TSCHAIKOWSKY: Produkt einer Italienreise - Capriccio italien

  • Nachdem wir uns hier im Forum in den vergangenen Wochen intensiv mit Tschaikowskys sinfonischem Werk, insonderheit mit den Sinfonien Nr. 4-6, beschäftigt haben, möchte ich jetzt ein "leichtes Stück" von ihm vorstellen, das bis in unsere Zeit eine beachtliche Popularität genoß: das

    Capriccio italien, Op. 45.


    Das eingängige Werk entstand während eines Italien-Aufenthaltes des Komponisten, im Frühjahr 1880, in Rom. Eine "italienische Suite aus Volksmelodien, in der Art der spanischen Fantasien von Glinka, mit entzückenden Themen, die zu sammeln mir teils aus Sammelbänden, teils nach eigenem Hören auf den Straßen der Stadt gelang", wie Tschaikowsky in Briefen an Frau von Meck im Februar 1880 schrieb. Im Mai des gleichen Jahres schrieb er ihr in einem weiteren Brief: "Ich weiß nicht, welchen eigentlich musikalischen Wert das Werk haben wird, aber ich bin schon jetzt davon überzeugt, daß es schön klingen, d.h. daß das Orchester effektvoll und brillant sein wird."

    Das reißerische Stück kam am 6. Dezember 1880 in Moskau zur Uraufführung; der Dirigent war Nikolai Rubinstein. Bereits die Gattungsbezeichnung, "Capriccio", wie Tschaikowsky das Werk überschrieb, signalisiert die lockere Reihungsform, die in fast allen Abschnitten von der Tonart A-dur bestimmt wird. In der überaus farbigen Instrumentierung reflektiert der Komponist seine musikalischen Eindrücke aus Italien. Das 6/8-Signal der Trompeten, welches das Werk eröffnet, hat er auf einem Kasernenhof inmitten der Stadt aufgeschnappt. Es folgt eine italienische Volksweise in Kanonform, das von einem Tanzlied nach Art eines Bolero abgelöst wird. Das wirkungsvolle Final-Presto nimmt den neapolitanischen Rhythmus der Tarantella auf, und in den Schluß klingt wie ein Motto noch einmal das militärische Signal. Das Ganze gleicht einem bunten folkloristischen Bilderbogen, einem Fest der Sinnenfreude, wie der römische Karneval, den Tschaikowsky damals miterlebt hat. "Das Publikum …. braucht weder Schnaps noch Wein, es berauscht sich an der herrlichen Luft, der schmeichelnden Wärme", hält der Komponist die Stimmung des Stücks in einem weiteren Brief an seine Freundin Frau v. Meck fest.


    Kennengelernt habe ich das schöne Werk mit einer 45er EP, die noch mitten im Stück gewendet werden mußte:


    Capriccio italien op. 45 (Schallplatte)

    Ferdinand Leitner dirigiert die Berliner Philharmoniker (Aufnahme: 1960, Berlin).

    Eine recht schöne, aber etwas trockene Aufnahme.


    Später kaufte ich mir dann diese auf LP, die das lästige Wenden ersparte:

    Kyrill Kondrashin mit dem RCA Victor Symphony Orchestra (Aufnahme: 1960).

    Das war schon eine ganz andere, viel spritzigere und mitreißendere Angelegenheit, wie auch Rimsky-Korssakows "Capriccio espagnol" auf der Rückseite.

    Auf der oben vorgestellten CD sind zusätzlich noch Werke von Khachaturian und Kabalevsky dabei.


    Meine absolute Lieblingsversion ist aber seit vielen Jahren diese:

    oder hier:

    Herbert von Karajan und die Berliner Philharmoniker (Aufnahme: 1966, Jesus-Christus-Kirche, Berlin).

    Farbiger, orchestral vollkommener kann ich mir das Werk nicht vorstellen. Karajan serviert hier eine kulinarische Kostbarkeit, mit einer Raffinesse und einer Orchesterkultur, die ganz einfach unerreicht ist. So zumindest ist mein Eindruck. Wenn man diese Version (die von der DGG noch in diversen anderen Kombinationen herausgebracht wurde) hat, braucht man eigentlich keine weitere. Ein Ohrenschmaus!


    Allerdings gibt es dieses musikalische Feuerwerk in unzähligen Versionen; kaum ein Dirigent von Rang hat es sich entgehen lassen. Vielleicht nennt der eine oder andere seine Lieblingsaufnahme.


    LG Nemorino


    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • nemorino

    Hat den Titel des Themas von „Produkt einer Italienreise - Capriccio italien“ zu „TSCHAIKOWSKY: Produkt einer Italienreise - Capriccio italien“ geändert.
  • Lieber nemorino,

    da hast du eines meiner Lieblingsstücke von Tschaikowsky angesprochen, mit dem ich quasi sozialisiert worden bin. Neben der von Karajan, die mit am längsten in meiner Sammlung ist, habe ich in aller Eile noch diese gefunden:

     

     

    und in diesen Boxen:

    Und in dieser Tschaikowsky-Box auf CD Nr. 19:

    Russian National Orchestra unter Mikhail Pletnev.

    Und hier zum Abschluss meiner Asuführungen noch eine gelunge auciovisuelle Version vom Odeonsplatz in der "Russian Night":

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Auch wenn es vielleicht keiner versteht - die kleineren Piecen von Tschaikowsky, wie das hier genannte Capriccio italien, die 1812-Ouvertüre, aber auch manche der Orchesterouvertüren nach Schauspieln oder Dramen, sind mir ein Gräuel. Ich kann sie einfach nicht mehr hören...

    :no:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Das "Capriccio italien" ist mehr als eine Aneinanderreihung italienischer Volksweisen. Es ist für viele Konzertbesucher ein Grund, wieder einmal ein Konzert zu besuchen!! Konzerte, in welchem dieses Werk angekündigt wird, erfreuen sich allerhöchster Beliebtheit, es verströmt Heiterkeit, hebt die Laune durch deine Fröhlichkeit, läßt Urlaubserinnerungen erwachen und mancher erinnert sich vielleicht daran, daß gerade dieses schwungvolle Werk zu den ersten Bekanntschaften mit klassischer Musik gehört.


    Lieber Peter Tschaikowski, danke für dieses prachtvolle Stück!! Auch wenn es unverständlicherweise Menschen gibt, die schon bei der Nennung des Titels (und auch des Komponisten) die Nase rümpfen.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber Willi,


    vielen Dank für die Einstellung so vieler Aufnahmen des effektvollen Stücks, das sich auch heute noch großer Popularität erfreut, selbst bei Leuten, die sonst mit Klassik wenig am Hut haben. Davon zeugen die vielen Aufnahmen prominenter und weniger prominenter Dirigenten.


    Eine Aufnahme aus meiner Sammlung habe ich vergessen zu nennen, das hole ich hier schleunigst nach:

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    Auf dieser Sammel-CD ist sie enthalten, zusammen mit Stücken von Borodin, Rimsky-Korssakov (Capriccio espagnol) & Mussorgsky (Aufnahmen: ca. 1960, Stereo).


    Wie bei Szell nicht anders zu erwarten, ist es eine klare, mit äußerster Präzision gestaltete Aufführung, aber ihr fehlt nach meinem Empfinden die nötige Wärme. Alles klingt zwar großartig, aber ein bißchen unbeteiligt. Technisch ist die CD einwandfrei.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Konzerte, in welchem dieses Werk angekündigt wird, erfreuen sich allerhöchster Beliebtheit, es verströmt Heiterkeit, hebt die Laune durch deine Fröhlichkeit, läßt Urlaubserinnerungen erwachen und mancher erinnert sich vielleicht daran, daß gerade dieses schwungvolle Werk zu den ersten Bekanntschaften mit klassischer Musik gehört.

    Lieber La Roche,


    Du hast es auf den Punkt gebracht! Schöner kann man das Werk gar nicht beschreiben.


    Leuten, die bei dieser Musik die Nase rümpfen, ist nicht zu helfen. Ich höre das Stück immer wieder mit größtem Vergnügen.


    Schönen Feiertag,

    Nemorino :hello:

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • die kleineren Piecen von Tschaikowsky, wie das hier genannte Capriccio italien, die 1812-Ouvertüre, aber auch manche der Orchesterouvertüren nach Schauspieln oder Dramen, sind mir ein Gräuel. Ich kann sie einfach nicht mehr hören...

    Lieber musikwanderer,


    ich habe Deinen Beitrag soeben erst gelesen. Die 1812-Ouvertüre ist in der Tat gewöhnungsbedürftig, aber doch mit dem wunderbaren Capriccio nicht zu vergleichen. Kennst Du die Karajan-Aufnahme? - Ich will Dich ja nicht belabern, aber wenn Du das Stück lange nicht gehört hast und es dann in dieser lukullischen Aufnahme Dir zu Gemüte führst, wirst Du vielleicht milder gestimmt sein ….


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Auch wenn es vielleicht keiner versteht - die kleineren Piecen von Tschaikowsky, wie das hier genannte Capriccio italien, die 1812-Ouvertüre, aber auch manche der Orchesterouvertüren nach Schauspieln oder Dramen, sind mir ein Gräuel. Ich kann sie einfach nicht mehr hören...

    :no:

    Ich verstehe das sehr gut, denn ich mag diese Stücke auch nicht (wie ich generell mit Ouvertüren und symphonischen Dichtungen wenig anfangen kann). Ich habe diese kleineren Orchesterwerke von Tschaikowski zwar in unzähligen Aufnahmen als "Beifang", weil es die typischen Lückenfüller für die CDs mit den Symphonien sind, höre sie aber so gut wie nie. Am schlimmsten finde ich tatsächlich das Capriccio Italien, denn dabei habe ich sofort den unsäglichen "Bianca"-Schlager im Ohr, und mit nichts kann man mich mehr quälen als mit deutscher Schlagermusik ^^.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zitat von Bertarido

    Am schlimmsten finde ich tatsächlich das Capriccio Italien, denn dabei habe ich sofort den unsäglichen "Bianca"-Schlager im Ohr, und mit nichts kann man mich mehr quälen als mit deutscher Schlagermusik ^^.

    Lieber Bertarido,


    ich hatte dich bisher so eingeschätzt, das Original sehr wohl von der "Fälschung" trennen zu können. Sollte ich mich geirrt haben? Die großen Komponisten von symphonischen Dichtungen, wobei wir wohl auch Beethoven mit "Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria" mit an den Anfang stellen dürfen, also Hector Berlioz, Franz Liszt, Peter Tschaikowsky, Antonin Dvorak, Jean Sibelius, Bedrich Smetana und Richard Strauss, um nur die Wichtigsten zu nennen, haben sicherlich mit der symphonischen Dichtung eine neue, über die klassischen Merkmale hinausweisende Form gesucht und gefunden, um sich auszudrücken. Diese neue in der Regel auch kleinere Form kann man auch als Weiterentwicklung der Symphonie begreifen, obwohl Tschaikowsky, Sibelius und Dvorak ja auch, und eigentlich noch in der Hauptsache, Symphonie geschrieben haben, Dvorak sogar deren neun. Interessanterweise beinhalteten diese ja auch schon programmusikalische Strukturen, denken wir nur mal an diesen berühmten Satz:

    das Largo aus Dvoraks 9. Symphonie in dieser kongenialen Interpretation Celibidaches. Dazu heißt es:

    Zitat von Wikipedia

    Der zweite Satz wurde vom Komponisten als „Legende“ bezeichnet. Dieser bewegende Trauergesang ist nach Dvořáks eigenen Worten durch eine Szene aus Longfellows schon erwähntem Poem „Hiawatha“ angeregt worden und vertont gleichsam die Totenklage Hiawathas, dessen treue Gefährtin Minnehaha dahingeschieden ist. Diese amerikanische Dichtung hatte Dvořák durch die Übersetzung seines Landsmannes Josef Vaclav Sladek kennengelernt. In schmerzlicher Melancholie singt das Englischhorn die Hauptmelodie, mit der dieser Satz in erhabener Ruhe an- und ausklingt.


    https://de.wikipedia.org/wiki/9._Sinfonie_(Dvo%C5%99%C3%A1k)


    Während ich dies schreibe, höre ich die o. a. Aufnahme und es überkommt mich wieder ein Schauer. Freilich muss man auch willens und in der Lage sein, sich auf solche Musik, also auch auf die von o. a. Komponisten geschaffenen Symphonien mit programmatischen Zügen und eben auf die symphonischen Dichtungen einzulassen, sonst nützt es nichts.

    Zum Abschluss noch ein Beispiel, wieder von Tschaikowsky, das die gleiche Thematik beschreibt wie der anfangs in diesem Beitrag genannte Ludwig van Beethoven, in einer etwas anderen Form, wie wir sie normalerweise hören:


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Am schlimmsten finde ich tatsächlich das Capriccio Italien, denn dabei habe ich sofort den unsäglichen "Bianca"-Schlager im Ohr, und mit nichts kann man mich mehr quälen als mit deutscher Schlagermusik ^^ .

    Im Falle des "Capriccio Italien" geht es mir wegen des kitschigen Schlagers auch so, lieber Bertarido! Das Stück mochte ich schon nach dem ersten Anhören nicht mehr hören und es hat sich mir in meinen Kopf als "fürchterlich" eingeprägt. Bei "Romeo und Julia" dagegen ist das ganz anders. Die Gattung "Symphonische Dichtung" steht bei mir ganz hoch im Kurs. Die Karajan-CD habe ich erworben im Zusammenhag mit dem Thread über die 5. Symphonie. Deshalb werde ich da reinhören. Mir schwant aber Böses - Karajan ausgerechnet mit Bianca .... :D


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Mir schwant aber Böses - Karajan ausgerechnet mit Bianca ....

    Lieber Holger,


    …… es tut mir leid, aber hier kann ich Dir nun wirklich nicht folgen! Was um alles in der Welt kann Tschaikowsky dafür, wenn man eine seiner Melodien in eine Schlagerschnulze verwandelt hat, und wieso dirigiert Karajan "Bianca"?

    Ehrlich gesagt, ich habe diesen Schlager bis zur Stunde überhaupt nicht gekannt (Karajan ganz sicher auch nicht!), muß man wohl auch nicht. Aber wenn man dieser Denke konsequent folgt, so müßte man Beethoven für den unsäglichen "Song of Joy" und Verdi für Freddy Brecks "Überall auf der Welt" verantwortlich machen, was zur Folge hätte, jede Aufführung von Beethovens Neunter und alle Vorstellungen von "Nabucco" weiträumig zu umfahren. Das kann doch nicht Dein Ernst sein! Nur einen Schritt weiter, und Ponchielli muß auf die Negativliste gesetzt werden, weil er Reklame für Koppenrath & Wiese komponiert hat^^. Man könnte die Liste jetzt bis ins Unendliche fortsetzen. Also ich habe bis heute weder bei Beethoven oder Verdi jemals an die schrecklichen Dudeleien der Schlagerindustrie auch nur gedacht - bei Bianca fiel es mir leicht, weil ich den Mist nie gehört habe.


    Wir leben leider in einer Zeit, wo alles und jedes für irgendwelche Zwecke mißbraucht wird - aber der Mißbrauch darf doch nicht nachträglich zum Original gestempelt werden.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

    Einmal editiert, zuletzt von nemorino ()

  • …… es tut mir leid, aber hier kann ich Dir nun wirklich nicht folgen! Was um alles in der Welt kann Tschaikowsky dafür, wenn man eine seiner Melodien in eine Schlagerschnulze verwandelt hat, und wieso dirigiert Karajan "Bianca"?
    Ehrlich gesagt, ich habe diesen Schlager bis zur Stunde überhaupt nicht gekannt (Karajan ganz sicher auch nicht!), muß man wohl auch nicht.

    Geht mir genauso, lieber nemorino.


    Ich habe mir das Stück anlässlich des Threads (danke für die Erstellung!) nach einer gefühlten Ewigkeit wieder angehört und muss doch konstatieren, dass ich das Werk köstlich finde. Es hat doch auch überhaupt nicht den Anspruch der großen Tondichtungen wie Romeo und Julia, Francesca da Rimini, Hamlet oder Fatum.


    Es bietet aber offenbar genug Angriffsfläche für Tschaikowski-Verächter. Die werden sicher Recht haben. Dirigenten wie Mrawinski, Kondraschin, Swetlanow, Roschdestwenski u. v. a. irrten bestimmt, als sie diesen Kitsch einspielten. :pfeif:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Bertarido,


    ich hatte dich bisher so eingeschätzt, das Original sehr wohl von der "Fälschung" trennen zu können. Sollte ich mich geirrt haben? Die großen Komponisten von symphonischen Dichtungen, wobei wir wohl auch Beethoven mit "Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria" mit an den Anfang stellen dürfen, also Hector Berlioz, Franz Liszt, Peter Tschaikowsky, Antonin Dvorak, Jean Sibelius, Bedrich Smetana und Richard Strauss, um nur die Wichtigsten zu nennen, haben sicherlich mit der symphonischen Dichtung eine neue, über die klassischen Merkmale hinausweisende Form gesucht und gefunden, um sich auszudrücken. Diese neue in der Regel auch kleinere Form kann man auch als Weiterentwicklung der Symphonie begreifen,

    Musikhistorisch kann man das sicherlich, aber das heißt ja noch nicht, dass mir diese Entwicklung gefallen muss. Ein Werk muss mich musikalisch überzeugen. Wenn es dazu ein Programm braucht, hat es bei mir schon verloren. Es gibt durchaus symphonische Dichtungen, die ich mag, aber dann eben aus rein musikalischen Gründen und nicht deswegen, weil sie etwas Außermusikalisches beschreiben. Und Tschaikowskis symphonische Dichtungen gehören nun gerade nicht dazu. Auch seiner Manfred-Symphonie kann ich nicht viel abgewinnen.

    Die Gattung "Symphonische Dichtung" steht bei mir ganz hoch im Kurs.

    Bei mir steht sie weit niedriger im Kurs als die Gattung der Symphonie.

    Wir leben leider in einer Zeit, wo alles und jedes für irgendwelche Zwecke mißbraucht wird - aber der Mißbrauch darf doch nicht nachträglich zum Original gestempelt werden.

    Davon ist auch nicht die Rede. Aber leider beeinflusst die Kopie die Wahrnehmung des Originals. Ich kann nun mal leider den Schlager "Bianca" nicht aus meinem Gedächtnis tilgen. Und es gibt sicher auch Stücke, die eher zum Missbrauch verleiten als andere...

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Was um alles in der Welt kann Tschaikowsky dafür, wenn man eine seiner Melodien in eine Schlagerschnulze verwandelt hat, und wieso dirigiert Karajan "Bianca"?

    Im Prinzip hast Du ja Recht, lieber Nemorino. In den anderen Fällen denke ich dann aber: Schlimm, was sie aus dem schönen klassischen Stück für eine Schnulze gemacht haben. Da tut es mir um den Komponisten und die Musik leid. Bei diesem Tschaikowsky-Stück geht es mir aber irgendwie umgekehrt: Tschaikowsky bauscht dieses italienische Träller-Liedchen mit großem Orchester-Klimbim zur Kitsch-Apotheose auf. Das ist mir dann einfach zu viel Klingeling und Bimmel-Bammel. Vielleicht war das sein Italien-Erlebnis - aber da bleibe ich dann doch lieber bei Franz Liszt. Auf jeden Fall höre ich mir aber Karajan an! :D

    Ehrlich gesagt, ich habe diesen Schlager bis zur Stunde überhaupt nicht gekannt (Karajan ganz sicher auch nicht!), muß man wohl auch nicht.

    Karajan hat ihn mit Sicherheit gekannt - die Qual, dass er hier im Westen in allen Radios tönte und Lieschen Müller ihr Küchenradio für die ganze Nachbarschaft aufgedreht hat, wenn er kam, wird ihm nicht erspart worden sein! ||


    Schöne Grüße

    Holger

  • Zitat von Bertarido

    Es gibt durchaus symphonische Dichtungen, die ich mag, aber dann eben aus rein musikalischen Gründen und nicht deswegen, weil sie etwas Außermusikalisches beschreiben.

    Dann müsstest du streng genommen Beetovens Pastorale auch ablehnen, denn auch dort wird etwas Außermusialisches beschrieben, sogar mit Überschriften, und Beethoven war viel in der Natur, wo er nicht nur die nötige Ruhe fand sondern auch Anregungen aufgriff.

    Oder denke doch einmal an Gustav Mahlers "Dritte", die ich zuletzt vor 18 Tagen in Köln live erlebte und davor am 2. Oktober 2018 ebenfalls live in Köln:

    Zitat von https://de.wikipedia.org/wiki/3._Sinfonie_(Mahler)

    Wie schon zu den ersten beiden Sinfonien legte Mahler der Musik ein Programm als „Wegweiser“ für den Stimmungsinhalt zu Grunde. Ursprünglich sollten die Sätze diese programmatischen Namen tragen: „Pan erwacht. Der Sommer marschiert ein“, „Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen“, „Was mir die Tiere im Walde erzählen“, „Was mir der Mensch erzählt“, „Was mir die Engel erzählen“, „Was mir die Liebe erzählt“. Dieses sich steigernde Konzept behielt Mahler inhaltlich bei, entschied sich aber von der programmatischen Benennung der Sätze Abstand zu nehmen. Im ursprünglichen Plan sah Mahler einen siebten Satz vor, „Was mir das Kind erzählt“. Dieser wurde später aber herausgenommen und bildete dann unter dem Titel „Das himmlische Leben“ den Finalsatz der 4. Sinfonie.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Dann müsstest du streng genommen Beetovens Pastorale auch ablehnen, denn auch dort wird etwas Außermusialisches beschrieben, sogar mit Überschriften, und Beethoven war viel in der Natur, wo er nicht nur die nötige Ruhe fand sondern auch Anregungen aufgriff.

    Oder denke doch einmal an Gustav Mahlers "Dritte", die ich zuletzt vor 18 Tagen in Köln live erlebte und davor am 2. Oktober 2018 ebenfalls live in Köln:

    Lieber Willi,


    das Problem von Programmen und Programm-Musik ist ein hoch kompliziertes. Mahlers Auffassung entspricht ziemlich genau der von Franz Liszt. Deswegen gibt es auch durchaus verschiedene solche Programme. Mahlers 3. soll das Lipiner-Gedicht "Genesis" zugrunde liegen, das die Entstehung der Welt aus einer schlafenden Wolke schildert. Musik soll nach Liszt, von dem nicht nur die Gattung, sondern auch die Theorie der "Symphonischen Dichtung" stammt, nicht nur einfach eine "außermusikalische" literarische Vorlage irgendwie illustrieren. Richard Strauss unterschied deshalb "Programmmusik" und "Literaturmusik". Zu dieser hoch komplizierten Thematik müssten wir wirklich einen eigen Thread aufmachen! :)


    Liebe Grüße

    Holger

  • Dann müsstest du streng genommen Beetovens Pastorale auch ablehnen, denn auch dort wird etwas Außermusialisches beschrieben, sogar mit Überschriften, und Beethoven war viel in der Natur, wo er nicht nur die nötige Ruhe fand sondern auch Anregungen aufgriff.

    Oder denke doch einmal an Gustav Mahlers "Dritte",

    Ich weiß, dass Mahler bei seinen ersten vier Symphonien ein Programm im Kopf hatte, aber gerade diese sind für mich ein Beispiel dafür, wie unwichtig ein solches für die Rezeption ist. Ich liebe diese Symphonien ihrer Musik wegen und nicht weil die Sätze Titel tragen wie „Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen“ oder „Was mir die Tiere im Walde erzählen“, die für mich völlig belanglos sind.


    Beethovens "Pastorale" ist ein weiteres Beispiel für ein geniales Werk, das man auch völlig befreit von außermusikalischen Bezügen genießen kann. Wobei Beethoven ja der Programmmusik selbst kritisch gegenüber stand und deswegen eigens betonte: „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“.

    Zu dieser hoch komplizierten Thematik müssten wir wirklich einen eigen Thread aufmachen! :)

    Gute Idee!

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zitat von Dr. Holger Kaletha

    Tschaikowsky bauscht dieses italienische Träller-Liedchen mit großem Orchester-Klimbim zur Kitsch-Apotheose auf. Das ist mir dann einfach zu viel Klingeling und Bimmel-Bammel. Vielleicht war das sein Italien-Erlebnis - aber da bleibe ich dann doch lieber bei Franz Liszt.


    Meinst du das tatsächlich ernst, lieber Holger? Franz Liszt war, was Programmmusik angeht, sicherlich einer der großen Vorgänger von Tschaikowsky und nicht nur in den "Années", sondern auch mit diesem Stück:

    Wenn ich es nicht anders wüsste, dann könnte ich hier auf die Idee kommen, dass sich die Diskussion hier in Teilen in ein Tschaikowsky-Bashing verwandelt. Immerhin geht es hier um den gößten russische Komponisten.


    Liebe Grüße


    Willi:)


    P.S. So, und nun wende ich mich wieder meinen Erinnerungen zu. Mal sehen, ob ich heute noch damit fertig werde. und dann wollte ich ja auch noch laufen.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zurück zum Thema.



    Nachdem ich nun meine Sammlung durchgegangen bin, stieß ich wohl auf etwa zwanzig Aufnahmen des Capriccio italien, dem ich bisher wenig Aufmerksamkeit schenkte. Die einleitende Fanfare ist ein gar nicht so übler Gradmesser, ob es sich überhaupt lohnt, weiter zu hören. Exemplarisch gelungen ist dies m. E. tatsächlich in den von nemorino aufgeführten Einspielungen von Kirill Kondraschin mit dem RCA Victor Symphony Orchestra (RCA, 1958) und von Herbert von Karajan mit den Berliner Philharmonikern (DG, 1966). Dies unterstreicht für mich einmal mehr, dass Karajan seine besten Tschaikowski-Aufnahmen in den 60ern gemacht hat. Beide haben ein präsentes, sehr direktes Klangbild, wie ich es ohnehin bevorzuge. Kondraschin kommt auf 15:52, Karajan gar auf 16:51.



    Ausgezeichnet und russisch idiomatisch sondergleichen ist auch die ältere Einspielung von Jewgeni Swetlanow mit dem Staatlichen Symphonieorchester der UdSSR (Melodija, 1987), die ich in dem Falle sogar noch über die spätere Canyon-Aufnahme aus den 90ern stellen würde. Swetlanow nimmt ein deutlich angezogeneres Tempo (14:13), was aber auf seine Art auch perfekt klappt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Interessante Varianten. Wo fangen wir mit der Diskussion an und wo hören wir auf? Bei Vivaldi und seinen 4 Jahreszeiten? Bei Berlioz Fantastique? Bei der Alpensinfonie? Bei den Gurreliedern?

    Ein extra Thread wäre nicht schlecht, ich erinnere mich aber daran, daß wir das alles schon einmal hatten.

    Wieder einmal scheiden sich die Geister, wobei ich auf eine sachliche Diskussion hoffe und auch die Meinung der anderen respektiert wird. Es müssen nicht alle Musikfreunde Gegner der Programmmusik sein, so wie es Hanslick war!! Und ausdrücklich möchte ich mich dem anschließen:


    Was um alles in der Welt kann Tschaikowsky dafür, wenn man eine seiner Melodien in eine Schlagerschnulze verwandelt hat,


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ich weiß, dass Mahler bei seinen ersten vier Symphonien ein Programm im Kopf hatte, aber gerade diese sind für mich ein Beispiel dafür, wie unwichtig ein solches für die Rezeption ist.

    Genau hier irrst Du aber. ^^ Wenn Adorno z.B., der einen großen Einfluss auf die Mahler-Rezeption gerade auch in den Musikwissenschaften hatte, nur Mahlers Programme mit der dahinter stehenden philosophischen Idee Ernst genommen hätte, wären der Mahler-Rezeption viele kapitale Fehldeutungen, welche die Adorno-Jünger dann nachgebetet haben, erspart geblieben.

    Ich liebe diese Symphonien ihrer Musik wegen und nicht weil die Sätze Titel tragen wie „Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen“ oder „Was mir die Tiere im Walde erzählen“, die für mich völlig belanglos sind.

    Auf diese Titel kommt es auch nicht an. Viel wichtiger als der Titel "Was mir die Tiere..." ist letztlich der Bezug auf das Wunderhornlied, dessen symphonische Variante der Satz darstellt ("Kuckuck hat sich zu Tode gefallen"). Gerade diese Symphonie ist Ausdruck für Mahlers Schopenhauer- und Nietzsche-Rezeption. Was man verstehen muss, ist, dass es hier um die Weltschöpfung insgesamt geht (wozu eben sämtliche Kreaturen gehören) und ihre Erlösungsbedürftigkeit. Und, dass die 3. und 4. Symphonie zusammenhängen, den "Humor" verkörpern. Sonst irritiert etwa das "Bim-Bam"-Wunderhornlied und man missversteht wie Adorno das Posthornsolo. Unter "Programm" versteht Mahler mit Liszt einen "Wegweiser", der auf die zugrundeliegende "poetische Idee" des Stücks verweist. Wenn man diese "poetische Idee" nicht erfasst, realisiert man eigentlich nicht, worum es bei so einer Mahler-Symphonie konkret geht. Denn Mahler ist kein Vertreter von "absoluter Musik".


    Schöne Grüße

    Holger

  • Meinst du das tatsächlich ernst, lieber Holger? Franz Liszt war, was Programmmusik angeht, sicherlich einer der großen Vorgänger von Tschaikowsky und nicht nur in den "Années", sondern auch mit diesem Stück:

    Lieber Willi,


    gerade bei "Les Preludes" wäre es gut, das Programm zu kennen. Da geht es zwar auch um einen "Kampf", aber einen inneren, seelischen Konflikt, und nicht um den Krieg wie in der NS-Wochenschau. Das ist schon perfide, was Goebbels u. Co. da mit diesem Stück gemacht haben.


    Ich gebe ja zu, dass ich mich mit dem Capriccio Italien nicht beschäftigt habe. :D Laut Wikipedia war das Vorbild für Tschaikowsky Glinkas Nacht in Madrid - das ist weniger eine dramatische Symphonische Dichtung als ein auch eher populär klingendes Genrestück. Hier eine Aufführung aus Sofia (wohl dem Kulturzentrum):


    Wenn ich es nicht anders wüsste, dann könnte ich hier auf die Idee kommen, dass sich die Diskussion hier in Teilen in ein Tschaikowsky-Bashing verwandelt. Immerhin geht es hier um den gößten russische Komponisten.

    Nein, ganz bestimmt nicht! :)


    Liebe Grüße

    Holger

  • Hallo, liebe Leute,


    nie hätte ich mir träumen lassen, mit der Vorstellung einer so harmlosen Komposition wie Tschaikowskys "Capriccio Italien" eine solch heftige Diskussion auszulösen! Das war ganz bestimmt nicht von mir beabsichtigt; andererseits schadet es ja nicht, wenn man über ein Stück ganz konträre Ansichten hat. Vielleicht führt das ja zu ganz neuen Einsichten, obwohl dieses "Capriccio" nun alles andere als ein tiefsinniges Werk ist. Als solches wollte es wohl auch der Komponist nicht verstanden wissen.


    Auf jeden Fall höre ich mir aber Karajan an!

    Das würde ich Dir wirklich raten, lieber Holger! Seine Aufnahme des Stücks ist meilenweit von einer Kitsch-Apotheose entfernt. Auch ich bin ja nicht der Meinung, daß es sich hierbei um eine tiefgründige Komposition handelt, aber für mich ist dieses Capriccio ein Musterbeispiel für ein mitreißendes, ohrenschmeichelndes, farbiges Werk, das wie kaum ein anderes geeignet ist, schlechte Laune und trübe Gedanken zu verscheuchen. Karajan hatte ja angeblich die Gabe, selbst (und gerade) zweitklassige Musik erstklassig zu interpretieren. Wobei ich das Capriccio nicht pauschal als "zweitklassig" bezeichnen würde, sondern eher als leicht, duftig und beschwingt.


    Joseph II. hat in seinem Beitrag #20 schon zu Recht darauf hingewiesen, daß Karajan seine besten Tschaikowsky-Aufnahmen in den 1960er Jahren gemacht hat, und das "Capriccio" von 1966 unterstreicht diese Feststellung. Nach meinem Empfinden ist es Karajan, der das Stück als absolute Musik, ohne jede Sentimentalität und falsche Drücker, zur Aufführung bringt, dabei aber die orchestrale Pracht auf ganz wunderbare Weise zur Entfaltung bringt. So vorgetragen, ist es ein wahrer Leckerbissen für Connaisseure.


    Nach all den großen Interpretationen von Tschaikowskys Sinfonien, die wir in den vergangenen Wochen eifrig gehört und noch eifriger diskutiert haben, war das schwungvolle Stück für mich hervorragend geeignet, einen deutlichen Kontrast zu setzen, ohne den Komponisten wechseln zu müssen. Das wäre mir weder mit "Romeo und Julia", "Francesca da Rimini" noch der Ouvertüre "1812" gelungen, deren Bombast mir bis heute immer ein wenig unbehaglich vorgekommen ist. Aber auch das ist Geschmacksache.


    Ich wünsche Dir noch einen schönen restlichen Feiertag!

    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Ich hoffe, dass der Threadgründer Nemorino damit einverstanden ist, dass ich versuche, den Text zu der Aufnahme von Les préludes von 1984/85 von Arpad Joo und dem Budapest Symphony Orchestra zu übersetzen:

    Zitat von András Batta


    Wozu sind diese "préludes" die Vorspiele? Wenige würden heute diese Frage stellen, da Les préludes allgemein als vollständige unabhängige Komposition angesehen wird, und in der Tat ist sie ja auch die Populärste von Liszts symphonischen Dichtungen. Aber Liszts ursprüngliche Intention war, dass das Werk in Wirklichkeit als Ouvertüre für vier Chorwerke dienen sollte (obwohl es zu der Zeit ja noch nicht "Les préludes" genannt wurde. In der Mitte der 1840er Jahre machte er die Bekanntschaft des französischen Dichters Joseph Autran, mit der er eine Zusammenarbeit an verschiedenen Werken plante.

    Im Jahre 1848, al er sich in Weimar niederließ, komponierte er für einen Zyklus von Autrans Gedichten einen Männerchorsatz mit Klavierbegleitiug. Der Titel war: Die vier Elemente, und die Sätze trugen die Titel "Die Erde", "Die Nordwinde", "Die Wellen" und "Die Sterne". Dafür komponierte er eine Ouvertüre, die die Musik der Chöre antizipieren sollte. Im folgenden Jahr arbeitet er die Ouvertüre verschiedene Male um und machte sie auf diese Weise unabhängier von den Chorsätzen, die später in die Schublade wanderten. Da die symphonische Arbeit immer unabhängier wurde, benannte Liszt das Stück ohne ein Programm 1851 in "Méditation symphonique" um, und im Zuge der Arbeit an anderen symphonischen Werken wurde die "Symphonische Meditation" 1854 zu einer symphonischen Dichtung.

    Und Liszt betitelte die symphonische Dichtung mit dem Titel eins Gedichtes aus der Reihe der "Meditation poetiques" von Alphonse de Lamartine, den er in seinen Pariser Jahren kennrngelernt hatte. Aber dies war noch nicht das Ende der Entwicklung. Liszt erkannte, dass er dem Publikum nicht zumuten konnte, eine so lange Ode zu studieren, und so stellte er einen kurzen Extrakt davon her, das Programm, wie wir es heute kennen, das folgendermaßen beginnt: " Was anderes ist unser Leben denn als eine Reihe von Préludes zu einem unbekannten Lied, dessen erste und feierliche Noten vom Tod angestimmt werden?"

    Übersetzung: William B.A.

    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    danke für die Einstellung des interessanten Textes zu Liszts Sinfonischer Dichtung "Les Préludes".


    Ich finde es überhaupt sehr gut, daß Du dieses Werk hier ins Gespräch gebracht hast, ist es doch geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie man ein an sich völlig unverdächtiges Stück ohne Zutun und Willen des Komponisten in Mißkredit bringen kann.

    Bekanntlich ist eine markante Passage dieses Werks von den Nazis als Fanfare für - gleichermaßen für wahre und erfundene - Siegesmeldungen von der Ostfront mißbraucht worden und als solche im Gedächtnis vieler Deutscher, die sich sonst für Musik dieser Art kaum interessieren, haften geblieben. Ich erinnere mich noch gut, als ich das Stück erstmals auf Platte hatte und abspielte, daß mein Vater ziemlich entsetzt zur Tür hereinkam und fragte, ob Goebbels wiederauferstanden sei! Er wußte zwar auf Anhieb, daß es original eine Liszt-Komposition war, aber er hatte es seit dem Ende des Naziterrors nie mehr gehört. Es wurde auch in den ersten Nachkriegsjahren mehr oder weniger, zumindest in Deutschland, gemieden.


    Heutige Hörer werden wieder ganz unbefangen an das Stück herangehen. Doch über viele Jahre klebte an ihm das gewollte oder ungewollte Gedächtnis an diese unselige Zeit. Was konnte Liszt dafür? Er war zu Beginn des Dritten Reiches schon 50 Jahre tot und konnte das Heraufziehen des Naziterrors noch nicht einmal in seinen Träumen erahnen ….


    ….. so wenig wie Tschaikowsky voraussehen konnte, daß man aus einer seiner Kompositionen fast 100 Jahre später mal eine "Bianca" hervorbringen würde.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Es bietet aber offenbar genug Angriffsfläche für Tschaikowski-Verächter. Die werden sicher Recht haben. Dirigenten wie Mrawinski, Kondraschin, Swetlanow, Roschdestwenski u. v. a. irrten bestimmt, als sie diesen Kitsch einspielten. :pfeif:

    Nein, lieber Joseph, als Tschaikowsky-Verächter sehe ich mich überhaupt nicht - im Gegenteil. Es gibt genug Werke in seinem Oevre, denen ich begeistert zuhöre, wobei ich sogar die Opern in russischer Sprache (weil ich keine älteren in deutschem Idiom besitze :() höre. Zwar ist mir der für meine Ohren ebenso unsägliche Schlager "Bianca" ein Begriff (der mich ebenso kalt lässt wie das Capriccio-Original), das hat jedoch nichts mit Verachtung zu tun. Das will ich auch auf die hier erwähnte Schlachtenmusik von Beethoven ausdehnen - auch da fehlt mir jede Begeisterung oder jedes Verständnis. Es gibt für meine Ohren eben Kompositionen, die mich nicht ansprechen, der von mir urspünglich benutzte Ausdruck "Gräuel" mag daher etwas übertrieben sein, die genannten Tschaikowsky-Werke - egal, wer sie dirigiert - gefallen mir nicht. Nochmals: ich verachte Peter Tschaikowskys Musik nicht.

    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Ich hoffe, dass der Threadgründer Nemorino damit einverstanden ist, dass ich versuche, den Text zu der Aufnahme von Les préludes von 1984/85 von Arpad Joo und dem Budapest Symphony Orchestra zu übersetzen:

    Das vollständige Programm, was Liszt der Komposition voranstellte, findet sich bei Lina Ramann zitiert, lieber Willi:


    „Was anders ist unser Leben, als eine Reihenfolge von Präludien zu jenem unbekannten Gesang, dessen erste und feierliche Note der Tod anstimmt. Die Liebe ist das leuchtende Frühroth jedes Herzens; in welchem Geschick aber wurden nicht die ersten Wonnen des Glückes von dem Brausen des Sturmes unterbrochen, der mit rauem Odem seine holden Illusionen verweht, mit tödlichem Blick seinen Altar zerstört, – und welche im innersten verwundete Seele suchte nicht gern nach solchen Erschütterungen in der lieblichen Stille des Landlebens die eigenen Erinnerungen einzuwiegen? Dennoch trägt der Mann nicht lange die wohlige Ruhe inmitten besänftigender Naturstimmungen und „wenn der Drommete Sturmsignal ertönt“, eilt er, wie immer der Kampf heißen möge, der ihn in die Reihe der Streitenden ruft, auf den gefahrvollsten Posten, um im Gedränge des Kampfes wieder zum ganzen Bewußtsein seiner selbst und in den vollen Besitz seiner Kraft zu gelangen.“


    Wie man sieht ist der Text so ganz unproblematisch und unschuldig auch nicht. Die Einladung zum Missbrauch liefert er selbst durch seine naiv-unkritische und glorifizierende Haltung dem Krieg gegenüber. Der Kampf und Krieg wird zum individuellen Mittel der Bewusstwerdung und Vehikel, der Depression und Enttäuschung zu entkommen, um neue Kraft zu finden. In der deutschnationalen Glorifizierung des 1. Weltkriegs (!) bereits finden sich solche Gedankengänge. Liszt hat natürlich nicht an den "totalen Krieg" des 20. Jhd., sondern die nationalen Befreiungskriege des 19. Jhd. gedacht. Nach den Erfahrungen zweier Weltkriegskatastrophen können wir selbstverständlich den Krieg nicht mehr so naiv romantisch "begeistert" betrachten wie Liszt es tat. Ein gewisser bitterer Nachgeschmack bleibt also, wenn man diesen Liszt-Text liest.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Bekanntlich ist eine markante Passage dieses Werks von den Nazis als Fanfare für - gleichermaßen für wahre und erfundene - Siegesmeldungen von der Ostfront mißbraucht worden und als solche im Gedächtnis vieler Deutscher, die sich sonst für Musik dieser Art kaum interessieren, haften geblieben.

    S.o., lieber Nemorino. Bei Liszt ist vom "Sturmsignal" die Rede!

    Heutige Hörer werden wieder ganz unbefangen an das Stück herangehen. Doch über viele Jahre klebte an ihm das gewollte oder ungewollte Gedächtnis an diese unselige Zeit. Was konnte Liszt dafür?

    Das glaube ich eher nicht, s.o.!


    Schöne Grüße

    Holger

  • Einleitend möchte vorausschicken, dass ich ein Tschaikwsky-Verehrer bin. Meine Einführung in die klassische Musik begann als Kind mit der Nussknacker-Suite. Da wurde ein Keim gelegt, wofür ich Piotr Ilitsch mehr als dankbar bin.


    Beim Studium dieses Threads fällt mir auf, das Tschaikowskys Werk an einem hohen Anspruch gemessen wird. Nur bin ich mir nicht sicher, ob der Komponist dies beabsichtigt hatte. Er wollte ein effektvolles Orchesterstück komponieren und dem Publikum gefallen. Die Orchestration finde ich meisterhaft und er bietet ein grosses Orchester auf. In meiner Partitur sind die Stimmen aufgeführt


    2 Flöten, 1 Piccoloflöte, 2 Oboen und 1 Englischhorn, 2 Klarinetten in A, 2 Fagotte, 4 Hörner in F, 2 Pistons in A, 2 Trompeten in E, 2 Tenor-Posaunen, 1 Bass-Posaune, 1 Tuba, Pauken in A, E und C, Glockenspiel, Triangel, Tamburin, Grosse Trommel, Becken, 1 Harfe, Violinen, Viola, Violoncello, Kontrabass.


    Der von Tschaikowsky gewählte Titel weist in eine Richtung: Capriccio bezeichnet "den absichtlichen, lustvollen Regelverstoss, die phantasievolle, spielerische Überschreitung der akademischen Normen, ohne die Norm außer Kraft zu setzen." (Zitat Wikipedia) Capriccio ist laut meinem talienischen Wörterbuch "eine Laune, Schrulle". In der Musik ist es von "freiem, spielerischem und scherzhaftem Charakter, das sich wenig bis gar nicht an tradierten musikalischen Formen orientiert." (Zitat Wikipedia)


    Anders als in einer Sinfonie, die gewissen Regeln folgt, ist Tschaikowsky freier in der Behandlung der musikalischen Mittel. Das Werk hat in Glinkas Spanische Ouvertüre Nr. 2 (Souvenir d’une nuit d’été à Madrid) sein Vorbild. Das wurde bereits erwähnt. César Cui, ein Vertreter des Mächtigen Häufleins, machte Tschaikowsky den Vorschlag zur Komposition. Er war es aber auch, der Capriccio Italien vehement ablehnte.


    Auf Wikipedia ist eine hervorragende Werkanalyse nachzulesen. Mit einer Partitur vor sich kann man sie verfolgen. https://de.wikipedia.org/wiki/Capriccio_Italien


    Fazit: Tschaikowsky unterläuft die Hörerwartungen seiner Hörer mit Asymmetrien und Taktwechseln. Das macht den Reiz seiner Komposition aus.


    Tschaikowsjky hatte Capriccio Italien während seines Aufenthaltes in Rom komponiert. Wie in anderen sinfonischen Werken finden sich Melodien der Volksmusik. Er verwendet musikalisches Material, dem er während dieser Zeit begegnet ist: Das Trompetensignal hörte er in einer nahen Kaserne, das Volkslied Babbo non vuole verarbeitet er. Der Schlager Bianca entspricht dieser Melodie. Er fand Material in Anthologien italienischer Musik. Wo sich Tschaikowsky eine Melodie anbot, setzte er sie ein. Wie das alles zusammengestellt ist, nötigt Respekt ab.


    Bella ragazza dalla treccia bionda,

    i giovani per voi fanno la ronda.

    Babbo non vuole, mamma nemmeno,

    come faremo a fare l'amor.

    (Babbo non vuole, mamma nemmeno,

    come faremo a fare l'amor.)

    Venir se voi volete nel giardino,

    vi troverete o bella un gelsomino.

    Babbo non vuole, mamma nemmeno,

    come faremo a fare l'amor.

    (Babbo non vuole, mamma nemmeno,

    come faremo a fare l' amor.)

    Un gelsomino a voi v'ho regalare,

    in pegno del mio vero e grande amore.

    Babbo non vuole, mamma nemmeno,

    come faremo a fare l'amor.

    (Babbo non vuole, mamma nemmeno,

    come faremo a fare l' amor.)

    Poi vi dirò che rosa a primavera,

    non è quanto voi siete tanto cara.

    Babbo non vuole, mamma nemmeno,

    come faremo a fare l'amor.

    (Babbo non vuole, mamma nemmeno,

    come faremo a fare l'amor)



    Eine Live Aufnahme mit besserem Ton und Sicht auf das Orchester habe ich auf You Tube gefunden. Es spielt das Moscow City Symphony "Russian Philharmonic". Der Dirigent ist Michail Jurowski. In flottem Tempo dauert das Stück 13 min 54 s.


    .

    Ich bin soweit, in meinen Beiträgen Rechtschraibfehler stehen zu lassen als menschlicher Protest gegen die perfekte KI-Welt.



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