Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832):
FAUST
DER TRAGÖDIE ZWEITER TEIL
Uraufführung des für unspielbar gehaltenen und von Eckermann in drei Teile gegliederten Werkes
am 20. Oktober 1852 mit „Faust am Hofe des Kaisers“,
die beiden restlichen Teile „Faust und Helena“ und „Faust’s Tod“
am 24. Juni und am 28. September 1856 in Weimar
DIE PERSONEN DER HANDLUNG
Faust / Mephistopheles / Ariel / Kaiser / Kanzler / Heermeister / Schatzmeister / Marschall /
Herold / Mutter / Trunkener / Furcht / Hoffnung / Klugheit / Knabe Wagenlenker / Narr / Helena / Paris / Famulus /
Bakkalaureus / Wagner / Erichtho / Chiron / Manto /Empuse / Dryas / Panthalis / Lynceus / Euphorion
INHALTSANGABE
ERSTER AKT
Faust liegt müde und unruhig Schlaf suchend auf einer Gebirgswiese mit grandiosem Panorama. Der Elfenkönig Ariel kommt mit seinen Elfen und weist die Schar an, Fausts durch den Tod seines Gretchens aufgewühlte Seele in den Heilschlaf des Vergessens zu versenken. Die Elfen erfüllen den Befehl Ariels und zerstreuen sich dann, während Faust später mit einem neuen und ausgeruhten Lebensgefühl erwacht. Der Tod Margaretes ist aus seinem Gedächtnis verschwunden.
Die Szene wechselt in den Thronsaal der Kaiserlichen Pfalz. Der Kaiser zieht mit Trompetenschall und mit dem Hofgesinde ein. Die Majestät will Karneval feiern, aber der Staatsrat erwartet den Herrscher zu einem dringenden Gespräch: Der Kanzler nennt die Situation im Reich unhaltbar, weil Bürger, Ritter und Soldaten aufbegehren. Außerdem sei die Staatskasse leer.
Mephisto, der den Hofnarren betrunken gemacht und dessen Rolle bei Hofe eingenommen hat, bietet der Majestät seine Hilfe an: Er schlägt vor, die Reichtümer des Bodens, die ja Eigentum der Krone sind, zu heben. Und neues Papiergeld soll eingeführt werden, das die Deckung durch die riesigen Bodenschätze erfährt. Der Hofastrologe denkt – wie der Kaiser – an den Karneval und das damit verbundene Vergnügen und schlägt vor, zuerst zu feiern und später zu entscheiden.
Der Mummenschanz beginnt mit dem Knaben Wagenlenker, der den als Plutus, den griechischen Gott des Reichtums, verkleideten Faust herbeiführt. Unter dem Gejohle der Gäste zaubert er einen Goldschatz hervor. Als griechischer Hirtengott Pan erscheint der Kaiser mit Nymphen. Doch das Spektakel endet plötzlich, als der Kostümbart des Kaisers sich an Fausts Feuerzauber entzündet und in der Folge den ganzen Maskenzug in Brand steckt. Auch jetzt erweist sich Plutus wieder als hilfreich: er löscht das Feuer mit einem Zaubertrick.
Am folgenden Morgen wird dem Kaiser das mit Hilfe von Faust und Mephisto geschaffene neue Papiergeld präsentiert. Und weil es im Volk gut ankommt, ist der Monarch mehr als erfreut und verkündet das Ende der Staatskrise. Und das heißt für ihn: der Karnevalstrubel muss weitergehen. Er verlangt von Faust, dass Paris und Helena erscheinen sollen. Faust, weiß allerdings nicht, wie das zu bewerkstelligen ist und Mephisto muss ihm helfen. Aber der weiß es angeblich auch nicht und er schickt Faust deshalb zu den „Müttern“, geheimnisvollen götterähnlichen Wesen, die eine Art Archiv verwalten, in dem Ereignisse und Menschen registriert sind. Aber er warnt Faust auch vor diesem Weg, den er für gefährlich hält, denn diese Welt erscheint ihm wie eine ins geistige transferierte Welt ohne feste Konturen, und die ist ihm verschlossen. Das hält aber einen Doktor Faust nicht ab - Mephisto kann ihm noch einen Schlüssel in die Hand drücken, dessen Sinn sich Faust nicht erschließt, und er versinkt.
Der Kaiser ist mit seinem Hofstaat inzwischen in den Festsaal eingezogen. Während der Herold das Geschehen kommentiert, sorgt Mephisto nun für eine Art Massensuggestion, durch die die ganze Gesellschaft Fausts Vision miterleben kann: Der ist zu den Müttern gelangt, berührt mit dem Schlüssel mehr oder weniger unabsichtlich eine auf einem glühenden Dreifuß stehende WeihrauchSchale – und plötzlich senkt sich Dunst herab, aus dem zunächst Paris hervortritt, dann die schöne Helena. Faust ist von den beiden fasziniert: Als Paris jedoch nach der schönen Helena greift um sie zu entführen, fährt Faust dazwischen. Mit einer heftigen Explosion zerstiebt das ganze Schauspiel und Faust stürzt ohnmächtig zu Boden.
ZWEITER AKT
Mephisto tritt in Fausts alte Studierstube und wirft seinen Blick auf den Schlafenden. Dann zieht er an einem Glockenstrang und der gerade zum Bakkalaureus ernannte ehemalige Schüler Fausts, den er einst an der Nase herumgeführt hatte, tritt in die Stube. Der fühlt sich inzwischen aber seinem alten Meister weit überlegen:
Hat einer dreißig Jahr vorüber, so ist er schon so gut wie tot.
Am besten wär‘s euch zeitig totzuschlagen.
Hochmütig entfernt er sich wieder.
Eine neue Szene zeigt uns Wagner, Fausts Famulus, der inzwischen zu einem renommierten Wissenschaftler avanciert ist, und der in seinem Laboratorium gerade einen künstlichen Menschen, den Homunkulus, erzeugt. Mit Mephistos Hilfe gelingt es ihm tatsächlich, und ein flammenartig leuchtendes, männliches Wesen erscheint. Das ist offensichtlich in der Lage, die Träume des schlafenden Faust erkennbar zu machen. So erfahren wir, dass Zeus sich als Schwan der Leda naht und so der Vater der schönen Helena wird. Der Homunkulus weist Mephisto mit Faust zur klassischen Walpurgisnacht nach Griechenland. Erichtho, die thessalische Hexe, rüstet sich auf den Pharsalischen Feldern zum „Schauderfeste dieser Nacht“, weicht aber Faust, Mephisto und dem Homunkulus aus, die soeben heranschweben, weil sie Lebenden nicht schaden will.
Das Tableau wird in den folgenden Szenen turbulent, manchem im Publikum sogar unverständlich. Man muss Einführungen in das Werk lesen, um das Dargestellte nachvollziehen zu können: Faust wurde nach Griechenland versetzt; er will Helena treffen. Er trennt sich von Homunkulus und Mephisto und auf getrennten Wegen durchstreifen sie das Land. Mephisto staunt über die Welt am oberen Peneios, macht aber auch deutlich, dass sie ihm fremd ist:
Mythische Gestalten tauchen auf;
Sphinxe und Greife ringen mit Arimaspen, den Einäugigen, um Gold,
kolossal große Ameisen rennen geschäftig umher,
Sirenen stimmen ihre eigenartigen Gesänge an.
Faust dagegen ist wundersam berührt von dieser Zauberwelt; er fragt die Sphinxe nach Helena, doch die wissen es nicht (oder wollen es ihm nicht sagen), raten ihm jedoch, Chiron, einen der Kentauren und Halbbruder von Göttervater Zeus, zu fragen. Und Faust folgt diesem Rat.
Am Peneios sieht Faust Nymphen, junge Frauen und majestätische Schwäne. Erstaunt über diese wunderbaren Bilder fragt er sich, ob es Träume oder nur Erinnerungen an Gelesenes sind, die sich ihm jetzt offenbaren. Plötzlich aber dröhnt der Boden und Chiron naht auf einem schweren Pferd. Faust bittet den Halbgott, ihn zu Helena zu führen, doch Chiron hilft nicht, er weist Faust weiter zu der Seherin Manto. Und die macht sich mit ihm auf den Weg in Persephones Reich, aus dem Helena hervorgeholt werden soll.
Nun erschüttert mit heftigem Beben Seismos die Erde. Während die Sirenen flüchten, harren die Sphinxe aus. Die riesigen Ameisen laufen weiterhin geschäftig umher, um das Gold einzusammeln, das Greife in Ritzen gesichtet haben. Pygmäen machen Anstalten, gegen Kraniche zu kämpfen und ldie Imsen schaffen Metall herbei, während Daktyle, die Hölzer aufschichten, mit denen sie Waffen schmieden wollen.
Indessen streift Mephisto durch die Ebene und erlebt, dass sich die dürren und bleichgesichtigen Lamien an ihn drängen. Homunkulus möchte „entstehen“ und hat zwei Philosophen ausgemacht, die ihm weiterhelfen könnten. Anaxagoras und Thales streiten sich über die Entstehung eines neuen Gebirges. Anaxagoras hält das
Plutonisch grimmig Feuer, Äolischer Dünste Knallkraft
für grundlegend, während Thales die lebendige und bildende Kraft des Wassers für verantwortlich hält. Während dieses Gesprächs stechen wilde Kraniche mit scharfen Schnäbeln und Krallen auf das Pygmäenvolk ein. Anaxagoras reagiert entsetzt und ruft die „Dreinamig-Dreigestaltete“ herbei: Diana, Luna, Hekate.Und die zeigt sich ihm, nur ihm, denn Thales bemerkt sie nicht.
Zwei Philosophen verschwinden gerade mit dem in seiner Phiole schwebenden Homunkulus zur einen Seite, während Mephisto von der anderen Seite her auftaucht. Der Weltfahrer Dryas ist zur Stelle und mischt sich ein, schickt Mephisto zu den Phorkyaden, jenen Schreckgestalten, die nur einen Zahn und ein Auge besitzen, die sie jedoch schwesterlichmiteinander teilen. Mephisto aber verzaubert sich – für die nächste Zeit – in den grottenhäßlichen Phorkys. Die Sirenen lagern sich singend auf den Klippen der Ägäis unter dem im Zenit stehenden Mond; Nereiden und Tritonen kommen mit den göttlichen Kabiren von Samothrake her.
Thales bringt Homunkulus währenddessen zu Nereus, dem Vater der Nereiden, in der Hoffnung, dass der dem „Künstlichen“ zu einer körperlichen Existenz verhelfen kann. Doch Nereus denkt nicht im Traum daran; er wartet auf seine Tochter Galatee und schickt deshalb die beiden zu Proteus, den Alten von Meer, der die Gabe besitzt, in vielfältigsten Gestalten zu erscheinen. Und eben der naht, einmal als Riesenschildkröte, ein andermal in edler Gestalt. Thales schafft es, ihn zu fassen, indem er ihn mit der leuchtenden Phiole anlockt. Gern will Proteus dem wundersam-lichten Knaben helfen, zu „entstehen“. Als Delphin trägt er Homunkulus in die Meereswogen, in denen sich Psyllen und Marsen tummeln und die Doriden auf Delphinen reiten. Plötzlich naht auch die schöne Galatee auf ihrem Muschelthron, Homunkulus zerschellt an ihm - es flammt und blitzt
Und rings um ist alles vom Feuer umronnen, / So herrsche denn Eros, der alles begonnen!
DRITTER AKT
Die Szene spielt in Sparta. Vor Menelaos' Palast beklagt die von Choretiden begleitete Helena das ungewisse Schicksal, das ihr Gatte für sie bestimmt hat. Von Troja kommend hatte er sie zur Vorbereitung eines Opfers zum Palast vorausgeschickt. Mephisto erscheint in der Gestalt der Phorkyas am Palast und verkündet ihr, dass sie selbst als Opfer bestimmt sei und zeigt ihr sofort einen Fluchtweg: an Eurotas Quellen sei eine feste Burg aufgetürmt worden, in die sie sich mit ihren Getreuen retten könne. Helena folgt diesem Rat, Nebel steigt auf und die Szene verwandelt sich in einen Burghof.
Hier tritt Faust als der Burgherr auf und begrüßt Helena; an seiner Seite steht der gefesselte Lynkeus, der Turmwächter. Er soll hingerichtet werden, da er die Ankunft Helenas nicht rechtzeitig gemeldet hat. Doch Helena will das Urteil nicht hinnehmen und fordert Gnade für ihn. Faust ist über diese Großmut betroffen und legt ihr die Herrschaft über die Burg zu Füßen. Helena will ihn als Mitregenten an ihrer Seite sehen. Plötzlich ist Kriegslärm zu hören: das Heer Menelaos naht und Faust ruft die Fürsten zur Gegenwehr auf, zieht sich aber mit Helena nach Arkadien zurück.
Unsichtbar halten sich Faust und Helena in einer weiträumigen unterirdischen Höhle auf. Sie liegen schlafend mit den Choretiden verteilt in der Höhle. Phorkyas (alias Mephisto) weckt sie alle auf. Man sieht das gemeinsame Kind von Faust und Helena, Euphorion, umher tollen. Während ein melodisches Saitenspiel erklingt, kommt der Knabe voller Lebenslust aus der Höhle hervor und fordert eine der wilden Figuren der Choretiden zum Tanz auf – sie flammt auf und lodert in die Höhe.
Der vom Meer her ertönende Kriegslärm zieht Euphorion magisch an. Dem Ikarus gleich beflügelt, wirft er sich in die Lüfte, das Gewand trägt ihn zwar einen Augenblick, sein Gesicht strahlt vor Übermut und Lebenslust, doch vor den Augen seiner Eltern stürzt er sich zu Tode. Sein Körper verwandelt sich in eine Aureole und steigt zum Himmel auf; sein Kleid, der Mantel und die Lyra bleiben liegen. Leise hört man aus der Tiefe seine zum Erbarmen flehende Stimme:
Lass mich im düstern Reich, Mutter, nicht allein!
Die letzte Szene dieses Aktes ist von düsterem Abschied gekennzeichnet, denn Helena beklagt des Lebens wie der Liebe zerrissenes Band. Faust ein letztes Mal umarmend löst sich ihr Körper auf und in Fausts Armen bleiben Schleier und Kleid zurück. Die Choretiden verwandeln sich in Naturgeister, und aus Phorkyas wird wieder Mephisto.
VIERTER AKT
Faust findet sich im Hochgebirge wieder; die Traumerlebnisse fallen wie ein lästiger Schleier von ihm ab. Er fühlt sich ausgeruht, frisch und gestärkt. Was ihn schon lange ärgert muss er ändern: das herrische und ungestüme Meer wälzt sich immer wieder an das Land und macht es unfruchtbar. Er muss für Dämme sorgen und dem Wasser fruchtbares Land abringen.
Da ertönt aus der Ferne kriegerische Musik; wir hören, dass das Reich in Gefahr ist. Eine Blase verblenderischen Reichtums, durch das Papiergeld hervorgerufen, hat den Kaiser zum Leichtsinn und das Reich ins Chaos getrieben. Durch unheilvolle Allianzen wurde von Fürsten ein Gegenkaiser ausgerufen. Aber mit Fausts Hilfe und durch Mephistos Zauberkraft kann sich der Herrscher nicht nur auf dem Thron halten, sondern auch seine Gegner bezwingen. Und der Kaiser erweist sich gegenüber Faust dankbar: Er gibt ihm jenen unfruchtbaren Küstenstreifen als Lehen, den sich Faustfür seinen neuen Tatendrang ausersehen hat.
FÜNFTER AKT
Philemon und Baucis, die berühmtesten Alten der griechischen Mythologie und ebenso berühmt für ihre den Göttern gewährte Gastfreundschaft, haben in diesem Akt ihren Auftritt. Sie wollen partout ihre ärmliche Hütte nicht aufgeben, die Faust als Schandfleck seines Herrschaftsgebietes betrachtet. Er wünscht sich an der Stelle der erbärmlichen Kate seine Altersruhesitz – und Mephisto ist natürlich und gründlichst behilflich: Der Alten Hütte brennt nieder, Philemon und Baucis kommen im Feuer um und Faust ist entsetzt über diesen wilden Einfall Mephistos. Traumartig sieht er plötzlich vier alte, graue Weiber, Mangel, Schuld, Not und Sorge, und hinter ihnen erblickt Faust zu seinem Schrecken den Tod. Merkwürdig: Not, Mangel und Schuld verschwinden aus seinem Blick, aber die andere, die Sorge, bleibt. Nicht nur das: die Alte und Graue haucht ihn an und Faust erblindet. In seinem unermüdlichen Streben ruft er Mephisto herbei, der für ihn ein Sumpfgebiet trockenlegen soll, denn, und das ist Fausts Weisheit:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.
Dabei bleibt es aber nicht, denn Faust wird bewusst, dass er am Ende seines Lebens angelangt ist; er bäumt sich auf und verkündet laut einen Wunsch:
Zum Augenblicke dürft‘ ich sagen: / Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdentagen / nicht in Äonen untergehn.
Aber Faust ist am Lebensende angelangt, er sinkt tot zurück – und Mephisto sieht seinen Plan als erfüllt an: Fausts Seele gehört ihm. Lemuren, begleitet von den Dickteufeln mit kurzem und geradem Horn und den Dürrteufeln mit langen und krummen Horn, haben bereits Fausts Grube ausgehoben. Mephisto aber, der sich seiner Sache so sicher fühlte, wird durch Heerscharen von Engeln in die Realität zurückgeholt: Sie heben Fausts Seele, die Unsterbliche, in die Höhe und führen sie fort, nach oben. Frauen ziehen vorbei, heilige Büßerinnen, darunter auch Gretchens unsterbliche Seele, die sich liebevoll verzeihend Fausts unsterblicher Seele zuneigt – alle schweben sie der Mater Gloriosa zu, und vereinen sich zum Chorus Mysticus:
Alles Vergängliche / Ist nur ein Gleichnis! /Das Unzulängliche, / Hier wird's Ereignis;
Das Unbeschreibliche, / Hier ist's getan; / Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan.
© Manfred Rückert für den Schauspielführer im Tamino-Klassikforum 2021
unter Hinzuziehung von Schauspielführern aus dem Reclam-Verlag und Georg Hensels Spielplan I,
digbib (Dramen Text), sowie AnthroWiki, Inhaltsangabe 24, LernHelfer, u.a.