Auf der Suche nach der inneren Wirklichkeit - Allan Pettersson

  • [zitat]Zitat Antracis:
    Hört und spielt mehr Pettersson![/zitat]
    Schließe mich dem Appell gern an, Pettersson gehört zu meinen Favoriten: Deine Hör-Erfahrung zur Sechsten trifft sich gut mit meinen eigenen Eindrücken.


    1994/95 gab es übrigens einen groß angelegten Versuch, Pettersson in Deutschland bekanntzumachen; mit Unterstützung des Kultusministeriums NRW und des WDR gab es 63 Pettersson-Konzerte in 27 Städten zwischen Aachen und Detmold! - leider blieb das im deutschen Konzertleben bis heute fast ohne Folgen. Warum eigentlich?

  • Zitat

    Edwin Baumgartner
    Q: "womit anfangen?"
    ... meiner Meinung nach die 7. Symphonie: Sie enthält alle Stilmerkmale, ist aber nicht ganz so schroff wie die anderen. Es gibt sogar eine Art Melodie-Thema, das wirklich im Ohr bleibt.


    Eine Riesenentdeckung, dieser Komponist. Danke!
    Läuft bei mir nonstop, v.a. die siebte ist ein grandioses Meisterwerk!



    Ist die Gesamtaufnahme der Sinfonien (v.a. wegen der verschiedenen Dirigenten) zu empfehlen?



    :hello:

  • Hallo, Flotan!


    Ich besitze nicht die cpo-Gesamtaufnahme, aber nur weil es sich jetzt finanziell für mich nicht mehr lohnt.


    Es fehlt mir nur noch eine Handvoll der Sinfonien; meine Einspielungen sind überwiegend aus der cpo-Serie, zum Teil auch von BIS.


    Wenn Du Dich einmal mit der siebten Sinfonie angefreundet hast, steht dem weiteren Kennenlernen nichts mehr im Wege, der Gesamtaufnahme wohl auch nicht.


    Da berührend attraktiv in ihrer epischen und weltschmerzlichen Breite, dabei im Ganzen noch nicht geprägt von der Aggressivität der späteren Werke, würde ich Dir als nächtes die Nummern 6 und 8 empfehlen, dann aber 10 und 11, denn diese Sinfonien sind nur halbstündig. Insbesondere die 10. beginnt ostinatohaft aggressiv, findet aber gegen Ende zu einer beinahe barocken Innerlichkeit.


    Ansonsten kenne ich noch die Nummern 3, 5, 9, 14 und 15, sowie das Violakonzert. Von daher habe ich noch manches zu entdecken; die Erwartungshaltung ist längst eine unmissverständliche ... :D


    In diesem Thread wirst Du bereits mancherlei erfahren können.


    Besten Gruß! Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • [zitat]Zitat Flotan:
    Ist die Gesamtaufnahme der Sinfonien (v.a. wegen der verschiedenen Dirigenten) zu empfehlen?[/zitat]
    Ja, ich finde die Edition sehr verdienstvoll und eine Entdeckungsreise wert! Allerdings habe ich inzwischen zu einzelnen Symphonien sehr schöne Alternativen mit Interpreten, die sich schon zu Lebzeiten des Komponisten (+1980) für sein Werk eingesetzt hatten, kennen und schätzen gelernt:


    Beeindruckend finde ich, wie Sergiu Comissiona (mit den Stockholmer Philharmonikern) 1981 die 14. Symphonie anging, der CPO-Einspielung mit Johan M. Arnell (RSO Berlin) m. E. überlegen an Wärme und Eindringlichkeit:


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    Oder seine Live-Aufnahme der 7. Symphonie (1990, mit dem Schwedischen Radio-Symphonie-Orchester, gekoppelt mit Mozart: Fagottkonzert KV 191):



    Eine meiner Lieblingsaufnahmen ist übrigens eine Aufnahme der 2. Symphonie mit Stig Westerberg, der ebenfalls mit dem Schwedischen RSO bereits 1966 den noch experimentierfreudigen Pettersson zeigt (damals offensichtlich noch nicht unter dem Leidensdruck stehend, wie es ja dann kennzeichnend wurde) - Petterssons erste vollendete Symphonie (die Erste blieb Fragment), einsätzig über 41 Minuten. Die CD enthält außerdem einen Satz aus einem anderen Frühwerk: "Mesto" aus dem 3. Konzert für Streichorchester. Die Zweite mit Westerberg fasziniert mich mehr als die mit Alun Francis, der bei CPO mehrfach vertreten ist und mit dem ich nicht immer warm werde.


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    Ansonsten stimme ich Wolfgang zu:
    [zitat]Zitat WolfgangZ:
    ... würde ich Dir als nächtes die Nummern 6 und 8 empfehlen, dann aber 10 und 11, denn diese Sinfonien sind nur halbstündig. Insbesondere die 10. beginnt ostinatohaft aggressiv, findet aber gegen Ende zu einer beinahe barocken Innerlichkeit.[/zitat]

  • Hallo zusammen,


    hier herrscht ja eine einhellige Petterson-Begeisterung. Bislang habe ich noch keine Musik von ihm gehört. Wahrscheinlich werde ich mir mal etwas aus der Bibliothek ausleihen müssen.
    Sehr unangenehm, ja geradezu gruselig mutet für mich allerdings das von Gurnemanz zitierte längere Statement an. Man sollte einen Komponisten sicherlich nicht nach dem beurteilen, was er so sagt, sondern nach dem, was er in seiner Musik macht. Aber dieses Zitat ist doch platteste Intellektuellen-Feindlichkeit, gepaart mit dem Wunsch sich im Leiden der Welt zu suhlen, ohne mal über Gründe für dieses Leiden nachzudenken. Stattdessen wird einem Innerlichkeit als Antwort angeboten, auf dass das Leiden, in dem man sich suhlen kann, nie aufhöre.
    Die Biographie habe ich mal übersprungen. Jean Paul, weiß Gott kein affirmativer Lustikus, meinte in seinen "Flegeljahren", dass ein Künstler Trauriges wie Fröhliches ganz unabhängig von seinem werten Befinden darzustellen vermöge. Daher provokativ gefragt: Was vermag Petterson, egal wie gut es ihm selber ging oder geht?


    Entschuldigung, aber das musste ich mal loswerden.


    Viele Grüße


    :hello:

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  • Hallo.


    Immer wieder interessant, wie unterschiedlich man doch Texte auffassen kann. Anders als Du, Kontrapunkt, habe ich den von Gurnemanz freundlicherweise eingestellten Text von Pettersson völlig anders aufgefasst. Für mich ist das kein "Suhlen im Leid", zumal keines, bei dem man nicht über die Gründe des selben nachdenken würde.
    Ich empfinde das eher als ein (Ver-) Zweifeln an einer Welt, welche ungerecht, welche letztlich menschenfeindlich ist - durch den Menschen selbst (hier: durch die Snobs, die Aasgeier). Wenn man diese Weltsicht hat, wie soll man da nicht (ver-) zweifeln? Und wenn "die Intellektuellen" dies nicht sehen (wollen) und nicht ändern (wollen), so muss er sich aus seiner Haltung heraus doch darüber aufregen - dass der Mensch es so weit hat kommen lassen, dass auf der einen Seite materielle Not bis zum Tode herrscht und auf der anderen Seite eine Kunst ausgeübt wird, die sich diesen wahrhaft existenziellen Themen nicht widmet.
    Diese Sicht wird gewiss auch zeitbeeinflusst gewesen sein, aber im Kern kann man sie als Philanthrop wohl nicht abtun. Wenn man dann noch überlegt, dass Pettersson ja nicht unproduktiv war, so kann meines Erachtens noch weniger von einem passivischen Suhlen im Leid ausgegangen werden, er stellte seine Kunst dagegen.


    Wenn das vielgerühmte Kulturkaufhaus etwas besser sortiert wäre, hätte ich seit Mittwochabend eigentlich auch eine Pettersson-Symphonie (ja, vorzugsweise die 7.) in Besitz haben können. So werde ich heute noch mal stöbern gehen. Mein Interesse an Pettersson könnte kaum größer sein. Vielen Dank für diesen Thread.


    :hello:


    Gruß, Ekkehard.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Hallo, miteinander!


    Petterssons Musik suhlt sich gewiss weit weniger im Leid, als Tschaikowsky dies im Finale seiner letzten Sinfonie tut. Und die höre ich - nicht tagtäglich - durchaus gerne, ohne dass mir eine rein individualistische Weinerlichkeit in den Sinn käme, stattdessen Formstrenge, instrumentale Farbigkeit und - das gewiss - hohes Pathos.


    Pettersson ist ein Ausdrucksmusiker wie vielleicht Karl Amadeus Hartmann, ein Expressionist, wie er im Buch steht. Es ist ihm nicht möglich, lakonisch und pointiert zu formulieren. Er braucht orchestrale Weite und Tiefe. In diesem Rahmen ist die musikalische Vielfalt keine auffällige, sondern eine der Nuancen. Wer sich aber auf seine Epen einlässt, empfindet Härte, Schroffheit, Melancholie und Depression in der Unerbittlichkeit der musikalischen Ausdrucksmittel. Die Musik lässt meines Erachtens keinerlei außermusikalischen Bilder zu, der unmissverständliche Aussagewert braucht keine Assoziationen. Man empfindet tief - da erstaunlich homogen -, aber merkwürdig distanziert. Es ist mir noch sie so gegangen, dass eine vorhandene depressive Grundstimmung (soll vorkommen :yes:) sich verstärkt hätte - eher tritt ein Moment der Katharsis ein. :D


    Das ist mein Eindruck nach mittlerweile schon recht vielen Stunden Pettersson. Natürlich läuft man Gefahr, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Petterssons Biographie und seinem Schaffen herzustellen. Das drängt sich auf, und der Schwede hat dem mit einigen seiner Äußerungen Vorschub geleistet. Die Musik ist aber auch in ihren Mitteln eigenständig genug, um davon abstrahieren zu können. Eher könnte ich mir schon vorstellen, dass ihre völlige Unberührtheit von der Avantgarde der letzten fünfzig Jahre im Verein mit der strenggenommen noch spätromantischen Grundhaltung der Instrumentation (von dem bisweilen auffälligen Schlagzeug einmal abgesehen) den erratischen Charakter beziehungsweise den Eindruck eine solchen bestärkt - und damit naturgemäß auch einen spezifischen Individualismus des Komponisten.


    Ekkehard "lohengrins" möchte ich zustimmen und ihm Pettersson besonders ans Herz legen.


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Hallo lohengrins,


    da habe ich schon ein problembehaftetes Fass aufgemacht. Schließlich soll hier ja möglichst nicht über Politik, sondern über Musik diskutiert werden. Und schwieriger wird die Sache auch noch dadurch, dass Pettersons von Gurnemanz dankenswerterweise zitierte Weltsicht offenbar keine eigentlich politische ist.
    Jedenfalls aber scheint diese Weltsicht für Petterson und seine Liebhaber mit dessen Werk schon in einem interessanten Verhältnis zu stehen, so dass es wohl auch zulässig ist hier über sie zu diskutieren.


    Zitat

    Original von lohengrins
    Für mich ist das kein "Suhlen im Leid", zumal keines, bei dem man nicht über die Gründe des selben nachdenken würde.
    Ich empfinde das eher als ein (Ver-) Zweifeln an einer Welt, welche ungerecht, welche letztlich menschenfeindlich ist - durch den Menschen selbst (hier: durch die Snobs, die Aasgeier). Wenn man diese Weltsicht hat, wie soll man da nicht (ver-) zweifeln?


    Sicher, aber mehr als Pettersons Betroffenheit und die Klage darüber, dass andere sich nicht so betroffen fühlen wie er, kann ich aus seinem Brief nicht herauslesen.


    Zitat

    Original von Petterson
    Die Entwicklung verläuft nicht in den für heilig erklärten, opportunen Festivals der IGNM [Internationale Gesellschaft für Neue Musik], sie geht durch die Volksseele. Die Reaktion des gewöhnlichen, anonymen Menschen gegen Snobismus und Fachidiotentum ist gesund und berechtigt. Die Radikalität der Gegenwart ist keine wirkliche, weil sie sich aus einer verarmten, sterilen Situation herleitet. Sie ist einzig und allein kompromittierend, und das, was sie kompromittiert, ist die verzweifelte Gebärde des müden Liebhabers – eine boshafte Grimasse.


    Ich verstehe das so: Petterson weicht mit seiner Musik vom Mainstream auf den Festivals der IGNM ab (warum auch nicht). Aber das einzige Erhellende, was dieser Mainstream darstelle, sei die zynische, bequeme und abgestumpfte Einstellung der "Snobs und Fachidioten" zur Frage, was die Musik solle, und dann wohl auch zum Leid in der Welt.
    Petterson schreibt dagegen wahre Musik, die in Fühlung bleibt mit der Volksseele, mit dem kleinen, unverbildeten Mann auf der Straße. Denn Musik muss nicht fortschreiten zu abstrakten, sich dem tiefen inneren Gefühl entfremdenden Konzepten, die bloß noch gedacht sind. Sie muss vielmehr zurückkehren zum ursprünglichen Gesang, der die leidende Seele in den Schlaf singt oder so ähnlich.


    Also, mir scheint das sehr deutlich intellektuellenfeindlich gegen die Verfeinerung des musikalischen Geschmacks gerichtet zu sein. Petterson pflegt sein eigenes Phantasma von Natur und Ursprünglichkeit, über die man auch gar nicht mehr diskutieren kann - entweder man fühlt "es" oder man ist halt abgestumpft durch Abstraktion.
    Die Erwähnung der IGNM spricht dafür, dass er im Musikbetrieb Ablehnung erfahren hat. Und das daraus resultierende Leid Pettersons identifiziert er kurzer Hand mit dem Leid aller hungernder Kinder.
    Die einzigen Gründe für das Leid in der Welt, dass ich aus seinem Brief herauslesen kann, sind der Verlust des Glaubens und die Verkopfung der Verantwortlichen. Aber wenn ein Kind vor Hunger schreit, sollte man nicht beten, sondern es füttern. Bloße Betroffenheit hilft da nicht.


    Essen gibt es immer noch genug auf der Welt, aber das Bedürfnis danach ist noch kein Grund, dass man auch über Nahrung verfügt. Wenn man sich diesem Problem stellen will, muss nicht nach innen gehn, sondern nach außen. Da aber Petterson auf der Suche nach Innerlichkeit ist, habe ich den Eindruck, dass er das Leid nicht wirklich bekämpfen will.


    Über Pettersons Musik selbst ist damit freilich noch nichts gesagt.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Zitat

    Original von Kontrapunkt


    Ich verstehe das so: Petterson weicht mit seiner Musik vom Mainstream auf den Festivals der IGNM ab (warum auch nicht). Aber das einzige Erhellende, was dieser Mainstream darstelle, sei die zynische, bequeme und abgestumpfte Einstellung der "Snobs und Fachidioten" zur Frage, was die Musik solle, und dann wohl auch zum Leid in der Welt.
    Petterson schreibt dagegen wahre Musik, die in Fühlung bleibt mit der Volksseele, mit dem kleinen, unverbildeten Mann auf der Straße. Denn Musik muss nicht fortschreiten zu abstrakten, sich dem tiefen inneren Gefühl entfremdenden Konzepten, die bloß noch gedacht sind. Sie muss vielmehr zurückkehren zum ursprünglichen Gesang, der die leidende Seele in den Schlaf singt oder so ähnlich.


    :D
    Also mit "in den Schlaf singen" ists aber bei Pettersson ebensowenig wie bei Nono oder Zimmermann.


    Ich empfinde Petterssons Musik ähnlich niederschmetternd wie die Nonos oder Zimmermanns, wenn ich bei den eher weltanschaulich revolutionären Werken bleibe (Como una ola, Requiem für einen jungen Dichter). Petterssons Musik ist halt etwas konservativer und eventuell mehr Menschen zugänglich (aber verglichen mit zeitgleicher Rockmusik ist das doch auch der elitärste Snobismus, was Pettersson da musikalisch zu Papier bringt).
    :hello:

  • Ich finde den Einwand von Kontrapunkt sehr wichtig, weil ich auch immer etwas hellhörig werde, wenn klischeehafte Bilder vom Künstler bemüht werden, der das Leid der Welt (oder sein Leid) in seiner Kunst destilliert habe. Wir hatten auch im Zusammenhang mit Opernsängern schon mal eine ähnliche Diskussion bei den Interpreten, wo man beispielsweise Fjodor Schaljapin ähnlich zitieren kann, wie weiter oben Jean Paul.



    Im Booklet der Einspielung der 6. Sinfonie bei cpo findet sich das folgende, in diesem Zusammenhang interessante, Zitat des Komponisten Pettersson:


    Zitat

    "Jemand sagte mal, daß ich aus Selbstmitleid komponiere. Ich habe mich nie selber bemitleidet, ich habe nie weinen können. Mitleid mit anderen kenne ich, aber nicht Selbstmitleid. Mir fällt es schwer, Menschen zu hassen, aber die sich selbst bemitleiden, die hasse ich. Selbstmitleid ist so verdammt unproduktiv. Glaubst Du, daß ich das, was ich geschaffen habe, hätte schaffen können, glaubst Du, daß man eine einzige Note schreiben kann, die lebt, wenn man dasitzt und sich selbst bemitleidet ? Was ich vermittle, ist nicht Selbstmitleid, sondern bare Information."


    Petterssons Äußerungen sind sicher nicht ganz unproblematisch. Mir scheint das "verfluchte Leben" in einer gewissen Tradition zu stehen, es erinnert an Zitate von Schostakowitsch und Dostojewski unabhängig davon, ob nun instrumentalisiert oder ob einfach wirklich gewisse parallelen vorliegen.


    Ich bin kein Musikwissenschaftler, habe aber das Gefühl, dass es nicht seine Musik ist, die im letzten Jahrhundert der Musik einen der entscheidenen Entwicklungsimpulse gegeben hat.


    Ich halte sie dennoch für sehr hörenswert. Einmal wegen der ausgeprägten Eigenwilligkeit seiner Kompositionen, vor allem hinsichtlich der verwendeten Extreme (Ostinatoformen, extrem großbögige Melodik, riesige aber einsätzige Werke, in denen lyrische Inseln und sehr schroffe Ausdrucksweisen miteinander ringen. )
    Und halt die große emotionale Direktheit, mit der mich seine Musik anspricht. Das kannte ich eigentlich bisher nur von Schostakowitsch, Mahler oder Anton Webern.


    Was Pettersson jedenfalls nicht geschrieben hat, ist eine in der Tonalität verharrende Gefälligkeitsmusik.


    lohengrins:


    Die Sinfonien sind ja u.a. bei unserem Werbepartner eingespielt worden und äußerst günstig zu haben. 6 + 7 Sinfonie + Versandkosten liegen ja im Rahmen einer Vollpreis-CD. Falls sich also im Kulturkaufhaus nix findet. ;)


    lg
    Sascha

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  • Was mich an Petterssons Äußerung am meisten fasziniert (und deshalb habe ich sie hier eingestellt), ist nicht das WAS seiner Rede, sondern das WIE.


    Auf der Sachebene erscheint auch mir der Text teilweise recht problematisch, mich persönlich stört hier vor allem die üble Polemik gegen die Schönberg-Schule ("Läusekönig") und deren seriell komponierende Nachfolger, deren Musik Pettersson - als "boshafte Grimasse" - höchst fremd ist. "Intellektuellen-Feindlichkeit" (Kontrapunkt) kann man da durchaus herauslesen, vermutlich auch eine massive Enttäuschung über Erfahrungen, die Pettersson als zeitweiliger Schüler des Schönberg-Anhängers René Leibowitz in Paris 1951-53 gemacht haben könnte.


    Der Gestus des an der Welt verzweifelnden Künstlers stellt den Schweden in eine Reihe von "Bekenntnismusikern" (wie Mahler? Schostakowitsch? ...?) - auch das finde ich gar nicht mal so interessant. Auch die Klage Petterssons über die "Äußerlichkeiten" in der "Kulturdebatte" neigt mir etwas zu sehr zur Beliebigkeit.


    Wäre da nicht das symphonische Werk, als Beweis dafür, daß Pettersson nicht dabei stehenblieb herumzujammern, sondern kreativ gehandelt hat.


    Was ich an seinem künstlerischen Bekenntnis bemerkenswert finde, ist die emotionale Wucht, die Sprache - man könnte das auch lesen wie eine große einsätzige Symphonie, wie eine Skizze, ein "Programm"? Z. B. die seufzende Frage am Schluß: "Wann kommt der Engel, der der Seele den Gesang zurückgibt, so einfach und klar, daß ein Kind aufhört zu weinen?": Paßt das nicht in der Stimmung sehr gut zum Verklingen der Sechsten oder Siebenten? Und wenn vorher vom "verwachsenen Snob", von "krächzenden Salti mortali" und vom "Pokerface der Gegenwart", das uns haßvoll anstarrt, die Rede ist: Kann man da nicht schon die Brüche spüren, die die "lyrischen Inseln" bei Pettersson immer wieder erfahren?


    Ich glaube, daß jemand, der diesen Text liest und sich einfach nur von der Sprache, von den Gefühlswelten ansprechen läßt, die da ausgelöst werden können, eine ungefähre Vorstellung vom Bau und der emotionalen Spannung und Kraft der Symphonik Petterssons bekommen kann - auch wenn ein solcher Leser noch keinen einzigen Ton Pettersson gehört hat. Für mich, der ebenso wie Antracis von der "emtionalen Direktheit" beeindruckt ist und der sich seit Jahren für das eigenwillige und voluminöse Schaffen des merkwürdigen Schweden begeistert, liefert sein Bekenntnis hilfreiche Assoziationen, die das Hören zwar unterstützen, aber natürlich niemals ersetzen können.

  • Hallo.


    Ich habe mir (wie empfohlen) die 7. von Petterson nun endlich auch besorgt und angehört.


    Mein erster Eindruck war: Was ist das bloß für ein großer schwarzer schrundiger Block!
    Nach meinem Gefühl hat da jemand in Großbuchstaben seine Haltung ausgedrückt. Das zu konsumieren, ist durchaus hartes Brot, das einem wahrscheinlich nicht zu jeder Gelegenheit schmecken mag.


    Was mich überraschte, ist das die Musik für mein Empfinden dem Text Pettersons, der hier ja diskutiert wurde, völlig entspricht. Sie ist unmittelbar im Ausdruck. Sie ist absolut ironiefrei, da gibt es keine Zitate, die Musik kreist nur um sich selbst (und das sehe ich dann auch als weniger intellektuell an). Freundliches Nebenbei-Hören verbietet sich.


    Nun bin ich gespannt auf weitere Werke Pettersons.
    Danke für den Hinweis!


    :hello:


    Gruß, Ekkehard.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Ich habe jetzt gerade erst die Sechste und bin sehr angetan. Zumal ich das Spätromantisch-Moderne in der Sypmphonik ohnehin sehr mag, aber vor allem die "Großen Namen" kenne. Es ist wie die Entdeckung eines neuen seelischen Kontinents (auch gegenüber Mahler und Schostakowitsch, so weit ich bisher letzteren kenne). Durchaus unpolitisch und mit einer zweifelnden, nicht leeren, dunklen, klagenden Metahphysik erscheint mir dieser Petersson. Sonst kenne ich von ihm bisher nur die Barfußlieder, die aber auch ungemein schön sind, weniger expressiv, schlichter, aber von einer ebenso anbgründigen Traurigkeit. Und es klingt so ehrlich, so schnörkellos, wo Mahler mir jetzt im Vergleich doch auch in seinen manieristischen Zügen bewußt wird... bei den Barfußliedern ist das Faszinierende auch, dass es ein durchgehendes quasi-folkloristisches Moment gibt, obgleich sie vmtl. nirgendwo original-volksliedhaft sind, und dieses Moment hebt die Trauer übers Persönliche, das ich in der Sechsten nun stärker sehe, in eine "historische" Tiefe bzw. kommt als Dimension des Generationellen und Überindividuellen hinzu, so daß man den Eindruck hat, diese Traurigkeit, die in den Liedern laut wird, kommt von weither aus der Vergangenheit; während sich der Symphoniker vielleicht eher den "Himmel" gemäß seiner eigenen Seele füllt. Dies meine allerersten Eindrücke in einer mir neuen Welt.

  • Hallo Alex Keller,


    Pettersson ist zwar im parteipolitischen Sinne sicherlich "unpolitisch", auch viel zu enttäuscht und individualistisch, um sich irgendeiner "Linie" zu fügen. Er ist aber sehr wohl parteiisch und insofern auch sehr bewußt politisch, eben in dem er zwar deutlich Partei nimmt, aber sich keiner politischen oder musikalischen Linie unterordent.
    Schon die Barfußlieder finde ich da eigentlich sehr klar. Auch die Textauswahl zeigt sehr deutlich, wo und bei wem er steht: In der 12. Symphonie vertont er 9 Gedichte aus dem 5. Abschnitt von Pablo Nerudas "Il Canto General", in "Vox Humana" Gedichte chilenischer Arbeiterdichter. Dass er diese auf Schwedisch singen läßt und auf jede musikalische Latin-Folklore verzichtet, stattdessen seine eigene Tonsprache beibehält, ist wohl auch nicht ganz unpolitisch motiviert. Zum Einen kann er so das Allgemeine, der besonderen, chilenischen Erfahrung verdeutlichen, ohne seine Einzigartigkeit in "falscher Allgemeinheit" aufzugeben oder in ebenso "falscher Allgemeinheit" illusorische Gemeinsamkeit nur zu beschwören, wie in vielem Latin-Kitsch der 70er-"Soli-Bewegungs-"zeit, zum Anderen richtet er sich auf Schwedisch eben nicht nur an die "Soli-Szene", sondern auch an die "einfachen" Menschen seines Landes, die kein Spanisch können - naja, falls sich von denen einmal jemand ins Konzert verirrt.


    Ich empfinde Pettersson auch nicht durchgegend nur pessimistisch und resigniert, wie immer wieder zu hören ist. Ich höre auch immer wieder Moment des zornigen Aufbegehrens heraus - auch privat war er wohl ein zorniger Mensch, der Aufführungsverbote verhängte und gallige Suaden abließ, wie Thomas Bernhard im Bereich der Literatur. Aber es gibt auch Momente von goßer Schönheit, in der 7. Symphonie gar von zumindest momentweise befreiter Leichtigkeit, die vor allem Dorati in seiner Aufnahme sehr schön herausstellt, wie in diesem Thread auch schon erwähnt.


    "Metaphysisch" kann ich Petterson auch nicht finden. Mir sind von ihm auch keine Bekenntnisse zu irgendwelchen, metaphysischen Lehren, Philosophien oder zur Religion bekannt. Er verarbeitet vielmehr den ganz physischen, traurigen Zustand der Allgemeinheit des Leidens durch gesellschaftliche, aber auch natürliche (Krankheiten, Sterben-Müssen, etc.), nicht durch irgendwelche Heilslehren abschaffbare oder kompensierbare Gründe und das Allgemeine als jeder und jede Einzelne einzigartig und auf besondere Weise dieser Allgemeinheit ausgesetzt zu sein.


    Aber tozdem viel Freude beim weiteren Pettersson-Entdecken, wünscht, Matthias

  • Zitat von Matthias Oberg

    "Metaphysisch" kann ich Petterson auch nicht finden. Mir sind von ihm auch keine Bekenntnisse zu irgendwelchen, metaphysischen Lehren, Philosophien oder zur Religion bekannt.


    Bin mir nicht so sicher, ob man Petterssons symphonischem Werk das Metaphysische so rundweg absprechen darf: Zwar finde ich es schwierig, vielleicht unmöglich, aus reiner Instrumentalmusik (bis auf die 12. gibt es bei Pettersson keine vokale Beteiligung wie z. B. bei Mahler) religiöse Botschaften zu lesen (da wäre ich ohnehin sehr vorsichtig) - doch in den Barfußliedern, deren Texte der Komponist selbst verfaßte, wird, wenn ich es richtig verstehe, durchaus so etwas wie ein Ringen mit Gott deutlich, eine religiöse Haltung, mit der es Pettersson sich und seinen Hörern nicht eben leicht macht.


    Das letzte Lied des Liederzyklus (24 sind es insgesamt, ebenso wie Schuberts "Winterreise"), das weite Teile der 6. Symphonie beherrscht, vielleicht so etwas wie ihr Grundgerüst ist, lautet (ich zitiere die Übersetzung aus dem CPO-Booklet):


    Er kann löschen mein Lichtlein


    Streck mich aus, liege lang
    in frischweißem Hemd -
    da: ER naht durch den Gang,
    kein Tor ist ihm fremd.
    Ich will wohl aufstehn,
    die Schuhe zu binden,
    doch muß IHN mit Glotzaug'
    im Spiegel dort finden.
    ER kann löschen mein Lichtlein,
    damit ich nichts seh',
    zerschlagen mein Glöckchen,
    daß nichts ich versteh'.
    Mehr kann keiner erraten,
    doch wünschen vielleicht,
    wenn ihm Wünsche noch geraten:
    vor Todes Blick erbleicht.


    Basis des 2. Violinkonzerts, das Pettersson 1977, 3 Jahre vor seinem Tod, schrieb, bildet ein anderes Lied aus dem Zyklus:


    Gott geht über Wiesen,
    meist nur zwischen Disteln.
    Kümmerblumen auf den Wiesen,
    meist zwischen Disteln:
    Des Herren Kommen und auch sein Gehen,
    meist zwischen Disteln,
    das spüren die Blumen,
    die ihn umstehn.
    Meist nur zwischen Disteln.


    Gott geht über Wege,
    schmale, breite Wege -
    armer Bruder steht besorgt
    auf dem schmalen Wege.
    "Oh Herr, ein Schäflein, das lief mir fort",
    sagt der gute Hirte.
    Ja, Gott nimmt den Armen, nimmt ihn von dort
    auf die breiten Wege.


    Die Texte empfinde ich als ziemlich zwiespältig und rätselhaft, schwankend zwischen Angst und Zuversicht - Petterssons Symphonien bieten kaum Antworten oder Lösungen, gerade die Schlüsse seiner späteren Symphonien höre ich wie offen bleibende Fragen - auch das fasziniert und berührt mich an dieser merkwürdigen Musik.

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  • Dank Dir, Gurnemanz, für die eingestellten Texte.


    Ich habe die so aufgefaßt, dass hier eher eine fragend-zweifelnde Haltung ausgedrückt wird, nicht als Glaubensbekenntnis. Gott wäre dann eher Chiffre für das Allgemeine, dem alle Menschen unterliegen.
    Aber vielleicht liege ich wirklich falsch. Jeder gute Theologe wird natürlich sagen, dass Zweifel zum Glauben dazugehören.


    Was die Problematik der Verbindung von reiner Instrumentalmusik und "Botschaft" - welcher auch immer - angeht, kann ich dir nur rechtgeben.


    Das Offene in Petterssons Schlüssen finde auch ich faszinierend. Es hat mich gerade, neben Pettersons Textauswahl zu "Vox Humana" und der 12. Symphonie zu meinem Interpretationsversuch animiert: Zur conditio humana gehört leiden, dennoch ist der Horizont nicht total verdunkelt, ist da auch etwas Offenes, Unbekanntes. Das habe ich nicht als Botschaft verstanden, sondern bloß als musikalische Verarbeitung von Erfahrung.


    Grüße, Matthias

  • Zitat von Matthias Oberg

    [...] dass hier eher eine fragend-zweifelnde Haltung ausgedrückt wird, nicht als Glaubensbekenntnis. Gott wäre dann eher Chiffre für das Allgemeine, dem alle Menschen unterliegen. [...]
    Das Offene in Petterssons Schlüssen finde auch ich faszinierend. [...] Zur conditio humana gehört leiden, dennoch ist der Horizont nicht total verdunkelt, ist da auch etwas Offenes, Unbekanntes. Das habe ich nicht als Botschaft verstanden, sondern bloß als musikalische Verarbeitung von Erfahrung.


    Ja, das sehe ich auch so. Überhaupt finde ich, daß sich Petterssons Musik weder auf "optimistisch" noch auf "pessimistisch" festlegen läßt, diese Verweigerung einer letzlichen Tendenz kann auch befremdlich wirken, so auf einen Rezensenten, der im Booklet zur 10. und 11. Symphonie (wieder CPO) zitiert wird, ein Mann, der offensichtlich mit traditionellen Erwartungen an eine Symphonie herangeht, irgendeine Art von logischem Ergebnis erwartet:


    "Verständnis" seitens des Hörers entsteht [...] durch Originalität von Einfällen, deren Wiedererkennbarkeit innerhalb eines überzeugenden formalen Ablaufs mit den gebotenen Kontrasten zu einem bestimmten Ziel - sei es nun eine Apotheose, ein Verdämmern im Nichts oder eine Katastrophe [meint er: wie bei Mahler?] -, die von ihm, dem Hörer, nachzuvollziehen ist. - Alle diese Forderungen aber bleiben hier unerfüllt [...]


    Daß Pettersson sich hier verweigert und eben keine der hier verlangten "schlüssigen" Ergebnisse ansteuert ("Heilslehren" gibt es bei Pettersson nicht, wie Du schon oben angedeutet hast, da stimme ich zu) - gerade das rechne ich ihm hoch an, gerade das fasziniert mich.

  • Hallo, Matthias und Gurnmemanz!


    Ihr bestätigt genau die Befindlichkeit auch meines Hörens einer Pettersson-Sinfonie, von der ich weiter oben gesprochen habe. Es gelingt dieser Musik, in ihrer Breite eine Katharsis der jeweils betreffenden Gefühlslage zu bewirken, in der man sich - in der ich mich - beim Hören jeweils befinde(t).


    Es ist eine erstaunliche Emotionalität, die Petterssons Musik austrahlt, aber es gibt keine spürbaren Lösungen für diese Emotionen, es gibt keine Verbildlichungsangebote. So fühle ich mich bisweilen entspannter nach einer Stunde Pettersson als nach einer Stunde Mozart, so merkwürdig dies jetzt klingen mag.


    Pettersson bietet in der Tat keine "Heilslehren", aber er wirkt quasi universal homöopathisch.


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Ich meinte "Metaphysik", wie ich sie in der 6. herauszuhören meinte, in einem ganz allgemeinen Sinn, wie z.B. bei Heidegger: Rede über das Seiende im Ganzen. Bei aller dahinterstehenden Persönlichkeit und Haltung des Komponisten im Komponierten ein Panorama des Ganzen des Seins, insofern (fragende, zweifelnde, rufende) Rede über die letzten Dinge. So ist auch Mahler metaphysisch, würde ich meinen, Bruckner ja sowieso, aber man muß dieses Wort, meine ich, nicht auf eine positive, christliche oder sonstwie gefüllte Metaphysik beschränken. (Einen philosophischen Materialismus zu vertreten, wäre in diesem Sinne auch eine metapysische Haltung.) Und natürlich meinte ich "metaphysisch" als wertschätzendes Prädikat, auch wenn dessen Kurse heute allgemein zu sinken scheinen, so daß es fast etwas wie "rückständig" und im 20. Jahrhundert gar "reaktionär" bedeuten mag.


    Unmetaphysich - ohne diese Kategorie nun zur Brechstange machen zu wollen - wäre in diesem Sinne ein Komponist, der sich für diese Erweiterung des Blicks, einer enigmatischen Gesamtdeutung der Wirklichkeit oder eine "Totalperspektive" nicht interessiert, der z.B. - ohne jetzt an jemanden bestimmten zu denken - Etüden für Klavier schreibt. Die Sinfonie ist natürlich auch eine Gattung, die einem metaphysischen "Zugriff" von sich aus mehr entgegenkommt als andere Gattungen. (Ich frage mich gerade, ob ich die von mir geliebten Beethoven und Schubert metaphysisch nennen würde? Im Grundzug eher nicht, ich war überrascht, als ich irgendwann ziemlich spät erfuhr, daß Beethoven katholisch war!)


    Das politische Moment bei Pettersson ist interessant. Hätte ich vom Hören nicht gedacht, daß es Neruda ist.


    P.S.: Nachsatz Zitat Pettersson, aus diesem Thread zitiert: "Was ich vermittle, ist nicht Selbstmitleid, sondern bare Information." - das ist aber kühn! Dieser denkbar prosaische Begriff der Information zusammengesetzt mit dem, was da zu hören ist! Zeigt auf jeden Fall, daß der Anspruch da ist, nicht über sich (allein) zu reden.

    Einmal editiert, zuletzt von AlexKeller ()

  • Zitat von AlexKeller

    Ich meinte "Metaphysik", wie ich sie in der 6. herauszuhören meinte, in einem ganz allgemeinen Sinn, wie z.B. bei Heidegger: Rede über das Seiende im Ganzen. Bei aller dahinterstehenden Persönlichkeit und Haltung des Komponisten im Komponierten ein Panorama des Ganzen des Seins, insofern (fragende, zweifelnde, rufende) Rede über die letzten Dinge. [...] man muß dieses Wort, meine ich, nicht auf eine positive, christliche oder sonstwie gefüllte Metaphysik beschränken.

    In diesen Sinn würde ich die Symphonik Petterssons ebenfalls als "metaphysisch" bezeichen, ja, da stimme ich Dir gern zu (auch wenn ich bei Heidegger nicht kompetent mitreden kann). "Reaktionär" finde auch ich den Begriff (der generell wie auch auf Pettersson bezogen sicher noch genauer gefaßt werden müßte) jedenfalls nicht.



    Zitat

    Unmetaphysich - ohne diese Kategorie nun zur Brechstange machen zu wollen - wäre in diesem Sinne ein Komponist, der sich für diese Erweiterung des Blicks, einer enigmatischen Gesamtdeutung der Wirklichkeit oder eine "Totalperspektive" nicht interessiert, der z.B. - ohne jetzt an jemanden bestimmten zu denken - Etüden für Klavier schreibt.

    In höchstem Maße "unmetaphysisch" ist für mich die Orchestermusik Richard Strauss', in ihrer ganzen Diesseitigkeit und optimistischen Unverwüstlichkeit; philosophische Ambitionen, wie in Also sprach Zarathustra" nur äußerlich und aufgesetzt.



    Zitat

    Die Sinfonie ist natürlich auch eine Gattung, die einem metaphysischen "Zugriff" von sich aus mehr entgegenkommt als andere Gattungen.

    Ein interessanter Gedanke! Die Form der Symphonie bietet sich für Weltsichten gerade dadurch schon an, als sie selbst Form reflektiert und ja auch, grob gesagt, thematisiert, wie das Einzelne (das Subjekt) im Ganzen (dem Objektiven) aufgehen kann: Petterssons einsätzige Kolosse sind ja vielleicht gerade Ausdruck des qualvoll-sehnsüchtigen Mühens in einer Phase, in der die Idee allgemeiner Verbindlichkeit längst brüchig bzw. sogar unmöglich geworden ist (das macht das Hören so schwierig und faszinierend zugleich). Sein Satz "Was ich vermittle, ist nicht Selbstmitleid, sondern bare Information" könnte als Ausdruck dieses Mühens verstanden werden.



    Zitat

    Ich frage mich gerade, ob ich die von mir geliebten Beethoven und Schubert metaphysisch nennen würde?

    Diese Frage würde ich eindeutig mit "Ja" beantworten! Beethovens Symphonien sowieso und bei Schubert zumindest die "Unvollendete" und die große C-Dur-Symphonie.

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  • Zitat von AlexKeller

    Ich habe jetzt gerade erst die Sechste und bin sehr angetan. Zumal ich das Spätromantisch-Moderne in der Sypmphonik ohnehin sehr mag, aber vor allem die "Großen Namen" kenne. Es ist wie die Entdeckung eines neuen seelischen Kontinents (auch gegenüber Mahler und Schostakowitsch, so weit ich bisher letzteren kenne). Durchaus unpolitisch und mit einer zweifelnden, nicht leeren, dunklen, klagenden Metahphysik erscheint mir dieser Petersson. Sonst kenne ich von ihm bisher nur die Barfußlieder, die aber auch ungemein schön sind, weniger expressiv, schlichter, aber von einer ebenso anbgründigen Traurigkeit. Und es klingt so ehrlich, so schnörkellos, wo Mahler mir jetzt im Vergleich doch auch in seinen manieristischen Zügen bewußt wird...[...]


    Nach der 6. habe ich nun die 13. kennengelernt, die einen ganz anderen Eindruck hinterlassen hat. Ich hatte das Gefühl, Petterson ist durchaus bestrebt, stilistisch nicht ganz auf der Strecke zu bleiben und lädt seine Schreibart mit extrem vielen Details auf, das Ergebnis ist ziemlich wirr und dicht. In diesem total überladenen extrem dissonanten Dauerfeuer kommen einem dann (ermuntert durch das Begleitheft) historistische Melodieanklänge (z.B. quasi Berlioz-Harold) ziemlich postmodern gebrochen vor (natürlich nicht mit witzigem Beigeschmack wie bei Schostakowitschs 15. und weniger stark klaffend als bei Rihm und dessen Kollegen ziemlich zeitgleich).


    Die Eigenschaften "ehrlich und schnörkellos" würde ich also der 13. nicht zubilligen aber ich freue mich schon auf ein neuerliches Eindringen in diesen unermüdlichen Dschungel. Petterson soll ja nicht so ganz zufrieden damit gewesen sein, offenbar war sie ihm selbst zu experimentell ...
    :D

  • Daraufhin habe ich mir die 13. im Ganzen wieder einmal vorgenommen: Ich erlebe diese Symphonie wie einen bedrohlichen Dschungel, schärfer formuliert, als ein Inferno, aus dem fortwährend, mit wechselnder Intensität, menschliche Schreie herausklingen (z. B. die hohen Streicher!): Auch die wenigen ruhigeren Phasen und die "lyrische Insel" am Ende mildert das kaum. Ganz merkwürdig erlebe ich den Schluß, wenn ganz unvermittelt und ohne für mich hörbaren "Sinn" ein Des-Dur-Akkord das Werk beschließt (typisch für Petterssons späte Werke: überraschende, befremdende Schlüsse, die nicht "passen": Pettersson war sich offensichtlich sehr bewußt über die Problematik, symphonisch zum Schluß=Ergebnis zu kommen).


    Zur Frage der "Zitate": Ich weiß nicht, ob ich es "historistische Melodieanklänge" nennen würde; jedenfalls erscheint es mir nicht so gewollt wie bei Schostakowitsch (15.) oder z. B. Strawinsky: Jeu des cartes. Ich habe eher den Eindruck von Assoziatiationsmaterial, das in den Fluß des Komponierens eindringt: Bietet sich ja fast an: Beethovens 5. und Rossini, da deren Motive zu den repetitiv-hämmernden Rhythmen passen: Dieses "Prasseln" treibt die Musik immer wieder an. Auch das Bratschensolo scheint mir da eher äußerlich an Berlioz (Harold in Italien) anzuspielen: eher eine Einzelstimme, die sich (vergeblich?) erhebt (Pettersson war ja 10 Jahre lang Bratscher bei den Stockholmer Philharmonikern gewesen, bevor seine beginnende Karankheit ihn zum Aufgeben zwang).


    Einen intendierten Bezug auf andere Kompositionen höre ich da nicht, wahrscheinlich wäre es daher mißverständlich bzw. falsch, von "Zitaten" zu sprechen?

  • Zitat von Gurnemanz

    Ganz merkwürdig erlebe ich den Schluß, wenn ganz unvermittelt und ohne für mich hörbaren "Sinn" ein Des-Dur-Akkord das Werk beschließt (typisch für Petterssons späte Werke: überraschende, befremdende Schlüsse, die nicht "passen": Pettersson war sich offensichtlich sehr bewußt über die Problematik, symphonisch zum Schluß=Ergebnis zu kommen).

    Aber das ist doch bei ganz vielen Stücken des 20. Jh. so, man denke nur an die "passenden" Durakkorde, mit denen Hindemith seine Stücke beschließt. Ich bin froh, dass wir diesen Krampf hinter uns haben (und nicht mehr am Schluss einen Dur-Akkord schreiben müssen)
    :D


    Zitat

    Ich habe eher den Eindruck von Assoziatiationsmaterial, das in den Fluß des Komponierens eindringt [...] Einen intendierten Bezug auf andere Kompositionen höre ich da nicht, wahrscheinlich wäre es daher mißverständlich bzw. falsch, von "Zitaten" zu sprechen?

    Ich fürchte, dass wir das den Herren Wissenschaftlern überlassen müssen - und die können dann wahrscheinlich auch nur vermuten ...


    :hello:

  • Mit Freuden habe ich gestern bemerkt, daß in der nächsten Saison eine Symphonie Allan Petterssons in einem Konzertprogramm erscheint:


    30.4.2009, 20 Uhr
    Kaiserslautern, Fruchthalle
    3. Sinfoniekonzert
    Peter Michael Braun: Serenata palatina
    Antonín Dvorák: Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104
    (Solist: Matthias Bergmann)
    Allan Pettersson: Sinfonie Nr. 7
    (Orchester des Pfalztheaters Kaiserslautern, Ltg.: Uwe Sandner)


    Von der Qualität des Orchesters und ihres GMD habe ich erst gestern wieder selbst überzeugen können. Die erfreuliche Neigung der Interpreten, sich auf Raritäten einzulassen und immer wieder arg Vernachlässigtes zutage zu fördern (z. B. zuletzt Erwin Schulhoff: Flammen, im Pfalztheater), ermöglicht endlich einmal wieder, Pettersson im Konzertsaal zu erleben.


  • Das ist in der Tat ein höchst ambitioniertes Programm. Die meisten Pettersson-Sinfonien sind ohnehin abendfüllend, auch die Nummer sieben dauert 45 Minuten, so dass dieses Konzert wohl ein gewisses Maß an Quantität für sich in Anspruch nehmen dürfte.


    Petterssons Siebente ist (allerdings) noch die klassisch ausgewogenste, vertrauenserweckendste, sein größter Erfolg sozusagen.


    Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

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  • Nächste Woche ist es soweit und eine Symphonie von Allan Pettersson kann - absolute Rarität - in einem Konzertsaal erlebt werden (siehe oben) - für mich ein willkommener Anlaß, diesen Thread wieder ins Blickfeld zu rücken.


    Es gibt noch Karten - soeben habe ich zwei erworben.

  • Allan Petterssons 16 Symphonien liegen wie ein erratischer Block in der Musik des 20. Jahrhunderts. Der Zugang zu dieser hermetisch in sich kreisenden Musikwelt ist mühselig und braucht viel Zeit und Geduld. Meine Auseinandersetzung mit diesem Komponisten hält schon seit gut dreißig Jahren an. Damals spielte mir ein Freund die 8. Symphonie in der DGG-Aufnahme mit Sergiu Commissiona und dem Baltimore SO vor und irgendetwas in der Musik sprach mich an. Im Laufe der Jahre lernte ich weitere Werke kennen, die 7. unter Dorati, das 2. Violinkonzert mit Ida Haendel, das Mesto für Streichorchester. Die Annäherung verlief langsam und unstetig, Aufnahmen der 10. (ebenfalls Dorati) und der 12. wurden wieder verkauft (ich habe sie gerade wieder bestellt). Bis heute kenne ich noch nicht alle Werke und einige habe ich bisher nur einmal gehört. Kürzlich fiel mir die 14. in die Hand wieder unter Commissiona und ich habe sie vor einigen Tagen gehört. Sie ist lyrischer als die schwierigen Werke davor und damit etwas zugänglicher (alles relativ, für viele vermutlich immer noch unzugänglich), jedenfalls hat sie mein Interesse wieder geweckt und ich habe die erneute Preissenkung beim Werbepartner genutzt, um die fehlenden Symphonien zu bestellen. Hier bei Tamino gibt es sage und schreibe 230 Einträge zu diesem Komponisten. Das finde ich erstaunlich, aber auch erfreulich, deshalb wird auch dieser thread wiederbelebt, auch wenn viele Einträge von "Verblichenen" stammen.





  • Alle Freunde und Verehrer dieses Komponisten wird es interessieren und vielleicht auch freuen, dass es in der Reihe Musik-Konzepte ein Buch über Allan Pettersson gibt.

  • Das Hören einer Symphonie von Allan Pettersson ist jedes Mal eine Herausforderung. Man stellt sich ihr oder auch nicht. Dies ist eine Musik, die man nicht wirklich jemandem schmackhaft machen kann, man kann empfehlen, sie sich mal anzuhören und jeder muss entscheiden, ob das etwas für ihn ist oder nicht.
    Die sechste ist eine seiner längsten und persönlichsten, 1963-66 entstanden, zu einer Zeit, da die schwere Krankheit, an der Pettersson litt, voll zum Ausbruch kam.
    Zitat: " Jemand sagte mal, dass ich aus Selbstmitleid komponiere. Verdammt noch mal! Wie kann man Musik schreiben, wenn man nach innen gewendet ist? Komponiert man, muss man über sich selbst hinauswachsen. Mitgefühl? Gewiss. Aber Mitgefühl mit allen die leiden."
    "Für Allan Pettersson ist die Musik nicht nur Selbstzweck. Sie ist auch ein Mittel , ein Weg zur Läuterung und Befreiung. Befreiung von einer Kindheit in äusserer und innerer Not, Befreiung von einem Milieu, in dem Musik keine Existenzberechtigung hatte. Und jetzt, viele Jahre später, Befreiung von der Krankheit und der Isolierung, die ihn niederzubrechen drohten". (Zitat aus den Cover notes von Lars Sjöberg, Übersetzung Herbert Connor).


    Die Symphonie beginnt mit einer längeren düsteren Einleitung aus der sich bedrohliche Spannungen entwickeln, die in diversen Höhepunkten kulminieren, die vor allem vom Einsatz von viel Schlagzeug geprägt sind. Immer greller werden diese "Aufschreie", z.T bis an die Schmerzgrenze. In der zweiten Hälfte der knapp einstündigen Symphonie wird die Musik ruhiger und einer dieser langen elegischen todtraurigen Gesänge erhebt sich, die für diesen Komponisten so typisch sind und bis in die Filmmusik fortgewirkt haben ("Das Schweigen der Lämmer"). Das Stück klingt ruhig und sogar ein wenig optimistisch aus.
    Die mir vorliegende Aufnahme ist wohl die erste überhaupt, 1976 vom damals noch jungen Okko Kamu live in Norrköping eingespielt. Ich habe sie jetzt nicht mit der cpo Einspielung unter Manfred Trojahn verglichen, die vermutlich als Studioaufnahme besser ist, aber der Wirkung der Musik kann man sich auch bei dieser Einspielung nicht entziehen. Es gibt wohl keine CD-Überspielung dieser Aufnahme.



    Interessanterweise gibt es eine Neueinspielung mit dem gleichen Orchester unter Christian Lindberg, die kenn ich aber nicht.


    P.S. Wie ich gerade sehe, gibt es unter Beitrag 30 in diesem Thread eine Besprechung der Trojahn-Aufnahme.

  • Hallo, Lutgra!


    Vermutlich wirst Du keine dritte Einspielung dieses hoch berührenden Werks benötigen - ich auch nicht, obgleich ich es sicher ein halbes Dutzend mal mit wachsender Begeisterung gehört habe.


    Ebenso könnte ich mir vorstellen, dass die LP mit Okko Kamu auch gar nicht mehr als CD erhältlich ist. [1] LPs würde ich mir normalerweise nicht mehr kaufen, auch nicht antiquarisch.


    Die beiden moderneren Aufnahmen können nebeneinander bestehen. Die SACD mit Lindberg klingt plastischer und lässt kaum interpretatorische Wünsche offen - dennoch finde ich Trojahn noch spannender, weil er härter im Zugriff erscheint.


    Dir wünsche ich viel Freude bei der weiteren Erschließung des Komponisten Allan Pettersson. Sei versichert - es lohnt!


    :angel: Wolfgang


    [1] Du sagtest es! :rolleyes:

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