner Gitarrenquintette und das Interesse der Tonträgerfirmen verantwortlich machen. » (Tully Potter 2002 Übersetzung : Eckhardt van den Hoogen).



    (*) Somit wäre Boccherini und nicht Liszt der erste Komponist, der eine Zigeunerskala verwendet. (« Auch die schon seit Liszt in die Kunstmusik eingegangenen Zigeunertonarten gehören hierher. » (Hermann Grabner, Allgemeine Musiklehre, Bärenreiter, 1966, S. 92)). Man kann aber auch diese Tonfolge einfach als den Anfang einer c-Moll Tonleiter mit Anhebung der 4. Stufe (F wird zu Fis), die eine übermäßige Sekunde zur Folge hat, auffassen. Boccherinis Absicht scheint es zu sein, dieses sehr ausdrucksvolle Intervall zu betonen, zumal die Phrase lang auf diesen Noten (es',fis') verweilt. Auf jeden Fall bleibt dieser Anfang enigmatisch und wirkt wie eine gestellte Frage.


    Viele Grüße
    Jacques

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