Warum ist "klassische Musik" nicht "populär"

  • In der Beziehung schießt ja wohl die allseits geschätzte (außer von mir) Yuya Wang den Vogel ab.

    ... viele ihrer Plattencover bleiben aber durchaus konservativ.

    Freigegeben haben sie's dennoch, bei "Konzert für Millionen" angeblich für einen guten Zweck. Glaubst Du ernsthaft, dass die ganzen Karajan-Verschnittplatten ohne dessen ausdrückliche Billigung auf den Markt gekommen wären? Gerade bei dem unterstelle ich, dass er sich medien- und umsatzwirksam aus seinem Aufnahmenpool geeignete Sampler zusammengestellt hat.

    Natürlich nicht. Aber Karajan hat seinen Ruhm durch seine Aufnahmen der Beethoven-, Brahms-, Schumann-Symphonien erworben. Das "Konzert für Millionen" war ein lukratives Nebengeschäft. Es ist eben ein Unterschied, wenn sowas zum Hauptgeschäft wird.

    Der von mir sehr geschätzte Arthur Rubinstein machte 1971 eine Platte "The Brahms I love" .

    Da sind alle vier Brahms-Balladen drauf, Intermezzi und Rhapsodien. Das ist also eine ganz konventionelle ältere RCA-Aufnahme nur mit neuer Aufmachung von RCA, die sich das haben einfallen lassen. Man braucht nur auf die Aufnahmedaten schauen... ;)

    Sehr schöne Platte übrigens. Es folgte"The Chopin I love". Diese Liebe wuchs sich dann in drei LPs aus.

    Davon gibt es mehrere Folgen. Auch das sind Zusammenstellungen von früher bereits veröffentlichten Aufnahmen, die sicher auf dem Mist von RCA gewachsen sind. :D Außerdem gibt es dort eine große Charaktervielfalt. Eine dramatische Ballade neben einem Nocturne und einer Polonaise. Da wird eben nicht wie heute in Anlehnung an Pop eine sentimentalisierende Vereinheitlichung vorgenommen.

    Die Cover der Altstars lasse ich mal unkommentiert. Wenn De einmal allein die Entwicklung des Künstlerphotos von den 1950er bis in die 1960er Jahre anschaust, dominieren s/w weltabgewandet Verbildlichungen, gelegentlich der freundliche Herr in Strickjacke (Karl Böhm).

    Ja. Aber das geschah nicht in Anlehnung an den Pop-Bereich.

    Leider sind Rieu und Garret keine Fremdgänger, sondern m.W. beides ausgebildete klassische Geiger (mit "Klassik" hat Garret ja auch angefangen, Rieu sr. war ein reputierlicher Geiger und spezialisiert auf Barockmusik).

    Ich meinte die Hörer und Konsumenten - nicht die Künstler. Garret ist geigentechnisch hoch begabt - am Brahms-Violinkonzert ist er aber grandios gescheitert. Wenn man diese misslungenen Aufnahmen hört, weiß man, dass sein Gebiet eben die Unterhaltung ist. ^^

    Um das Threadthema einmal umzudrehen: Klassik könnte durchaus populärer sein, wenn nicht deren Gralshüter auf das Einhalten der reinen Lehre pochen würden.

    Das glaube ich überhaupt nicht. Der Bereich der populären Klassik wird immer ein sehr begrenzter bleiben für einen bestimmten Hörerkreis. Wie lange gibt es schon diese Crossover-Bemühungen? Was haben sie erbracht? Antwort: Die Erkenntnis, zu glauben, dass wirklich ernste und Ernst zu nehmende Klassik damit populär werden würde, eine große Illusion ist! ^^


    Um Holgers CD-Liste noch ein wenig zu ergänzen, hier ein paar Platten, von denen ich die meisten kenne und schätze (die neue Schuch-Plate und Trifonof fehlen in meiner Sammlung):

    Gerade bei Trifonov finde ich diese Cover-Titel wirklich blödsinnig: "Silver Age" - das ist reiner Nonsense! ^^


    Schöne Grüße

    Holger

  • Gerade bei Trifonov finde ich diese Cover-Titel wirklich blödsinnig: "Silver Age" - das ist reiner Nonsense! ^^

    Ich denke mit "Silver Age" wird eine Phase russischer Literatur am beginnenden 20. Jahrhundert bezeichnet, die gerne auch frei übertragen wird auf Produkte der Malerei und Musik dieser Zeit. Was mich an diesem Titel etwas stört, ist, dass viele wertvolle Erzeugnisse dieser Zeit nicht aufgenommen wurden (bei Stanchinsky angefangen) - Trifonov beschränkt sich eher auf das Bekanntere - und nimmt aber mit Prokofieffs Kriegssonate ein Stück auf, was mit dem Silver Age nun nichts zu tun hat.


    Im Endeffekt aber ein lässliche Sünde, womit man mit ein paar Jahren Vorhölle schon alles beglichen haben sollte :)

  • Und wir Musikliebhaber sind ja auch nicht immer gnädig mit denen, die ihre eigenen Zugänge zur Musik finden wollen. Unstreitig, es gibt Phänomene, die mir die Zornesröte auf die Stirn treiben, dies zu artikulieren fällt mir indes schwer, wenn ich im persönlichen Umfeld sehe, dass mit der heilen Welt jenseits der echten Menschen erreicht werden.

    Bei denen, die Du "Gralshüter" nennst, geht es glaube ich nicht unbedingt darum, einen bestimmten Zugang zur Musik oder eine bestimmte Art der Musik vorschreiben zu wollen. Ich habe jedenfalls kein Problem damit, wenn die Mehrheit lieber Helene Fischer oder David Garrett hört als Brahms. Aber Brahms auf Helene-Fischer-Niveau zu reduzieren, um sie für etwas anderes als Helene Fischer zu gewinnen, ist offenkundiger Unsinn, denn dann fällt ja gerade all das weg, was Brahms von einer Schlager-Queen unterscheidet. Welchen Grund sollte es dann also noch geben, nicht einfach bei letzterer zu bleiben? Jeder soll das hören, was er mag, aber die Art Musik, die ich bevorzuge, ist in der Regel nicht einfach zu haben, auch nicht für Hörer, und das ist meines Erachtens gerade eine ihrer größten Stärken. Wer dem Publikum jede Anstrengung ersparen will, und sei es auch nur die, eine viersätzige Symphonie im Ganzen und ohne Unterbrechung zu hören, betrügt es um das, was diese Musik ausmacht und auslösen kann. Das erfordert Aufwand, Konzentration, Übung, Wissen und nicht zuletzt Zuneigung, aber es lohnt sich, all das aufzubringen bzw. zu erlernen. Große Kunst ist nie "einfach", auch wenn sie dann und wann so erscheinen mag. Sie braucht deshalb vielleicht eine Art der "Vermittlung", aber sie braucht gerade deshalb nicht die Lüge, sie sei genauso leicht zu bekommen wie ein Schlager.


    Warum sollte dieser Grundsatz gelten? das fragt im Beitrag #205 ChKöhn.


    Weil mir nicht bekannt ist, daß Mißerfolg positiv ausgelegt ist.

    Meine Frage war: Warum sollte der Grundsatz gelten "Erfolg hat recht"? Diese Frage wird nicht durch die Feststellung beantwortet, dass das Gegenteil nicht zutrifft. Ich halte diesen angeblichen "Grundsatz" aus vielen Gründen für falsch, aber wir müssen das auch nicht unbedingt diskutieren ;).

  • Ich denke das auch reine Konsumenten von klassischer Musik diese Musik lernen müssen, und das ohne kognitives Wissen. Vermutlich können sich das Menschen die mit Musikunterricht groß geworden sind, so gar nicht vorstellen.
    Die wenigsten werden dabei mit Bartok anfange, ohne Erfahrung macht der Chaos im Kopf. Die meisten werden wie ich mit Wohlfühlklängen begonnen haben und dann kommen da doch immer mal wieder so kleine Brüche, die wach machen, wem die auch Freude machen der geht weiter. Irgendwann nimmt man diese kleinen Brüche anders wahr, man erwartet sie, ist enttäuscht wenn sie ausbleiben und sucht nach interessanterer Musik. Das Wissen um die Musik bleibt emotional und sehr persönlich.

    Selbst im Musikunterricht wird kaum Klassische Musik gespielt, sondern die neue Musik. Ich bekomme mit dass die Lehrer ab der 5. Klasse fast ausschließlich englischsprachige Popsongs sowie Wunschnkonzerte vom den Schülern zentral im Unterricht behandeln. Die Fantasie der der Kinder, der Bezug zur Natur usw. werden dadurch kaputt gemacht.

    Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie. Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die anderen schleppen.

    Ludwig van Beethoven


    Bruckner+Wand So und nicht anders :)

  • Ich denke mit "Silver Age" wird eine Phase russischer Literatur am beginnenden 20. Jahrhundert bezeichnet, die gerne auch frei übertragen wird auf Produkte der Malerei und Musik dieser Zeit. Was mich an diesem Titel etwas stört, ist, dass viele wertvolle Erzeugnisse dieser Zeit nicht aufgenommen wurden (bei Stanchinsky angefangen) - Trifonov beschränkt sich eher auf das Bekanntere - und nimmt aber mit Prokofieffs Kriegssonate ein Stück auf, was mit dem Silver Age nun nichts zu tun hat.


    Im Endeffekt aber ein lässliche Sünde, womit man mit ein paar Jahren Vorhölle schon alles beglichen haben sollte :)

    Das wirkt doch alles an den Haaren herbeigezogen! Da wird eine Pseudo-Ambitioniertheit herbeigezaubert, die mit dem Inhalt der CD nicht viel zu tun hat. Ich bin kein Fachmann für russische Literatur, insofern war mir das nicht geläufig. Die allermeisten potentiellen Käufer können den Bezug auch nicht herstellen. Also bleibt der bloße Titel - ein Marketing-Gag. Wenn man eine "programmatische" CD macht, dann sollte das auch bewusst geschehen. Bei Helene Grimaud gibt es wenigstens die Bemühung, der eigenen Ambition gerecht zu werden. Sie schreibt ihren eigenen Klappentext... ;)

    Wer dem Publikum jede Anstrengung ersparen will, und sei es auch nur die, eine viersätzige Symphonie im Ganzen und ohne Unterbrechung zu hören, betrügt es um das, was diese Musik ausmacht und auslösen kann. Das erfordert Aufwand, Konzentration, Übung, Wissen und nicht zuletzt Zuneigung, aber es lohnt sich, all das aufzubringen bzw. zu erlernen. Große Kunst ist nie "einfach", auch wenn sie dann und wann so erscheinen mag. Sie braucht deshalb vielleicht eine Art der "Vermittlung", aber sie braucht gerade deshalb nicht die Lüge, sie sei genauso leicht zu bekommen wie ein Schlager.

    Genau so denke ich auch! :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Zu dem Thema der lohnenden Anstrengung, sich mit Klassischer Musik zu beschäftigen, gibt es übrigens das wunderbare Buch "Die Leichtigkeitslüge" von Holger Noltze. Ich war mal im Vorstand des Alumni-Vereins unserer Hochschule und habe dort vorgeschlagen, den Autor zu einem Vortrag einzuladen, der dann auch tatsächlich stattfand. Da er in seinem Buch unter anderem ausdrücklich den damals noch recht jungen Studiengang "Musikvermittlung" in Detmold kritisierte, habe ich mir damit an der Hochschule vorsichtig gesagt nicht nur Freunde gemacht :).

  • Das wirkt doch alles an den Haaren herbeigezogen! Da wird eine Pseudo-Ambitioniertheit herbeigezaubert, die mit dem Inhalt der CD nicht viel zu tun hat.

    Das ist richtig! Wem aber der Titel egal ist, kann durchaus Gefallen an den Stücken finden. Da sind mit den Sarkasmen und Strawinskys neoklassicher Phase durchaus interessante Werke drauf. Selbstverständlich hat an dem Titel "Silver Age" das Marketing der DG mitgewirkt ....


    Bei Helene Grimaud gibt es wenigstens die Bemühung, der eigenen Ambition gerecht zu werden. Sie schreibt ihren eigenen Klappentext... ;)

    Anders als Du, denke ich, dass Grimaud eine kluge Frau ist. Ich meine, leicht autistische Züge wahrnehmen zu können, was ich ihr bei meiner eigenen Profession nicht übelnehmen werde :P. So, wie ich das sehe, gelingt ihr deswegen die Bach/Busoni Chaconne so außerordentlich gut :). Grimaud erscheint mir völlig anders, als man es vielleicht vermuten mag, eher nicht so extrem publikumsorientiert.

  • Wer dem Publikum jede Anstrengung ersparen will, und sei es auch nur die, eine viersätzige Symphonie im Ganzen und ohne Unterbrechung zu hören, betrügt es um das, was diese Musik ausmacht und auslösen kann.

    Das ist natürlich richtig! Die eigentliche Frage war für mich aber mehr in die Richtung, ob über bestimmte Alben, die sich etwas von der "klassischen" Zusammenstellung wie: "Alle Beethovensonaten", oder Mahlers Achte entfernen und sozusagen über den "Mood" des Interpreten entstehen ( so es denn wirklich der Fall ist) nicht Einstiegswege in die Klassik gefunden werden können. Der erste Brahms, den ich hörte, waren eben Ungarische Tänze für Orchester und nicht Op. 5 oder so ....


    Bei Beethoven waren es lustigerweise wirklich alle Sonaten von Gulda :)

  • Wenn man eine "programmatische" CD macht, dann sollte das auch bewusst geschehen. Bei Helene Grimaud gibt es wenigstens die Bemühung, der eigenen Ambition gerecht zu werden. Sie schreibt ihren eigenen Klappentext... ;)

    Es ist nicht zu übermerken, lieber Holger, dass Dir diese "Mode" nicht gefällt. Freilich sucht auch nicht jeder den Zugang zur Musik über Adorno. Ich bin Axel für seinen Hinweis dankbar, denn diese Verbindung zum "Silver Age" war mir nicht bekannt (dem Russen Trifonof wahrscheinlich schon).


    Große Kunst ist nie "einfach", auch wenn sie dann und wann so erscheinen mag. Sie braucht deshalb vielleicht eine Art der "Vermittlung"

    Richtig und unstreitig, aber sie wird durch Vereinfachung nicht klein. Du als praktizierender und ausgebildeter Musiker wirst in ein und demselben Werk mutmaßlich etwas anderes hören als ich, der ich ein Laie bin und Musik hauptsächlich emotional höre. Wahrscheinlich liegt mir deshalb Rubinstein mehr als Horowitz, Samson Francois ohnehin. Und obwohl ich duchaus gerne auf den Pfaden der Musik des 20,. Jh. wandele frage ich mich so manches mal, wenn ich sehe, was Axel hört, was er da wohl "hört", jedenfalls dann, wenn ich den Hörschnipseln der verlinkten CDs folge. Das Gebiet wird mir unerreichbar bleiben.


    Der Mensch, der kein Studium hinter sich gebracht hat und auch kein Abitur, der Tag für Tag seiner Arbeit nachgeht, vielleicht Familie hat, der wird sich mit Holgers und Deinem Zugang schwer tun. Für die sind 90 min Mahler ein schwer zu handelnde Zumutung. Auch und vor allem zeitlich. Für den philosophisch-soziologischen Überbau zu dieser knappen Anmerkung empfehle ich Hartmut Rosa: Resonanz (auch für so ein Buch brauchts viel Zeit, und da ich die nicht habe, habe ich mich sehr gefreut, dass Rosa die diesbezüglichen Thesen -es ging tatsächlich um Musik- mit Nico Paecht auf youtube diskutiert hat).


    Und eine ganze Oper wird man bestenfalls im Opernhaus hören, aber nicht auf dem heimischen Plattenteller. Ich sehe ja an mir selber, wie ich mir regelmäßig den Freiraum für konzentriertes Musikhören schaffen muss. Und dabei habe ich den Vorteil, daß ich seit Kindesbeinen immer Musik gehört habe, zuallermeist "Klassik" (schon ulkig, dass dieser Begriff für die Musik vom 10 Jh. an bis zum 21. Jh. als Abgrenzungsbegriff zu Rock,Pop, etc herhalten muss, man sehe mir daher die das Wort Klassik einkleidenden Gänsefüsschen nach). Viele Stücke sind mir vertraut genug, dass ich sie nebenbei beim Autofahren hören kann. Ich habe mich damit abgefunden, dass aus verschiedenen Umständen heraus mich vieles nicht erreichen wird, das was mich erreicht ist beglückend genug. LPs und CDs zusammengenommen hat diese Leidenschaft im Laufe der Jahrzehnte zu einer Sammlung im oberen vierstelligen Bereich geführt.


    Aber Brahms auf Helene-Fischer-Niveau zu reduzieren,

    Das tut wohl niemand. Manchmal mogelt man die klassischen Sachen hinterhältig in den Schlager, ohne es kenntlich zu machen ("Wenn die Rosen erblühen in Malaga" Cindy und Bert nach Chabrier: Espagna oder "Rote Rosen" Freddy Breck nach Tschaikowski: Capriccio Italien). Speziell bei Brahms fällt mir jetzt auch nicht allzuviel Gängiges ein, das sich in den Pop-Bereich umswitchen ließe, das Wiegenlied, klar, und die Ungarischen Tänze, aber sonst? Das Klavierquintett vielleicht? Abseits von Carl Orff muss man wohl eindeutig in der Zeit vor Brahms schauen, was zur popmusikalischen Vereinfachung taugt. Ein bisschen Mozart gefällig? Sky musiziert hier mit Sir Neville Marriner und der Academy:



    Es ist schon erstaunlich, dass es einige Werke der Musikgeschichte gibt, die für immer neue Arrangements herhalten müssen. Ich gebe Holger allerdings in einem Punkte recht:



    Garret ist geigentechnisch hoch begabt - am Brahms-Violinkonzert ist er aber grandios gescheitert.

    Den Graus habe ich live in Gütersloh gehört. Und, was soll ich Dir sagen: da saßen gefühlt 50% der Besucher im Auditorium, die sich sonst wohl nie das Bruch und das Brahms-Konzert angehört hätten (entsprechend wurde auch nach den einzelnen Sätzen geklatscht). Das hat mich dann wieder mit der Figur Garret versöhnt. Aber in die Richtung äußerte ich mich weiter oben bereits:


    Der musikalische Ertrag ist mäßig und passt zu den oberflächlichen Hintergrundinformationen seiner Anmoderation zu den Werken.


    Letzten Endes: schaut man auf die Erfolge einiger Klassikstars (Drei Tenöre, Waldbühnenkonzert), kann mir keiner erzählen, dass klassische Musik grundsätzlich unpopulär sei. Es muss ja nicht gleich Mahler9 sein.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Anders als Du, denke ich, dass Grimaud eine kluge Frau ist. Ich meine, leicht autistische Züge wahrnehmen zu können, was ich ihr bei meiner eigenen Profession nicht übelnehmen werde :P . So, wie ich das sehe, gelingt ihr deswegen die Bach/Busoni Chaconne so außerordentlich gut :) . Grimaud erscheint mir völlig anders, als man es vielleicht vermuten mag, eher nicht so extrem publikumsorientiert.

    Wie kommst Du denn darauf, dass ich so über Helene Grimaud denke? ^^ Sie ist eine Persönlichkeit, die über die Welt nachdenkt und entsprechend die Musik, die sie spielt, als Ausdruck ihrer philosophischen Auseinandersetzung sehen kann. Das finde ich eine Bereicherung. Nur ist der Anspruch dieser intellektuellen Bergbesteigung hoch - und auch die Gefahr, dabei dann musikalisch in die Gletscherspalten tief zu fallen. Sich mit dem Thema "Wasser" in der Musik zu beschäftigen - also das Programm unter thematischen Gesichtspunkten auszusuchen - finde ich erst einmal sehr einladend. Nur ist auch sie nicht davor gefeit, ins Sentimentalisieren abzugleiten - eigentlich eine verpasste Chance. Man vermisst bei ihr ein zur intellektuellen Höhe, also dem philosophischen "Überbau", entsprechend passendes Niveau der Interpretation der einzelnen Stücke. Da bleibt sie leider doch ziemlich neuromantisch naiv und pauschal. Ihre CDs "Water" und "Memory" hatte ich hier (Links s.u.!) besprochen:



    Aktive Pianisten unserer Tage - Hélène Grimaud - die mit dem Wolf tanzt? Oder viel Lärm um nichts?


    Aktive Pianisten unserer Tage - Hélène Grimaud - die mit dem Wolf tanzt? Oder viel Lärm um nichts?

    Das ist richtig! Wem aber der Titel egal ist, kann durchaus Gefallen an den Stücken finden. Da sind mit den Sarkasmen und Strawinskys neoklassicher Phase durchaus interessante Werke drauf. Selbstverständlich hat an dem Titel "Silver Age" das Marketing der DG mitgewirkt ....

    Das Programm an sich ist schön - stimmt.

    Das ist natürlich richtig! Die eigentliche Frage war für mich aber mehr in die Richtung, ob über bestimmte Alben, die sich etwas von der "klassischen" Zusammenstellung wie: "Alle Beethovensonaten", oder Mahlers Achte entfernen und sozusagen über den "Mood" des Interpreten entstehen ( so es denn wirklich der Fall ist) nicht Einstiegswege in die Klassik gefunden werden können.

    Du bemühst jetzt aber die Extreme. "Horowitz at Carnegie Hall" ist auch ein Mischprogramm. Horowitz sagte gerne: "A concert is not a lecture!" Er verstand es aber, eine Mischung aus Ambitioniertem und Eingängerem zu geben.

    Es ist nicht zu übermerken, lieber Holger, dass Dir diese "Mode" nicht gefällt. Freilich sucht auch nicht jeder den Zugang zur Musik über Adorno.

    Meinst Du, ich habe erst Adorno gelesen, bevor ich mir z.B. Mahler erschlossen habe? Weit gefehlt! Den Zugang haben mir die Musiker ermöglicht, insbesondere Claudio Abbado und Auslöser für mein Interesse war eine familiäre Begegnung. Ich verbrachte in meiner Jugendzeit regelmäßig den Sommer in Holland und dort gab es einen Mahler-Fan, der ständig Mahler hörte. Mahler war mir bis dahin völlig fremd. :D

    Für den philosophisch-soziologischen Überbau zu dieser knappen Anmerkung empfehle ich Hartmut Rosa: Resonanz (auch für so ein Buch brauchts viel Zeit, und da ich die nicht habe, habe ich mich sehr gefreut, dass Rosa die diesbezüglichen Thesen -es ging tatsächlich um Musik- mit Nico Paecht auf youtube diskutiert hat).

    Sieh an, Du liest Hartmut Rosa! :) Rosa spielt übrigens Orgel! (Von Rosa habe ich das Beschleunigungs-Buch gelesen - mit dem Resonanz-Buch beschäftigt sich meine Frau, die mal seinen Lehrstuhl in Jena vertreten hat. Das Resonanz-Buch kenne ich mehr aus Diskussionen.) :)


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Richtig und unstreitig, aber sie wird durch Vereinfachung nicht klein.

    Kommt drauf an, wie stark die Vereinfachung ist. Man kann z.B. vereinfachen, indem man Wiederholungen weglässt, was ich in den meisten Fällen legitim finde (das habe ich persönlich z.B. bei sperrigen Stücken auch schon mal aus dem einzigen Grund gemacht, das erwartete Publikum nicht zu überfordern). Die Steigerung wären dann einzelne Sätze statt ganzer Werke, nun ja, vielleicht immerhin besser als gar nichts, und möglicherweise will der ein oder andere dann doch wissen, "wie es weiter geht" und hört sich auch mal die anderen Sätze an. Aber Beethovens Fünfte von David Garrett zu einem dreieinhalbminütigen Pop-Reißer reduziert, nur der erste Satz, ohne Entwicklung, ohne zweites Thema, mit pseudo-schmissiger Schlagzeuguntermalung, was hat das mit Beethoven zu tun, und wie soll es also den Weg zu Beethoven weisen? Selbst wenn jemand dadurch neugierig würde, mal die Fünfte zu hören (was ich für sehr unwahrscheinlich halte), dann wäre er doch nur enttäuscht, dass es da nicht so "abgeht" wie bei Garrett. Ich mache ihm überhaupt keine Vorwürfe, er soll das machen, was er für richtig hält und womit er Erfolg hat. Er soll nur nicht behaupten, diese Musikpornos mit vorgespielten Emotionen hätten etwas mit Beethoven zu tun.


    Der Mensch, der kein Studium hinter sich gebracht hat und auch kein Abitur, der Tag für Tag seiner Arbeit nachgeht, vielleicht Familie hat, der wird sich mit Holgers und Deinem Zugang schwer tun. Für die sind 90 min Mahler ein schwer zu handelnde Zumutung.

    Deshalb gibt es ja auch in vielen Konzerthäusern inzwischen Einstundenprogramme mit anfängertauglicher Werkauswahl. Auch das ist eine Form der "Vereinfachung".

  • Und obwohl ich duchaus gerne auf den Pfaden der Musik des 20,. Jh. wandele frage ich mich so manches mal, wenn ich sehe, was Axel hört, was er da wohl "hört", jedenfalls dann, wenn ich den Hörschnipseln der verlinkten CDs folge. Das Gebiet wird mir unerreichbar bleiben.

    Ich weiß nicht, ob man da was erreichen muss. Aber danke, ich meine Musik zu hören :).


    Aber hier muss ich den oben in einem Beitrag gescholtenen Musikunterricht in Schutz nehmen. Quintenzirkel, Fugen, Sonate, Dodekaphonie, serielle Musik waren Teile des Unterrichts und ich weiß noch, dass ich mit Spannung Stockhausens Jünglinge und Boulez Structures gehört habe. Wir haben uns u.a. damit auseinandergesetzt, was Skriabin und Debussy von Chopin geklaut haben und was eben auch nicht. ... Diesem Unterricht bin ich heute sehr dankbar. Diese Dinge helfen mir sogar im Forum ^^


    Also, wenn ich jetzt nachdenke, bin ich fest davon überzeugt, Musik zu hören :P



    Wie kommst Du denn darauf, dass ich so über Helene Grimaud denke? ^^

    Ich muss zugeben, dass ich das etwas voreilig aus der Positionierung ihrer CD in Deinem Beitrag herauszulesen meinte. Sorry.

  • Also, wenn ich jetzt nachdenke, bin ich fest davon überzeugt, Musik zu hören :P

    Von nichts anderem bin ich ausgegangen, sonst würdest Du das ja nicht in der Intensität tun.
    Eine Musikunterricht wie den Deinen hatte ich nie, weshalb mir manches unverständlich bleibt, anderes mich anspringt (Maderna, Messiaen), ohne dass ich erklären könnte, warum das so ist.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Den Graus habe ich live in Gütersloh gehört. Und, was soll ich Dir sagen: da saßen gefühlt 50% der Besucher im Auditorium, die sich sonst wohl nie das Bruch und das Brahms-Konzert angehört hätten (entsprechend wurde auch nach den einzelnen Sätzen geklatscht). Das hat mich dann wieder mit der Figur Garret versöhnt. Aber in die Richtung äußerte ich mich weiter oben bereits:

    Ich glaube, es gibt einige grundsätzliche "Denkfehler" in der Betrachtung vor allem von Crossover-Geschichten und solchen Phänomenen wie Garret. Es ist nämlich ein grundlegender Unterschied, ob man Hörer hat, die schon was ihre musikalischen Vorlieben angeht fest sozialisiert sind oder den Jugendlichen, der die musikalische Welt erst kennenlernen will. In meinem Elternhaus gab es viel Unterhaltungsmusik - meine Eltern musizierten beide, es wurde gesungen, viele Schlager, zum Karneval mit den Nachbarn die Karnevalsschlager. Entsprechend gab es in der Schallplattensammlung die Kings Singers, Louis Arnstrong, Volksliedplatten, auch Schlagerplatten, keineswegs nur Klassik also. Dann darf man nicht vergessen, dass im Unterschied zu heute die Plattensammlung überschaubar war. Es wurde eigentlich am meisten Radio gehört. Bei der Klassik wurden die Brandenburgischen Konzerte gespielt, oder Händels Wassermusik, ein Beethoven Klavierkonzert, Kempffs Mozart-Platte, Beethovens 5. Symphonie... Man hatte keine Probleme damit, auch längere Werke zu hören, die meist im Radio liefen. Man ist da rein gewachsen in die Musik und hat sich mit der Zeit ausgesucht, was einem gefiel. Bei mir war es so, dass die Unterhaltungsmusik für mich unattraktiv wurde, weil ich Klassik einfach schöner und berührender fand. Dazu kommt - das halte ich für sehr entscheidend - dass ich ein Musikinstrument (Klavier) gespielt habe. Dann interessiert man sich besonders für Klaviermusik. Das Problem der Popularisierung von Klassik entsteht, wenn man sich an Hörer mit schon festen Gewohnheiten wendet, die nicht gewöhnt sind, die Geduld aufzubringen, ein Klavierkonzert oder eine Symphonie ganz zu hören, weil sie nur "Songs" konsumieren, die eingängig und kurz sind. Dann geht die Identifikation auch über den Künstler als Unterhalter. Es ist aber wieder ein sehr spezielles Publikum, was eher wenig Affinität zu Klassik hat und zu Garret oder Lang Lang geht. Die große Masse der Pop-Hörer ist das keineswegs - die nimmt von Klassik so gut wie keine Notiz und ist auch durch Crossover-Geschichten nicht zu bewegen. Und der Teil wiederum, der durch eine Garret-Show dann motiviert wird, in ein konventioneller Symphoniekonzert oder eine Oper zu gehen, dürfte wieder verschwindend gering sein.

    Letzten Endes: schaut man auf die Erfolge einiger Klassikstars (Drei Tenöre, Waldbühnenkonzert), kann mir keiner erzählen, dass klassische Musik grundsätzlich unpopulär sei. Es muss ja nicht gleich Mahler9 sein.

    Das ist in der Tat ein Punkt. Auch die Klassikhörer sind fraktioniert. Es gibt die Liebhaber von Stimmen, die Arien gerne hören, sich an einem Koloratursopran erfreuen, auch mal eine Mozart-Symphonie hören aber ansonsten kaum Instrumentalmusik hören. Dann gibt es Klassik-Hörer, die viel Barockmusik hören und für die die Musik bei Brahms aufhört - die sich also nie Debussy z.B. anhören würden. Bei Jazz-Hörern ist es ähnlich. Free-Jazz ist nicht Jedermanns Sache...


    Ich habe ja nun viel Kritisches gesagt zu diesen Alben. Ich bin aber auch kein Freund dieses gewissen monumentalischen Purismus, dass es immer die großen "bedeutenden" Werke sein müssen. Ich mag z.B. die Zugabenprogramme von Künstlern, die Ausdruck seiner Persönlichkeit sind und "kleine Stückchen" darbieten, die man sonst nur bei Konzertmitschnitten mitbekommt als "Beiwerk" sozusagen. Auch das ist eine Ernst zu nehmende Literatur - und die sollte man nicht einfach verachten. Diese "Stückchen" sind in Wahrheit "Präziosen"; sie sind sehr unterschiedlich im Charakter, mal schlicht, mal hoch virtuos, mal dramatisch. mal verträumt. Sie verlangen den reifen Gestalter mit viel Stilempfinden und gutem Geschmack, der sozusagen durch die verschiedenen musikalischen Welten wandern kann, ohne sich irgendwo zu blamieren. Zwei Beispiele - ein älteres:


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    Da ist z.B. ein Stück von Pancho Vladigerov drauf - Weissenberg ist Bulgare - von einem Komponisten, den wohl die wenigsten Klassikliebhaber überhaupt kennen.


    Besonders mag ich die "Encore"-Platte des leider schon verstorbenen Nelson Freire. Freire ist ein wahrer Pianisten-Gentleman, ein hintersinniger Virtuose, hoch sensibel, ein Ästhet mit viel Feingefühl, der sich immer wohldosiert Freiheiten erlaubt, die stets im Rahmen seines guten Geschmacks bleiben. Bezeichnend ist dieses Programm nicht einfach ein Potpourri. Es hat einen Schwerpunkt - eine größere Auswahl von Griegs Lyrischen Stücken.



    Schöne Grüße

    Holger

  • Von nichts anderem bin ich ausgegangen, sonst würdest Du das ja nicht in der Intensität tun.
    Eine Musikunterricht wie den Deinen hatte ich nie, weshalb mir manches unverständlich bleibt, anderes mich anspringt (Maderna, Messiaen), ohne dass ich erklären könnte, warum das so ist.

    Lieber Thomas Pape , wahrscheinlich muss ich mich für die rauhe Kürze meiner Antwort entschuldigen ... Deine Frage ist an sich berechtigt, nur kam ich mir irgendwie angegriffen vor, was mich in Verhaltensschemata der Kindheit zurückwarf :stumm:... Meine Hörgewohnheiten fielen damals auch schon auf und waren nicht von allen gelitten.


    Ich habe schon immer viel Musik gehört und die Frage, was ich da in der ganzen verbrauchten Lebenszeit getan habe, stellt sich natürlich. Gerade höre ich die Images von Debussy und bin über den erstaunlichen Klavierklang entzückt ... Der Titel heißt "Cloches à travers les feuilles" und hilft mir nicht wirklich :). Selbstverständlich könnte ich versuchen, mir da was zu imaginieren, aber das kommt mir wie eine Verflachung vor ... Die Klänge an sich berühren mich, ihre rhythmische Verdichtung, die zarten leisen Stellen und dieses seltsame Fließen der Musik (bei Debussy ganz besonders)


    Nun könnte man denken, ein paar Klänge, ein paar rhythmische Verdichtungen und so...daran soll's nicht liegen, das ist einfach :) Es gibt Gegenbeispiele, die nicht funktionieren. Würde ich die Images mit einem Streichquartett vorführen, wäre dieser Zauber weg. Das Klavier ist aufgrund seiner Mechanik schon ein sehr spezielles Imaginationsinstrument und hier am Dialog beteiligt. Auch, wenn das wie eine Rationalisierung aufgrund von Kenntnissen über Klaviertechnik klingen mag, meine ich das zu hören. Ich vernehme die ganze Zeit Debussy/Krier wie sie mir sagen: "Höre genau zu! ... Das ist die Welt, wie ich sie sehe. Besser kann ich es Dir nicht sagen, aber wenn Du zuhörst, bekommst Du eine Ahnung."


    Besser kann ich es nun nicht sagen :(


    Debussy ist für mich ein Großer (auf jeden Fall in den Images). Hier ermöglicht jeder Ton (jede Tonsequenz) einen kleinen Blick.


    Was mache ich also beim Hören? Ich schaue mir die Welt an :) Es ist aber keine Fotografie. Es ist eher ein progressiver Dialog, durch den mir die "Augen" geöffnet werden.


    Jetzt gibt es die Neugier zu erfahren, was ich alles so sehen kann. Daher höre ich mir immer wieder Neues an. Nicht alles zündet gleich, aber doch vieles auf die Dauer. Man muss ja auch bedenken, dass jeder Künstler eine eigene Sprache hat.


    Mittlerweile bin ich übrigens schon bei Szymanowski und seinen Masques. Wundervolle Stücke, aber irgendwie beladener. Sie atmen nicht dieselbe Freiheit wie Debussys Images, obwohl klanglich deutlich angelehnt ...


    Und da sind wir dann auch schon bei den Garretts und Rieus dieser Welt. Was passiert da beim Zuhören? Sie benutzen Sekundär- und Tertiärelemente der Musik (auch Primär, wenn man die Melodie dazuzählen möchte) und matschen das zu einem Sound zusammen. Das ist vollständig absehbar und langweilig. Hier wird mit der oberflächlichen Erinnerung an "richtige" Musik gearbeitet, was allen ein gutes Gefühl gibt, irgendwie an Kultur teilzunehmen. Es suggeriert den berühmten "Königsweg", den es nicht gibt.


    Das unterscheide ich aber von themenorientierten Alben wie zum Beispiel denen von Alice Sara Ott oder Hélène Grimaud.


    Und jetzt bin ich bei Scelsis erstem Streichquartett und muss mich etwas mehr konzentrieren .... :P

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  • Gerade höre ich die Images von Debussy und bin über den erstaunlichen Klavierklang entzückt ... Der Titel heißt "Cloches à travers les feuilles" und hilft mir nicht wirklich :) . Selbstverständlich könnte ich versuchen, mir da was zu imaginieren, aber das kommt mir wie eine Verflachung vor ...

    Das Stück habe ich selbst gespielt. :) Die Titel bei Debussy sind als symbolistische Andeutungen zur Anregung der Fantasie zu verstehen und nicht als "programmatische" Festlegung. Deshalb hat er in den "Preludes" auch die Titel gar nicht mehr über die Stücke geschrieben. Sie stehen erst am Ende in Klammern - um die freie Fantasie des Spielers nicht zu hemmen: (.... Danseuses de Delphes)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Eine Musikunterricht wie den Deinen hatte ich nie, weshalb mir manches unverständlich bleibt, anderes mich anspringt (Maderna, Messiaen), ohne dass ich erklären könnte, warum das so ist.

    Über meinen Musikunterricht habe ich mir, seit ich im Forum bin, zum erstenmal nach wirklich laaaaanger Zeit wieder Gedanken gemacht. Ich habe halt geglaubt, dass Musikunterricht halt so ist oder auch so sein muss (nach Lehrplänen und so... da müsssen sich ja Lehrer irgendwie schon dran halten :/)


    Wenn ich oben lese


    Ich denke das auch reine Konsumenten von klassischer Musik diese Musik lernen müssen, und das ohne kognitives Wissen. Vermutlich können sich das Menschen die mit Musikunterricht groß geworden sind, so gar nicht vorstellen.


    bin ich schon ein wenig platt. Was wird denn da nun durchgenommen? Wir hatten auch so eine Phase, wo jeder die Musik mitbringen konnte, die ihm gefiel. Die wurde dann auch analysiert, nicht immer mit begeisterndem Ergebnis :(. Da war einiges dran: Pink Floyd, Beatles, Stones und auch Schlager.


    Das hat aber nun keine von klassischer Musik abgehalten, aber wahrscheinlich auch nicht hingeführt. Ob unsere etwas bescheidenen Kompositionsversuche (ich habe mal eine Fuge komponiert - so schwer ist (war) das gar nicht, wenn man sie nicht hören muss :P - ), die vorgespielt und mit klassischer Literatur verglichen wurden, nun wirklich welche auf den vermeintlichen Pfad der Tugend gebracht haben, möchte ich bezweifeln ... ;)


    Was der Unterricht aber wirklich erreicht hat war, soweit mir überhaupt bekannt, dass einer meiner Freunde, der bis dato im wesentlichen ein Deep Purple Fan war und dessen einzige Auseinandersetzung mit Orchestermusik Jon Lords "Concerto for Group and Orchestra" war, sich plötzlich für Henzes Sinfonien interessierte, eine Begeisterung, die mir nun verwehrt blieb ....

    anderes mich anspringt (Maderna, Messiaen), ohne dass ich erklären könnte, warum das so ist.

    eigentlich denke ich immer noch, dass das ein sehr guter Weg zur Musik ist :)

  • Das Stück habe ich selbst gespielt. :) Die Titel bei Debussy sind als symbolistische Andeutungen zur Anregung der Fantasie zu verstehen und nicht als "programmatische" Festlegung. Deshalb hat er in den "Preludes" auch die Titel gar nicht mehr über die Stücke geschrieben. Sie stehen erst am Ende in Klammern - um die freie Fantasie des Spielers nicht zu hemmen: (.... Danseuses de Delphes)


    Schöne Grüße

    Holger

    Der Titel als Insprirationsquelle und nicht als bestimmendes Charakteristikum. Das finde ich ausgezeichnet .... . In vielen Veröffentlichungen der Préludes wird nicht darauf hingewiesen, dass das im Endeffekt keine Titel sind ....

  • Der Titel als Insprirationsquelle und nicht als bestimmendes Charakteristikum. Das finde ich ausgezeichnet .... . In vielen Veröffentlichungen der Préludes wird nicht darauf hingewiesen, dass das im Endeffekt keine Titel sind ....

    Das ist ja auch schwer zu realisieren: In Konzertprogrammen oder CD-Booklets kann man ja die "Titel" nur drucken oder eben nicht. Man kann sie aber nicht wie in den Noten erst nach den Stücken bringen. Vielleicht sollte man tatsächlich einmal so konsequent sein, sie nur als Teil der Notenschrift zu begreifen, die als Adressaten nicht den Zuhörer sondern den Pianisten hat, der eben daraus etwas machen muss. Dann könnte man sie im Programm einfach genauso weglassen wie Dynamik- oder Artikulationszeichen.

  • Auch die Kammermusik wird immer populärer 28 Mio Aufrufe in sieben Jahren spricht Bände :) André Rieu hat sein Pendant in der Kammermusik. Und Bizets Carmen, wenn das nicht Klassik ist, dann weiß ich auch nicht. Noch hat die populäre Begeisterung das Streichquartett nicht erreicht. Wir sind aber nah dran ...


    Bin mal gespannt, wann die ersten Streichquartettensembles im Beethovenhaus so auftreten ....


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  • Oh mein Gott, ist das furchtbar. :D


    Das kommt ganz darauf an, auf welcher Motivation basierend man sich dieses Video ansieht... ;)^^


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Mir wird übel, dann doch lieber DG ... <X

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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  • Wenn ich hier so lese, könnte doch tatsächlich der Verdacht aufkommen, klassische Musik solle gar nicht übermäßig populär werden. :/


    Eigentlich hatte ich Musik von Bartók vom Ragazze Streichquartett gehört, eines Ensembles von vier jungen Damen. Da gab es bei youtube in paar Filmchen über die Einspielung. Die höchste Klickzahl hatte ein über 8 Jahre altes Video mit etwas über 4000 Klicks. Das kleine Viodeo zur Komplettierung der Bartok Quatette im letzten Jahr dümpelt mit 700 Aufrufen so dahin. Eine hervorragende Einspielung, mit die größten Kunstwerke, die im 20. Jahrhundert für diese Gattung (und überhaupt) geschrieben wurden und keinen interessiert es :(.!


    Das hatte mich neugierig gemacht. Sah das denn bei allen Quartetten so aus? Wie man oben sehen kann, nein ... Man kann (meine heutigen Stichproben mal zur Grundlage gemacht ) allerdings sehen, dass mit den größeren Klickraten immer auch eine Tendenz zur Geschmacklosigkiet und musikalischen Vereinfachung zu finden ist. Einige bekannte Musiker haben durchaus auch mit wertvollen Interpretationen Erfolg, aber meistens sind es dann kleinere Stücke von Schubert oder Chopin ... und es gibt eine aktive Label-Vermarktung um den Künstler herum.


    Mal eine steile These: Das scheint eine Tendenz in der sogenannten klassischen Musik zu sein. In der Rockmusik ist diese Form der mit steigendem Publikum progressiven Primitivität und verwirrenden Geschmacksverirrungen so nicht zu finden.


    Nur mal so two cents .... Ich bin selbst über meinen entstehenden Wunsch überrascht, klassische Musik bleibe doch einem kleinen, an der Musik interessiertem Publikum vorbebehalten ... Gepuschtes Wachstum ist vielleicht nicht überall die Lösung aller Probleme :)


    BTW Hier einmal Busonis populärer Carmen-Blockbuster "Sonatina Nr. 6 super Carmen". Nett eingespielt :jubel: In 7 Jahren knapp 10000 Aufrufe! (und das liegt wahrscheinlich nicht zuletzt an der Reputation des Fazioli Flügels :S)


  • Wenn man den Blick über den nationalen Tellerrand hinaus z.B. nach Taiwan, China oder Südkorea richtet, ist Klassische Musik alles andere als unpopulär. In China gibt es seit Jahren einen regelrechten Boom, vermutlich über hundert Millionen Menschen spielen selbst ein klassisches Instrument (in erster Linie Klavier und meist aus chinesischer Produktion, aber auch so gut wie alle Orchesterinstrumente), es gibt zahlreiche moderne Konzerthäuser, viele junge Musiker kommen zur Ausbildung in den Westen (vor allem nach Deutschland), Musiker wie Lang Lang oder Yuja Wang haben den Status von Popstars, Gastkonzerte westlicher Spitzenorchester sind fast immer ausverkauft, werden per Video nach draußen oder im TV übertragen, und immer mehr chinesische Musiker tauchen auch in den Siegerlisten internationaler Wettbewerbe in Europa oder den USA auf. Ganz ähnlich in Südkorea: Der Gewinner des vorletzten Warschauer Chopin-Wettbewerbs Seong-Jin Cho ist in seiner Heimat gerade unter Jugendlichen ein bewundertes Idol, und es gibt inzwischen fast keinen internationalen Wettbewerb mehr, bei dem nicht südkoreanische Musiker auf den vordersten Plätzen dabei wären (und insgesamt weit erfolgreicher sind als z.B. deutsche). Kurt Masur hat schon vor 12 Jahren, als er hier in Detmold unser Hochschulorchester als Gastdirigent leitete, auf die Möglichkeit bzw. Gefahr hingewiesen, dass die Zukunft der Klassischen Musik nicht mehr primär in Deutschland oder Europa sondern in Asien sein werde, und er führte zur Untermauerung den Video-Mitschnitt einer Orchesterreise nach China vor, bei der er eine Begeisterung erlebt hatte, die alles hierzulande weit übertraf. Es ist mit Sicherheit nur eine Frage der Zeit, bis auch die ersten chinesischen Orchester in die Weltspitze vordringen werden. Das National Symphony Orchestra Taiwan hat bereits jetzt ein auch international konkurrenzfähiges Niveau erreicht, und in seinen Konzerten ist der Altersdurchschnitt der Besucher weit unter dem in Europa. Und auch das Beispiel von Jose Antonio Abreus "El Sistema" in Venezuela beweist, dass es durchaus möglich ist, Jugendliche für Klassische Musik zu interessieren und zu begeistern.

  • Wenn man den Blick über den nationalen Tellerrand hinaus z.B. nach Taiwan, China oder Südkorea richtet, ist Klassische Musik alles andere als unpopulär. In China gibt es seit Jahren einen regelrechten Boom, vermutlich über hundert Millionen Menschen spielen selbst ein klassisches Instrument (in erster Linie Klavier und meist aus chinesischer Produktion, aber auch so gut wie alle Orchesterinstrumente), es gibt zahlreiche moderne Konzerthäuser, viele junge Musiker kommen zur Ausbildung in den Westen (vor allem nach Deutschland),

    Das liegt aber nicht zuletzt auch daran, dass es in China mittlerweile eine breite Mittelschicht gibt, der es ökonomisch sehr gut geht. Und China ist ein Milliardenvolk. Die Zahl der Absolventen, die ein Studium für Klavier an einer Musikhochschule absolvieren, ist sehr hoch. In Europa dagegen - auch in Deutschland - geht es dem Mittelstand seit Jahren eher schlecht. Die Schere von arm und reich geht immer mehr auseinander und viele Leute aus dem gutbürgerlichen Milieu haben kaum noch Geld, um ihren Kindern den Musikunterricht zu finanzieren. Und es war - auch in Japan - immer so, dass es eine starke Tendenz gab, Kultur aus dem Westen zu adaptieren und so das eigene Selbstbewusstsein, gerade der Mittelschicht, zu erhöhen. Man müsste aber, um wirklich zu vergleichen, Zahlen haben, ob der Anteil der Hörer klassischer Musik prozentual wirklich so viel höher ist in China oder Korea. Es ist auch in Russland wohl so, dass klassische Musik einen höheren Stellenwert hat, zur nationalen Identität gehört. Jedenfalls hat die DGG gemerkt, dass Asien ein guter Markt ist und nimmt entsprechend die koreanischen und chinesischen Künstler gleich unter Vertrag, wenn sie einen Wettbewerb gewinnen. Bei einem Meisterklassenkonzert in Münster meinte Jerome Rose zu miir in der Pause, als ich bemerkte, dass bei aller technischen Perfektion doch etwas fehlen würde: "Die Chinesen wollen alle spielen wie Lang Lang!" Das war reine Ironie von ihm! :D

    Kurt Masur hat schon vor 12 Jahren, als er hier in Detmold unser Hochschulorchester als Gastdirigent leitete, auf die Möglichkeit bzw. Gefahr hingewiesen, dass die Zukunft der Klassischen Musik nicht mehr primär in Deutschland oder Europa sondern in Asien sein werde, und er führte zur Untermauerung den Video-Mitschnitt einer Orchesterreise nach China vor, bei der er eine Begeisterung erlebt hatte, die alles hierzulande weit übertraf. Es ist mit Sicherheit nur eine Frage der Zeit, bis auch die ersten chinesischen Orchester in die Weltspitze vordringen werden. Das National Symphony Orchestra Taiwan hat bereits jetzt ein auch international konkurrenzfähiges Niveau erreicht, und in seinen Konzerten ist der Altersdurchschnitt der Besucher weit unter dem in Europa.

    Sehr gut schon heute ist auch das Singapore Symphony Orchestra, das bis 2019 von Lan Shui geleitet wurde. Aktuell gibt Martha Argerich mit ihm Konzerte...


    Diese Aufnahme habe ich der Konkurrenz aus Europa vorgezogen:


    Und auch das Beispiel von Jose Antonio Abreus "El Sistema" in Venezuela beweist, dass es durchaus möglich ist, Jugendliche für Klassische Musik zu interessieren und zu begeistern.

    Das finde ich ganz großartig und sehr ermutigend! :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Das liegt aber nicht zuletzt auch daran, dass es in China mittlerweile eine breite Mittelschicht gibt, der es ökonomisch sehr gut geht. Und China ist ein Milliardenvolk.

    Das stimmt, aber wenn man die (von der chinesischen Klavierindustrie) geschätzte Zahl von 40 Millionen Klavierspielern annimmt, dann ist auch die relative Zahl ziemlich hoch.


    Bei einem Meisterklassenkonzert in Münster meinte Jerome Rose zu miir in der Pause, als ich bemerkte, dass bei aller technischen Perfektion doch etwas fehlen würde: "Die Chinesen wollen alle spielen wie Lang Lang!" Das war reine Ironie von ihm! :D

    Ein Satz, der mit "Die Chinesen" beginnt, kann eigentlich nur in einem Vorurteil enden. Jedenfalls kenne ich unter chinesischen Studenten ganz wunderbare, ernsthafte Musiker.

  • Mir scheint die Diskussion darüber, ob klassische Musik populär ist oder nicht, typisch deutsch zu sein.


    Klassische Musik als Vehikel für populäre Werbung ist sogar seit langer Zeit üblich und kommt gut an beim Publikum. Der Schuß kann aber auch für das werbende Unternehmen nach hinten losgehen wie vor einigen Jahren das bekannte Beispiel von Nestlé Schokolade mit "Carmina Burana" zeigte:

    Orffs Musik verkaufte sich wie verrückt, aber bei Befragungen stellte man fest, das das beworbene Produkt absolut nicht bekannter geworden ist.


    Einige weitere Werbebespiele mit Operntiteln aus dem 20. Jahrhundert

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    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

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