Diese Diskussion gehört zwar nicht hierher, aber meines Wissens dominierte seit dem frühen 19. Jhd. bis Mitte des 20. Jhds. die Aufführung in der Landessprache (jedenfalls im Falle von deutsch, französisch, italienisch, englisch, wie das die slawischen und skandinavischen Länder gemacht haben, weiß ich nicht).
Es exitieren an die zweihundert Aufnahmen von CARMEN, darunter überdurchschnittlich viele Produktionen im Hörfunk, Fernsehen und in diversen Studios. Mitschnitte aus der Hosentasche nicht mitgerechnet. Kein Label hat das Werk ausgelassen, oft sogar mehrfach eingespielt. Die Reihe der Dirigenten ist endlos. Diese Dokumente sind nicht nur Ausdruck von Sammelwut und Musikmarktinteresse, sie veranschaulichen sehr gut und umfänglich die Rezeptionsgeschichte und damit die Auseinandersetzung mit der Oper. Sie stellen für mich ein wissenschaftliches Studienobjekt dar. Sprachlich ist vieles darunter, auch Fassungen in Polnisch, Russisch, Tschechisch oder Schwedisch. Auch eine ungarische Übersetzung ist mir bekannt. Die erste Einspielung stammt von 1908 aus Berlin mit Emmy Derstinn und Karl Jörn, also mit einem Sopran und einem ehr lyrischen Tenor. Damit möchte ich auch auf die interessanten Berkmerkungen von Sixtus verweisen, der etliche spätere Besetzungen zu Recht sehr kritisch sieht. Ich übrigens auch. So viele Aufnahmen es auch gibt, so viel Irrtümer sind dabei unterlaufen. Es gab und gibt eine starke Neigung, die Oper monströs misszuverstehen. Mir ist eine diskrete Interpretation lieber, die von innen kommt und nicht von außen, die die handelnden Figuren in ihren Nöten, Ängsten, Träumen, Irrtümern und Zwängen glaubhaft macht. Drama statt Folklore. Einen entsprechehenden höchst interessanten Versuch in diese Richtung unternahm 1977 sowohl in Edinburgh als auch im DG-Studio Claudio Abbado mit Teresa Berganza. In CARMEN sind selbst die Nebenfiguren pralle Charaktere. Zu dieser Einsicht fürt aber nur die urspüngliche Dialogfassung. Sie ist das Fenster in die Tiefe des Werkes. Was nun die Micaela, den Gegenentwurf zu Carmen, anbelangt, unterstütze ich die Sicht von Stimmenliebhaber. Auch sie ist in der Dialogfassung viel konturierter, nicht die kleine niedliche Dorfmieze sondern eine junge Frau von großer Entschlossenheit. Die ist sehr schwer zu besetzen, wenn sie so rüberkommen soll.
Gruß Rheingold