Liebe Chopinisten,
Chopins Mazurken sind klein, grazil und zumeist sehr kurz. Wohl deswegen stehen sie ein wenig im Schatten der größeren (Balladen, Scherzi) oder populäreren (Nocturnes, Walzer, Préludes) Schöpfungen des polnisch-französischen Klavier-Poeten.
Schade, denn diese mal beschwingten mal elegischen, harmonisch überaus subtilen Stücklein im 3/4- oder 3/8-Takt sind für mich das allerköstlichste aus der Chopin'schen Feder!
In keiner anderen Gattung Chopins muss der Pianist ein ähnlich verfeinertes Rhythmusgefühl vorweisen können. Die Mazurka lebt und atmet durch ein feinfühlig dosiertes Rubato. Diese Kunst beherrschen nicht eben viele Pianisten...
Zu Schulzeiten hatten wir ein Austauschprogramm mit einem Warschauer Gymnasium. Mein Austauschschüler brachte mir als Gastgeschenk stilecht eine Platte mit historischen Aufnahmen einstiger Mazurkapreisträger des Warschauer Chopin-Wettbewerbs mit. (Offenbar wird dort die Bedeutung der Mazurken für die Chopin'sche Kunst richtig eingeschätzt, sonst gäbe es diesen Sonderpreis für die beste Mazurka-Interpretation wohl nicht...) Diese wunderschöne Platte ist mir leider abhanden gekommen. Die Namen vieler Preisträger, vor allem früherer Wettbewerbe, sind leider längst in Vergessenheit geraten. Schade, denn es gibt von diesen ehemaligen "Stars" Mazurka-Interpretationen, von denen sich die meisten der heutigen Pianisten eine dicke Scheibe abschneiden könnten. Mir scheint, als sei die Fähigkeit, flexibel aber geschmackvoll mit Zeitmaß und Rhythmus umzugehen, im "golden Age" des Klavierspiels deutlich ausgeprägter gewesen. In alten Mazurka-Einspielungen hört man ein unglaublich feinfühliges Rubato - der musikalische Fluss scheint nur um einen winzigen Hauch aus dem Metrum gerückt - gerade um die Idee, die es braucht, um diese hauchzarte Andeutung eines "Stolperns" zu erzeugen...
Mir fällt als Meister eines subtilen Rubatos ad hoc Ivan Moravec ein - dagegen erscheint mir selbst ein Artur Rubinstein grob in seinen "Verzögerungs- und Beschleunigungstaktiken". Ein geniales (aber auch extremes) Rubato beherrschte übrigens auch Shura Cherkassky, der Augenblickspianist schlechthin.
Wem auch immer die Krone des Mazurka-Spiels gebührt: Mazurken leben erst, wenn sie nicht ein Metronom, sondern ein empfindender (und niemals maschinenhaft gleichförmiger) Herzschlag vorantreibt.
Welche Mazuken liebt ihr?
Welche Interpreten haben perfekte Mazurka-Interpretationen vorgelegt? Stehen die Mazurken größeren Chopin-Schöpfungen in ihrem Anspruch nach?
Mich würde interessieren, ob die Chopin-Mazurken für euch ähnliche Delikatessen sind, wie für mich.
Schöne Grüße
Daniel