Wir haben (noch) ein Liszt-Jahr. Am zweiundzwanzigsten Oktober jährte sich sein Geburtstag zum zweihundertsten Mal. Liszt war eine bedeutende Gestalt des kulturellen Lebens seiner Zeit. Ein Buch, das gerade über ihn erschienen ist, trägt den Untertitel „Biographie eines Superstars“. Alfred Brendel hat mehrfach auf die Bedeutung seines Klavierwerkes aufmerksam gemacht.
Von dem – nicht unwesentlich von dem Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick geprägten – Bild des narzisstischen, dandyhaften Klaviervirtuosen, der nichts weiter als „Lisztomanie“ (Heine) hervorzubringen vermochte, ist man heute weit weg. Dass Liszt einen wesentlichen Beitrag zur Geschichte der klassischen Musik geleistet hat, ist unbestreitbar.
Aber war er auch ein großer Liedkomponist?
Liszt hat über achtzig Lieder hinterlassen. Größtenteils liegen ihnen Texte deutschsprachiger Autoren zugrunde: Schiller, Goethe, Rückert, Heine, Hebbel u.a. Aber er hat auch zu fremdsprachiger Lyrik gegriffen: Victor Hugo, Alfred de Musset, Petrarca, Tennyson, Petöfi u.a.
Und hier nun wird eine Eigenart dieses Komponisten sichtbar. Liszt war ein Bewunderer Schuberts und ein intimer Kenner des Schumannschen Liedwerkes. Aber er selbst steht als Liedkomponist nicht in der historischen Entwicklungslinie, die sich von Schubert über Schumann bis weit ins 19. Jahrhundert hinein spannt.
Ganz sicher hat das damit zu tun, dass er sich selbst als Komponist in einen europäischen Rahmen gestellt und eingeordnet sah. Es ist aber auch darauf zurückzuführen, dass er seine Lieder kompositorisch gleichsam vom Klavier her entwarf. Die melodische Linie der Singstimme ist bei ihm a priori Teil des Klaviersatzes und entfaltet sich aus diesem.
Das heißt nun aber nicht, dass sie nicht eigenständig sei und nicht zu genuinem Ausdruck fähig. Das ist sie durchaus. Aber sie ist in der Regel auf die große stimmliche Entfaltung hin konzipiert. Das im Grunde hausmusikalisch Intime der Melodik eines Schubert- oder Schumannliedes ist ihr nicht eigen.
Dieser Thread wird die Frage nach der Bedeutung Liszts als Liedkomponist nicht klären können. Das soll auch gar nicht seine Bestimmung sein. Es geht vielmehr darum, durch einfache Wiedergabe des Höreindrucks ein Bild davon zu vermitteln, wie diese Lieder klingen. Vielleicht geht damit ja auch ein Urteil einher. Es muss freilich in gar keiner Wiese liedanalytisch gestützt sein, sondern kann ganz und gar im subjektiven Eindruck wurzeln.