Hallo zusammen,
eigentlich ist alles ganz einfach. Maria Callas habe ein hässliches Timbre, ein dürres und hartes Stimmaterial und neige zum zu starken tremolieren. Hans Hotter sei nie ein Heldenbariton gewesen, habe zu oft deklamatorische Undeutlichkeiten gezeigt. Del Monaco hat eh nur unsensibel gebrüllt und der Welt den eindimensionalsten Otello aller Zeiten hinterlassen. Weiter kann man den beispielhaften Bogen spannen über das knarzige Timbre der mit wenig Volumen daherkommenden Stimme Theo Adams, dem heiseren Fluktuationen des Jon Vickers zwischen den dynamischen Extremen, dem zu sehr auf den schönen Ton fixierten Gesang von Montserrat Caballé bis hin zu Fischer-Dieskau als offenbar universell tauglichen Prügelknaben, wenn es um sängerische Defizite geht.
Dies nur wenige brainstorming-artig niedergetippte Beispiele. Wäre in diesem Moment mehr Zeit und vor allem mehr Sachverstand vorhanden, ließe sich sicher ein noch umfassenderes und vor allem präziseres Bild entwerfen.
Ein Bild der Masse an Künstlern , die über große Zeiträume bzw. in der Regel natürlich immer noch ihr Publikum wie auch die Fachwelt faszinierten , oder doch zumindest polarisierten. Von großer Bewunderung bis zu teils krankhaft anmutenden Steigerungsformen reicht da oft der Zuspruch. Eine entsprechende Ablehnung wird meist kaum weniger deutlich bekundet. Und am Ende haben wir den armen Kritiker vor uns, von dem wir im Gegensatz zum schwärmenden oder zürnenden Liebhaber die so oft erwünschte objektive Stellungnahme fordern. Und sollte denn die kluge Einsicht gesiegt haben, dass dies wiederum objektiv unmöglich sei, so ist zumindest eine transparente Einschätzung erwünscht.
Liest man dann diese kritischen, transparenten Erörterungen der Sänger, so bleibt in der Tat wenig verborgen. Der Künstler wird seziert, auch die kleinste technische Schwäche wird - natürlich durchaus berechtigt - bei der umbarmherzigen Sektion aufgedeckt, stilistische Eigenheiten müssen durch so manches Fegefeuer gehen und meist bleiben auch charakterliche Züge nicht unbeachtet und folglich auch nicht unbewertet.
Und doch habe ich den Eindruck, dass bei allem Aufwand und aller Gründlichkeit es doch unmöglich scheint, dass eigentlich so faszinierende sängerimmanente zu extrahieren.
Weil ich glaube, dass bei der Beziehung, die ein Hörer zu einem Sänger aufbaut in erster Linie die zwar vom Ohr nicht aber von der Kritik befriedigend fassbaren Faktoren im Vordergrund stehen, wie z.B. das Timbre, die Diktion bzw. prägante Eigenheiten des Singens. Und das natürlich ein objektiv vollendetes Legato, ein einwandfreies Passagio, Volumen, Schallkraft, Höhensicherheit die Faszination mittragende Faktoren sind, sich aber letztendlich der Kampf des persönlichen Wohlwollens bei den viel stärker präsenteren fassbaren Erscheinungsfacetten entscheidet.
( Anmerkung: Natürlich ist zu fragen, ob das nicht für die musikalische Kunst allgemein gilt, und sich nur beim Gesang am stärksten ausprägt, weil vor allem auch der unerfahrenste Hörer den großen Unterschied und vor allem die Eigenarten der Stimmen besser fassen kann, als z.B. die Unterschiede zweier Sinfonieeinspielungen. Aber das wäre wohl doch ein zu weites Feld für eine Eröterung.)
Wie dem auch sei, ich habe wie schon erwähnt den Eindruck, dass sich die Faszination vor allem aus dem Stimmklang und gewissen leicht fassbaren Eigenarten (mir fällt hier kein besserer Begriff ein, als Beispiele seien die markante Diktion Gottlob Fricks, dass oft krasse Nebeneinander von gewaltigsten und subtilsten Tönen von Jon Vickers genannt, die halt typisch sind) ergibt. Alles andere ist angenehmes Beiwerk, was das menschliche Gehirn anscheinend entweder positiv hinzurechnet oder bei negativen Beimischungen negiert - die wenigsten Bewunderer stören die "Schwächen" Ihrer Lieblinge.
Und nicht zuletzt habe ich auch beim Lesen der Kritiker (Sängerkritiker erscheinen mir immer als ein sehr angespannt arbeitendes Völkchen, dass in ständiger Angst lebt, sich vor der Kollegenschaft zu blamieren, indem auch nur die banalste einzige falsche Note nicht erwähnt wird ) den Eindruck, dass hier Zu- und Widerspruch gegenüber dem Künstler gar nicht von den meist ins Felde geführten Schwächen bestimmt werden. Vielmehr wird nur das am besten objektiv fassbare vergleichsweise hilflos ins Felde geführt, um die eigene Position zu bestärken und doch am Kern der Sache "vorbeizurichten".
Man lese nur Jens Malte Fischer und Jürgen Kesting zum Thema Fischer-Dieskau. Wie da zwei anerkannte Fachleute mittels der gleichen Fakten zur entscheidend gegensätzlichen Wertung kommen - nämlich indem im einen Fall methodisch bagatellisiert, im anderen fokussiert wird - ist schon erstaunlich. Und bestärkt mich nur in der Vermutung, dass wir doch alle vergleichsweise hilflos davor stehen, wenn wir erklären müssten, warum uns gerade die Tränen an der Wange runterkullern, während die letzten Töne der Lieblingsgesangsaufnahme verklingen.
Würde mich freuen, weitere Meinungen zu dem Thema zu hören.
Gruß
Sascha