Erich Wolfgang Korngold - Die Tote Stadt, Musiktheater Linz - 24.09.2022
Musikalische Leitung - Markus Poschner
Inszenierung - Andreas Baesler
Paul - Andreas Hermann
Marietta/Mariens - Erica Eloff
Frank - Martin Achrainer
Brigitta - Manuela Leonhartsberger
Gestern stand in Linz mit der Premiere Korngolds "Toter Stadt" mein erstes Highlight der heurigen Opernsaison auf dem Spielplan. Zwei Punkte Vorweg: die Oper genießt bei mir aufgrund der Thematik der Trauerbewältigung einen Sonderstatus und sie zählt zu meinen Lieblingswerken, vermutlich bin ich deshalb was die Inszenierung betrifft nicht unvoreingenommen. Ich kannte die Oper bisher nur vom Band und hatte sie bis gestern weder live noch in bewegten Bildern erlebt. Bis vor ein paar Wochen hätte ich den Mitschnitt aus Frankfurt 2009 mit Klaus Florian Vogt vor Leinsdorf mit Kollo als Paul bezeichnet. Die heuer neu erschienene Aufnahme unter Mirko Franck mit Vogt und Nylund als Paul bzw. Marie/Marietta gefällt mir allerdings noch besser.
Beginnen wir mit den Highlights - Markus Poschner und sein Bruckner Orchester sind eine Einheit, platt formuliert aber man muss es so nennen. Trotz musikalischer Opulenz des Werks folgt das große Orchester seinem Dirigenten auf Schritt und Tritt. Poschner bewies ein weiteres Mal sein großes Gespür für emotionale Momente, versteht es, sie auszureizen - ich möchte diesbezüglich ein weiteres Mal auf das Ableben Tristans in Bayreuth heuer verweisen, nie schied dieser berührender aus der Welt. Vergleichbare Momente gab es musikalisch auch gestern und sie entfalteten bestimmt ihre Wirkung, wäre da nicht die Regie, die der Oper mit all ihren verfügbaren Mitteln eine neue Handlung verpassen wollte.
Andreas Hermann als Paul hatte seine Momente, präsentierte sich stimmlich etwas eng und verausgabte sich über die ersten beide Akte leicht, sodass er gegen Ende leicht angeschlagen wirkte.
Erica Eloff überzeugt mich vor allem mit ihren Arien - Dialoge sind weniger ihre Stärke. So war es dann auch gestern. Ich bin mir nicht sicher, ob die Rolle mit ihr optimal besetzt ist. Vermutlich liegt ihr die Violetta Valery mehr als die Marietta.
Martin Achrainer gab einen stimmlich soliden Frank ohne großer Spiellaune.
Zur Inszenierung - diese orientiert sich eingangs verblüffend nah am Inhalt der Oper. Das ändert sich jedoch mit dem Ende des zweiten Bildes wo plötzlich ein blutrotes "M" an der Wand erscheint - außerdem tauchen zwei Klosterschwestern in einem Kontrollraum über der Bühne auf.
Andreas Baesler war Korngolds Oper über Liebe und Trauerbewältigung wohl zu langweilig. Grund genug um das gefühlvolle Stück mit seinem sensiblen Inhalt in einen Hitchcock-Thriller zu verwandeln. Während Paul im eigentlichen Inhalt der Oper in Akt II und III träumt bzw. aus seinem Traum erwacht, wird er in der linzer Aufführung unter der Hilfe Mariettas des Mordes an Marie überführt. Maries Haarsträhne wird zur Tatwaffe, die das ganze Stück über auf der Bühne zu sehen ist. Wenn Paul im Original also die Kirche des Gewesenen und Brügge verlässt, schreitet er hier ins Gefängnis bzw. in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (deshalb auch die Nonnen im Kontrollraum) - das blutige "M" aus Akt II verwandelt sich gegen Ende in das Wort "Mörder" daneben tauchen immer wieder psychedelische Hitchcock-Sequenzen auf. Das alles mag bei Besuchern, die die eigentliche Handlung des Stückes nicht kennen und keinen Wert auf den Text legen für Unterhaltung und Spannung samt "Aha-Moment" sorgen. Letztendlich stellt Baeslers Inszenierung aber einen weiteren platten Versuch dar, ein stimmiges Stück mit interessantem und wichtigem Inhalt in eine neue Handlung zu zwängen. Das ursprüngliche Werk mit seiner Bedeutung legt jedenfalls mehr Gewicht an den Tag als Baeslers Tote Stadt aka Vertigo.