ABM - Arturo Benedetti Michelangeli

  • Wer sich analytisch mit Beethovens Klavierwerken beschäftigen will, dem sei nach wie vor das herausragende Werk "Beethovens Klaviermusik" von Jürgen Uhde empfohlen. Leider gibt es die ursprüngliche dreibändige Ausgabe, in der auch die Variationen und Bagatellen analysiert wurden, nur noch antiquarisch, aber die beiden Sonaten-Bände kann man noch in diesem Band zusammengefasst kaufen:

    Danke für den Hinweis. Das Buch ist bestellt. Eigentlich beschämend, wei lange ich diese Sonaten kenne und wie wenig ich dazu gelesen habe. Auf der anderen Seite aber auch ein Indiz dafür, dass die Musik auch für sich selbst sprechen kann ...:)

  • Den zweibändigen Uhde bei Reclam besitze ich - bei drei oder vier Sonaten habe ich mich damit (auch) informiert. Das ist eine geistvolle Formalanalyse, die ich mit dem Notentext nachvollziehen konnte. Einfache Kost ist es nicht für Halblaien, aber man muss ja nicht alles ganz verstehen, um davon zu profitieren.

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Eigentlich beschämend, wei lange ich diese Sonaten kenne und wie wenig ich dazu gelesen habe. Auf der anderen Seite aber auch ein Indiz dafür, dass die Musik auch für sich selbst sprechen kann ... :)

    Das kann sie sicher, aber Uhdes Analysen sind gerade deshalb so gut, weil bei ihnen Intuition und Reflexion einander bedingen und verstärken. Man kann deshalb viele seiner Erkenntnisse auch tatsächlich hörend wahrnehmen.


    Übrigens am Rande: Als ich vor vielen Jahren ein anderes Buch von Jürgen Uhde ("Denken und Spielen") im Musikhaus Schlüter in Dortmund bestellen wollte, kam die Verkäuferin nach längerer Suche mit den Worten zurück "Das ist alles, was ich gefunden habe". In der Hand hatte sie ein "Songbook" von Udo Jürgens. Leider war Uhde, den ich auch persönlich kennengelernt hatte, zu dem Zeitpunkt schon tot. Er hätte an der Geschichte sicher seine helle Freude gehabt :).

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Als ich vor vielen Jahren ein anderes Buch von Jürgen Uhde ("Denken und Spielen") im Musikhaus Schlüter in Dortmund bestellen wollte, kam die Verkäuferin nach längerer Suche mit den Worten zurück "Das ist alles, was ich gefunden habe". In der Hand hatte sie ein "Songbook" von Udo Jürgens.

    :hahahaha: Ja, die guten alten Fachverkäufer ..... Auch der Humor verschwindet langsam aus den Musikgeschäften.

  • im Musikhaus Schlüter in Dortmund

    Ui, das ist mir da allerdings nie passiert, in der Regel gab's gute Beratung bei Schlüter und einen freundlichen Bestellservice. Nachdem die "Schallplatte im Glockenspielhaus" geschlossen hatte. und später auch noch "live" wa das die letzte Anlaufstelle für Klassikliebhaber. Ist leider nunmehr auch Geschichte.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Heinrich Schenker hat in seiner Analyse von Opus 111 aufgezeigt, dass Beethoven hier mit geradezu mathematischer Präzision verfährt. Von Variation zu Variation ändert sich der Takt: Von 9/16 über 6/16, dann 12/32 hin zu 9/16 in der vierten Variation. Hinzu kommen, in der Funktion einer Steigerung dieses rhythmischen Beschleunigungsprozesses die Synkopierungen.

    Lieber Helmut,


    Schenker ist natürlich immer ein Reizthema und man geht dann vom Konkreten weg gleich ins Allgemeine - und das, was Du hier darstellst, wird gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Ich habe leider auch nur den guten Jürgen Uhde und nicht Schenkers Analyse zur Hand. Uhde geht in seiner Einleitung im Kapitel über op. 111 auf Schenker ein. Er spricht über die "berühmt gewordene Analyse von Schenker" - berühmt geworden, weil sie immer wieder von Anderen zitiert wird. Er beschäftigt sich an der Stelle mit dem Zusammenhang des 1. und 2. Satzes und hält Schenkers These da zwar für "gewagt", gibt aber auch zu, dass sie eine "große Suggestionskraft" besitze. Uhde zu Schenkers Analyse: "Auch wenn man sie ablehnt, bleibt sie wirksam."


    Als Theoretiker kann ich dazu folgendes sagen: Schenkers Analyse, die musikalische Form als Entfaltung eines "Ursatzes" zu begreifen, liegt eine historisch ungemein einflussreiche Entwicklungsidee zugrunde, die auf den antiken Neuplatonismus zurückgeht, wonach die Dinge in der Natur in Samenkörpern (griech. spermatikoi logoi) ursprünglich eingefaltet vorliegen, die sich dann nur auseinanderfalten (lat. complicatio - explicatio).Von dieser Entwicklungsidee war Goethe beeinflusst (seine "Urpflanze"), oder Kant (das, was er "generische Präformation" nennt) und vor allem die ganze Systemtheorie seit dem 18. Jhd. Schenker ist deshalb auch keineswegs der erste Musiktheoretiker, wo diese Entwicklungsidee zu einer theoretischen Konzeption wird. Johann Christian Lobe 1844: "Haydn hat aus nur 5 Takten einen ganzen Symphoniesatz von 338 Takten ausgesponnen." Carl Dahlhaus hat mit seiner methodischen Kritik natürlich im Prinzip völlig Recht. Solche konstruktiven Ansätze wie die von Schenker neigen zur Gewaltsamkeit, dass da mitunter etwas in ein System gezwängt wird, was nicht unbedingt ganz so geschlossen ist, wie es sich in der Analyse dann darstellt. Man muss aber auch sagen, dass es kein Zufall ist, dass sich die "Systemtheoretiker" in der Musiktheorie immer wieder gerne Beethovens Klaviersonaten vornehmen, um damit ihre Theorie zu "erproben". Bei Beethoven gibt es kompositionstechnisch doch gewisse Tendenzen zur konstruktiven Vereinheitlichung, die schon in seiner allerersten Klaviersonate op. 2 Nr. 1 nachweisbar sind - Stichwort "kontrastierende Ableitung". Und genau deshalb behalten "konstruktive" Analysen wie die von Schenker auch ihren Wert, weil sie eben vornehmlich diejenigen Elemente von Beethovens Komposition erfassen, wodurch diese ihre Geschlossenheit erreicht und damit ihren "Werk"-Charakter verdankt. Man muss dann halt im Einzelfall genau hinschauen, wie schlüssig und aussagekräftig so eine Analyse ist. Und in dem, was Du hier zitierst, scheint sie für mich doch schlüssig zu sein. :) ;) :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Holger, dann berichte doch bitte bei Gelegenheit, ob es sich lohnt!


    Lieber Christian,


    diese UHQ-CD ist drastisch besser! Die CD-Erstausgabe (DECCA) klingt dagegen mulmig und eng. Mit der UHQ-CD steht der Flügel quasi vor einem. Was für eine Aufnahme! Sie begleitet mich ja durch mein Leben - ich hatte sie aber schon lange nicht mehr gehört. Jetzt im neuen Heim mit neuer Akustik und dieser vorzüglichen Wiedergabequalität meiner gerade für Klavier so tollen AVM-Kette mit ihrem kristallklaren Klang habe ich sie wieder einmal wiederentdeckt - ABM macht mich einfach nur fassungslos! Ein "Wunder" reiht sich an das nächste. Das Ausschwingen der Töne am Ende des 1. Satzes, was Thomas so beeindruckt hat, ist wiirklich ein großer Moment - das hat Dimensionen einer "Dekomposition" des Klanges im Sinne von Stockhausen. Er löst allerdings Pedal, bevor der erste Ton der Arietta erklingt - so hört es sich jedenfalls an. Und wie er etwa diesen retardierenden Moment nach dem ersten Triller zu einem kleinen Binnendrama, einer Opernszene gleichsam, gestaltet, ist unglaublich!


    Auch das Ravel-Konzert mit Celi habe ich gehört. Das Klavier ist sehr präsent mit großem Ton, fast schon überpräsent und der Klang mit Orchester auch nicht immer durchsichtig - insgesamt ist die Abbildung groß, aber die Dynamikspanne doch insgesamt eingeengt. Und dann hört man auch viele kleine Fehlerchen und Ungenauigkeiten im Orchester und der Abstimmung von Klavier-Orchester. Da hatte Celi, der Probenfanatiker, wohl nicht genug Probenzeit bekommen... :) Manche Dinge hört man, die man auf der alten Aufnahme nicht mitbekommt, wie am Ende des langgezogenen Trillers, wenn er die Bassakkorde setzt. Insgesamt ist das eine schöne Aufnahme, die für mich letztlich aber dann doch nicht die singuläre große Ausstrahlung der berühmten 1959iger Aufnahme hat - die einfach perfekt ist und auch klangtechnisch trotz des Alters besser (man kann sie als SACD hören (Praga-Label) - dann klingt sie wie gestern aufgenommen!). Interessant ist - die große Abbildung und Realistik habe ich mit der AVM-Kette. Wenn ich dann an den analogen Eingang des AVM-DAC den Denon DCD 1600 NE anschließe, ist das Klangbild deutlich weniger plastisch und präsent und schlanker. Es klingt dann mehr in Richtung "Hifi-Wiedergabekette". Mit SACDs ist der Denon allerdings unglaublich dynamisch und präsent auch - klanglich ist der insgesamt wirklich auch toll und ein Glücksgriff (Meckern auf höchstem Niveau ist das jetzt...). Man merkt aber, dass er den moderneren Wandler hat - gewisse ganz feine klangfarbliche, feindynamische Nuancierungen bringt er heraus zu Beginn des 2. Satzes. Er ist auch im Bass etwas konturierter. Das könnte ich vielleicht mit einem neuen Digitalkabel bei der AVM-Kette etwas ausgleichen - aber darüber grüble ich noch... ^^


    P.S. Diese japanische UHQ-CD ist zur selben CD erschienen wie die neu remasterte blaue Doppel-CD. Ich bin gespannt auf den Vergleich ...



    Schöne Grüße

    Holger

  • Die CD-Erstausgabe (DECCA) klingt dagegen mulmig und eng.

    Das kann ich nur bestätigen. Die CD ist ein totaler Fail, neben dem mulmigen Klang (so freundlich hätte ich es nicht formuliert) ist auch ein starkes Rauschen zu vernehmen, das auf der LP nicht zu hören ist (weshalb ich auch immer die LP auflege). Die fehlende Räumlichkeit auf der Plattenaufnahme ist für 1965 und vor allem für das Label DECCA ärgerlich, insofern aber nicht ganz so dramatisch, als tatsächlich der Klavierklang in einer herausragenden Qualität aufgenommen worden ist, was das Ende des ersten Satzes so perfekt hörbar macht. Das mag auch daran liegen, dass ich derzeit mit einem Equipement höre, das quasi aus der Zeit stammt (ein Dual 1218, gut, 10 Jahre jünger als die Aufnahme, aber immer noch das Prinzip Reibradantrieb; lediglich mit dem OM20 ist dem Dreher ein wenig Modernität verpasst worden, verbaut ist er wiederum in einer Dual-Verstärker aus 1974). Aber Holgers Tipp mit der UHQ-CD werde ich wohl näher treten, seufz.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Wilhelm Furtwängler:


    In Beethovens Werken sind Seele und Musik eines geworden.

    Nur als Musiker wird man der Seele dieses mächtigen Mannes inne werden - nicht etwa als Literat oder gar als '"Psychologe".

  • Von Karl zitiert (und, weil nicht kommentiert, von ihm wohl auch geteilt):

    "Nur als Musiker wird man der Seele dieses mächtigen Mannes inne werden - nicht etwa als Literat oder gar als '"Psychologe".


    Das ist die in Musikerkreisen gern gepflegte, zwar nicht generell, aber doch immer wieder einmal vertretene Verunglimpfung der reflexiven, allgemein intellektuell und speziell musikwissenschaftlich, philosophisch, oder literarisch ausgerichteten Beschäftigung und Auseinandersetzung mit Musik und ihren Schöpfern.

    Sie ist nicht berechtigt, weil sachlich unzutreffend, und in dieser sprachlichen Version, mit dem Wort "nur" Ausschließlichkeit beanspruchend, ganz einfach unsinnig.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Wilhelm Furtwängler:


    In Beethovens Werken sind Seele und Musik eines geworden.

    Nur als Musiker wird man der Seele dieses mächtigen Mannes inne werden - nicht etwa als Literat oder gar als '"Psychologe".


    Man müsste die Frage zu klären, in welchem Kontext diese Äußerung stattfand.


    Nimmt man sie denn kontextfrei absolut, und will man ernsthaft darüber diskutieren, so ist zu klären, was mit "der Seele des mächtigen Mannes innewerden" gemeint sein könnte. Danach ist zumindest für mich die Frage offen, ob das dann überhaupt ein reizvolles Ziel darstellen würde.


    Ein Versuch mit eigenen Worten könnte lauten: "will man Beethoven wirklich verstehen, dann muss man Musiker sein". Damit wären diese metaphysisch angehauchten Begriffe "Seele" und "mächtiger Mann" aus der Diskussion entfernt. Nun hat aber "Verstehen" keine kontextfreie Bedeutung. Ein ausführender Musiker versteht bei der Lektüre von Beethovens Texten sicher etwas anderes, als ein Psychologe oder ein Musikhistoriker. Das liegt schon im einfachen Erkenntnisinteresse begründet. Beide, der ausführende Künstler, wie auch der Musiktheoretiker können sich Gedanken machen z.B. über die Rhythmuswechsel in der Arietta von Op. 111, und diese Gedanken können sich sich sicher auch gegenseitig befruchten. Am Ende prüft der ausübende Musiker aber mit seinem eigenem Klavierspiel, ob es ihn überzeugt. Der Historiker muss schauen, ob seine Überlegungen im Rahmen seiner historischen Argumentation plausibel sind. Es gibt, so weit ich sehe, keinen Grund anzunehmen, dass das logischerweise zu denselben Ergebnissen führen muss.


    Furtwängler vergisst hier auch die Rolle des Publikums, das ja per Rollendefinition auch kein Musiker ist. Das Problem kann natürlich durch Verkürzungen im Zitat und auch verlorengegangen Kontext entstanden sein. Das Verständnis des Rezipienten nährt sich grundsätzlich noch einmal aus anderen Quellen. Er muss sich eigentlich über die Partitur der Arietta überhaupt keine Gedanken machen.


    Ist es nun für das Erkennen der Bedeutung eines Werkes als Rezipient wichtig, der Seele des Komponisten innezuwerden, oder sagen wir einfacher, dasselbe Verständnis, wie der Interpret zu haben? Ich habe da starke Zweifel. Es dreht sich am Ende doch um die Musik und nicht um Seelen oder den Interpreten. Der Rezipient macht das allein mit sich und der Musik aus.


    Also alle vertehen in ihrem Kontext nun diese Musik, wenn sicher auch völlig verschieden. Wenn ich gewichten sollte, wäre das Verstehen des Rezipienten für mich das Wichtigste :)


    PS: Interpretiert man die Äußerung sehr frei, etwa so, dass, um die Qualität von Musik für sich zu bewerten, man kein Psychogramm und auch keine literarische Beschreibung des Komponisten, benötigt, würde ich die Aussage unterstützen. Aber ob Furtwängler das meinen könnte ....:/?

  • Gibt es dazu eine ordentliche und logisch nachvollziehbare Begründung?


    Bitte nicht "Ich würde ja gerne dazu etwas sagen, habe aber keine Zeit dafür..."

  • Das kann ich nur bestätigen. Die CD ist ein totaler Fail, neben dem mulmigen Klang (so freundlich hätte ich es nicht formuliert) ist auch ein starkes Rauschen zu vernehmen, das auf der LP nicht zu hören ist (weshalb ich auch immer die LP auflege). Die fehlende Räumlichkeit auf der Plattenaufnahme ist für 1965 und vor allem für das Label DECCA ärgerlich, insofern aber nicht ganz so dramatisch, als tatsächlich der Klavierklang in einer herausragenden Qualität aufgenommen worden ist, was das Ende des ersten Satzes so perfekt hörbar macht. Das mag auch daran liegen, dass ich derzeit mit einem Equipement höre, das quasi aus der Zeit stammt (ein Dual 1218, gut, 10 Jahre jünger als die Aufnahme, aber immer noch das Prinzip Reibradantrieb; lediglich mit dem OM20 ist dem Dreher ein wenig Modernität verpasst worden, verbaut ist er wiederum in einer Dual-Verstärker aus 1974). Aber Holgers Tipp mit der UHQ-CD werde ich wohl näher treten, seufz.

    Lieber Thomas,


    damals 1986, war mein radikaler Entschluss, mir einen CD-Spieler zu kaufen und meinen Thorens-Platternspieler mit SME III-Tonarm zu verkaufen und auch die Plattensammlung. Damals war ich genervt vom mehrmaligen Umtauschen von Mahler-Boxen, wo immer eine LP verzogen war... Von heute aus gesehen war das ein großer Fehler! Einige wenige Platten habe ich aus Nostalgie behalten - die stehen einfach nur im Schrank herum, von ABM u.a. diese mit seinen frühen Aufnahmen bei EMI Italiana:


    NjctNDMzNi5qcGVn.jpeg


    51Nvi-T3xAL._SR600%2C315_PIWhiteStrip%2CBottomLeft%2C0%2C35_SCLZZZZZZZ_FMpng_BG255%2C255%2C255.jpg


    Die gaben den "magischen Ton" des jungen ABM perfekt wieder. Die CD-Überspielungen bei EMI waren dann eine klangliche Katastrophe - entweder dumpf oder künstlich aufgehellt und hart - und dann auch noch unvollständig. Es fehlte der Marescotti... Also habe ich mir die LPs noch bevor ich mich von meinem Plattenspieler trennte auf Musi-Cassette überspielt und dann eine CD-R gebrannt. Da war der Klang erheblich besser...


    Sehr empfehlen kann ich auch diese UHQ-CD (ebenfalls noch preiswert) mit den Brahms-Balladen und der Beethoven Sonate op. 7. Ich habe es gestern verglichen - der klangliche Gewinn ist sehr deutlich!


    Zitat

    Wilhelm Furtwängler:


    In Beethovens Werken sind Seele und Musik eines geworden.

    Nur als Musiker wird man der Seele dieses mächtigen Mannes inne werden - nicht etwa als Literat oder gar als '"Psychologe".


    Tja, was soll das Zitat bedeuten? Leider fehlt der Kontext, also muss man sich den Sinn etwas rekonstruieren. Zu beachten ist finde ich die Opposition - das " - nicht etwa ....". Es geht also um konkurrierende Auslegungen und Auslegungs-Zugänge zu Beethoven. Die Konkurrenten sind der Musiker im Verhältnis zu den "Literaten" und "Psychologen". Gemeinsam mit dem Musiker haben Literaten und Psychologen, dass sie Beehovens Werke auslegen, also dass sie Interpreten sind. Deswegen glaube ich nicht, dass sich Furtwängler hier auf das Publikum bezieht, weil es Musik nur passiv rezipiert und nicht auslegt. Da gibt es keine ausdrückliche Abgrenzung. Nun weiter: Wer ist mit den "Literaten" gemeint? Zu Furtwänglers Zeiten gibt es eigentlich zwei Kandidaten - zwei Beethoven-Bücher, die damals berühmt waren. Das eine ist von Paul Bekker. Aber auf Bekker passt die Bezeichnung "Literat" nicht so richtig. Ich tippe daher auf Romain Rolland - auf ihn trifft die Bezeichnung "Literat" am ehesten zu und sein Beethoven-Buch war sehr bekannt und viel gelesen. Der "Psychologe" ist ein Analytiker. Furtwängler spricht gegen die biographischen Erklärungen von Musik und gegen die Analyse - er benutzt den aus der Romantik stammenden Unsagbarkeits-Topos und bemüht ein "intuitionistisches" Musikverständnis, das er gegen die "Erklärer" und "Analytiker", die über Musik nur reden ohne sie zu erleben und sie in ihre Einzelteile zerlegen, aber sie so auch nicht primär als einen zusammenhängendes Ganzes und eine Einheit erleben in dem, was sie zum Ausdruck bringt. Furtwängler will wohl sagen: Was Beethovens Musik auszudrücken vermag, erfährt man nicht aus einer Biographie und einer wissenschaftlichen Analyse, man muss es - wie der Musiker - erleben. Wenn man das als Relatvierung versteht, hat Furtwängler Recht - in der Absolutsetzung tut dies den anderen Zugängen natürlich Unrecht und ist hoch problematisch.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hallo Holger,


    Furtwängler darf das "Nur" mMn ruhig verwenden, denn er steht - aus der Sicht des Bergsteigers - auf dem Gipfel und nicht im Basislager.


    Und die Fachwelt aus dem Basislager ist durchaus aufgeregt, wenn einer aus dem Tal seine Sichtweise als grundlegendes Wissen zum Besten gibt.


    Ich halte deshalb den Ausspruch Furtwänglers für ein gutes und geeignetes Halte- oder auch Stopschild bei so manchen Diskussionen über Beethoven.


    Es grüßt


    Karl

  • Erstaunlich, dass so etwas noch ernst genommen wird. Beethoven hat seine Seele ohnehin vor langer Zeit ausgehaucht, insofern interessiert mich eine Diskussion um ebendiese auch nicht.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Kann man mMn so nicht sagen, er ist durch seine Musik unsterblich geworden und bleibt damit immer aktuell.

  • Hm ja, OK, allerdings bezüglich der Deutung der Musik traue ich eher den Wissenschaftlern als den ausübenden Musikern, da durch die Änderungen in der Aufführungspraxis im Laufe der Zeit einiges verschoben wird und man fußend auf Tradition und Intuition diversen Missverständnissen aufsitzt. Man könnte überspitzt meinen, dass Furtwängler mehr von seiner eigenen Seele ausdrückt als von der Beethovens.

  • Ich halte deshalb den Ausspruch Furtwänglers für ein gutes und geeignetes Halte- oder auch Stopschild bei so manchen Diskussionen über Beethoven.

    Lieber Karl,


    so verstehe ich es auch. Reflexions- und Erklärungswahn kann Evidenzen, die sich nur der Erfahrung erschließen, auch zerreden... Beides (die Unmittelbarkeit des Erlebens und die diversen Vermittlungen durch Erkenntnisse) sollten sich ergänzen und gegenseitig befruchten... ;)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Kann man mMn so nicht sagen, er ist durch seine Musik unsterblich geworden und bleibt damit immer aktuell.

    Unsterblich ist auch wieder ein großes Wort. Wir wissen nicht, was in 200 Jahren sein wird.


    Seine Musik lebt aber noch und zwar genau deswegen, weil es Interpreten gibt, die sie ausführen und Rezipienten, die sie hören. Das kann man sicher nicht von jeder Komposition sagen ...


    OK, allerdings bezüglich der Deutung der Musik traue ich eher den Wissenschaftlern als den ausübenden Musikern,


    Wenn es um theoretische Deutung geht, sicherlich. Eine Interpretation ist aber auch eine Deutung. Hier würde sich für mich das Gewicht bei der "Deutungshoheit" zum Interpreten hin verschieben. Der ist ja am Ende auch für das verantwortlich, was akustisch passiert.

  • Erstaunlich, dass so etwas noch ernst genommen wird. Beethoven hat seine Seele ohnehin vor langer Zeit ausgehaucht, insofern interessiert mich eine Diskussion um ebendiese auch nicht.

    Beethoven und seine "Seele" sind doch nicht der wahre Grund, weshalb dieses Furtwängler-Zitat in diesen Thread eingebracht wurde. In Wirklichkeit ging es doch darum:


    Ich halte deshalb den Ausspruch Furtwänglers für ein gutes und geeignetes Halte- oder auch Stopschild bei so manchen Diskussionen über Beethoven.

    Hinter dem Einstellen des Zitats steht, so habe ich das verstanden, als Motiv die - auch in diesem Forum, wie man sieht, präsente - Aversion gegenüber einer reflexiv-analytischen und in einem entsprechenden Diskurs sich ereignenden Beschäftigung mit klassischer Musik. Die in der Musik sich ausdrückende "Seele" eines Komponisten könne man doch nur im rezeptiven Akt des Hörens derselben erfassen, so die These. Ein reflexiv-analytisches Sich Vertiefen in sie vermag das nicht, macht die Musik ja doch im Grunde nur kaputt.


    Das Furtwängler-Zitat ist allein schon wegen der Verwendung des Begriffs "Seele" obsolet. Im Grunde geht es doch hier um die Aussage der jeweiligen Musik und die darin sich artikulierende menschlich-kompositorische Grundhaltung ihres Schöpfers.

    Und an die kommt man allein mit einfacher Rezeption nicht heran. Allenfalls ein unbestimmt vages Erfühlen derselben ist dabei möglich, ein klar definiertes kognitives Erfassen kann daraus nicht hervorgehen. Das aber ist die Grundlage für einen Diskurs darüber, wie er ja in einem Klassikforum erwünscht ist.

    Wenn man Beethovens menschliche und kompositorische Grundhaltung ansatzweise erfassen, sie verstehen will, kommt man neben dem Einblick in die überlieferten schriftlichen Quellenzeugnisse um eine analytische Betrachtung seiner Musik nicht herum.


    Gerade eben habe ich das an einem Beispiel auf eindrucksvolle Weise erlebt: Der vergleichenden Betrachtung von Hölderlins Patmos-Hymne und Beethovens Sturm-Sonate durch Martin Geck.

    Der Vergleich ließ ihn erkennen, "in welchem Maß Beethoven bis in die Kompositionstechnik hinein Vorgaben der >neuen Mythologie< und einer ihr gemäßen Ästhetik erfüllt." Er deutet beide Kunstwerke als "gemeinsames Zeichen jener Aufbruchstimmung, die viele herausragende Vertreter der 1770er-Generation neue Wege gehen ließ. Es sind Wege, die es ihrer Kunst ermöglichten, aus der Immanenz herauszutreten und transzendent, also durchlässig für Größeres und Höheres zu werden - gemäß der spirituell verstandenen Vorstellung, dass sich das menschliche Subjekt in all seiner Freiheit und Gefährdung für das große Ganze einzusetzen habe, dem es wesensmäßig angehört.

    Hier sei noch einmal an Beethovens Bekenntnis von 1819 erinnert: >allein Freyheit, und weiter gehn ist in der Kunstwelt, wie in der ganzen großen Schöpfung, zweck, u. sind wir neueren noch nicht ganz so weit als unsere altvordern in Festigkeit, so hat doch die verfeinerung unsrer Sitten auch manches erweitert.<"

    (...) Der Enthusiasmus, der seinen (Beethovens) "neuen Weg" kennzeichnet, steht nicht nur für musikimmanenten Fortschritt, folgt vielmehr zugleich den beschriebenen Zeitströmungen."


    Zu solchen Erkenntnissen kommt man nicht durch das rein rezeptive Hören von Beethovens Sturm-Sonate.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Wenn es um theoretische Deutung geht, sicherlich. Eine Interpretation ist aber auch eine Deutung. Hier würde sich für mich das Gewicht bei der "Deutungshoheit" zum Interpreten hin verschieben. Der ist ja am Ende auch für das verantwortlich, was akustisch passiert.

    Also dass Pianisten besser Klavier spielen können als Musikwissenschaftler, ist, fürchte ich, nicht die Kernaussage des Furtwängler-Postings.

    ^^

  • Gerade eben habe ich das an einem Beispiel auf eindrucksvolle Weise erlebt: Der vergleichenden Betrachtung von Hölderlins Patmos-Hymne und Beethovens Sturm-Sonate durch Martin Geck.

    Wie bist du denn darauf gestoßen? Liest Du regelmäßig das Archiv für Musikwissenschaft? Der Aufsatz interessiert mich - auch und vor allem wegen Hölderlin.

  • Zu Deiner Frage, lieber Christian B.:

    Die Abhandlung mit dem Titel "Transzendenz" findet sich in dem Buch von Martin Geck, "Beethoven, Der Schöpfer und sein Universum", München 2017, S. 231 ff.

  • Mein lieber Helmut Hofmann,

    Zitat

    Und an die kommt man allein mit einfacher Rezeption nicht heran. Allenfalls ein unbestimmt vages Erfühlen derselben ist dabei möglich, ein klar definiertes kognitives Erfassen kann daraus nicht hervorgehen.

    es ist nicht alles nur schwarz und weiß, wie Holger es doch gut erklärt hat:

    Zitat

    Reflexions- und Erklärungswahn kann Evidenzen, die sich nur der Erfahrung erschließen, auch zerreden... Beides (die Unmittelbarkeit des Erlebens und die diversen Vermittlungen durch Erkenntnisse) sollten sich ergänzen und gegenseitig befruchten... ;)

    Beweglichkeit in der Sichtweise und Argumentation ist im Basislager gefragt.

  • Zu Deiner Frage, lieber Christian B.:

    Die Abhandlung mit dem Titel "Transzendenz" findet sich in dem Buch von Martin Geck, "Beethoven, Der Schöpfer und sein Universum", München 2017, S. 231 ff.

    Danke für den Hinweis, lieber Helmut! Ich hatte die Schlagwörter "patmos beethoven sturm-sonate martin geck" bei Google eingegeben und bin auf einen Aufsatz ("Das wilde Denken. Ein strukturalistischer Blick auf Beethovens Op. 31,2") im Archiv für Musik gestoßen.

    https://www.jstor.org/stable/931067

    Wahrscheinlich die Erstveröffentlichung.


    Es gehört nicht in diesen thread, aber der Einfluss Hölderlins auf Beethoven oder umgekehrt würde mich interessieren, dazu weiß ich nichts. Und bei Hölderlin kenne ich mich ein kleines bisschen aus, aber mehr aus literaturgeschichtlicher Sicht (Peter Szondi u.a.). Das wäre eine gute Gelegenheit, sich mal wieder mit ihm zu beschäftigen und in seine Welt einzutauchen.


    Viele Grüße

    Christian

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Einige wenige Platten habe ich aus Nostalgie behalten - die stehen einfach nur im Schrank herum, von ABM u.a. diese mit seinen frühen Aufnahmen bei EMI Italiana:

    Lieber Holger,


    darüber kann man versuchen, sich ABM anzunähern. Die ersten Plattenaufnahmen stammen aus 1935. Danach nimmt er immer wieder im Studio auf, veröffentlicht wird alles bei "La Voce Del Padrone", sprich EMI Italien. Schaut man bei discogs nach, finde ich lediglich zwei Platten, die außerhalb Italiens vertrieben wurden, unter anderem die legendäre Platte mit Ravel/Rachmaninov. Zwischenzeitlich gab's einen krankheitsbedingten Rückzug, der Anfang der 1960er überwunden scheint, 1965 entsteht seine einzige Aufnahme für DECCA, die bis in die USA (da unter dem Label "London", da in den Staaten "DECCA" der Labelname für die DGG war). Seit 1970 nimmt ABM für die DGG auf, und das scheint der Punkt zu sein, ab dem ABM auch eine Plattenpräsenz außerhalb Italiens erhält. Einige seiner EMI-Aufnahmen allerdings von sowjetischen Labeln und der rumänischen Electrocord übernommen. Das Label Rocco-Records zähle ich jetzt insofern nicht mit, als es sich dabei um ein Liebhaber-Label handelt, die zunächst Schellacks, dann weitere sonstige, us ihrer Sicht erhaltenswerte Aufnahmen veröffentlicht hatten. In Kanada. Eigentlich fängt die über Italien hinausweisende Karriere ABMs erst um 1970 an (die italienischen EMIs zu der Zeit, gleich den französischen, waren Importware, da musste man Glück haben, auf sehr kenntnisreiche Plattenhändler zu treffen; die Plattenmärkte waren damals regional abgegrenzt). Und ich frage mich schon, warum die EMI ABM weitestgehend auf der italienischen Parzelle hatte hocken lassen. 1971, als er zur DGG wechselte, gab's ABM auf dem offiziellen deutschen Plattenmarkt mit lediglich zwei Platten. Die zugegebenermaßen Sternstunden der Plattengeschichte sind, alle beide.


    Richtig umfanngreich wird die ABM-Diskothek nun auch nicht, aber die Wahrnehmung dieses Pianisten vergrößert sich. Was mir persönlich auffällt ist sein schmales Repertoire. Nicht vorstellbar, dass er sich hingesetzt hätte und von Beethoven alle 32 eingespielt hätte. Oder den ganzen Debussy oder Ravel. Es sind Einzelwerke, die er zu wunderbarem Leben erweckt, wobei ich auch nicht sagen kann, ob das auf dem Konzertpodium ähnlich wie auf der Platte stattfand. Die Diskussion ob über die beiden Aufnahmen des G-Dur Konzertes studio vs. live verlief ja zugunsten der Studio-Aufnahme. Zweimal in diesem Thread kam es schon dazu, dass eine Aufnahme von ABM erwähnt wurde (G-Dur-Konzert und op. 111) und die Diskussion sich verstärkt um das Werk und Vergleichsaufnahmen sowie theoretische Erwägungen vertiefte um irgendwie dem Phänomen dieses Pianisten nahe zu kommen.


    Möglicherweise war ABM ein Schallplattenphänomen. Ein Pianist, der eine Klang erzeugt, der nicht podiumstauglich ist und der Tontechniker braucht, deren Mikrophone das einfangen und abbilden was er hört und von dem Celibidache sagte, dass nur er es hören würde.


    Ich habe jetzt threadgeschuldet die eine oder andere offizielle Platte von ABM angehört, und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass man bei diesem Pianisten gezwungen wird, noch konzentrierter und aufmerksamer zuzuhören, weil sich in jeder Phrase, jeder Note, jedem Anschlag etwas bis dato an Klang nicht erlebtem verbergen kann. Das dürfte mir bei live-Platten von ihm wohl eher nicht so gehen (zwei ROCCOs habe ich in meiner Sammlung und werde sie mir daraufhin mal anhören).


    Schon faszinierend, mit einem derart kleinen Repertoire erfolgreich und verehrt durch ein ein Pianistenleben zu kommen und ein derartiges Nachleben zu haben (auch wenn man die ganzen posthum oder zu Lebzeiten im rechtsfreien Raum veröffentlichten Konzertmitschnitte hinzuzählt wächst das aufgezeichnete Repertoire nur unwesentlich. Immerhin, vom "Gaspard" hätte ich dann doch gerne noch eine Studio-Aufnahme von ABM gehabt.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich sprach oben das schmale Repertoire ABMs an; Holger war 2008 so freundlich, seine Diskographie einzustellen. Da das schon ein Weilchen her ist, zitiere ich sie hier:


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Möglicherweise war ABM ein Schallplattenphänomen. Ein Pianist, der eine Klang erzeugt, der nicht podiumstauglich ist und der Tontechniker braucht, deren Mikrophone das einfangen und abbilden was er hört und von dem Celibidache sagte, dass nur er es hören würde.

    Ich habe selten einen Pianisten erlebt, der mich live so überwältigt hat - sein Reichtum an Farben und Schattierungen ist auf den meisten Aufnahmen nicht besonders gut eingefangen.


    Das oben erwähnte Stück von Marescotti ist nur auf einer eher obscuren Edition verfügbar.


    ab67616d0000b2733ec99474215265086bc3d049


    Viele Grüße, Christian

  • Die Steinway-Edition


    Vatikan 1987


    ist ein guter Einstieg für ein aufnahmetechnisch sauberes Solokonzert.


    Mein Lieblingsstück: Grande Polonaise Brillante Op. 22


    Anschalten, selbst abschalten und genießen.

  • darüber kann man versuchen, sich ABM anzunähern. Die ersten Plattenaufnahmen stammen aus 1935.

    Lieber Thomas,


    der Witz ist gut! 1935 war Michelangeli gerade mal 15 Jahre jung! ^^ Ich habe es jetzt nicht genau im Kopf, da müsste ich heute Abend mal in meine Discographie schauen. Auf jeden Fall gibt es Aufnahmen von ihm erst nach seinem Gewinn des Wettbewerbs in Bern 1939, ich glaube von 1941 oder 1942.

    Danach nimmt er immer wieder im Studio auf, veröffentlicht wird alles bei "La Voce Del Padrone", sprich EMI Italien. Schaut man bei discogs nach, finde ich lediglich zwei Platten, die außerhalb Italiens vertrieben wurden, unter anderem die legendäre Platte mit Ravel/Rachmaninov. Zwischenzeitlich gab's einen krankheitsbedingten Rückzug, der Anfang der 1960er überwunden scheint, 1965 entsteht seine einzige Aufnahme für DECCA, die bis in die USA (da unter dem Label "London", da in den Staaten "DECCA" der Labelname für die DGG war). Seit 1970 nimmt ABM für die DGG auf, und das scheint der Punkt zu sein, ab dem ABM auch eine Plattenpräsenz außerhalb Italiens erhält.

    Nein, ABM hat bereits während des 2. Weltkriegs (ab 1942) auch einige Aufnahmen für Telefunken gemacht - darunter das Schumann-Konzert und das Grieg-Konzert, dazu Bach und u.a. die Berceuse von Chopin. Sie wurden mal, noch vor dem Ableben des Labels, von Teldec auf CD veröffentlicht (als LPs gab es wenn ich mich recht erinnere die originalen Telefunken-Platten):


    R.ee2e888c3cddb70f890c4c947c7d2964?rik=ono0mKBXKbHsqw&riu=http%3a%2f%2fwww.bach-cantatas.com%2fPic-NonVocal-BIG%2fMichelangeli-K01-02%5bTeldec%5d.jpg&ehk=vhMtJXXw2e5bSlPDyfSsKvntYcAT%2bLF14GhLxVgS%2fFk%3d&risl=&pid=ImgRaw&r=0


    R.62e0d7a49d5986599972a1cd8f3f49e8?rik=DTCw3gIVZAhvqg&pid=ImgRaw&r=0


    ABM war bei EMI unter Vertrag. Dann wechselte er 1970 zur Deutschen Grammophon - die erste Aufnahme war die Beethoven-Sonate op. 7. Er war allerdings weiterhin bei EMI unter Vertrag und musste deshalb, um nicht eine deftige Konditionalstrafe zu kassieren, zwei Aufnahmen für EMI "nachliefern". Das waren die Schumann-Platte und die mit den Haydn-Konzerten, die in der Schweiz aufgenommen worden. Seine Schüler berichten, dass er mächtig verstimmt darüber war und das nur mit Widerwillen tat.

    Das Label Rocco-Records zähle ich jetzt insofern nicht mit, als es sich dabei um ein Liebhaber-Label handelt, die zunächst Schellacks, dann weitere sonstige, us ihrer Sicht erhaltenswerte Aufnahmen veröffentlicht hatten.

    Gegen dieses Label hat er Prozesse geführt. Ich habe auch eine ROC-Platte - mit Mitschnitten der Paganini-Variationen, den Brahms-Balladen und Gaspard de la nuit aus Lugano von 1971.

    In Kanada. Eigentlich fängt die über Italien hinausweisende Karriere ABMs erst um 1970 an

    Das stimmt absolut nicht! Schon in den 50iger Jahren war ABM weltberühmt - spielte in den USA in der Carnegie Hall, machte eine Tournee mit Mitropoulos - es gibt einen umwerfenden Mitschnitt seines Debuts in der Carnegie Hall mit dem Schumann-Konzert von 1955. Im selben Jahr war er Juror beim Chopin-Wettbewerb in Warschau, von den Konzerten, die er dort gab, existieren auch Mitschnitte. Die Kritiker fielen in dieser Zeit vom Stuhl, wenn er die Paganini-Variationen spielte.

    Was mir persönlich auffällt ist sein schmales Repertoire. Nicht vorstellbar, dass er sich hingesetzt hätte und von Beethoven alle 32 eingespielt hätte.

    Seine Schüler berichten, dass er im Unterricht aus dem Stehgreif jede beliebige Beethoven-Sonate vorspielen konnte. Sein Repertoire war erheblich größer als das, was er in Konzerten aufführte. Schönberg hat er immer verteidigt und soll in seinen jungen Jahren Schönbergs komplettes Klavierwerk aufgeführt haben. Er spielte während der Zeit, als er Wettbewerbe besuchte, u.a. die Ungarische Rhapsodie Nr. 2 von Liszt, später hat er von Schubert die Sonate D 959 aufgeführt, wovon aber kein Mitschnitt existiert. Etliche Werke spielte er nur zuhause, aber nicht öffentlich, wie Schumanns Davidsbündlertänze, die er liebte, auch die Etüden von Debussy. Bach spielte er vornehmlich auf der Orgel.

    Möglicherweise war ABM ein Schallplattenphänomen. Ein Pianist, der eine Klang erzeugt, der nicht podiumstauglich ist und der Tontechniker braucht, deren Mikrophone das einfangen und abbilden was er hört und von dem Celibidache sagte, dass nur er es hören würde.

    Die allerwenigsten Aufnahmen von ihm sind Studioaufnahmen! Die Beethoven-Klavierkonzerte Nr. 1,3 und 5 mit Guilini sind Konzertmitschnitte, sein Produzent Cord Garben fluchte, dass er nicht die Studioaufnahmen der Mozart-Konzerte, sondern die Konzertmitschnitte freigegeben hat, weil er sie "lebendiger" fand. Er hat sehr viele Rundfunkaufnahmen gemacht. Es gibt dazu ebenfalls sehr viele Konzertmitschnitte, darunter u.a. das märchenhafte Arezzo-Konzert von 1952 oder die sehr gut aufgenommenen Mitschnitte aus Japan von Anfang der 1970iger Jahre. Im Vatikan hat er immer wieder gespielt (er war mit Papst Johannes XXIII. befreundet, den er aus der Zeit kannte, bevor er Papst wurde), die Mitschnitte angefordert und zur Veröffentlichung freigegeben. Ohne die Konzertmitschnitte hätten wir nur ein sehr, sehr unvollkommenes Bild seines Schaffens! Das Michelangeli-Document-Center in seiner Geburtsstadt Brescia veröffentlicht inzwischen Mitschnitte bei Youtube, die nie auf Platte oder CD erschienen sind. Und das ist eine ganze Menge!

    Ich habe jetzt threadgeschuldet die eine oder andere offizielle Platte von ABM angehört, und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass man bei diesem Pianisten gezwungen wird, noch konzentrierter und aufmerksamer zuzuhören, weil sich in jeder Phrase, jeder Note, jedem Anschlag etwas bis dato an Klang nicht erlebtem verbergen kann. Das dürfte mir bei live-Platten von ihm wohl eher nicht so gehen (zwei ROCCOs habe ich in meiner Sammlung und werde sie mir daraufhin mal anhören).

    Doch! ^^ Höre mal das Arezzo-Konzert mit meiner Lieblingsaufnahme von Beethoven op. 2 Nr. 3 und Valses nobles et sentimentales von Ravel!

    Ich sprach oben das schmale Repertoire ABMs an; Holger war 2008 so freundlich, seine Diskographie einzustellen. Da das schon ein Weilchen her ist, zitiere ich sie hier:

    Das ist sehr nett :) - aber die ist doch sehr veraltet. Ich müsste sie mal auf den neuesten Stand bringen. Selbst meine Fassung auf der Festplatte ist ergänzungsbedürftig... Der Mitschnitt des Beethoven-Konzertes Nr. 4 aus dem ehemaligen Jugoslavien ist definitiv nicht von ihm (steht oben irgendwo). Da ist Maria Tipo für ihn eingesprungen, die das Konzert spielt und dies auch bestätigt hat. ABM hatte die Urheberschaft auch immer abgestritten.

    Ich habe selten einen Pianisten erlebt, der mich live so überwältigt hat - sein Reichtum an Farben und Schattierungen ist auf den meisten Aufnahmen nicht besonders gut eingefangen.


    Das oben erwähnte Stück von Marescotti ist nur auf einer eher obscuren Edition verfügbar.

    Das Marescotti-Stück, lieber Christian, gibt es inzwischen gut remastert in dieser "offiziellen" Warner-Box mit seinen kompletten EMI-Aufnahmen:



    Schöne Grüße

    Holger

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose