Eugène Ysaÿe: Sie sechs Sonaten für Violine Solo, Op. 27

  • Ich möchte hier eine Diskussion über die doch ziemlich berühmten Werke des belgischen Geigenvirtuosen beginnen. Ysaÿe ist nun in der Geschichte mehr als Meister seines Instrumentes und weniger als Komponist bekannt. Ich schätze diese Werke jedoch und halte sie auch kompositorisch für ausgesprochen vielfältig und interessant.


    Ich besitze sie in mehreren Interpretationen, die mir alle hin- und wieder gefallen :). Heute morgen fesselte mich die Interpretation von Tianwa Yang..



    Meine älteste Interpretation ist die von Oscar Shumsky bei Nimbus aus dem Jahre 1986


    R-8136798-1603687738-1054.jpeg.jpg



    Die verschiedenen Sonaten sollen nach Angaben von Ysaÿe den Charakter verschiedener Geigenvirtuosen repräsentieren. Mangels Kenntnisse kann ich diesen interessanten Aspekt nicht nachvollziehen.


    Auch ohne diese Kenntnisse empfinde ich die Folge der Sonaten, die Ysaÿe im wesentlichen 1923 in kürzerer Zeit skizziert hatte, als ein kleines Gefühlspanorama. Beim Hören entwickelt sich bei mir eine gewisse Sogwirkung. Man hört sich da irgendwie 'rein und kommt nicht mehr 'raus. Obwohl ich auch Zusammenstellungen mit einzelnen Auswahlen in Kombination mit anderen Stücken besitze, ist der Gesamteindruck beim Hören aller Sonaten ein völlig anderer. Mir scheinen sie in dieser Zusammenstellung mehr Gewicht zu bekommen.


    Trotzdem muss man natürlich irgendwo anfangen. Also die erste! Diese ist Joseph Szigeti zugeeignet, dessen Spiel ich nicht kenne. Wieweit also ein Vergleich der Spielweise von Szigeti mit der Kompositionsweise von Ysaÿe Gewinn bringt, müssen andere beurteilen.


    Die Geigerin Antje Weithaas hat im WDR3 2016 im Rahmen ihres Projektes Bach & Ysaÿe über dieses Stück gesprochen. Da die Verfügbarkeit dieser Sendung bis 2099 gegeben ist, biete ich den Link hier an.


    https://www1.wdr.de/radio/wdr3…ye-violin-sonate-100.html


    Von der ersten Sonate finde ich die ersten beiden Sätze Grave und Fugato mit Antje Weithaas im Netz






    Gibt es vielleicht noch andere werte Kollegen hier im Forum, die diese Musik mögen? Ich habe den Eindruck, dass sie von den Geigern sehr und von den Hörern weniger geschätzt wird :/

  • Doch, diese offenbar extrem schweren Sonaten mag ich schon auch. Ysaye scheint hier spieltechnisch Paganini erweitert und stilistisch das 20. Jahrhundert in seiner neuen Intellektualität und Emotionalität ebenso eingeläutet zu haben. Von der spezifischen Widmung des Komponisten an berühmte Namen seiner Zeit habe ich erfahren. Ich glaube, es gab mal eine zweistündige Sendung im DLF (oder im BR?), die ich gehört habe ... und vor deren Kenntnisnahme ich wohl nur wusste, dass es diese Musik gibt, aber nicht wirklich, wie sie klingt.


    Den Eindruck, dass Ysaye kaum bekannt ist außerhalb der Szene derer, die seine Sonaten interpretieren, teile ich mit Axel.


    Verblüfft hat mich alleine schon das komplexe Notenbild, als ich vor einiger Zeit mal eine yt-Datei mir zu Gemüte geführt habe.


    Im Regal befindet sich bei mir mittlerweile eine Sicht auf das Werk, die mich auch ohne einen Vergleich und ein tieferes Verständnis für die Musik überzeugt. Aber man kann ja ohne CD vergleichen; insofern auch mein Dank für das Angebot des Thread-Erstellers.


    Eugene Ysaye (1858-1931): Sonaten für Violine solo op.27 Nr.1-6, CD


    Bei der Suche nach dem Cover beim Werbepartner - der diese Einspielung nicht mehr führt -, war ich von der Vielzahl konkurrierender Einspielungen und der bunten Mischung mir geläufiger, kaum oder überhaupt nicht bekannter Namen überrascht. Siehe den letzten Satz in Axels Einleitungsbeitrag. Ja, so wird's wohl sein!


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!


  • Zunächst eine Bemerkung zum Namen Ysaÿe. Auffällig sind die beiden Punkte über dem y: ÿ


    Die Gesellschaft für deutsche Sprache schreibt:


    Die zwei Punkte über dem Ypsilon (¨) bezeichnet man als Trema. Hierbei handelt es sich um ein diakritisches Zeichen, das üblicherweise über dem zweiten von zwei aufeinanderfolgenden Vokalen steht, wenn diese getrennt ausgesprochen werden sollen.


    Im Namen Ysaÿe wird es so ausgesprochen I - sai - je


    * * * * *


    Die 6 Solosonaten Op. 27 von Eugène Ysaÿe wurden oft eingespielt. Sie sind Lieblingswerke der Geiger, wenn man die Anzahl der Einspielungen berücksichtigt. Die Labels veröffentlichen sie oft. Die gezeigten 36 Aufnahmen sind gegenwärtig beim Werbepartner erhältlich.

    Übrigens: Soweit ich ermitteln konnte, die Aufnahme von Martin Reiman (blaues Cover) ist die einzige, in der auf Darmsaiten gestrichen wird.


    Es wird erwähnt, dass sie neben Johann Sebastian Bachs 6 Partiten zu den anspruchsvollsten Werken der ganzen Violinliteratur gehören.



    astewes schreibt: Ich habe den Eindruck, dass sie von den Geigern sehr und von den Hörern weniger geschätzt wird :/


    ich stelle die Frage:

    Woran könnte es liegen, dass sie nicht mehr im Fokus der Tamino-Mitglieder liegen?














    "Um Musik zu hören, muss man seine Ohren öffnen und auf Musik warten. Zuhören ist Anstrengung; blosses Hören keine Leistung – auch eine Ente kann hören." Igor Strawinsky



  • ich stelle die Frage:

    Woran könnte es liegen, dass sie nicht mehr im Fokus der Tamino-Mitglieder liegen?

    Lieber moderato ich denke, dass da mehrere Dinge zusammenkommen. Literatur für Violine solo ist eher ein Interessensrandgebiet vieler Klassikhörer. Es bedarf schon einiger Phantasie, um die "fehlenden" Töne zu ergänzen. Hier ist sicher auch vielfaches Hören eine große Hilfe. Und wenn man dann in Stimmung ist, greifen wahrscheinlich viele aus Sicherheitsgründen lieber zu Bach. --- Da weiß man, was man hat! :)


    Für den Interpreten ist das Erarbeiten und Beherrschen dieser Musik ja ein völlig anderes Erlebnis. Da scheint die Musik - Ysaÿe selbst war ja Geigenvirtuose - noch andere Geheimnisse zu offenbaren, die für den reinen Rezipienten sicher noch einmal schwerer zu erhören sind.

  • Im Namen Ysaÿe wird es so ausgesprochen I - sai - je

    Ist das so? Dann sprechen alle Geiger, die ich kenne, es falsch aus, denn sie sagen übereinstimmend "I-sa-I".


    Woran könnte es liegen, dass sie nicht mehr im Fokus der Tamino-Mitglieder liegen?

    In meinem Fokus liegen sie durchaus, allerdings eher live als in Einspielungen. Die Ballade op. 27 Nr. 3 gehört hier an der Hochschule oder bei Wettbewerben zu den meistgespielten Stücken, aber auch die anderen sind immer wieder mal zu hören.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Hallo,


    ich höre diesen Zyklus nicht häufig aber gerne. Ich komme mit zwei Einspielungen sehr gut aus:


    Ilya Kaler (Naxos): etwas unterkühlt

    Hilary Hahn (DG): expressiv


    Die Einspielung Khachatryans interessiert mich.


    LG Siamak

  • Die zwei Punkte über dem Ypsilon (¨) bezeichnet man als Trema. Hierbei handelt es sich um ein diakritisches Zeichen, das üblicherweise über dem zweiten von zwei aufeinanderfolgenden Vokalen steht, wenn diese getrennt ausgesprochen werden sollen.


    Im Namen Ysaÿe wird es so ausgesprochen I - sai - je


    Lieber moderato Deine eigene Erklärung legt die Aussprache "I-sa-I" nahe, denn das Trema bedeutet ja, den Vokal "y" explizit auszusprechen.


    Hier kann man es hören, auch wenn die Autorität von Internetseiten sicher bestreitbar ist.:)


    https://de.howtopronounce.com/eug%C3%A8ne-ysa%C3%BFe-1

  • Die Sache ist durch die Erklärung der Trema erklärt. Wenn zwei gleichklingende Vokale nebeneinander stehen, wird es durch die beiden Punkte kenntlich gemacht. Deshalb muss der Laut durch das Aussprechen hörbar sein I-saije. Die Französin im Hörbeispiel lässt das e ausklingen. Eine Finesse, die deutsche Ohren nicht wahrnehmen. Ansonsten würde in der französischen Schreibung Ysaye genügen, ausgesprochen würde es i-sä lauten. Würde das e ausgesprochen, setzt man ein é.


    Als Spielstücke an Hochschulen oder Wettbewerben stelle ich mir vor, ist es sicherlich im Fokus. Im Forum tauchen die Werke selten auf.


    Das Französisch-Wörterbuch Larousse habe ich nicht zur Hand.

    "Um Musik zu hören, muss man seine Ohren öffnen und auf Musik warten. Zuhören ist Anstrengung; blosses Hören keine Leistung – auch eine Ente kann hören." Igor Strawinsky



  • Deine eigene Erklärung legt die Aussprache "I-sa-I" nahe, denn das Trema bedeutet ja, den Vokal "y" explizit auszusprechen.


    Zumindest die englische Aunt Wikÿe bietet auch Lautschrift:

    Zitat

    Eugène-Auguste Ysaÿe (French: [øʒɛn iza.i];

    :thumbup:

    Als Pumuckl sich zum Frühstück noch ein Bier reingeorgelt hat, war die Welt noch in Ordnung.
    (unbekannt)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Was mich betrifft, so habe ich bislang nur die Variante von ChKöhn gehört - also eher mit einem i-Laut am Ende.


    Bei moderatos beachtlichem Angebot an Cover-Bildern fehlen meine beiden Aufnahmen des Werks, die ich für durchaus gelungen erachte.


    Taj Murray habe ich unmittelbar vor moderatos verlinkten Einspielungen vorgestellt. Mittlerweile besitze ich noch die Interpretation eines bekannten deutschen österreichischen - noch mal gutgegangen! - Geigers:



    Und da ich nicht davon ausgehe, dass wir bereits alle (mehr oder minder) verfügbaren Einspielungen hier versammelt haben, kann ich nur sagen: RESPEKT !

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Lieber WolfgangZ


    Ich hatte mich auf die beim Werbepartner erhältlichen Aufnahmen beschränkt. Wenn man diejenigen berücksichtigt, die es dort auch einmal gab, wären es noch mehr. Mit der eindrücklichen Anzahl von 36 CDs wollte ich verdeutlichen, wie beliebt diese 6 Sonaten bei den Interpreten sind und dass die Labels mit der Veröffentlichung das Engagement unterstützen. Die Firmen möchten Geld verdienen und die CDs unter die Leute bringen.


    Die Zehetmair-Aufnahme hatte ich mir einst aufgrund deines Lobes besorgt. Ich finde sie auch ausserordentlich gelungen. Die Aufnahme des Labels ECM ist leider nicht mehr bei jpc erhältlich.

    "Um Musik zu hören, muss man seine Ohren öffnen und auf Musik warten. Zuhören ist Anstrengung; blosses Hören keine Leistung – auch eine Ente kann hören." Igor Strawinsky



  • Ja, werter moderato, und wie schon gesagt: Diese faszinierende Musik scheint sehr beliebt zu sein bei den Ausführenden - bei uns Konsumenten bin ich zwar nach wie vor weniger sicher, aber unbekannte Musik ist das sicher nicht mehr. Ich kenne sie vielleicht zehn Jahren vom Hinhören und vielleicht fünf vom Durchhören einer CD, habe also lange gebraucht zum Entdecken bei über fünfzig Jahren Erfahrung mit wertvoller Musik.


    Wirklich wundern tut mich das nicht. Bei durchschnittlich veranlagten Hörerinnen und Hörern kommt lange nichts, bevor Musik für Violine solo kommt, behaupte ich mal kühn. ;)


    Hier im Forum indes ist moderato der Spezialist für Unbekanntes auf einem einzigen Instrument und keineswegs primär dem Klavier oder der Orgel ... :yes:

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Ich hatte mir die Aufnahme von Hillary Hahn besorgt...



    ... und bin sehr angetan. Eine wirklich sehr eindrucksvolle Aufnahme mit einem sehr sympathischen, sehr persönlichen Klappentext von Hillary Hahn selbst. :)


    Es gibt zudem eine hier bislang nicht erwähnte klassische Aufnahme von Ruggiero Ricci, die ich noch von der LP her kenne genau mit diesem Cover von C.D. Friedrich, die sich aber nicht mehr in meiner Sammlung befindet. Ich weiß auch gar nicht, ob sie auf CD erschienen ist.


    26594850137_738227de8e_b.jpg


    Schöne Grüße

    Holger