„Warum soll denn der Tenor immer die Dame erobern?“ Ausgehend von dieser Frage, die in der Opernszene oft gestellt wird und animiert durch den Lorbeer-Kranz, den unsere verehrte Merker-Chefin, Dr. Sieglinde Pfabigan, im April- Heft den von ihr erlebten und bewunderten strahlenden Helden vom hohen C so liebevoll und gekonnt gewunden hat, möchte ich mich jetzt den Bässen zuwenden. Dabei werde ich nur über Künstler berichten, die ich selbst auf der Bühne erleben durfte und mit denen eine engere persönliche Beziehung entstanden ist. Ich werde versuchen, die Künstler, so wie ich sie erlebte, auch als Persönlichkeiten zu charakterisieren. Daraus ergibt sich zwangsläufig eine begrenzte Auswahl schwerpunktmäßig von deutschsprachigen Bässen. Neben den aktiven werden Sänger vorgestellt, von denen die letzten Jahrzehnte, also die Nachkriegszeit geprägt wurde, die vielen Opernfreunden noch bestens in Erinnerung sind und als Maßstab für die heutige und nachkommende Sängergeneration gelten können.
Einer der Schwerpunkte im Wirken der Gottlob Frick Gesellschaft ist, das Gedenken an aktive Sängerinnen und Sänger, aber auch an Legenden der Oper zu erhalten. Jährlich treffen sich in Ölbronn-Dürrn, dem Geburtsort des großen deutschen Bassisten, nahe der Stadt Pforzheim, bei einem Künstlertreffen rund 200 Gäste aus dem künstlerischen Bereich. Besonders zahlreich sind bei diesen Veranstaltungen die Bassisten vertreten. Das trug dem Operndörfle Ölbronn-Dürrn, wie es liebevoll genannt wird, bereits die ehrende Bezeichnung „Mekka der Bassisten“ ein. Bei den Künstlertreffen mit den Veranstaltungen Festakt, Galakonzert, Künstlertreffen und Matinee dreht sich unter dem Motto: „Verachtet mir die Meister nicht“ wirklich alles um die Künstler, Sie stehen im Mittelpunkt, sind der Glanz und das Herz dieses in seiner Art sicherlich einmaligen Treffens. Dankenswerter Weise ist der Merker bei allen Veranstaltungen anwesend und berichtet über das Event und die Künstlerfamilie, die sich jährlich dort trifft. Als Mitbegründer der Gottlob Frick Gesellschaft und Ehrenpräsident habe ich deshalb den Auftrag, über Bassisten zu schreiben, gerne übernommen.
Oskar CERWENKA
Beginnen soll der Vorstellungsreigen mit Oskar Czerwenka, der Sänger, Maler, Illustrator, also ein universeller Künstler war. Geboren in Vöcklabruck in Oberösterreich. Gesangsausbildung in Wien,. Debüt 1941 in Graz. Obwohl er weltweit an allen großen Opernhäusern der Welt sang, war und blieb Wien seine künstlerische Heimat. 1951 wurde er an der Wiener Staatsoper Ensemblemitglied und gehörte dem ruhmreichen Haus bis 1986 an. Gerne machte er auch Ausflüge an die Wiener Volksoper, weil er dort Rollen singen konnte, die neben allen stimmlichen und darstellerischen Fähigkeiten seiner größten Stärke, einem ausgeprägten, natürlichen komödiantischen Talent entgegen kamen.
Ich erlebte ihn auf der Bühne in seiner Paraderolle als Ochs im „ROSENKAVALIER.“ Er spielte keinen dickwampigen, plump- dreisten Tölpel. Czerwenka war ein aufgeblasener, ländlicher Möchtegern-Casanova, der sich liebestoll, verblendet in die größten Kalamitäten hineinmanövriert. Bewundernswert war, wie selbstverständlich alle Schwierigkeiten dieser Rolle serviert wurden. Selbst die vertracktesten gesanglichen Herausforderungen, wie zum Beispiel im ersten Akt ein tiefes C zu meistern, wenn vorher ein hohes F lange gehalten werden muss und im zweiten Akt gar ein Gis oben und ein D unten. Alles ohne erkennbare Mühe und Anstrengung. Ein Kabinettstück war auch sein Abul Hassan im „BARBIER VON BAGDAD“; verewigt in der Referenzaufnahme mit Schwarzkopf (Margiana), Gedda (Nureddin), Unger (Baba Mustafa) unter Leinsdorf. Ich habe keinen Bassisten mehr erlebt, der ohne outrieren und forcieren allein mit Gesang, Komik so differenziert ausdrücken konnte. Wie häufig bei Komödianten waren auch in Czerwenkas Persönlichkeit hohe Eloquenz, natürlicher Humor und Ernsthaftigkeit mit fast philosophischer Tiefe vereint. Meine erste persönliche Begegnung mit ihm und seiner charmanten Gattin war 1995 bei der Einweihung der Gottlob Frick Gedächtnisstätte. Unvergesslich, wie er aus dem Schatzkästchen der gemeinsamen Erinnerungen und Erlebnisse mit dem ihm eng befreundeten Gottlob Frick erzählen konnte. In der auch vom Rundfunk übertragenen Diskussion konnte er eine Anekdote um die andere quasi aus dem Ärmel schütteln. Eine davon sei nacherzählt: Rheingold-Probe in Wien. Karajan am Pult. Czerwenka sang seinen ersten Riesen. Endlos mussten Frick und er auf hohen Kothurnen – stelzenartige hohe Schuhe – auf der schrägen Bühne stehen - Plötzlich fühlte sich Czerwenka nicht mehr ganz wohl und sagte zum Riesenbruder „Lobl ich muss mal raus“ – „Du kannst ruhig gehen wir sind leider noch lang nicht dran.“ Kaum war Czerwenka dort, wohin es ihn zog, übersprang der Maestro einige Szenen und die Riesen waren dran.
„Wo ist der Fasolt“ tönte es aus dem Graben. „ Herr Chef, auch ein Riese ist nur ein Mensch.“ Karajan bereits gereizt. “Das geht nicht. Der Czerwenka hat da zu sein.“ Frick ganz Wagner erprobt „Dort, wo sein Drängen Frieden fand, Drangfried ward dieser Ort genannt.“ Die Probe wurde abgebrochen. In diesem Stil ging die Diskussion Pointe auf Pointe folgend weiter. Ganz plötzlich unerwartet, von Czerwenka jedoch glänzend dramaturgisch aufgebaut, kam ein Ausbruch „ Sprechen wir es doch ganz klar aus. Wir alle und ich besonders haben den Lobl geliebt“. Ich war klug genug, mein wohl vorbereitetes Schlusswort zu unterdrücken. Dieser emotionale Höhepunkt war nicht mehr zu steigern.
Nach dieser denkwürdigen Begegnung telefonierten Oskar Czerwenka und ich noch häufig. Unser letztes Telefonat empfinde ich heute als eine Art Abschiedsgespräch. Nicht lange danach verstarb der große Sänger. Er bleibt als originelle, universelle, liebenswürdige Persönlichkeit in bester Erinnerung.