2012 - Eugen Jochum und sein Brucknerbild

  • Nachdem wir grade eine Serie über Pianisten und ihr "Beethovenbild gestartet haben, habe ich das Thema übernommen und ich starte hier einen neuen Thread über Eugen Jochum und seine Sicht auf Anton Bruckner. Ich glaube, daß das in vielerlei Hinsicht ein guter Beginn ist, weil Jochum ja über Jahre hinweg DIE Bruckner-Instanz schlechthin war. Er war ab 1950 Präsident der Deutschen Abteilung der internationalen Bruckner Gesellschaft- Er war zudem der erste Dirigent, der alle Sinfonien Anton Bruckners für die Schallplatte einspielte, und es gibt auch etliche Aufsätze über seine Vorstellung, wie Bruckners Sinfonien zu dirigieren seien.
    Sein 25. Todestag mag Anlaß genug sein, sich seiner zu erinnern und Resumé zu ziehen, was von seinem Brucknerbild geblieben ist, das ja einige Zeit aus der Mode war - oder es vielleicht auch noch ist.
    Inwieweit unterscheidet sich Jochums Dirigat von den "modernen" Dirigenten, inwieweit war seine Interpetation näher oder ferner von den unterstellten Intentionen Bruckners ?
    Hat uder hatte er einen - im Sinne der Gesamtauffassung , bzw Gesamtwirkung - legitimen Nachfolger ?
    Oder ist sein Stil heute obsolet und vergessen ?


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Hallo, liebe Taminofreunde,


    gestern Abend konnte ich bei Bayern Alpha die 7. von Bruckner erleben. Live leider erst einmal, bei uns in Gera zum Festakt des 100-jährigen Bestehens des Geraer Theaters. Unser verstärktes Orchester hatte gespielt, dirigiert der damalige GMD Gabriel Feltz. Natürlich war ich beeindruckt, vor Allem vom Adagio. Und Feltz brachte den umstrittenen Beckenschlag. Das war so ein Aha-Moment, nach der Steigerung der Beckenschlag - der Nachhall war extrem beeindruckend. Der ganze Konzertsaal schien zu schwingen.


    Und gestern brachte Jochum als anerkannter Bruckner-Experte den Schlag auch, obwohl ihm eine große Authentizität der Bruckner-Wiedergabe bescheinigt wird. Hat Bruckner den Schlag nun in der Partitur oder nicht?


    Mir hat er gefallen. Bruckner benutzt das Schlagzeug nicht, um Effekte zu erzielen, wie man das bei Mahler oder auch Strauß durchaus hören kann. Trotzdem bleibt er in Erinnerung.


    Soweit ich mich erinnern kann, hatte Thielemann bei seinem Amtsantritt in München auch die 7. auf dem Programm. Ich erinnere mich, daß er nach der prächtigen Aufführung ziemlich erschöpft aussah. Um so beachtlicher die Leistung von Jochum (auch von Wandt), der doch schon im reiferen Alter war. Es zeigt sich, daß Musik vieles an wehwehchen vergessen lassen kann.


    Ob Jochum das Brucknerbild neu interpretiert, dazu kann ich mich nicht äußern, da fehlt mir einfach die erforderliche Qualifikation. Und gerade deshalb will ich von den Taminos lernen.


    Musik ist eine heilige Kunst!!


    Viele Grüße von La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.


  • Es gibt zwei Versionen, mit und ohne...


    (Die erste ist ohne, die zweite mit.)


    Und welche ist von Bruckner? In meinem Konzertführer (rudolf Bauer - Das Konzert) steht, daß der Beckenschlag nicht in der Partitur enthalten wäre!


    Viele Grüße nach Wien von La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ich frage mich seit langem, wie sich an diesem Beckenschlag die Gemüter so erregen können. Zahlreiche Dirigenten haben gezeigt, daß es mit Beckenschlag genauso schlüssig klingt und keineswegs "aufgesetzt". Dieser Beckenschlag in der 7. ist doch ein Klacks gegen die Veränderungen, die etwa die 5. erlebt hat. Drum: Nicht der Rede wert. Mir persönlich ist es lieber mit Beckenschlag. Ohne fehlt irgendwie etwas, wohl auch durch Gewöhnung.


    Aber zurück zum eigentlichen Thema: Eugen Jochums Brucknerbild.


    Ich habe Bruckner mit Jochums erster Gesamtaufnahme der Symphonien, entstanden zwischen 1958 und 1967 für die DG, kennengelernt. Besonders die 4., 5., 8. und 9. sind mir in bester Erinnerung. Die Gründe, wieso ich diesen Zyklus vor einiger Zeit verkauft habe, sind, daß Jochums Altersaufnahmen doch noch erheblich vorzuziehen sind. Und damit meine ich keinesfalls den tontechnisch mißlungenen zweiten Zyklus aus Dresden. Vielmehr meine ich die 5. und 7. mit dem Concertgebouworkest von 1986, die 8. mit den Bamberger Philharmonikern von 1982 sowie die 9. mit den Münchner Philharmonikern von 1983. Das sind m. M. n. seine besten Lesearten der jeweiligen Symphonien. Allerdings kenne ich z. B. die 9. von 1977 mit den Berliner Philharmonikern und die 8. mit dem CGO von 1984 noch nicht. Und auch 4. und 6. mit dem CGO von 1975 bzw. 1980 fehlen mir noch.


    Jochum war sicherlich einer der bedeutendsten Bruckner-Dirigenten des 20. Jahrhunderts, aber ob er insgesamt auch der beste war, das sei mal dahingestellt.


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Und welche ist von Bruckner? In meinem Konzertführer (rudolf Bauer - Das Konzert) steht, daß der Beckenschlag nicht in der Partitur enthalten wäre!


    Viele Grüße nach Wien von La Roche


    Beide ;) .


    Es hängt davon ab, welche Partitur man nimmt.
    Bruckner hat auf Anraten wohlmeinder Zeitgenossen Beckenschlag, Triangel und Schlagzeug nachträglich eingefügt, war aber wohl mit dieser Entscheidung nicht so glücklich.
    Es gibt in einigen Partiturversionen die handschriftliche Änderung "gilt nicht" über Beckenschlag und Co., jedoch soll der Eintrag nicht von Bruckner stammen.


    Näheres dazu in diesem Thread: Anton Bruckner: Sinfonie Nr 7 in E-dur - die Einzige und vorherige und nachfolgende Beiträge.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich frage mich seit langem, wie sich an diesem Beckenschlag die Gemüter so erregen können. Zahlreiche Dirigenten haben gezeigt, daß es mit Beckenschlag genauso schlüssig klingt und keineswegs "aufgesetzt". Dieser Beckenschlag in der 7. ist doch ein Klacks gegen die Veränderungen, die etwa die 5. erlebt hat. Drum: Nicht der Rede wert. Mir persönlich ist es lieber mit Beckenschlag. Ohne fehlt irgendwie etwas, wohl auch durch Gewöhnung.


    Bei einem guten Dirigenten fehlt mir der Beckenschlag keinesfalls. Günter Wand und ibs. Bruno Walter 1963 haben exemplarisch aufgezeigt, daß es des Beckenschlags nicht bedarf, um Bruckners Trauer über den Tod Wagners zu verdeutlichen.
    Die Frage einer guten Bruckner-Interpretation der 7. mache ich hingegen auch nicht von "Beckenschlag ja oder nein" abhängig.


    In der Aufzählung bedeutender Jochum-Aufnahmen fehlt noch die 5. Sinfonie mit dem Cocertgebouw Orchester 1964 aus Ottobeuren. Eine für mich unverzichtbare Aufnahme.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hier noch eine Auflistung der ganz späten Bruckner-Aufnahmen von Jochum. Leider ist einiges kaum mehr zu kriegen:


    CGO 1975


    Nr. 4


    CGO 1986


    Nr. 5


    bzw. CGO 1980


    Nr. 6


    CGO 1986


    Nr. 7


    Bamberger SO 1982 CGO 1984


    Nr. 8


    BPO 1977 MPO 1983 RSO Berlin 1983


    Nr. 9


    Für alle, die den greisen Jochum mal live bei Bruckner erleben wollen, ein sehr spannendes Video aus Tokio von 1982 (identisch mit dem oben genannten CD-Mitschnitt):



    Er hatte schon was von einem Pultdiktator, vor allem in der Coda ab ca. 20 Minuten. :D

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Das war auf Tonträger mein erster Bruckner. ich habe ihn rauf und runter gehört, immer wieder. Das heißt natürlich, dass sein Brucknerbild ziemlich genau auch meines wurde. Das ist auch lange so geblieben. Erst später, nachdem ich Bruckner live gehört hatte, änderte sich das. (Live besonders mit dem Limburgs SO, Ed Spanjaard, 8. u. 9. unübertrefflich). Ich suchte dann ein wenig herum, bekam CDs mit Wand geliehen, die mir kalt vorkamen, technokratisch. Mariss Jansons hat für mcih die ultimative 7. eingespielt. Er zeigt sehr viel mehr Emotion als Jochum das tat. "Unser" Markus Bosch hat eine tolle 3. und 4. aufgenommen (in einer Aachener Kirche und das ist wahrscheinlich ein sehr guter Ort dafür!!) und eine schreckliche 9.
    Aber genug der Aufzählung. Komme ich zum Punkt. Ich höre den Eugen immer noch gern, aber mir scheint es, als nähme er Emotion zurück, als bewahre er immer die Contenance, er liefert sich dem Werk nicht aus und damit macht er es mir ein wenig schwer, mich auszuliefern (was ich will). Er erkennt die Emotionale Energie besser als Wand, aber er zeigt sie uns, anstatt sie uns um die Ohren zu hauen. Insofern werde ich ihn weiter hören, aber lieben werde ich wohl nie.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Offenbar wurde auch die exzellente 7. mit dem Concertgebouworkest vom 17. September 1986 gefilmt. Ziemlich sicher das allerletzte Video mit Jochum, ein halbes Jahr vor seinem Tod:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich höre den Eugen immer noch gern, aber mir scheint es, als nähme er Emotion zurück, als bewahre er immer die Contenance, er liefert sich dem Werk nicht aus und damit macht er es mir ein wenig schwer, mich auszuliefern (was ich will). Er erkennt die Emotionale Energie besser als Wand, aber er zeigt sie uns, anstatt sie uns um die Ohren zu hauen.


    Der Dresderer Zyklus (Brillant) steht den bei DG zuvor entstandenen Aufnahmen mit den Berliner PH und dem Bayerischen RSO aber deutlich nach. Deshalb habe ich mich mit dem Zyklus auch nicht lange beschäftigt. Der DG-Zyklus mit Jochum war auf LP auch meine erste Bekanntschaft mit Bruckner.
    Einzelbetrachtungen währen jetzt natürlich nötig, um aussagekräftiges zur Qualität beizusteueren - Josef hat ja zudem von mehreren späteren Einzelaufnahmen berichtet.
    Insgesamt kann mich aber des Zitates von Klaus anschliessen - bis auf die Tatsache, dass ich ihn immer noch gerne höre. Das späte sicher eindrucksvolle VIDEO bestätigt die Aussage im Zitat erneut.


    Ich habe es mehrfach bei TAMINO berichtet:
    Als ich die Karajan-Aufnahmen (DG) aller Bruckner - Sinfonien später auf CD gehört und mir damals als Einzel-CD so gespannt und schnell wie möglich alle 9 zusammengekauft hatte (jede CD war ein erneutes Erlebnis !), war mir klar, was ich bislang verpasst hatte ! Damit war Jochum für mich abgehakt !


    Wiederum später entdeckte ich, zuerst über die fantastische Solti-Aufnahme der Sinfonie Nr.6, den Solti-Zyklus (Decca) für mich. Eine fabelhafte Ergänzung zu Karajan.


    :) Jochum ??? ... Nicht mehr ! :pfeif:

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Eugen Jochums Bruckner wird oft als "pseudoreligiös" mit "Weihrauchschwaden" umwölkt bezeichnet, ein wenig überirdisch abgehoben. Von dieser Linie hat man sich in seiner Nachfolge distanziert und das "Weihevolle", "Wagnerisnische", ein wenig entfernt. Ich habe aber den Eindruck, das diese Richtung mit Bruckners Intentionen durchaus harmoniert - und daß sie allmählich wieder im Kommen ist....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Verglichen mit einem Carl Schuricht oder Furtwängler mag diese "Pseudoreligiosität", dieses "Nebulöse" zutreffen, aber war Jochum auch seinerzeit beileibe nicht der einzige Bruckner-Interpret, der so ein Klangideal hatte. In den 50er und in der ersten Hälfte der 60er gab es ja auch noch Knappertsbusch, der heute gerne abgewertet wird, weil er "entstellte" Fassungen spielen ließ. Man vergleiche mal die 8. unter Jochum und Knappertsbusch, dann finde ich letzteren eigentlich noch "abgehobener" und majestätischer. Dann gab es natürlich noch Klemperer (titanisch, aber sicher nicht mit Weihrauchschwaden schwenkend) und Goodall (der nach eigener Aussage Kna, Klemp und Fu als seine größten Vorbilder ansah; sein Bruckner klingt ähnlich gigantisch; hierzulande eher unterrepräsentiert). Eine halbe Generation später kam Celibidache, der gewiß auch zu den Monumentalen zu zählen ist. Und natürlich Wand, der dann wieder sehr konträr zu Jochum ist, eher an Schuricht und Andreae angelehnt, der hier im Forum ja auch etliche Fans hat.


    Jochums omnipotente Stellung erklärt sich wohl einfach auch daraus, weil er als erster (?) eine komplette Aufnahme der neun Symphonien in Stereo vorlegte (1967 vollendet). Wand und Karajan folgten erst in den 70ern/frühen 80ern, Celibidache spielte die 1. und 2. nie (zudem lag das alles bis zu seinem Tod ja gar nicht auf allgemein zugänglichen Tonträgern vor), auch von Knappertsbusch, Klemperer und Schuricht fehlen einige (hauptsächlich die frühen), von Goodall gibt es m. W. sogar nur Nr. 7–9. Andreae ist zwar komplett, aber in Mono. Furtwängler schließlich ist nicht komplett und auch Mono.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Eugen Jochums Bruckner wird oft als "pseudoreligiös" mit "Weihrauchschwaden" umwölkt bezeichnet


    (Eines vorweg: Mir ist klar, dass Du, lieber Alfred, hier nicht unbedingt Deine eigene Meinung wiedergibst.)


    Sicherlich wird niemand ernsthaft auf den Gedanken kommen, dem Komponisten Anton Bruckner seine tief empfundene Religiosität abzusprechen. Ebenso ist von Eugen Jochum zu vermuten, dass er ein religiös geprägtes Lebensverständnis gehabt hat. Hierzu kann ich zwar keine biographischen Details anführen, jedoch findet sich z.B. in Wikipedia folgendes Zitat, welches meine Annahme zumindest nicht vollkommen unplausibel erscheinen läßt:


    "Meine musikalische Begabung betrachte ich als Geschenk von oben. Ich möchte, daß sie nie Selbstzweck werde, und ich glaube, daß ich die Aufgabe habe zu dienen – Medium zu sein für die Gedanken der großen Meister, die ihrerseits Gedanken des höchsten Wesens aussprechen." (Eugen Jochum)


    Nun gebe ich ganz offen zu, daß mir persönlich alles religiöse höchst suspekt ist - ja, teilweise sogar gefährlich erscheint. - Trotzdem erschließt sich mir nicht, warum dem wahrscheinlich auch aus einer gewissen Glaubenübereinstimmung heraus geprägten Brucknerbild Eugen Jochums das Adjektiv "pseudo" vorangestellt wird? Geht es hierbei tatsächlich um das musikalische Verständnis? Oder geht es eher darum, auf "moderne Art" kluge Worte zu gebrauchen und ein wenig weltmännisch herumzukritteln? Ebenso könnte man, da Bruckner bekanntlich einer der besten, wenn nicht sogar der beste Organist seiner Zeit war und Eugen Jochum (selber Sohn eines Organisten) m.W. dieses Instrument an der Musikhochschule studiert hat, also Jochums Brucknerbild als "pseudoorgeliös" bezeichnen :no:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.