Sinn oder Unsinn - Regietheater

  • Was willst Du damit sagen? Es gibt auch Leute, die nicht in die Oper gehen, weil sie keine Oper sehen wollen, aber um die geht's ja wohl nicht ...

    Ich wollte ein wenig die Dimension des Problems ansprechen. Natürlich kann ich mich auf das kaprizieren, was mich jetzt gerade interessieren mag.


    Das hieße dann, die Fragen zu stellen:


    1. Kämen Sie in die Oper, wenn sie wieder so inszeniert würde, dass die Handlung in der Zeit der Librettovostellung stattfände

    2. Kämen Sie in die Oper, wenn sie wieder "historisch" stattfinden würde, also streng nach den Vorstellungen des Komponisten (ich verzichte auf Präzisierung)


    Wir werden sicher welche finden ... da bin ich wirklich sicher.


    Aber hier geht man natürlich schon mit BIAS an die Abfrage. Wo bleiben die Leute, die sich für Oper interessieren würden, wenn die Inszenierungen noch moderner wären und noch radikaler von irgendwelchen historischen Vorgaben abweichen würden. Welches Vorrecht hat vergangenes Publikum vor zukünftigen?


    Ich gebe zu, dass der Rieu natürlich sehr pointiert war :)

  • https://www.handelsblatt.com/p…nd-seite-6/3658772-6.html

    >>Die Komische Oper erzielt mit 63 Prozent die geringste Auslastung unter Deutschlands großen Häusern.<<

    >>Wir könnten einige Häuser schließen oder bei allen 20 Prozent der Zuschüsse einbehalten und diese Gelder neu verteilen<<

    Danke, das ist der erste substantiellere Hinweis! Hier wären dann wirklich repräsentative Zahlen interessant.


    Bei meinem Kontext fehlen mir jetzt leider auch inhaltliche Zusammenhänge, was nun die komische Oper in Berlin anbietet. Das kann ich aber herausbekommen.


    Gibt es denn deutschlandweite Übersichten oder vielleicht länderspezifische?

  • Irgendwie bewundere ich ja das Herzblut, mit welchem sich hier auch Diskutanten einbringen, die mit der Kunstform Oper wenig anfangen können, die seit Jahrzehnten kein Opernhaus mehr von innen gesehen haben und somit zum tatsächlichen Zustand der RT-Szene zumindest aus eigenem Erleben wenig beitragen können. Das verkommt dann allerdings zu einer rein theoretischen Diskussion. Wenn dann hier wiederholt als Beispiele nicht vergleichbare Werke wie Klaviersonaten in einem Thread gebracht werden, wo es um Oper und RT geht, lese ich auch gar nicht mehr weiter. Entscheidender sollten doch die Stimmen derjenigen sein, die wegen des RTs seit langem die Opernhäuser meiden. Die fehlen in dieser ominösen Erhebung natürlich. Dass es einen sehr erheblichen Teil der Bevölkerung gibt, der so oder so in keine Oper ginge, steht gar nicht in Frage. Allein, um diese Masse geht es hier sowieso nicht.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Irgendwie bewundere ich ja das Herzblut, mit welchem sich hier auch Diskutanten einbringen, die mit der Kunstform Oper wenig anfangen können, die seit Jahrzehnten kein Opernhaus mehr von innen gesehen haben und somit zum tatsächlichen Zustand der RT-Szene zumindest aus eigenem Erleben wenig beitragen können.

    Sieh es einfach als Interesse. Ich war jetzt nicht glücklich damit, dass mir diese Form nichts mehr sagte. Vielleicht erklärt das den Aufwand


    Das verkommt dann allerdings zu einer rein theoretischen Diskussion.

    Diese Formulierung hat für mich Geschmäckle. Ich sehe ein grundlegendes Verständnis für Abhängigkeiten im Opernbetrieb nicht als überflüssig an. Erstens bin ich mir nicht sicher, ob nun alle regelmäßigen Besucher das haben. Zweitens habe ich schon mitbekommen, dass sogar vehemente Vertreter der "Librettotreue" dieses dann im Nachfragefall gar nicht kannten ...


    Klärung scheint mir immer gut zu sein!


    Entscheidender sollten doch die Stimmen derjenigen sein, die wegen des RTs seit langem die Opernhäuser meiden. Die fehlen in dieser ominösen Erhebung natürlich. Dass es einen sehr erheblichen Teil der Bevölkerung gibt, der so oder so in keine Oper ginge, steht gar nicht in Frage. Allein, um diese Masse geht es hier sowieso nicht.


    Dazu hatte ich ja schon etwas geschrieben. Die zwei Mengen, die du beschreibst, abgesehen davon, dass die zweite Menge natürlich nur sehr diffus definiert werden kann, beschreiben nicht umfänglich alle Nichtopernbesucher.

  • Schlussbemerkung: Ich bin wirklich glücklich über Tamino, dass es mir diese Diskussion hier beschert hat. Denn sie hat mich von der Illusion befreit, die ich leider Gottes viel zu lange hatte, hinter dem Regietheater stecke eine seriöse künstlerische Haltung und ein seriöses ästhetisches Konzept. Jetzt weiß ich, dass dies alles nur der reine Irrsinn ist. Regietheater ist ganz leicht zu begreifen. Man braucht nur diese einfache Erkenntnis von dem Theaterkünstler von heute und was er tut: Umschreibung des Satzes: Es gibt keine Verbindlichkeiten. Meine Unverbindlichkeit ist meine künstlerische Freiheit. Natürlich kommt beim Regietheater ab und zu auch mal etwas Sinnvolles heraus. Ein blindes Huhn findet schließlich auch mal ein Korn. ^^


    Damit ist das Thema - und natürlich auch jegliche Diskussion darüber - für mich erledigt. Eine weitere Beschäftigung damit lohnt sich für mich nicht. Es wäre reine Zeitverschwendung.


    Und deshalb noch einmal - Tschüss!!! :hello:

    Das habe ich mir ausgedruckt! Respekt! Wir sind jetzt in der mittleren Position ein paar mehr, denn auch ich erkenne Elemente von Regietheater an, wenn sie gut gemacht sind - und da gibt es einige; die will ich jetzt hier nicht wiederholen.

    Sieh es einfach als Interesse. Ich war jetzt nicht glücklich damit, dass mir diese Form nichts mehr sagte.

    Es gibt Lösungen für dieses Problem, sprich Formen der Oper, die das ändern könnte. So mit 30 war ich durch die klassischen Opern (Verdi, Puccini, die anderen italienischen Klassiker, auch Mozart, Wagner kannte ich nur stückweise, die deutsche Spieloper) ein wenig übersättigt, was nicht heißt, dass ich nicht weiter wusste, welche die Meisterwerke sind. Dann habe ich Janacek entdeckt, dazu Wozzeck, Palestrina von Pfitzner, Mathis der Maler, die tote Stadt, Aribert Reimann, Herzog Blaubarts Burg und eine Reihe von Kammeropern, die damals im Kleinen Haus in Gelsenkirchen gespielt wurden; dazu auch den fast kompletten Britten, Peter Grimes, Turn of the Screw, Gloriana, Death in Venice. Das sind Opern, die nicht nur gut komponiert sind, sondern auch dramatisch, mit packenden Geschichten, auch nicht mit einer gezwungenen Reimerei, sondern guten Libretti. Die andere Neuheit war die Renaissance und Barockoper, besonders Monteverdi, Cavalli und Händel. Dazu gibt es heute eine Fülle von richtig guten Aufnahmen, weil die Sänger und Orchestermusiker viel besser ausgebildet sind.

    Die Informationen hier im Forum sind absolut reichlich; das ist der Schatz hier, weniger die RT-Debatte.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Danke, das ist der erste substantiellere Hinweis! Hier wären dann wirklich repräsentative Zahlen interessant.

    kurzstueckmeister hat vergessen zu erwähnen, dass der von ihm verlinkte Artikel aus dem "Handelsblatt" mehr als 12 Jahre alt ist. im letzten "normalen" Jahr vor Corona (also 2019) lag die Auslastung der Komischen Oper nicht bei 63 sondern bei 87 Prozent, der Deutschen Oper bei 74,1 Prozent und der Staatsoper bei 90 Prozent. Alle drei Berliner Opernhäuser konnten damit die Werte des Vorjahres steigern. Siehe hier.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Es wäre im Prinzip einfach: Es braucht die Qual der Wahl hinsichtlich Operninszenierungen. Derzeitiger Zustand häufig aber vielmehr die Wahl der Qual.

    Lösungsvorschlag am Beispiel von Berlin: Staatsoper bringt nur noch RT-freie Inszenierungen, Komische Oper nur noch RT-Inszenierungen, Deutsche Oper Halbe-Halbe.


    Dann kann man nach fünf Jahren einmal schauen, wo es die beste Auslastung gibt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Es wäre im Prinzip einfach: Es braucht die Qual der Wahl hinsichtlich Operninszenierungen. Derzeitiger Zustand häufig aber vielmehr die Wahl der Qual.

    Lösungsvorschlag am Beispiel von Berlin: Staatsoper bringt nur noch RT-freie Inszenierungen, Komische Oper nur noch RT-Inszenierungen, Deutsche Oper Halbe-Halbe.

    Ich sehe den Vorschlag völlig neutral. Selbstverständlich hätte ich nichts dagegen., Wie auch?


    Aber es ist ein wenig am (theoretischen, aber eigentlich auch praktischen) Problem vorbeidiskutiert. Ich gäbe Dir gerne mal meine Vorschläge für das Fernsehprogramm ;)


    Niemand verlangt von Janowski, dass er in einer bestimmten Weise, die irgendwer für die richtige hält, dirigiert. Er wird nicht engagiert, damit er das macht, was irgendwer will, sondern damit er macht, was er will.


    Also noch einmal, wer engagiert jetzt Janowski und wer engagiert Konwitschny?

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  • Aber es ist ein wenig am (theoretischen, aber eigentlich auch praktischen) Problem vorbeidiskutiert. Ich gäbe Dir gerne mal meine Vorschläge für das Fernsehprogramm ;)

    Ja eh, das Problem sitzt in den Intendanzen, an den Professorenstellen der Hochschulen, in den Zeitungen. Solange dort gepredigt wird, dass alles aktualisiert werden muss, bleibt den Regisseuren auch nichts anderes übrig, die sind nämlich insofern gar nicht besonders frei.

  • kurzstueckmeister hat vergessen zu erwähnen, dass der von ihm verlinkte Artikel aus dem "Handelsblatt" mehr als 12 Jahre alt ist.

    Das habe ich erst nachher nachgeschaut. Die Umfrage ist auch schon 10 Jahre alt, insofern passt das dann zusammen.

  • Ja eh, das Problem sitzt in den Intendanzen, an den Professorenstellen der Hochschulen, in den Zeitungen. Solange dort gepredigt wird, dass alles aktualisiert werden muss, bleibt den Regisseuren auch nichts anderes übrig, die sind nämlich insofern gar nicht besonders frei.

    (Hervorhebung von mir)
    Das ist einer der ganz essentiellen Punkte bei der ganzen Misere.

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    – Luís de Camões

  • Ich sehe gerade den Spielplan der Wiener Staatsoper durch. Entgegen der Ankündigung des Ex-Ö3-Chefs, der das jetzt leitet, sind doch noch einige alte Inszenierungen da. Sein Vorgänger hatte auch 2 werktreue Neuinszenierungen gebracht, das wird's wohl so bald nicht mehr geben, aber meine Befürchtung eines raschen Kahlschlags ist nicht eingetreten.

    :yes:

    Vielleicht gehe ich dann doch mal wieder hin.

  • Ja eh, das Problem sitzt in den Intendanzen, an den Professorenstellen der Hochschulen, in den Zeitungen. Solange dort gepredigt wird, dass alles aktualisiert werden muss, bleibt den Regisseuren auch nichts anderes übrig, die sind nämlich insofern gar nicht besonders frei.

    Das hört sich ein wenig so an, als wäre es ein "Problem" der gesellschaftlichen Entwicklung, grob zusammengefasst?


    Das ist aber natürlich noch komplizierter. Hoffentlich kommt nicht die Idee auf (ich weiß es nicht, ob diese Idee wirklich aufkommt), dass da mal ein starker Mann durchgreifen sollte. Das wäre ein fürchterlicher Albtraum! Ich bin der festen Überzeugung, dass denkende Menschen keinen solchen benötigen ...


    Dann muss man sich aber schon auf demokratische Konzepte verlassen können. Natürlich muss man auch dafür sorgen, dass diese Konzepte nicht unterminiert werden...

  • Hoffentlich kommt nicht die Idee auf (ich weiß es nicht, ob diese Idee wirklich aufkommt), dass da mal ein starker Mann durchgreifen sollte.

    Ein starker Mann - gerne auch eine starke Frau - auf einem Intendantenposten würde bereits ausreichen, um hier gegenzusteuern.

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • So etwas mit "starker Mann" würde ich nie sagen. Es ist aber wohl doch so, dass die Ministerien Einfluss ausüben können, von dort kommt ja das Geld. Nur interessieren in Österreich die "konservativen Parteien" sich überhaupt nicht für Kunst und die "linken" denken wohl genau in Richtung "Modernisierung" und "antibürgerlich".


    Es muss also wohl schon eher von innen kommen, vielleicht als Überdruss an der Beliebigkeit oder auch als "postmoderne" Bereitschaft, "mal auch" das Libretto zu Wort kommen zu lassen, immerhin sind die Zeitungskritiken für teatro barocco, das Opern der Mozart-Zeit so auf die Bühne bringt, wie das damals wohl üblich war, positiv, und das schon seit etwa 10 Jahren.

  • Ein starker Mann - gerne auch eine starke Frau - auf einem Intendantenposten würde bereits ausreichen, um hier gegenzusteuern.

    Ich bin ein Freund des Konkreten ... (auch wenn ich Abstraktionen zu schätzen weiß, ich weiß aber auch um die Probleme damit)


    Welcher Intendant scheint dir zu schwach zu sein, in dem Sinne, dass er seine Geschäfte nicht regeln kann. Oder meinst Du, dass er nur eine andere Meinung als Deine hat?

  • So etwas mit "starker Mann" würde ich nie sagen. Es ist aber wohl doch so, dass die Ministerien Einfluss ausüben können, von dort kommt ja das Geld. Nur interessieren in Österreich die "konservativen Parteien" sich überhaupt nicht für Kunst und die "linken" denken wohl genau in Richtung "Modernisierung" und "antibürgerlich".

    Auch, wenn es jetzt ein wenig in die Politik abgleitet, hältst Du es für wahrscheinlich, dass ein Ministerium in die künstlerischen Entscheidungen eines Intendanten eingreift. Das würde doch Fachkenntnisse beinhalten :saint:


    Ich kann mir vorstellen (wissen tue ich nichts!), dass die nur mit einfachen Kriterien da aufschlagen, wobei die Thematik der Finanzierung wahrscheinlich der wichtigste ist ....

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  • Welcher Intendant scheint dir zu schwach zu sein, in dem Sinne, dass er seine Geschäfte nicht regeln kann.

    All jene, die dem Wildwuchs des RTs freien Lauf lassen und keine Anstalten machen, dem Einhalt zu gebieten. Anders gesagt: Der reguläre Zustand in den heutigen Intendanzen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

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    – Luís de Camões

  • Die Ministerien tun den Kulturschaffenden manchmal recht klar kund, was sie stört ...

    Dann würde das gegebenenfalls eine Einschränkung der Kunstfreiheit darstellen. Aber ohne Belege ist es einfach nur eine Behauptung.


    Es muss also wohl schon eher von innen kommen, vielleicht als Überdruss an der Beliebigkeit oder auch als "postmoderne" Bereitschaft, "mal auch" das Libretto zu Wort kommen zu lassen, immerhin sind die Zeitungskritiken für teatro barocco, das Opern der Mozart-Zeit so auf die Bühne bringt, wie das damals wohl üblich war, positiv, und das schon seit etwa 10 Jahren.

    Moden kommen und gehen. Ich hoffe seit über zwanzig Jahren auf ein schöneres Fernsehprogramm. Mein Eindruck ist, dass ich das nicht mehr erleben werde ... :P


    Mit Stärke ist dann wohl gemeint, dass er gegen den Strom schwimmen würde.

    Das ist so eine Sicht, dass es einen Strom gibt und man mit der Richtung nicht einverstanden ist. (Siehe meine Fernsehphobie mittlerweile)


    Ich frage mich aber schon ob zum Beispiel der hier wohl sehr verpöhnte Calixto Bieito ein Strömungschwimmer oder nicht eher ein außergewöhnlicher Künstler ist? Das Empörte und das Aufbrausende in den Reaktionen deuten ja eher in die letztere Richtung. Auch das Gespräch mit Francois Xavier Roth deutet in die Richtung eines außergewöhnlichen Künstlers....


    Grundsätzliche Unzufriedenheit mit Entwicklungen kann ich an vielen Stellen nachvollziehen, aber kennst Du auch die Geschichte vom Autobahnfahrer, der seine Frau anruft und sicht beschwert, dass heute ja der Verkehr ganz verrückt sei! Nur Geisterfahrer seien unterwegs!! ;)

  • Dann würde das gegebenenfalls eine Einschränkung der Kunstfreiheit darstellen. Aber ohne Belege ist es einfach nur eine Behauptung.

    Tja, ich war als Vertretung eines "Klangkörpers" auf einer Veranstaltung des zuständigen Ministeriums, das die Programmgestaltung beeinflussen wollte, es ging nicht um Finanzen und nicht um Auslastung. Da man finanziell vom Ministerium abhängig ist, war dem "Klangkörper" natürlich nicht egal, was das Ministerium wollte.

    https://www.musicaustria.at/bm…nistinnen-in-oesterreich/

  • Ich frage mich aber schon ob zum Beispiel der hier wohl sehr verpöhnte Calixto Bieito ein Strömungschwimmer oder nicht eher ein außergewöhnlicher Künstler ist? Das Empörte und das Aufbrausende in den Reaktionen deuten ja eher in die letztere Richtung.

    Natürlich ist das ein Strömungsschwimmer, das hat mit der Frage nach der Größe seiner Kunst ja nichts zu tun. Die Impressionisten waren 1870 gegen den (akademischen) Strom unterwegs und ein paar Jahrzehnte lehrte man an den Akademien so. Die regietheatralischen Gegenstromschwimmer sind schon lange tot.

  • Der Thread hat über 1500 Beiträge. Zum Thema ist wohl alles gesagt und geschrieben worden. Könnte man annehmen. Doch immer wieder werden Positionen eingenommen, verteidigt und Grenzen gezogen. Wer welchem Lager zuzuordnen ist, wird schnell klar.


    Seit 29. Dezember 2022 sind während einer Woche an die 300 Beiträge verfasst worden. Das finde ich beachtlich. Es wird diskutiert, argumentiert, wie es sich für ein Forum gehört.


    Ein Operngänger bin ich nicht, ein Feld der klassischen Musik, dem ich bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe. Ich habe einige Opern in meiner Sammlung. An die hundert CDs dürften es sein. Auch diese 33 DVD-Box der Deutschen Grammophon mit Inszenierungen aller Mozart Opern der Salzburger Festspiele ist darunter. Der Vorteil ist, dass ich die Opern hören und sehen kann.

    Ich sehe mich keinem Lager der Regietheaterbefürworter oder Gegner verpflichtet.


    Ich habe mir soeben die Oper La finta semplice KV 51 zu Gemüte geführt, das auf einem Stoff von Goldoni beruht. Mozart hat sie mit 12 Jahren komponiert. Unglaublich wie ein Kind diese Musik komponieren konnte, die von Liebe und Verstrickung handelt.


    Im Tamino Opernfphrer gibt es zwei Threads dazu:


    MOZART, Wolfgang Amadeus: LA FINTA SEMPLICE


    MOZART, Wolfgang Amadeus: LA FINTA SEMPLICE (II)



    Die Inszenierung der Ludwigsburger Festspiele wurde 2006 von den Salzburger Festspielen übernommen.

    Was ich zur Aufführung sagen kann: Sie ist Regietheater vom feinsten.


    Ein weisses Szenenbild aus vier riesigen Dreiecken, die schiefe Ebenen bilden, auf denen sich die Sänger und Sängerinnen teilweise bewegen, füllt den Bühnenraum des Residenzhofes aus.


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    Eine Frau im gelben Sporttrainer, die durch den Regisseur neu geschaffene Rolle der Auctorita, eine Mischung aus Autorin und Schauspielerin, führt das Publikum als Spielleiterin mit Erklärungen durch die Inszenierung mit zeitgemässen Texten. Das macht Sinn, denn den wenigsten Zuschauern und Zuschauerinnen werden die Handlung kennen. Die Rezitative sind im ersten Akt gestrichen, weil vom Regisseur als nicht mehr zeitgemäss empfunden. Ich fühle mich durch diesen Kunstgriff nicht gegängelt.

    Die Männer tragen weisse Anzüge im gleichen Schnitt. Die Damen weisse Kostüme. Die Personen des Werkes werden von der Regie in meiner Einschätzung vorbildlich geführt. Sie sind anfänglich durch Gesten charakterisiert und je länger die Handlung fortschreitet zeigen sie Emotionen, sie wachsen in ihre Rollen und verkörpern die Persönlichkeiten überzeugend. Als die Sängerin Rosinas Arie singt, stellt sich eine Nackte mit offenen Haaren, die ihren Körper bedecken, hinter sie. Es zeigt die Verletzlichkeit dieser oberflächlich angelegten Rolle und wirkt in keinem Moment peinlich.

    Die Farbe Rot erhält im Laufe der Handlung eine wichtige Bedeutung. Es wird klar, dass sie die Liebe symbolisiert. Einem Sänger wird auf den entblössten Rücken ein rotes Herz gemalt. Die Verstrickungen werden durch das Rot verdeutlicht. Roter Gürtel, rote Armbanduhr, rote Schuhe und Stiefel, rote Handschuhe, rote T-Shirts, unter den weissen Jacken, rote Farbe wird auf einen Anzug geschmiert.

    Am Schluss sind vier Paare, samt die Auctorita, die zusammenkommen sollen, vereint.


    Ich wurde 130 Minuten bestens unterhalten.


    Als RT Gegner kann man bemängeln:

    1. Es wurde eine neue Rolle hinzugefügt.
    2. Die Kommentare gängeln den Zuschauer.
    3. Die Rezitative sind stark gekürzt.
    4. Eine Nackte tritt auf.
    5. Das Bühnenbild entspricht nicht den Vorgaben.
    6. Die Kostüme sind nicht der Zeit entsprechend.
    7. Die Farbe Rot erhält zu viel Gewicht.
    8. Die Regieeinfälle sind Mätzchen und dem Stoff nicht gerecht werdend.
    9. Pollidoro mit Auctorita zu verkuppeln steht nicht im Libretto.


    Ich sehe kein Zusammenkommen der Meinungen, wenn man als RT Gegner auf der Werktreue beharrt oder als Anhänger des RT die Eingriffe in das verwendete Libretto und die Musik des Komponisten in jedem Fall befürwortet.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Tja, ich war als Vertretung eines "Klangkörpers" auf einer Veranstaltung des zuständigen Ministeriums, das die Programmgestaltung beeinflussen wollte, es ging nicht um Finanzen und nicht um Auslastung. Da man finanziell vom Ministerium abhängig ist, war dem "Klangkörper" natürlich nicht egal, was das Ministerium wollte.

    https://www.musicaustria.at/bm…nistinnen-in-oesterreich/

    Hier hast Du recht. Das politische Ziel, Frauen gerechter am Musikbetrieb zu beteiligen, ist ein Eingriff in Entscheidungsfreiheiten der Intendanz, so will es scheinen ...


    Das ist aber nun ein erklärtes politsches Ziel einer demokratisch gewählten Regierung. Wieweit gehen denn da die Eingriffe? Ich kenne aus der Wirtschaft immer nur den Satz "bei gleicher Eignung ist ...". Das Problem im Hintergrund, gegen das vorgegangen werden soll ist aber die Vermutung, dass eben gerade häufig nicht künstlerische Eignung, sondern das Geschlecht eine Rolle bei Entscheidungen spielt. Es ist natürlich auch ein transparentes Kriterium.


    Gibt es solche Vorgaben für Operninszenierungen?


    Natürlich ist das ein Strömungsschwimmer, das hat mit der Frage nach der Größe seiner Kunst ja nichts zu tun. Die Impressionisten waren 1870 gegen den (akademischen) Strom unterwegs und ein paar Jahrzehnte lehrte man an den Akademien so. Die regietheatralischen Gegenstromschwimmer sind schon lange tot.

    Strömungsschwimmer haben die Eigenschaft, nicht aufzufallen im Strom. Das gäbe bestenfalls mediokre Kost und wenig Grund anzuecken .... so zumindest meine bisherigen Erfahrungen ...

  • Genießt der Intendant "Kunstfreiheit"?:/

    Ich bin hier auf verlorenem Terrain und würde mich über wirkliche Fachkenntnis freuen.


    Wenn er künstlerische Entscheidungen zu treffen hätte, wäre es doch so. Es ist natürlich eine Frage, wie man die Bestallung eines Regisseurs bewertet oder die Aufnahme einer Oper in ein Programm ...

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