Don Giovanni in Salzburg 2021

  • Ich würde ja gerne richtigstellen, wenn ich denn verstehen würde, was Kesting mir bzw. dem geneigten Leser überhaupt sagen will. Allein, selbst nach seinem Nachschlag (siehe Beitrag #11) habe ich das einfach nicht so recht verstanden und vielleicht magst Du ja zur Aufklärung beitragen?

    Werter MSchenk,



    Ich helfe Dir gerne nach, meine Gedanken zu verstehen, obwohl Du das nicht nötig hast. Du weißt wohl, wie ich meinen Beitrag #12 gemeint habe.


    Im Beitrag #4 und später in #11 wurde Kesting zitiert, der in meinen Augen diese Inszenierung verrissen hat.


    Im #5 wurde dazu zum Ausdruck gebracht, daß Kestings Meinung die eines einzelnen Besuchers wäre.


    Ich hatte in #12 geäußert, daß die regieaffinen Taminos sich von Kestings Meinung distanzierten und richtigstellen, welche großartige Inszenierung der Regisseur auf die Bühne gebracht hat. Dem Publikum soll es ja auch gefallen haben. Und Kestings Meinung ist ja nur die eines Einzelnen.


    Inzwischen gibt es zustimmende Meinungen bzw positive Erwartungshaltungen, wie #8, #22 und #28


    Und es gibt kritische Einwendungen von Taminos in #7, #21, #23, #24 und #30.


    Ich werde mich nicht äußern, denn ich habe meine Zeit besser verwenden können.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber La Roche,

    wieso ist es euch so wichtig, das andere auch eure Meinung sind ? Mal ist es Frau Gilles, jetzt Herr Kesting.

  • Ich helfe Dir gerne nach, meine Gedanken zu verstehen, obwohl Du das nicht nötig hast. Du weißt wohl, wie ich meinen Beitrag #12 gemeint habe. Im Beitrag #4 und später in #11 wurde Kesting zitiert, der in meinen Augen diese Inszenierung verrissen hat.

    Ja, nein! - Es ging mir garnicht um Deine Gedankengänge, sondern um Kestings, die mir genauso verrätselt erscheinen, wie Castelluccis Inszenierung. Weder sehe ich bei Kesting den klaren Verriß, noch überhaupt eine klare Richtung, welche Meinung er zu dem Ganzen nun hat?

  • wieso ist es euch so wichtig, das andere auch eure Meinung sind ? Mal ist es Frau Gilles, jetzt Herr Kesting.

    Lieber rodolfo339


    Due kämpfst doch auch für Deine Überzeugungen? Gilles, in der Beurteilung des Giovanni auch Kesting, Bern Weikl, Anneliese Rothenberger uva. tun oder taten das, und ich bin weitgehend auch deren Meinung, was die Verunstaltung unseres Kulturerbes Oper betrifft. Und manche aktive, aber auch leider nicht mehr aktive hier im Forum sind auch derselben Meinung. Was ist daran verwerflich?


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Nachdem ich mir - zwar nicht mit Mißvergnügen, aber auch nicht mit besonderem Spaß - auch den zweiten Aufzug angeschaut habe (vgl. meinen Beitrag #20), hier noch ein Gedanke aher allgemeinerer Natur:


    Der Grund, warum Castelluccis Don Giovanni-Inszenierung zumindest in meinen Augen nicht gut funktioniert, ist eigentlich der Gegensatz zwischen Abstrakt und Konkret. Die Methode, eine Oper dadurch in Szene zu setzen, einerseits zwar durchaus die eigentliche "Story" zu erzählen, dies aber andererseits stets und sogar wortwörtlich vor dem Hintergrund mehr oder weniger frei assoziierter Bilder zu tun, ist abstrakt und insofern kann man Castelluccis "Stil" wohl insgesamt als abstrakt bezeichnen. Auch die Artbeiten Achim Freyers würde ich in genau diesem Sinne als abstrakt bezeichnen; vielleicht sogar noch etwas mehr, als bei Castellucci.

    In der Kritik als durchaus positiv wahrgenommen habe ich nun in Erinnerung (ich habe nicht alles gesehen) Castelluccis Inszenierung zur Salome (Salzburg), Bachs Matthäus Passion (Hamburg), Parsifal (Brüssel), Moses und Aaron (Paris) oder Das Floß der Medusa (Amsterdam). Alles also Werke, die m.E. entweder selber hinreichend abstrakt oder zumindest für eine gewisse Abstraktion offen sind. Hier bestehen insbesondere vielfälltige Möglichkeiten für die Entwicklung und Darstellung assoziierter Bilder und das innere Tempo dieser Stücke läßt dies auch zu. Unmittelbar klar ist dann aber auch, warum Castellucci mit seinem Ansatz bei Mozarts Don Giovanni fast schon scheitern muss: der Don Giovanni ist geradezu ein Paradebeispiel eines konkreten Werkes! Die Handlung ist kaum symbolhaft, alles passiert innerhalb eines Tages mit einem entsprechend hohen Tempo, welches auf die Bühne gebracht werden muss (ähnlich verhält es sich mit Mozarts Le nozze di Figaro). Große Tableaus, die sich langsam aufbauen, langsam bewegen, die es womöglich zu enträtseln gilt, verlangsamen den Fortgang so sehr, dass das Stück ins Oratorienhafte abgleitet. Die großen Arien werden, so habe ich es jdenfalls hier empfunden, zu Konzertarien. Es fehlt der nötige "Drive"!


    Etwas plakativer könnte man also sagen, dass es keine gute Idde ist, Castellucci einen Don Giovanni inszenieren zu lassen, weil das Abstrakte nicht konkret und das Konkrete nicht abstrakt ist!


    Der fliegende Holländer aus Bayreuth in der aktuellen Tscherniakov-Inszenierung hat dieses Problem übrigens nicht: Sowohl Stück, als auch Inszenierung sind konkret. Hier passen nur dummerweise die jeweiligen Konkretiesierungen Wagners und Tscherniakovs nicht wirklich zusammen :/



    Schließlich noch ein paar Worte zu Teodor Currentzis und seinem Ensemble musicAeterna: Hier stören mich vor allem die m.E. doch recht oberflächlichen Kritikpunkte bzgl. Personenkult, Selbstinszenierung oder roter Schnürsenkel. Interessant ist dann tatsächlich der Vergleich mit Herbert von Karajan, wie ihn Kesting ja durchaus nicht unkritisch ins Feld führt. Auch damals gab es einen Personenkult, eine Selbstinszenierung und statt der Schnürsenkel eben schnelle Autos. Und wenn man Currentzis musikalisch seinen sehr effektvollen, aber wie ich finde auch deutlich ausdifferenzierten und sicher nicht langweiligen Don Giovanni vorwerfen will, dann bitte auch gleich die Frage beantworten, was an Karajans (von mir durchaus geschätzten) vollsymphonischem Don Giovanni (Salzburg, 1987?) denn so viel besser sein soll?

  • Lieber Michael, diese Idee mit abstrakt und konkret ist sehr erhellend und hat mir meine eigene Kritik nachträglich sehr erleichtert. Ich habe mich an der Komtur-Szene gestört, die in ihrer Abstraktion überhaupt nicht funktioniert. Don Giovanni wälzt sich nackt und mit weißer Farbe angemalt in nicht nachvollziehbaren Konvulsionen auf dem Boden, auf dem er dann irgendwie verendet. Ich habe in Düsseldorf eine Tosca gesehen, die am Schluss nicht springt, sondern vor dem Vorhang irgendwie verendet. Für mich heißt das, dass die Regisseure eine Nicht-Lösung wählen, was für einen Regisseur doch sehr fatal ist. Da hätte man besser Don Giovanni in den Bühnenhimmel hochziehen und verschwinden lassen können oder in einer Badewanne ertränken, wie es ein Regisseur bei Katja Kabanowa gemacht hat, wobei die Badewanne den Fluss symbolisiert, in den sie sich stürzt.

    Warum sind Obamas Memoiren so dick (700 S.). Damit Trump sie nicht liest.

  • [...] Ich habe mich an der Komtur-Szene gestört, die in ihrer Abstraktion überhaupt nicht funktioniert. Don Giovanni wälzt sich nackt und mit weißer Farbe angemalt in nicht nachvollziehbaren Konvulsionen auf dem Boden, auf dem er dann irgendwie verendet. Ich habe in Düsseldorf eine Tosca gesehen, die am Schluss nicht springt, sondern vor dem Vorhang irgendwie verendet. Für mich heißt das, dass die Regisseure eine Nicht-Lösung wählen, was für einen Regisseur doch sehr fatal ist. Da hätte man besser Don Giovanni in den Bühnenhimmel hochziehen und verschwinden lassen können oder in einer Badewanne ertränken, wie es ein Regisseur bei Katja Kabanowa gemacht hat, wobei die Badewanne den Fluss symbolisiert, in den sie sich stürzt.

    Ja, lieber Dr.Pingel, genauso so! - Vielleicht vollführt Don Giovanni so etwas, wie eine Reinwaschung, Weiß ist die Farbe der Unschuld! Dagegen spricht aber, dass er ja gerade nicht Abbitte seiner Sünden leistet, sondern lieber in die Hölle fährt. Vielleicht will er aber auch nur verschwinden, abhauen, sich seiner Verantwortung entziehen und sich vor dem weißen Bühnenraum unsichtbar machen? - Aber wie Du sagst, dies reicht eben nicht aus, um die Idee einer Höllenfahrt zu konkretisieren. Die Darstellung bleibt vielleicht an sich interessant, aber im Verhältnis zum Stück bedeutungslos.


    Zum von Dir beschriebenen Schluß der Tosca fällt mir Ruth Berghaus' legendäre Tristan-Inszenierung an der Hamburger Staatsoper ein:

    Schließlich Isoldes Liebestod, auf welchen das von Wagner als Handlung in drei Aufzügen bezeichnete Geschehen vom ersten Akkord an zwingend hinarbeitet. [...] Isolde tritt nun endgültig aus der Handlung und vor den Vorhang, wo sie schließlich niedersinkend den Mond umarmt. Ein Schlußbild, welches seit knapp 25 Jahren nichts an seiner Faszination und Eindrücklichkeit verloren hat.

    Wieder scheint mir der Unterschied zu sein, dass Puccinis Oper Tosca konkret ist, während Wagners Handlung Tristan und Isolde durchaus als eine Abstraktion über das Thema Liebe verstanden werden kann. Deshalb kann Isolde aus der Handlung hervortreten und diese gewissermaßen abschließend mit ihrem Liebestod kommentieren, während Tosca auf der Bühne sterben muss.

  • Diese Unterscheidung, die du da triffst (abstrakt-konkret) werde ich mir merken, denn das ist doch ein wichtiger Schlüssel zum Beurteilen einer Inszenierung.

    Im Nachhinein fällt mir eine Handlung in der Komturszene ein, die vielleicht den Todeskampf zynisch illustriert, nämlich dem Don Giovanni einen riesigen erigierten Penis umzuschnallen (im Original wäre es noch besser, aber wohl kaum zu leisten, denn der Don Giovanni muss ja schon singen und sich wälzen). Das hätte insofern gepasst, als der Zwiespalt bis in den Schluss transportiert worden wäre: das Weiß der Unschuld ist Täuschung, der Penis verrät seine wahre Einstellung. Damit wäre man dem Dilemma der Nichtlösung entgangen und hätte eine Lösung gefunden, die allerdings der Musik Mozarts nicht entspricht - oder doch?



    P.S. Der schönste Tosca-Schluss wird in einer Anekdote beschrieben - nicht wahr, aber gut erfunden - in der feindliche Kollegen der Tosca für den Sprung hinter die Bühne nicht etwa Matten hinlegen, sondern ein Trampolin, wonach sie dann mehrfach wieder auftaucht.

    Warum sind Obamas Memoiren so dick (700 S.). Damit Trump sie nicht liest.

  • P.S. Der schönste Tosca-Schluss wird in einer Anekdote beschrieben - nicht wahr, aber gut erfunden - in der feindliche Kollegen der Tosca für den Sprung hinter die Bühne nicht etwa Matten hinlegen, sondern ein Trampolin, wonach sie dann mehrfach wieder auftaucht.


    Ab ca. 36'00'' ...

  • Viele dieser egomanischen Regisseure haben es heutzutage einfach zu leicht: Statt zuerst ein Werk (auch in der Partitur!) im historischen Kontext durchzustudieren, zwingen sie es in ein je nach Geschmack und Laune erfundenes eigenes Konzept - ein möglichst reisserisches - und deren Handlung möglichst in einem anderen Jahrhundert stattfindend.

    Dies ist auch viel leichter als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem "Original". Das Publikum und die Rezensenten sperren dann staunend die Mäuler auf, weil da auf der Bühne "starke Bilder" entstehen. Aber eben: starke Bilder und dahinter bloss garnichts, Nonsense oder an den Haaren Herbeigezogenes. Oder einfach plumpe Provokation.

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  • Bin kein "Berufskollege"; habe nicht einmal einen Konservatoriums-Abschluss, nie Meisterkurse besucht und einen Assistentenposten gehabt

    Lieber Adriano,


    Du bist viel zu bescheiden! :) Vladimir Ashkenazy erzählt selber so schön, dass er eigentlich gar kein Dirigent ist, das Dirigieren auch nie gelernt hat. Sein Schwiegervater hat ihm gezeigt, wie es geht. Er wollte gar nicht dirigieren, aber die Musiker haben ihn immer wieder überredet, es zu tun, weil sie von ihm sehr angetan waren! Wenn die Musiker mit Dir nicht nur gerne, sondern sehr gerne arbeiten, ist das eine viel ehrlichere Auszeichnung als sämtliche Diplome und Abzeichen der Welt! :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

  • Man kann es halt keinem Recht machen. Unsd wenn wir alle einer Meinung wären, wäre es ja auch langweilig. Lieber Dr. Pingel die Düsseldorfer Tosca Inszenierung ist von Dietrich Hilsdorf auch ein ehemaliger Provokateur als Regisseur, seine Verdi Inszenierungen in Essen waren Kult. Mein erster Gedanke beim Tosca Schluß bei der Premiere war, daß Tosca eine Diva ist und das Publikum braucht. Also stirbt sie vor dem Publikum.

  • Der Grund, warum Castelluccis Don Giovanni-Inszenierung zumindest in meinen Augen nicht gut funktioniert, ist eigentlich der Gegensatz zwischen Abstrakt und Konkret.

    Lieber Michael,


    das ist eine der besten Kritiken, die hier seit sehr langer Zeit zu lesen ist! Sehr aufschlussreich! :hail:


    Liebe Grüße

    Holger

  • Ich habe das in Beitrag #38 auch so ausgedrückt, will es aber hier wiederholen, indem ich Holger zustimme. Dieses Kriterium ist tatsächlich trennscharf und funktioniert bestens!

    Warum sind Obamas Memoiren so dick (700 S.). Damit Trump sie nicht liest.

  • Man kann es halt keinem Recht machen. Und wenn wir alle einer Meinung wären, wäre es ja auch langweilig. Lieber Dr. Pingel, die Düsseldorfer Tosca Inszenierung ist von Dietrich Hilsdorf, auch ein ehemaliger Provokateur als Regisseur; seine Verdi-Inszenierungen in Essen waren Kult. Mein erster Gedanke beim Tosca-Schluß bei der Premiere war, daß Tosca eine Diva ist und das Publikum braucht. Also stirbt sie vor dem Publikum.

    Ja, aber wie sieht man, dass sie stirbt? Ich bleibe einfach vor dem Vorhang liegen, dann weiß jeder, sie ist tot? Jeder weiß, dass sie tot ist, weil er die Oper kennt oder weil das im Programmheft steht, aber ich muss es doch auch sehen. Der Don Giovanni ist voll von solchen Aktionen, bei denen man nicht wüsste, was sie bedeuten, stünde es nicht im Programmheft oder in der Kritik.

    Warum sind Obamas Memoiren so dick (700 S.). Damit Trump sie nicht liest.

  • Nachtrag zu Toscas und Don Giovannis Ende.

    Hans Gal beschreibt in seinem Wagner-Buch, wie dieses Problem des lautlosen Verendens schon bei Wagner ein Problem war.

    Gal: "Tragische Heldinnen älteren Stils mögen sich allenfalls in den Wahnsinn flüchten. Es ist weniger umständlich, sie einfach aus Kummer sterben zu lassen.... Nestroy hat eine Lohengrin-Parodie geschrieben... Dort lässt er Elsa mit den Worten sterben: Ich stirb von selbst, i brauch kein' Dolch."

    Warum sind Obamas Memoiren so dick (700 S.). Damit Trump sie nicht liest.