Kunstfreiheit oder Pressefreiheit - oder beides?

  • Der Intendant des Wiesbadener Staatstheaters, Uwe Eric Laufenberg, sorgt (mal wieder) für Schlagzeilen. Diesmal mit einem "Leseabend", bei dem Texte eines Journalisten des "Wiesbadener Kuriers" vorgelesen werden sollen.

    Da der Journalist Milch heißt, hat sich Laufenberg für die Veranstaltung den Titel "Latte - Korrespondenz mit einem Redakteur" ausgedacht. Das soll so eine Art Wortspiel darstellen, Latte = italienisch für Milch. Der Journalist soll ausgewählte Artikel und Mails, die er an das Staatstheater schickte, vorlesen. Sollte es dazu nicht kommen, werde ein "namhafter Schauspieler" das Vorlesen besorgen.

    Was das Ganze soll, wird nicht ganz klar. In der Ankündigung der Veranstaltung, die für den 12. März 2024 geplant ist, heißt es unter anderem: "Dieser Abend wird ... die Thematik der freien Presse in einer freien Gesellschaft behandeln." Und weiter: "Pressefreiheit und Kunstfreiheit sind ein (sic!) hohes Gut aller westlichen Demokratien. Die Krise unserer westlichen Wertegemeinschaft bildet sich auch um Zwiespalt dieser beiden Freiheiten ab. Der Missbrauch von Freiheit führt zur Schwächung unserer Kultur, unseres Lebens und unserer Gesellschaft."

    Auch wenn dies einigermaßen unklar daherkommt, alarmierte die Ankündigung unter anderem Medien wie FAZ ("Wenn ein Intendant die Presse angreift") und SPIEGEL ("Ein Intendant dreht frei"), die sich jeweils (hinter den Bezahlschranken) des Themas annahmen. Der Journalist Axel Brüggemann schilderte in seinem jüngsten Podcast ("Alles klar, Klassik?"), dass das hessische Kultusministerium ihm auf Nachfrage mitgeteilt habe, dass man die Ankündigung mit "größter Sorge" verfolge. Die Hessenschau berichtet ebenfalls, in einem frei lesbaren Beitrag, "Stadt Wiesbaden und Land pfeifen Intendanten des Staatstheaters zurück" (wobei der Umfang des "Zurückpfeifens" mir nicht ganz klar wird, untersagt wird die Veranstaltung offenbar nicht, es wird nur "Augenmaß" verlangt).

    Nun ist Laufenberg offenbar bekannt (berüchtigt) dafür, auf Kritik grundsätzlich dünnhäutig zu reagieren. So liegt nahe, dass der Abend einer Art Abrechnung dienen soll. Laufenberg sagt dazu laut "Hessenschau" Folgendes: "Dass Kunst mit Mitteln der Kritik und des Journalismus beleuchtet wird, ist ein uns täglich vertrauter Vorgang. Wir widmen uns nun der Idee, auch einmal Kritik und Journalismus mit den Mitteln der Kunst zu beleuchten."


    Der Journalistenverband stellt den Zusammenhang mit der Hundekot-Attacke des ehemaligen hannoverschen Ballettdirektors Marco Goerke auf eine Kritikerin her. Inwieweit der Vorgang auch noch die Gerichte beschäftigen könnte, ist nicht abzusehen. Das Vorlesen der Artikel wird wohl weniger problematisch sein, das Vorlesen privater Mails dagegen schon.


    Meinungen?

    "Jein".

    Fettes Brot

  • "Pressefreiheit und Kunstfreiheit sind ein (sic!) hohes Gut aller westlichen Demokratien. Die Krise unserer westlichen Wertegemeinschaft bildet sich auch um Zwiespalt dieser beiden Freiheiten ab. Der Missbrauch von Freiheit führt zur Schwächung unserer Kultur, unseres Lebens und unserer Gesellschaft."

    Quer durch die Jahrhunderte gab es weder das eine- noch das andere

    Der Künstler arbeitete - wenn er nicht verhungern wollte - oder von Haus aus reich war - stets im Auftrag eines adeligen, wenn nicht königlichen oder kaiserlichen Dienstgebers. Dier hatten in de Regel gewisse Vorstellungen, wie ein Kunstwerk auszusehen, zu funktioniern oder zu klingen habe. Interessanterweise, wussten das die Künstler (es gab natürlich auch Aussenseiter und Querulanten) ebenso, und sie bemühten sich den Vorstllungen ihrer Dienstherren zu ensprechen, die nur in Ausnahmefällen verbal oder schriftlich fixiert werden mussten um durchgesetzt zu werden.

    Man sehe hier den Konflikt Mozarts mit dem Erzbischof Hieronymus von Colloredo den Aufforderungen des Fürsten Esterhazy an Haydn, mehr Werke für sein Lieblingsinstrument , Baryton , zu kommponieren einer Bitte - die ein Befehl war - der Haydn - wie wir sehen können - pflichtschuldigst nachkam. Später gab es dann die staatliche Zensur, die einerseits politische Aussagen, anderseit Andeutungen "Sexuellen Fehlverhaltens" aus Werken strich, oder deren Aufführung generell unterband.


    Pressefreiheit - sie wird gelegentlich ausgenützt um "das Volk" zu manipulieren - und sie stell in Wahrheit eine art Meinungsdiktatur dar. Man darf heute als "Normalbürger" offen seine Meinung sagen - ja man SOLL es sogar tun - SOLANGE sich diese Meinung im Einklang mit der (künstlich manipulierten) "Öffentlichen Meinung" befindet. Stichwort EU oder Fremdenfeindlichkeit etc.

    Man liest immer wieder, daß "Volksverhetzung" verboten oder strafbar sei. Diesen Tatbestand kann es in einer sogenannten "Demokratie" eigentlich gar nicht geben. Und deshalb leben wir ja -sicherheitshalber - in einer Scheindemokratie - von mir "Demokratur" getauft.

    Eine ABSOUTE PRESSEFREIHEIT würde den Journalisten große Macht verschaffen - etwas, das natürlich nicht im Interesse der Mächtigen sein kann, die in unseren Zeit ohnedies bemerken, daß ihre Macht nur auf tönernen Füßen steht - und entsprechend nervös agieren

    Gleich am Schluß eine Grundsatzerklärung: Ich bin völlig neutral - mir sind weder die einen noch die anderen sympathisch - ich analysiere lediglich Zustände ohne wirklich persönlichen Anteil zu nehmen -allenfalls mit einem ironischen Zug in den Mundwinkeln......:hahahaha:


    mfg

    aus Wien

    Alfred


    EDIT: Ich sehe soeben - Karl ist mir zuvorgekommen - und hat in einem Satz das gesagt, wozu ich einen ganzen Beitrag gebraucht habe.......


    „So oft du an der Unverschämtheit jemandes Anstoß nimmst, frage dich sogleich: Ist es auch möglich, daß es in der Welt keine unverschämten Leute gibt? Das ist nicht möglich. Verlange also nicht das Unmögliche.“ (Kaiser Marcus Aurelius 121-180 n. Chr)


  • Laufenberg sagt dazu laut "Hessenschau" Folgendes: "Dass Kunst mit Mitteln der Kritik und des Journalismus beleuchtet wird, ist ein uns täglich vertrauter Vorgang. Wir widmen uns nun der Idee, auch einmal Kritik und Journalismus mit den Mitteln der Kunst zu beleuchten."

    Möglicherweise erliegt Herr Laufenberg hier aber auch einem Irrtum, denn dass man mit einem Hammer einen Nagel einschlagen kann, hat nicht notwendig zur Folge, dass man mit einem Nagel etwas sinnvolles in Bezug auf den Hammer anstellen kann ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Das aktuelle Drama um die documenta macht nach meiner Beaobachtung sehr deutlich, dass die Presse- und Kunstfreiheit am Ende vielleicht doch nur eine Chimäre ist - positiv gesehen aber wenigstens ein ewiges Ziel, das nie zu erreichen sein wird, da von weltweiten politischen Entwicklungen und Bewegungen bestimmt und abhängig. Für mich wäre das so schlimm nicht. Gefordert sind jetzt scharfer Geist und Erfindungsreichtum. Seit jeher haben Künstler mehr oder weniger erfolgreich versucht, Grenzen und Verbote zu überschreiten. Das gehört zur Kunst. Ich habe meine berechtigten Zweifel, ob in Freiheit und Wohlstand überhaupt bedeutende Kunst entstehen kann.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Um die Ausgangsfrage zu beantworten: beides!


    Nun ist Laufenberg offenbar bekannt (berüchtigt) dafür, auf Kritik grundsätzlich dünnhäutig zu reagieren.


    Echt? Wird er sich also daran stören, wenn ich hier schreibe, dass seine Bayreuther "Parsifal"-Inszenierung ein mieses, stümperhaftes Machwerk war? :)


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Seit jeher haben Künstler mehr oder weniger erfolgreich versucht, Grenzen und Verbote zu überschreiten. Das gehört zur Kunst. Ich habe meine berechtigten Zweifel, ob in Freiheit und Wohlstand überhaupt bedeutende Kunst entstehen kann.

    Kommt halt drauf an, was man unter einem "Verbot" und was unter "Freiheit" versteht. Die meiste bedeutende Kunst verstößt gegen keine Verbote. Ich glaube, diese Vorstellung kommt noch aus einem heroisierenden Künstlerverständnis.


    Also: Wenn das "Verbot" irgendeine kompositionstechnische Regel ist, deren Verletzung nur dazu führt, dass irgendein Kritiker einen Verriss publiziert, dann ist das nicht das, was mit "Kunstfreiheit" gemeint ist.

  • Meist sind es "Möchtegern-Künstler", die Verbote - auch solche die gar nicht festgeschrieben wurden - zu brechen.

    Ich meine damit, sie wollen provozieren - und stellen die Provokation als "Kunst" dar

    Die meiste bedeutende Kunst verstößt gegen keine Verbote

    Wie wahr.

    Es gab zwar immer wieder "unbequeme " Künstler. Aber heut meinen manche, wenn sie nur unbequem seien und provozierten fielen sie schon in die Kategorie "Künstler"

    Und der Schund den sie teilweise produzieren, fiele dann unter die "künsterische Freiheit" und sie wären somit unantastber.

    Ich glaube nicht an die "künstlerische Freiheit", das ist eine Erfindung jüngerer Zeit - und zwar von jenen erfunden und behauptet, die Nutze daraus ziehen -

    geduldet von ahnungslosen Politikern, von der desinteressierten Bevölkerung, und ertragen von jenen, die da meinen, es sei sowieso sinnlos gegen dieses Netzwerk von Typen vorzugehen, die einander bejubeln und sich auf diese Weise schützen. Und so machen sie -ungehindert - was sie wollen - unter dem Deckmantel der Kunst....


    mfg aus Wien

    Alfred


    „So oft du an der Unverschämtheit jemandes Anstoß nimmst, frage dich sogleich: Ist es auch möglich, daß es in der Welt keine unverschämten Leute gibt? Das ist nicht möglich. Verlange also nicht das Unmögliche.“ (Kaiser Marcus Aurelius 121-180 n. Chr)


  • Kunst, die in einem freien Land gegen Verbote von außen (keine internen 'Regeln' wie Tonsatz oder Perspektive) verstößt, gibt es in der Tat kaum.


    Wir haben die Grenzen der Kunstfreiheit dennoch in unserer Demokratie in den letzten Jahren mehrfach erlebt bzw. diskutiert. Man denke an den Ideomeneo der Deutschen Oper Berlin, dessen Inszenierung von Hans Neuenfels u.a. den abgeschlagenen Kopf des Propheten Mohammed zeigte. Die Empörung in der islamischen Welt war riesig. Verboten war das nicht, aber man hat verschiedene Abwägungen treffen müssen: Kunstfreiheit vs. Verletzung religiöser Gefühle bis hin zu den Folgen, wie die (angebliche) Gefahr einzelner Terroranschläge. Das Ganze endete dann ja mit einer Art Selbst-Verbot, in dem die Wiederaufnahme der Inszenierung abgesagt wurde. Die Proteste der Buddhisten und Christen waren leiser, aber auch vorhanden (auch Buddha und Jesus wurden geköpft). In der aufgeheizten Debatte damals wurde vieles vermischt. Kunstfreiheit mit Geschmack, Religiöse Gefühle mit Extremismus etc. Aber es war ein Punkt, an dem öffentlich und in großen Teilen der Gesellschaft gefragt wurde: Was darf Kunst?


    Ähnliche (vermeintliche) Grenzen der Kunstfreiheit wurden bei der letzten Documenta 2022 diskutiert. Die Werke und Leitung der Gruppierung ruangrupa wurde kritisiert, mindestens ein Bild mit eindeutig antisemitischem Inhalt wurde gezeigt. Hier war das Ergebnis: Kunst darf nicht antisemitisch sein und weiter gedacht nicht rassistisch etc.


    Kunst hat im Laufe der Jahre natürlich immer mal Grenzen angetastet, übertreten und verschoben. Manchmal als einziges mögliches Ausdrucksmittel. In einem modernen, freien Land hat sie diese Funktion natürlich verloren. Kunstfreiheit ist in einem freiheitlichen Klima leicht zu gewährleisten. Wird es aber in irgendeine Richtung unfrei, so wird schnell auch die Kunst unfrei.

    In den beiden genannten Fällen gibt es gute Gründe für öffentliche Debatten. Ob die Absetzung der Werke die einzige mögliche Lösung ist, kann bezweifelt werden. Aber an diesen Extrempunkten stellt sich schon noch die Frage: Was darf Kunst und was auch nicht? Darf sie alles? Und dann stellt sich dem einzelnen Künstler noch die Folgefrage: Soll sie alles?

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

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  • Das Witzige am vorliegenden Fall ist ja, dass offenkundig die eine gegen die andere Freiheit ausgespielt werden soll. Denn es dürfte keinen Zweifel daran geben, dass das "Latte"-Projekt der Disziplinierung eines Kritikers gelten soll. Schließlich lautet das Thema ja "die freie Presse in der freien Gesellschaft".

    "Der Missbrauch von Freiheit führt zur Schwächung unserer Kultur, unseres Lebens und unserer Gesellschaft." Hiermit dürfte Laufenberg den Missbrauch der Pressefreiheit meinen. Kritik also als Missbrauch eines Freiheitsrechts (zum Schaden anderer - hier der Kultur, genauer: der Kulturschaffenden, in Besonderheit: Uwe Eric Laufenberg). Weil die Presse kritisieren darf, schadet sie der Kultur.

    Es ist erstaunlich, wie man heutzutage mit Grundrechten hantiert. Der Kerngedanke ist dabei: ICH (zwingend großgeschrieben).

    Was mir nicht passt, ist schlecht, oder existiert einfach nicht. Meine Meinung ist richtig. Andere Meinungen akzeptiere ich nur, soweit sie sich mit meiner decken.

    Ich befürchte, dass uns die Corona-Zeit da insgesamt nicht gut getan hat. Ein vielfach unterschwelliges Misstrauen gegenüber dem Staat wird explizit. Der Staat, das bin nicht mehr ich, das ist der oder das andere - und eigentlich ein Feind, der mir Böses will. Glücklicherweise gilt das nicht für die Mehrheit, aber doch für manche, und um die tut es mir leid.

    "Jein".

    Fettes Brot