Opernästhetik

  • Die Hochstilisierung von Peter Konwitschny habe ich noch nie verstanden. Im Folgenden aus einem Interview mit der "Welt" von 2007 zitiert:


    Vom Werk eines Komponisten hält er bekanntlich nicht viel, wenn man es nicht völlig entstellen kann:


    Zitat

    "Letztes Jahr bin ich aus Joseph Martin Kraus' unsäglichem "Aeneas in Carthago" an der Staatsoper Stuttgart ausgestiegen. Das Stück war einfach nicht gut genug, um etwas daraus zu machen."


    Jedwede Kritik an seiner Inszenierung der "Csárdásfürstin" an der Semperoper, "von Konwitschny in einen Schützengraben des Ersten Weltkriegs verlegt" (Wikipedia), kanzelte er ab und bezeichnete die Kritiker, darunter den weltberühmten Bassbariton Ks. Prof. Theo Adam, als "Arschlöcher":


    Zitat

    "Theo Adam hat sich damals nicht entblödet zu schreiben: Wie könne man in Dresden, wo es den 13. Februar 1945 gab, so etwas auf die Bühne bringen?! Ich dachte: 'Ihr Arschlöcher wisst wohl gar nicht, dass es noch einige andere Städte gab, die zerstört wurden.'"


    Wenn nicht alles mutwillig vom Regisseur "interpretiert", sprich: verzerrt wird, dann taugt es ihm nicht:


    Zitat

    "Ich war gerade im 'Wallenstein', aber ich hab's nicht lange ausgehalten. Der erste Teil hat mir gut gefallen, dann wurde es Stehtheater. Was war da eigentlich noch interpretiert?"


    Dann kommt er auf seinen Vater Franz Konwitschny, einen der großen Dirigenten, zu sprechen. Da hört man heraus, wieso er so wurde, wie er ist:


    Zitat

    "Ich hatte Glück, weil es zum Dirigenten nicht reichte. Ich konnte nicht gut genug Klavier vom Blatt spielen. Mein Vater war ein Gott-Typ, er duldete nichts neben sich. Ich war sein Lieblings-Engelchen, als ich klein war. Er kümmerte sich wenig darum, was ich werden sollte."


    Zuletzt kommt das Beste, als er gefragt wurde, ob er selber noch in die Oper ginge:


    Zitat

    "Ja, es ist allerdings kein echtes Vergnügen, weil man oft schon nach zehn Minuten merkt: Der Abend ist wieder hin."


    Da möchte man hinzufügen: Auch dank Ihnen, Herr Konwitschny!

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wer Dich als "Aufklärer" und "Skeptiker" kennengelernt hat, braucht kein Mittelalter mehr! :P

    :D


    Noch ein Wort zu Peter Konwitschny: Das ist wirklich eine tragische Figur. Sein Handwerk hat er gelernt und beherrscht es auch, gar keine Frage, nur setzt er es häufig genug nicht im Sinne einer Verständlichmachung des Werkes, sondern quasi gegen das Werk ein. Und das nicht, weil er die Opern hassen würde, nein, die liebt er in Wirklichkeit, sondern weil er die Gesellschaft hasst, in der er seit 1990 lebt, und weil er glaubt, dass das Opernhaus der richtige Platz ist, um die Gesellschaft grundlegend verändern zu können, um den Sozialismus doch noch siegen lassen zu können, was natürlich ein Irrglaube ist, weshalb er sich mit den Realitäten und deren Anerkennung so schwer tut und sich auch schon mehrfach in psychische Behandlung begeben musste (bevor jetzt wieder die Keule von der "Würde" geschwungen wird: er hat das in Interviews selbst eingeräumt!), weil er spürte, dass er einen Don Quichotte-Kampft führt. Das gutsituierte Bürgertum auf den teuren Plätzen ist sein Feindbild, was die von ihm gehasste Gesellschaft in Reinkultur verkörpert, und er glaubt, wenn er diesen einen genussvollen Opernabend versaut und das Mitfühlen durch dumme Witze und Mätzchen bricht, etwas für die Sache des Sozialismus (an den er glaubt, obwohl er in der DDR ein Dissident war und aneckte) zu tun - das Gegenteil ist natürlich der Fall, was ich als Linker ziemlich fatal finde (nur glaube ich im Gegensatz zu ihm nicht, dass die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen im Opernhaus entschieden werden) - und deshalb ist er für mich eine tragische Figur.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Vom Werk eines Komponisten hält er bekanntlich nicht viel, wenn man es nicht völlig entstellen kann:


    Zitat
    "Letztes Jahr bin ich aus Joseph Martin Kraus' unsäglichem "Aeneas in Carthago" an der Staatsoper Stuttgart ausgestiegen. Das Stück war einfach nicht gut genug, um etwas daraus zu machen."

    Diese "Interpretation" des Gesagten kann ich nicht nachvollziehen.


    Jedwede Kritik an seiner Inszenierung der "Csárdásfürstin" an der Semperoper, "von Konwitschny in einen Schützengraben des Ersten Weltkriegs verlegt" (Wikipedia), kanzelte er ab und bezeichnete die Kritiker, darunter den weltberühmten Bassbariton Ks. Prof. Theo Adam, als "Arschlöcher":


    Zitat
    "Theo Adam hat sich damals nicht entblödet zu schreiben: Wie könne man in Dresden, wo es den 13. Februar 1945 gab, so etwas auf die Bühne bringen?! Ich dachte: 'Ihr Arschlöcher wisst wohl gar nicht, dass es noch einige andere Städte gab, die zerstört wurden.'"

    Auch Sergio Celibidache hat mal Joachim Kaiser nach einer Kritik als "Arschloch" bezeichnet.


    Wenn nicht alles mutwillig vom Regisseur "interpretiert", sprich: verzerrt wird, dann taugt es ihm nicht:


    Zitat
    "Ich war gerade im 'Wallenstein', aber ich hab's nicht lange ausgehalten. Der erste Teil hat mir gut gefallen, dann wurde es Stehtheater. Was war da eigentlich noch interpretiert?"

    Kann ich nicht nachvollziehen!


    Schöne Grüße
    Holger

  • und deshalb ist er für mich eine tragische Figur.


    Ja, aber was nützt das. Calixto Bieito arbeitet immer noch seine Mißbrauchsvergangenheit in der Jesuitenschule auf. Und Frank Castorf kann nach eigener Aussage nicht mit dem Inszenieren aufhören, da er fünf oder sechs Kinder von eben soviel Frauen ernähren muß. Alles tragische Figuren.

  • Calixto Bieito arbeitet immer noch seine Mißbrauchsvergangenheit in der Jesuitenschule auf. Und Frank Castorf kann nach eigener Aussage nicht mit dem Inszenieren aufhören, da er fünf oder sechs Kinder von eben soviel Frauen ernähren muß. Alles tragische Figuren.


    Mir kommen gleich die Tränen. Das Ärgerlichste ist die "Zwangsbeglückung" anderer Menschen, die einfach nur einen Opernabend genießen wollen, was ihr gutes Recht ist.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ja, aber was nützt das. Calixto Bieito arbeitet immer noch seine Mißbrauchsvergangenheit in der Jesuitenschule auf. Und Frank Castorf kann nach eigener Aussage nicht mit dem Inszenieren aufhören, da er fünf oder sechs Kinder von eben soviel Frauen ernähren muß. Alles tragische Figuren.


    Frei nach Goethe: "Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gaben mir Intendant und Steuerzahler zu sagen, was ich leide." Ach nein, Künstlern, die nun mal oft am Rande der Neurose wandeln, mit dem Steuerzahler zu kommen, ist letztendlich spießig. Und wer weiß: Vielleicht therapiert sich ja ein Teil des Publikums mit solchen Darbietungen auch selbst. Was früher die Strafpredigt und die Selbstgeisselung war, nach der man fröhlich weiter machte wie bisher, ist vielleicht heutzutage das Stahlbad im Rausch der Publikumsbeschimpfung - die als notwendig empfundene Katharsis.

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • »Der Künstler hat nur die Wahl, ob er als Mensch existieren will oder als Werk; im zweiten Fall besieht man sich den defekten Rest besser nicht«. (Arno Schmidt)

  • Zitat von »Joseph II.«
    Jedwede Kritik an seiner Inszenierung der "Csárdásfürstin" an der Semperoper, "von Konwitschny in einen Schützengraben des Ersten Weltkriegs verlegt" (Wikipedia), kanzelte er ab und bezeichnete die Kritiker, darunter den weltberühmten Bassbariton Ks. Prof. Theo Adam, als "Arschlöcher":


    Zitat
    "Theo Adam hat sich damals nicht entblödet zu schreiben: Wie könne man in Dresden, wo es den 13. Februar 1945 gab, so etwas auf die Bühne bringen?! Ich dachte: 'Ihr Arschlöcher wisst wohl gar nicht, dass es noch einige andere Städte gab, die zerstört wurden.'"


    Auch Sergio Celibidache hat mal Joachim Kaiser nach einer Kritik als "Arschloch" bezeichnet.


    Darf ich fragen, werter Holger, was Deine Antwort mit Theo Adams Kritik zu tun hat? Wenn ein so intelligenter und belesener Mensch wie du es ohne Frage bist, sich dahin versteigt, eine leicht erkennbare Anspielung falsch zu verstehen, ist das doch nicht mehr als plumpe, leicht durchschaubare Demagogie.
    Dass es hier um die Zerstörung Dresdens geht und nicht um das zitierte Schimpfwort, müsste jeder normalbegabte Zehnjährige begriffen haben.

  • a, aber was nützt das. Calixto Bieito arbeitet immer noch seine Mißbrauchsvergangenheit in der Jesuitenschule auf.


    Das ist nun ziemlich infam und weit unter Deinem sonstigen Niveau, lieber lutgra. Ich kenne viele Regiearbeiten von Bieito, die lassen sich weiß Gott nicht auf eine "Aufarbeitung seiner Mißbrauchsvergangenheit" reduzieren.


    Davon mal abgesehen: aus der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse ist schon oft große Kunst erwachsen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Das ist nun ziemlich infam und weit unter Deinem sonstigen Niveau, lieber lutgra. Ich kenne viele Regiearbeiten von Bieito, die lassen sich weiß Gott nicht auf eine "Aufarbeitung seiner Mißbrauchsvergangenheit" reduzieren.


    Was bist Du so dünnhäutig, heute. :S Sein Stuttgarter "Parsifal" jedenfalls sehr wohl.


    Davon mal abgesehen: aus der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse ist schon oft große Kunst erwachsen.


    Kann, muß aber nicht.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Das gutsituierte Bürgertum auf den teuren Plätzen ist sein Feindbild, was die von ihm gehasste Gesellschaft in Reinkultur verkörpert, und er glaubt, wenn er diesen einen genussvollen Opernabend versaut


    Diese Haltung ist mir jedenfalls erheblich sympathischer als das bloße Bedienen der kulinarischen Bedürfnisse des Opernpublikums.


    Kann ich nicht nachvollziehen!


    Kommt auf die Aufführung an. Aus Peter Steins Inszenierung des "Wallenstein" damals in Berlin bin ich mit einer ähnlichen Enttäuschung herausgegangen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Was bist Du so dünnhäutig, heute. :S Sein Stuttgarter "Parsifal" jedenfalls sehr wohl.


    Keineswegs, da steckte viel mehr drin.


    Dünnhäutig? Ich bin allerdings sensibilisiert gegenüber den hier im Forum leider allzu oft vorkommenden Diffamierungen von unliebsamen Regisseuren. Jemanden dann mal eben darauf zu reduzieren, dass er sich ja bloß an seiner eigenen Missbrauchsgeschichte abarbeite, finde ich einfach unangemessen. Gerade gegenüber jemandem wie Bieito, der sich nun wirklich mit den Werken auseinandersetzt, die er auf die Bühne bringt, der mit den Sängern konstruktiv arbeitet und der auch von Musik etwas versteht.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Davon mal abgesehen: aus der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse ist schon oft große Kunst erwachsen.


    Das ist ohne Zweifel richtig, lieber Bertarido, doch viele hat sie auch zum Verbrecher gemacht. Es ist recht schwer, hier die Vorteole gegen die Nachteile abzuwägen.


  • Das ist ohne Zweifel richtig, lieber Bertarido, doch viele hat sie auch zum Verbrecher gemacht. Es ist recht schwer, hier die Vorteole gegen die Nachteile abzuwägen.


    Und nicht mal Verbrecher und Künstler schließen einander aus, siehe Carlo Gesualdo.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • »Der Künstler hat nur die Wahl, ob er als Mensch existieren will oder als Werk; im zweiten Fall besieht man sich den defekten Rest besser nicht«. (Arno Schmidt)


    Wenn das wahr wäre, gäbe es über bedeutende Künstler keine bedeutenden Biographien.

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."




  • Es hilft nichts, ich muss hier an Glockentons Beitrag erinnern, an dem einige (wohlweislich?) vorbei geschlichen sind. Ein Plädoyer für die Schönheit, die heutzutage von vielen Feinden umzingelt ist. Nun ja, sie wird sich schon wieder einmal aufraffen und sich ihren Bewunderern in all ihrer Pracht offenbaren und den Zweiflern erklären, dass sie keinesfalls eine Feindin der Empathie ist. Warum so viele das glauben, ist schwer zu fassen.

  • Nichts könnte mir sympathischer sein als ein Plädoyer für die Schönheit. Für eine Oper reicht es mir allerdings nicht, wenn da jemand schön singt, da geht es um mehr. Daher höre ich mir auch keine Opern auf CD an.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Nichts könnte mir sympathischer sein als ein Plädoyer für die Schönheit.


    Eine der für mich der schönsten Szenen im Parsifal wie überhaupt in allen Wagneropern ist die Szene Parsifal mit den Blumenmädchen 2. Akt. Das ist heikel zu inszenieren, denn die Gefahr, dass es kitschig wird ist groß. In den 80er Jahren gab es in Hamburg eine Inszenierung bei der dieses Problem perfekt gelöst war, die ganze Szene fand hinter einem bühnenumspannenden Gazevorgang statt, die Blumenmädchen hatten halbtransparente Kostüme an und das Ganze wirkte irreal wie im Traum. Wunderbar und wirklich verführerisch.


    Welch ein Kontrast dazu die Stuttgarter Inszenierung. Die Blumenmädchen sind dutzendfach geschändete Frauen, die durch die Hölle von Screbrenica, Aleppo und I.S. gegangen sind, eingehüllt in blutige Plastikfolien oder zerschlissene Pelzmäntel. Sicher auf seine Weise auch ein "beeindruckendes" Bild, aber was hat das mit dem Stück zu tun und vor allem wie passt das zur verführerischen Musik?



    Ist es nicht letztendlich doch nur ein recht billiger Trick, jede Erwartungshaltung einfach nur durch sein Gegenteil zu enttäuschen. Statt Bühnenweihfestspiel eben ein Bühnenentweihfestspiel zu bieten?

  • Nichts könnte mir sympathischer sein als ein Plädoyer für die Schönheit. Für eine Oper reicht es mir allerdings nicht, wenn da jemand schön singt, da geht es um mehr. Daher höre ich mir auch keine Opern auf CD an.


    Auch nicht auf einer einsamen Insel?
    Mir scheint, du überträgst die dramaturgischen Forderungen des Theaters auf die Oper, wo doch die Gesangskunst und die Partitur die dominierenden Komponenten sind, sicher oft zum Nachteil der Handlung. Doch was bringt es, mit krampfhaften Versuchen die Dominanzverhältnisse verschieben zu wollen? Hört man von einer Sängerin, dass sie 3m über dem Boden auf einem schwankenden Gerüst ohne Geländer eine Arie der Königin der Nacht singen musste und sieht man Sänger, die mit dem Kopf nach unten hängen und dabei singen, fragt man sich schon, warum man den musikalischen Verlauf auf diese Weise stören muss. Vielleicht kommen wir noch dahin, dass ein Stuntman für die Handlung eingesetzt wird, während der Sänger irgendwo verdeckt steht.
    Schließlich darf man nicht vergessen, dass die großen Komponisten dem Publikum nicht in erster Linie ein Theaterstück präsentieren wollten. Wäre dies der Fall, wären schon viele Opern in Vergessenheit geraten, allen voran der Troubadour, aber auch Lucia di Lammermoor, Die Entführung und natürlich sämtliche Schiller- und Shakespeare-Opern.
    Dirigent, Orchester und Sänger sind nun einmal die tragenden Kräfte der Oper, taugen diese nichts, kann man das Handtuch werfen, mit einer schlechte Regie können die meisten eher leben, wenn der Rest stimmt.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Welch ein Kontrast dazu die Stuttgarter Inszenierung. Die Blumenmädchen sind dutzendfach geschändete Frauen, die durch die Hölle von Screbrenica, Aleppo und I.S. gegangen sind, eingehüllt in blutige Plastikfolien oder zerschlissene Pelzmäntel. Sicher auf seine Weise auch ein "beeindruckendes" Bild, aber was hat das mit dem Stück zu tun und vor allem wie passt das zur verführerischen Musik?


    Ein sehr beeindruckendes Bild, lieber lutgra, so wie ich die ganze Stuttgarter Inszenierung grandios fand. Die Frage ist doch: muss es unbedingt zur Musik passen? Oder anders gefragt: muss "passen" immer bedeuten, dass die Aussage der Musik noch visuell verstärkt wird? Kann die Inszenierung die Musik nicht auch brechen, hinterfragen, Abgründe dahinter offenlegen? Hier entsteht doch ein wirklich anrührendes Bild, wenn diese geschändeten und zerstörten Frauen versuchen, noch einen letzten Rest ihrer vielleicht einmal gehabten Verführungskraft zu aktivieren.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ist es nicht letztendlich doch nur ein recht billiger Trick, jede Erwartungshaltung einfach nur durch sein Gegenteil zu enttäuschen. Statt Bühnenweihfestspiel eben ein Bühnenentweihfestspiel zu bieten?


    Zudem grundfalsch, da ja die Aufgabe der Blumenmädchen ist, einen standhaften Jüngling zu verführen. Es muss doch einige Heiterkeit hervor rufen, wenn es ihnen in der gezeigten Aufmachung gelingt, vielleicht auch nur wendet sich der Gast mit Grausen.

  • Mir scheint, du überträgst die dramaturgischen Forderungen des Theaters auf die Oper,


    Ja, das tue ich, denn Oper ist für mich auch ein Drama, nur eines mit gesungenen Dialogen.



    wo doch die Gesangskunst und die Partitur die dominierenden Komponenten sind,


    Das sehe ich anders, für mich besteht ein Gleichgewicht zwischen Musik und szenischer Umsetzung der Handlung. Wobei ich Dir Recht gebe, dass es je nach Werk unterschiedliche Gewichtungen gibt. Bei einer Belcanto-Oper liegt der Schwerpunkt sicher weiter in Richtung Gesang als bei Wagner.



    Dirigent, Orchester und Sänger sind nun einmal die tragenden Kräfte der Oper, taugen diese nichts, kann man das Handtuch werfen, mit einer schlechte Regie können die meisten eher leben, wenn der Rest stimmt.


    Auch hier Einspruch Euer Ehren! Für mich ist die Regie ebenso wichtig wie die sängerischen Leistungen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • (bevor jetzt wieder die Keule von der "Würde" geschwungen wird:


    Der mit der Keule war ich. Diese Bemerkung ist überflüssig. Ich habe sie schon verstanden und ginge nicht darauf ein, würde sich nicht ein Sachverhalt dahinter verbergen, den ich für höchst bedenklich halte und nicht hinnehme. Stimmenliebhaber neigt offenbar dazu, Krankengeschichten von lebenden Künstlern auszubreiten. Das ist immer problematisch. Auch im Falle von Konwitschny, dessen Arbeiten ich ebenfalls sehr kritisch sehe. Auch wenn dieser selbst über sein seelisches Befinden gesprochen haben sollte, sehe ich keinen zwingenden Grund, es in einem bestimmten Kontext zu wiederholen. Dadurch entsteht ein Zerrbild.


    Schwerer wiegt ein anderes Beispiel, das einen namhaften Sänger betrifft, dessen Namen ich aus Respekt vor dessen Lebensleistung in diesem Zusammenhang nicht nennen möchte. Und genau auf diesen bezieht sich die oben zitierte Bemerkung. Über ihn ließ Stimmenliebhaber verlauten, "dass er leider gar nicht mehr weiß, wer er ist und wie er heißt". Weit mehr als 100 Partien habe er auf der Bühne verkörpert, also auswendig gelernt, nun "weiß er nicht mehr, was er vor zehn Minuten gesagt hat". Darauf angesprochen, entgegnete Stimmenliebhaber: "Ich bin generell kein großer Anhänger davon, Wahrheit zu verschweigen - gerade, wenn er nichts mehr davon hat." Das ist zynisch, weil es auf einen behaupteten Zustand des betreffenden Künstlers anspielt. Und an anderer Stelle heißt es über diesen Sänger anlässlich eines Ehrentages: "Ob der Jubilar seinen Geburtstag allerdings wirklich feiert, steht auf einem anderen Blatt: Er liegt in einem Pflegeheim und weiß nicht, wer er ist." Es gibt seitens der Familien, und nur diese ist zuständig in solchen Dingen, nicht die geringste Bestätigung dafür. Mir ist auch kein entsprechender Bericht bekannt. So lange aber ein Sachverhalt weder bestätigt, beglaubigt, noch bewiesen ist, stimmt er nicht, ist er üble Nachrede und damit justiziabel. Durch derartige Gerüchte wird die Würde desjenigen verletzt, um den es geht. Das wollte ich nur noch einmal verdeutlichen, weil Stimmenliebhaber derartige Dinge offenkundig sehr lax handhabt und auf die leichte Schulter nimmt. Ich rechne ihm zugute, dass er sich lediglich wichtig machen will: Herr Lehrer, ich weiß was, ich weiß es ganz genau.


    Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ist es nicht letztendlich doch nur ein recht billiger Trick, jede Erwartungshaltung einfach nur durch sein Gegenteil zu enttäuschen. Statt Bühnenweihfestspiel eben ein Bühnenentweihfestspiel zu bieten?


    Bieito hat hier den Parsifal ja nicht einfach nur als "Entweihfestspiel" inszeniert. Ihn hat die Gralsritterschaft als eine dysfunktionale Männer-Gesellschaft interessiert, die nach "Erlösung" dürstet.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Frei nach Goethe: "Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gaben mir Intendant und Steuerzahler zu sagen, was ich leide." Ach nein, Künstlern, die nun mal oft am Rande der Neurose wandeln, mit dem Steuerzahler zu kommen, ist letztendlich spießig. Und wer weiß: Vielleicht therapiert sich ja ein Teil des Publikums mit solchen Darbietungen auch selbst. Was früher die Strafpredigt und die Selbstgeisselung war, nach der man fröhlich weiter machte wie bisher, ist vielleicht heutzutage das Stahlbad im Rausch der Publikumsbeschimpfung - die als notwendig empfundene Katharsis.

    Und welche Strafpredigt und Selbstgeißelung war es, die das antike Publikum dazu bewegte, sich die Neurose-Geschichte des Ödipus auf der Bühne anzuschauen?

    »Der Künstler hat nur die Wahl, ob er als Mensch existieren will oder als Werk; im zweiten Fall besieht man sich den defekten Rest besser nicht«. (Arno Schmidt)

    Sehr schön! Beispiel: Wagners Antisemitismus.


    Darf ich fragen, werter Holger, was Deine Antwort mit Theo Adams Kritik zu tun hat? Wenn ein so intelligenter und belesener Mensch wie du es ohne Frage bist, sich dahin versteigt, eine leicht erkennbare Anspielung falsch zu verstehen, ist das doch nicht mehr als plumpe, leicht durchschaubare Demagogie.
    Dass es hier um die Zerstörung Dresdens geht und nicht um das zitierte Schimpfwort, müsste jeder normalbegabte Zehnjährige begriffen haben.

    Geht es nicht ohne Polemik? Künstler können auch mal emotional aus der Haut fahren - ob sie nun Konwitschny oder Celibidache heißen. Das sagt aber rein gar nichts aus über die Qualität einer künstlerischen Leistung. Und nur aus einem solchen Satz alleine kann kein Mensch wirklich wissen, warum ein Mensch so aus der Haut fährt.


    Davon mal abgesehen: aus der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse ist schon oft große Kunst erwachsen.

    ... z.B. bei Rene Magritte, da war es der Selbstmord der Mutter.


    Das ist ohne Zweifel richtig, lieber Bertarido, doch viele hat sie auch zum Verbrecher gemacht. Es ist recht schwer, hier die Vorteole gegen die Nachteile abzuwägen.

    Alleine diese Abwägung ist sinnfrei. Letztlich ist es doch egal, aus welcher Quelle große Kunst entspringt, Hauptsache, es ist große Kunst.


    Nichts könnte mir sympathischer sein als ein Plädoyer für die Schönheit. Für eine Oper reicht es mir allerdings nicht, wenn da jemand schön singt, da geht es um mehr. Daher höre ich mir auch keine Opern auf CD an.

    Und dann ist da noch die Frage, um welche Schönheit es eigentlich geht. Mir scheint, das Schöne wird in manchen Kreisen viel zu gerne mit dem Angenehmen, einer absolut unanstößigen Kuschel-Ästhetik zum Wohlfühlen, verwechselt.


    Die Alternative ist aber glaube ich klar geworden durch den aufschlußreichen Beitrag von Stimmenliebhaber:


    Diejenigen, die ästhetische Betrachtungen für theoretisch halten, wollen in der Praxis statt dessen über Zensur diskutieren. Dabei ist dann nicht die Frage ob, sondern nur wie Zensur konkret und praktisch organisiert wird - Selbstzensur eingeschlossen. Dabei ist höchst bemerkenswert, dass gerade diejenigen, die sich für Ästhetik gar nicht interessieren, ganz genau wissen, was Norm und Gesetz ist und was Willkür.


    Das ist letztlich nur eine der unzähligen Neuauflagen der platonischen Denkweise: Kunst ist per se unsittlich und gesellschaftsgefährend, wenn sie nicht durch staatliche Kontrolle in die Schranken gewiesen wird.


    Die Alternative dazu ist auch klar: Ästhetik als herrschaftsfreier Diskurs. Der Mensch hat also die Wahl, was er lieber und eigentlich will.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hier entsteht doch ein wirklich anrührendes Bild, wenn diese geschändeten und zerstörten Frauen versuchen, noch einen letzten Rest ihrer vielleicht einmal gehabten Verführungskraft zu aktivieren.


    Diese Wirklichkeit zeigt mir das Fernsehen jeden Tag und Ereignisse, die vor hundert Jahren nur eine sehr kleine Population erreichten, sind heute jederman auf der Welt, mit Ausnahme Nordkorea, zugänglich. Den Parsifal auf die gezeigte Art umzufunktionieren ist also nicht nötig. Denn du wirst jene nicht bekehren, die meinen, wir könnten die Flüchtlinge als Vieh behandeln und Stück für Stück austauschen, wie auch die anderen nicht, weil sie ohnehin als Menschen funktionieren und die Belehrung nicht nötig haben.

  • Stimmenliebhaber neigt offenbar dazu, Krankengeschichten von lebenden Künstlern auszubreiten. Das ist immer problematisch. Auch im Falle von Konwitschny, dessen Arbeiten ich ebenfalls sehr kritisch sehe. Auch wenn dieser selbst über sein seelisches Befinden gesprochen haben sollte, sehe ich keinen zwingenden Grund, es in einem bestimmten Kontext zu wiederholen. Dadurch entsteht ein Zerrbild.

    Ein Zerrbild entsteht, wenn man Wahrheit verschweigt. Es ist völlig absurd, dass man etwas nicht wiederholen soll, was jemand selbst von sich erzählt hat. Ob du dafür einen zwingenden Grund siehst oder nicht, ist mir ehrlich gesagt völlig schnuppe! Es ist auch absurd, dass etwas Wahres justiziabel sein soll. Und dass es bei Adam so ist, weiß ich aus mehreren sicheren Quellen.


    Ein Fan klassischer Musik bin ich durch die Sinfonien Beethovens und auch durch einige seiner Aussprüche geworden, u.a. "Wahrheit selbst am Throne nicht verleugnen" - das wurde mein Leitspruch und danach handle ich, ob es dir nun passt oder nicht. Dass du dich da jetzt nach deinem ersten diesbezüglichen Brandbeitrag noch einmal draufsetzt, sagt viel über dich aus. Wenn sich hier einer wichtig machen will, dann bist DU es. Und mehr ist zu deinen diesbezüglichen Albernheiten eigentlich auch nicht zu sagen!


    Es steht dir aber natürlich frei, mich auf deine Ignorier-Liste zu setzen, nur höre endlich auf, hier den Obermoralapostel zu spielen, diese Rolle steht dir nämlich überhaupt nicht!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zum gezeigten Photo von Bieitos "Interpretation" der Blumenmädchen aus dem "Parsifal" fällt mir nur ein: ekelerregend. "Schöne Mädchen [...] mit flüchtig übergeworfenen, zartfarbigen Schleiern" (Libretto R. Wagner) sehen anders aus. Aber was erwartet man sich auch noch allen Ernstes von einem C. B., der ins absolute Gegenteil verkehrt und unter dem Beifall so einiger hier dafür noch bejubelt wird.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose