Ist Mozart überschätzt?

  • Hallo,
    Bei den sporadischen an der Oberfläche kratzenden Klassikhörern oder wie JR sagt "Wunschkonzerthörern" als auch seinem generellen Image und manchen Spätromantik, Moderne-Anhänger die sich noch zu wenig mit anderen Epochen auseinandergesetzt haben würde ich ihn auf jeden Fall als unterschätzt halten. Hier hat sich leider eher ein Bild
    von der Kleinen Nachtmusik, Flötenkonzerte,...und demzufolge dem seicht-fröhlichen Rokokogeplätscher verfestigt. Die Textzeile des Vogelfängers "...stets lustig heissa hopsasa" ist hier leider schon für Mozart selber zur Metapher und Sinnbild seiner Person und Musik geworden.
    Überschätzt würde ich ihn nur von manch engstirnig, dogmatischen Mozart-Freak halten der sonst innerhalb der Klassik nicht viel über den Tellerrand schaut.
    Inwieweit er zu seinen Lebzeiten unterschätzt wurde, haben wir soweit ich es in Erinnerung hab schon in einem anderen Thread hier durchdiskutiert? Ich glaub wir kamen da ungefähr auf den Konsens das manche Zeitgenossen zwar in manch jeweils von ihnen spezialisierten Gattung mit manchem Werk qualitätsmäßig ebenbürtig kamen, aber Niemand in so vielen Gattungen diesen Level erreichen konnte. Bei den Klavierkonzerten sowie der großen c-moll-Messe, von ihm stammenden Requiem-Teile konnte damals zu seiner Zeit meiner Meinung nach Niemand mithalten. Denke Mozart wurde aber nur teilweise unterschätzt bzw. war zeitweise nicht gefragt. Die Entführung, die Zauberflöte, manche Klavierkonzerte (am Trattnerhof),...hatten damals schon einen relativ großen Erfolg bzw. Zuspruch. Für mich ergibt sich eher ein differenziertes Bild.
    lg
    Thomas

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Entschuldigung, die Frage ist zu plakativ-provokativ, als dass sie wirklich provokativ wäre.


    Ich las in dieser Rubrik Hinweise auf die sogenannten Wunschkonzert-Hörer, was mich zu meinem ersten Superlativ des Mozartschen Schaffens bringt: er schafft es, mit seiner Musik Laien und professionelle Musiker zugleich anzusprechen. Man mag sagen, dass die ersten nur an der Oberfläche kratzten, aber wäre das richtig? Offenkundig können sie seine Musik emotional aufnehmen, was im Umkehrschluss heißt, dass er ihnen das dafür notwendige "Futter" liefert. Mozart war mit Sicherheit zu einem nicht unerheblichen Teil "Instinktkomponist". Anders läßt sich sein gemessen an seinen Lebensjahren gigantisches Oeuvre nicht erklären. Innerhalb dieses Instinktes lassen sich z.B. sein Gespür für eingängige Melodien und für eine überzeugende Charakterisierung seiner Opernprotagonisten einordnen. Führen wiir uns letztere Qualität vor Augen, werden von Musikwissenschaftlern unzählige Bücher über genau diese Fähigkeit und ihre Umsetzung geschrieben. Glaubte man ihrer Meinung, er hätte all das bewusst komponiert, hätte er an jeder Oper 10 Jahre gesessen. Hat er aber nicht. Also lassen sich die musikalischen Mittel, mit denen er seine handelnden Personen charakterisiert, nur mit einem Höchstmaß an treffsicherer Intuition erklären. Meines Erachtens trifft diese z.T. emotionale Herangehensweise genau auf die emotionale Aufnahmefähigkeit der Laien. Andere Gründe mögen in seiner noch nicht ausufernden Harmonik, in seinem noch übersichtlichen, formalen Aufbau und in seinen noch unexzessiven Ensemblegrößen liegen.


    Schaut man eine Etage tiefer (oder höher), kommt mir eine Begebenheit aus meinem Studium vor Augen. Mein Harmonielehre-Prof. spielte mir eine 4-taktige Modulation auf dem Klavier vor und fragte mich nach dem Komponisten. Ich antwortete: Mahler? Der romantische Schönberg? Nein, es war Mozart, Jupiter Sinfonie, 4. Satz, Takte 220-225. Unglaublich, wenn man es extrahiert hört! Ich habe später viele seiner größeren Werke aus den Klavierauszügen gespielt und jedes Mal den gleichen Effekt erlebt. Alles wirkt auf den ersten Höreindruck harmonisch eher einfach und ist bei genauerer Betrachtung doch immer höchst komplex - zumindest für seine Zeit, was übrigens einen Aspekt darstellt, den man nicht unterschätzen sollte, besonders in Bezug auf seine Verständlichkeit für Laien. Wir befinden uns mit ihm in der Harmonik der Kernklassik. Ein Bereich, der durch populäre Musik immer und immer wieder repetiert (wenn überhaupt) und damit bestätigt und "dem Volk" eingeimpft wurde. Ab Mitte der Romantik, in der sich die Harmonik galoppierend weiter entwickelte, sieht die Möglichkeit einer emotionalen Aufnahme eines Werkes schon völlig anders aus. - Betrachtet man aber obige Stelle aus der Jupiter-Sinfonie (oder die Fagott-Modulation aus der Ouvertüre von "La nozze di figaro" usw. - usw.), stellt man fest, dass er harmonisch die ungewöhnlichsten Wege gehen kann und es trotzdem immer logisch und leicht zum Klingen bringt. Also auch hier: eine leicht zugängliche Seite für den Laien, eine anspruchsvolle für den Musiker.


    Seine göttliche Melodik! Er besaß eine unvergleichliche Könnerschaft, wunderschöne Kantilenen zu schreiben und das für Gesangs- und Instrumentalstimmen. Hört man auf Aussagen von Instrumentalisten, so erfährt man, dass er die unvergleichliche Gabe besäße, ihr Instrument singen zu lassen. Der Hinweis auf den Gesang als Basis aller Melodik wird dabei immer wieder gegeben. Hört man dagegen einige Sänger wie z.B. Edda Moser, hört man: der Kerl hat uns ja permanent Intrumentallinien geschrieben. In der Tat gehören seine Gesangspartien zu den schwersten der gesamten Literatur (weshalb ich bei einigen berühmten Sängern/innen, die "lediglich" das italienische Fach bedienen konnten, keinesfalls einen Grund für ihre Absolutheitszuordnung erkennen kann). Dazu noch ein Beispiel: an einem Opernhaus wurde am Anfang der Spielzeit ein "bunter Abend" mit Ausschnitten der zu erwartenden Produktionen der kommenden Saison gegeben und dabei gleichzeitig die neuen Ensemblemitglieder vorgestellt. Darunter auch eine Sopranistin, die mich mit einer Arie aus einer Verdi Oper sehr überzeugte. Leider sang sie etwas später eine Mozart Arie, die gnadenlos ihre Register-Unausgewogenheit und ungenaue Intonation offen legte. Ich habe tatsächlich mit ihr gelitten, weil ich das Gefühl hatte, sie würde gerade von Mozart seziert werden. - Noch einmal zu seiner Melodik: es scheint, als hätte er die allgenein gültige Formel zum Schreiben einer Melodie gefunden. Er läßt Instrumental- und Gesangsmelodien auf einen Nenner erscheinen, als gäbe es keinen Unterschied zwischen diesen beiden Gattungen. Instrumente singen und Sänger fügen sich nahtlos in das Orchester ein.


    Dieser verdammte Mensch konnte instrumentieren, um welches Instrument es sich auch immer handelte. Fast immer bringt er in einer hoch komplexen Partitur alle Instrumentengruppen in genau den Tonbereichen, in denen sie am besten klingen. Jeder Orchestermusiker wird gerade das als Hauptmerkmal seiner Liebesbeziehung zu Mozart aufführen (außer den Trompetern natürlich.......). Daher "blühen" seine Orchester, aber nicht nur die. Man betrachte daneben z.B. sein Klavierwerk. Selbst das Klavier entwickelt bei ihm etwas Gesangliches. Die Töne lösen sich von dem schnöden "Filzhammer-Trifft-Auf-Seite"-Ursprung und geben dem Klavier etwas Kantilenenhaftes, etwas Geschmeidiges, etwas, das man eigentlich nur von Blas- oder Streichinstrumenten erwarten würde. Man schaue sich als Gegenbeispiel den guten Haydn an. Zweifellos ein sehr guter Orchestrator. Aber seine Klavierwerke erscheinen etwas "hölzern", das Instrument bleibt auf dem Boden stehen und schwingt sich nicht auf zu kantablen Klangeindrücken. - Außerdem: mit den scheinbar einfachsten Mitteln kann Mozart Klangassoziationen erwecken. Man denke nur an den "Türkischen Marsch". Wir hören u.a. Trommeln und Piccoloflöten und dabei spielt doch nur ein Klavier in einem noch nicht einmal allzu schweren Tonsatz.


    Ein weiterer Aspekt: "nur so viele Töne wie nötig......." - eine mehr als treffende Eigeneinschätzung. Er doppelt Töne nur selten, d.h. telt sie mehreren Instrumenten gleichzeitig zu. Jedes Instrument besitzt meistens seinen kleinen Bereich im Gesamtklang für sich allein. Und da er sich ja - wie bereits erwähnt - genau der klangschönsten Register der damals existierenden Instrumente bewusst war, ergibt sich daraus einer der Gründe, warum seine Orchester so luftig, so durchsichtig und so edel klingen. Die Kehrseite der Münze: wenn z.B. das 1. Fagott als einziges Instrument im ganzen Orchester die Durterz spielt, welche intonationsmäßig ein heikler Ton ist, dann kann es schon mit einer leicht unsauberen Intonation den gesamten Orchesterklang ruinieren. Ein weiterer Grund, warum Mozart bei Musikern sehr gefürchtet ist. - "So viel wie nötig" gilt aber auch für seine Melodik. Manchmal wirkt diese so schlicht oder rudimentär, dass man von Simplifizismus reden könnte. In realiter aber überlässt er es dem Zuhörer, sie entweder in der eigenen Fantasie weiter zu entwickeln oder sie intuitiv als eine durch geniale Abstrahierung entstandene allgemeingültige Formel zum Verständnis der eigenen, emotionalen Befindlichkeit anzunehmen und sich dadurch in der Melodik im wahrsten Sinn des Wortes "wiederzufinden".


    Ich kenne nur sehr wenige Musikgattungen, in denen Mozart nicht Bahnbrechendes mit Ewigkeitsgültigkeit geleistet hätte. Dieses zeigt nicht nur sein enorm kreatives Potential auf, sondern auch seine genaue Kenntnis der Gattungsformen, deren Geschichte und deren zeitgenössische Umsetzung. Einige Instrumentengattungen wären ohne seine Solokonzerte ihrer Repertoire-Höhepunkte beraubt (Klarinette, Fagott, Flöte, Oboe, Horn). Ohne seine Violin- und Klavierkonzerte wäre das Leben deutlich ärmer. Seine Konzertarien und geistlichen Werke, seine Kammermusik, seine Serenaden, seine Opern......, unmöglich, alles aufzuzählen. Aber nahezu alles setzte Maßstäbe!


    Es wurde im Forum darauf hingewisen, dass nicht alle seiner Werke Geniestreiche waren. Das war unter seinen Arbeitsbedingungen auch nicht möglich. Er verstand sich als Auftragskomponist. Dadurch mussten manchmal Stücke in höchster Zeitnot geschrieben werden. Daneben wird er wohl auch das eine oder andere Stück mehr oder weniger lustlos komponiert haben, weil die Gage mehr als schlecht war, er sich dazu aber auf Grund seiner Schulden gezwungen sah. Dem Selbstverständnis eines freischaffenden, unabhängigen Komponisten, der zuerst die Werke schreibt und sie dann verkauft, begegnen wir erst seit Beethoven.


    Beim nochmaligen Lesen meiner Zeilen fiel mir auf, wie oberflächlich oder auch nur an der Oberfläche kratzend diese Sätze erscheinen mögen. Es bleibt - wie immer bei Mozart - das grenzenlose, atemberaubende Staunen über so viel Genie, das die Sprache, die eigenen Worte und intellektuellen Fähigkeiten als nicht ausreichend erscheinen lassen.

  • Lieber Tastadur,


    vielen Dank für deine kompakte, sehr fundierte, äußerst zutreffende Zusammenfassung von Mozrats Genius. Denn genau das war er, vielleicht (trotz Bach) unser größtes Musik-Genie. Und ich wage mal die Behauptung: ohne (fremdgesteuerte) Intuition hätte er das auch gar nicht geschafft.
    Was mich speziell begeistert, sind seine Klavierwerke und seine Opern. Man kann das eigentlich auch gar nicht trennen. Andras Schiff spielt in einer Kadenz eines seiner Klavierkonzerte Melodien aus dem Figaro, und er selbst bringt im Figaro Melodien aus anderen Werken unter. Es flog ihm alles zu (von wo?).
    Auch wenn er nicht historisch verbürgt ist, regt der Film "Amadeus" zu einigen Überlegungen an. Z.B. in einer der letzten Szenen, als Moazrt Salieri die Noten seines Requiems in die Feder diktiert, geht es um das "Confutatis". Salieri glaubt in der Instrumentation Mozarts einen Fehler zu erkennen, eine Disharmonie, aber Mozart beharrt darauf mit den Worten "Das entspricht harmonisch".
    Entscheidend aber ist die Gesamtleistung. Da komponiert einer in 30 Jahren an die tausend Werke, und nicht eines ist schlecht. Er revolutioniert die Oper, das Klavierkonzert, die Klaviersonate und und und.


    ich würde mich freuen, lieber Tastadur, wenn wir noch den einen oder anderen Gedanken austauschen könnten,.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber William,


    zuerst Danke für Dein Lob, Deine Zustimmung. Bei Bach kann ich Dir allerdings nicht beipflichen. Wer könnte schon sagen, wer von beiden das größere Genie war? Und ist ein Vergleich überhaupt möglich und sinnvoll? Ich denke nicht. Unterschiedliche Epochen, unterschiedliche Möglichkeiten in Bezug auf Sänger, Instrumentalisten und Ensembles und unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte. Der eine ist so unvergleichlich wie der andere (und momentan bin ich ganz persönlich einmal wieder von Bach in Haft genommen).


    Du schreibst über Mozarts Intuition. Ich denke da an eine Aussage von Brahms. Er sagte sinngemäß: für eine Melodie oder ein Motiv kann ich nichts, es wurde mir von wem auch immer geschenkt. Aber der Rest, also die Zuordnung zu einer bestimmten Musikgattung, die Ausarbeitung etc. - für all das bin ich ganz persönlich verantwortlich. Das trifft es meiner Meinung nach ganz gut.


    Mozart hat bei seinen Opern an guten Tagen etwa 5 - 6 Partiturseiten geschrieben. Das entspricht im Durchschnittswert nicht einmal einer einzigen Arie. Damit wird deutlich, wie sehr die Intuition durch das Handwerk des Tonsatzes etc. dominiert wird. Mit anderen Worten: Tonsatz heißt Lernen und ohne immense Lernbereitschaft kann sich auch das größte Genie nicht ausbreiten. Bei dem Gedanken an Handwerk muss ich natürlich noch einmal auf Bach zurückkommen. Wie Schumann schon sagte: gegen den sind wir alle Stümper! Seine polyphone Meisterschaft läßt ihn auch hinsichtlich der Ausarbeitung, also des Handwerks, als ein intuitives Genie erscheinen. Wie wären seine kunstvollen, kontrapunktischen Gebilde, noch dazu in dieser quantitativen Größenordnung anders erklärbar?


    Aber wie gesagt: ein Vergleich zwischen beiden entspricht wohl den berühmten Birnen und Äpfeln.


    Viele Grüße,


    Tastadur

  • Der Mozart-Verehrer Musikwanderer hat sich mal in die Beiträge von Tastadur und Willi "versenkt" - da bleibt ihm nur zu sagen (respektive zu schreiben): à la bonheur!!!


    Da gehe ich mit den beiden Beiträgen völlig d'accord.


    Damit wäre für mich die Thread-Frage auch eindeutig beantwortet: Mozart war und ist nicht überschätzt, trotz der gegenteiligen Meinung von Hector Berlioz (der sehr viel mehr auf Gluck hielt) und noch manchem anderen - Reichardt beispielsweise - und sicher auch manchem Tamino.


    Und das darf doch auch sein. Ich habe ja auch sich körperlich ausprägende Abneigungen gegen eine bestimmt Art von Geräuschen, die von anderen dann wiederum Musik genannt wird...

    .


    MUSIKWANDERER

  • Ich finde es interessant, dass diese Frage immer wieder nur bei Mozart gestellt wird und nicht etwa bei anderen. In der Tat würden mir hier andere Kandidaten eher einfallen. Meiner Meinung nach ist Mozart jedenfalls weniger überschätzt als von seinen Verehrern für andere in nicht immer ganz nachvollziehbarem Ausmaß geliebt. Das hat viel mit Mozarts einzigartiger Klangsprache zu tun, die für viele, aber eben nicht alle, das Non-plus-Ultra ist. Kompositionstechnisch gesehen gehört Mozart natürlich zu allervordesten Gruppe der Komponisten, weshalb er aber besser als Bach oder etwa Haydn sein soll, ist mir bis dato noch nicht aufgegangen. Ich persönlich votiere für den ersten Platz auf jeden Fall für J.S. Bach.

  • Hallo „Neuer“, lieber Felix!


    Dein Eingangstatement kommt mit sich wunderndem Ausdruck daher. Die Antwort ist einfach: Weil Alfred diesen Thread so benannt hat. Sicher kann jeder, der es sich zutraut, die Frage auch zu anderen Komponisten stellen. Da Dir "andere Kandidaten" einfallen, wäre ein neuer Thread ja vielleicht ganz interessant.


    An meinem Avatar ist erkennbar, wem meine musikalische Vorliebe gehört. Insofern bin ich nicht der Meinung, daß Mozart überschätzt ist. Wenn andere anders urteilen - o.k - es steht ja jedem frei, seine eigene Meinung zu haben und sie zu äußern. Und da sind ja auch illustre Namen zu finden:


    Berlioz wurde in einem früheren Beitrag schon genannt; Glenn Gould, beispielsweise, hielt den "späten Mozart" für überschätzt, aber den "frühen Mozart" fand er "unerhört inspirierend". Beethoven gab zu, daß er Opern wie "Don Juan" oder gar "Così" nie hätte schreiben können, die Vorlage erzeugten bei ihm Widerwillen, waren ihm zu leichtfertig. Es gab da mal einen Musiklehrer, der den Untergang der Musik mit Beethovens Auftritt begonnen sah. Wolfgang Hildesheimer hat, wenn ich mich richtig erinnere, die "Zauberflöte" für "überschätzt" eingestuft. Die Meinungen gehen eben auseinander.


    Nur das Publikum hat sich, wie ich finde, aus dem albernen Streit herausgehalten. Es liebt nach wie vor diese Musik (fast hätte ich im Überschwang meiner Gefühle "Musik des Götterlieblings" geschrieben - aber ich schreibe so etwas natürlich nicht!) und hört sie - auf welche Weise auch immer.


    Wenn ich Mozarts Musik auch liebe, möchte ich mich trotzdem nicht der Meinung des Soziologen Norbert Elias anschließen, der Mozarts frühen Tod im Überschwang der Gefühle als „Tragödie der Menschheit“ bezeichnet hat. Eine Tragödie für die Musikgeschichte - vielleicht. Die Spökenkiekerei mit dem Blick auf das, was wir von ihm noch hätten erwarten können, ist schon belebend...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Weil Alfred eigentlich meint, dass Mozart "unterschätzt" sei...


    Beethoven hat sich meines Wissens nie anders als positiv über Mozarts Musik geäußert. Er lehnte bei Cosi und Don Giovanni die "unmoralischen" Libretti ab, wobei die zitierte Bemerkung m.E. sehr eng als Aussage über Beethoven selbst, der solche Themen nicht komponieren wollte, zu verstehen ist, nicht als Kritik an Mozart.
    Die Idee für den Kanon "Mir ist so wunderbar" stammt vermutlich aus einem ähnlichen Stück in Cosi fan tutte. Die Vermischung von Komik und Erhabenheit in der Zauberflöte zeigt sich ebenfalls in seinem Fidelio usw.


    Selbst wenn es einige Stileigenschaften geben mag, in denen Beethoven Haydn näher steht, so ist Mozart der Komponist, der ihn am stärksten unmittelbar beeinflusst hat und unter dessen Werken sich die deutlichsten Vorbilder für den jungen Beethoven finden.
    zB KV 563 -> op.3, KV 452 -> op.16, KV 464 -> op.18/5 und auch die ersten drei Klavierkonzerte und viele andere Stücke sind Mozart in mancher Hinsicht verpflichtet. Sogar bei einem späteren Werk wie op.59/3 kann man Verbindungen zum "Dissonanzenquartett" und zu den fugato-Finali von KV 387 und KV 551 ziehen.

    Struck by the sounds before the sun,
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ad Musikwanderer: ich war weniger davon überrascht, die Frage "Ist Mozart überschätzt" hier zu finden, als davon, dass sie allgemein so oft gestellt wird. Meiner Meinung nach liegt das eben daran, dass sich viele, ich inklusive, von den sehr starken Emotionen der Mozartverehrer für Mozart etwas abgeschreckt bzw. befremdet fühlen und evtl. darauf negaiv reagieren können. Natürlich gibt es auch Leute, die meinen, Mozart hätte nur "harmloses Geplätscher" komponiert. Das kann man aber, ebenso wie das Vorurteil, Bachs Musik sei emotionslos, getrost als Ignoranz bezeichnen.


    Ich persönlich würde einen "Ist x überschätzt" Thread eher nicht starten, da solche Themen ziemlich viel negative Emotionen freisetzen können. Schließlich lieben wir unsere Lieblingskomponisten ja wie enge Verwandte, nicht?

  • Beethoven hat sich meines Wissens nie anders als positiv über Mozarts Musik geäußert. Er lehnte bei Cosi und Don Giovanni die "unmoralischen" Libretti ab, wobei die zitierte Bemerkung m.E. sehr eng als Aussage über Beethoven selbst, der solche Themen nicht komponieren wollte, zu verstehen ist, nicht als Kritik an Mozart.

    Johannes hat die Crux meiner Argumentation offengelegt: ich weiß es ja auch nicht anders, als daß Beethoven die Musik Mozart immer positiv beurteilt hat. Die Ablehnung der "Vorlage" (wie ich schrieb), kann natürlich nicht auf Mozarts Musik übertragen werden...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

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  • Wie ich vermutlich schon irgendwo anders mal gesagt habe, finde ich ketzerischerweise den frühen Tod Mozarts zwar "menschlich" tragisch, aber musikalisch vermisse ich fast nichts. (Im Gegensatz zu zB Schubert, Mendelssohn, Weber, die m.E. alle ihr Potential in wichtigen Gattungen nicht ausschöpfen konnten)
    Natürlich hätte Mozart noch viele großartige Werke geschaffen, aber es gibt ja in beinahe allen Gattungen schon so viel hervorragendes, dass man sich nicht gut vorstellen kann, was da noch hätte kommen sollen.
    Man könnte ebenso spekulieren, dass er sich a la Rossini "entwickelt" hätte. Eine Ausnahme ist die Kirchenmusik; wäre er "Stephanskantor" geworden, hätten wir sicher eine großartige Reihe reifer Kirchenmusik in der Art des Requiem-Fragments.

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  • Zitat

    aber musikalisch vermisse ich fast nichts.


    Es ist immer eine Frage der Erwartung. Welche Opern hätte Mozart nach "Don Giovanni" geschrieben ?
    Wie wäre sein Verhältnis zu Beethoven gewesen (meiner spekulativen These zufolge: äußerst schlecht, zumindest aber : gespannt)
    Wenn man bedenkt, daß Mozart, wäre er 75 Jahre alt geworden, sowohl Beethoven, als auch Schubert überlebt hätte, dann darf mkan auch darüber nachdenken inwieweit er mit ihnen in Wettstreit getreten wäre, bzw wie die Interaktion zwischen beispielsweise Beethoven und Mozart gewesen wäre. Hätte Mozart Beethovens Stil übernommen oder sogar verfeinernd übertroffen ? Aber das führt zu weit....
    Ja - wieso habe ich seinerzeit gerade Mozart für dieses Thema gewählt ?
    Einerseits war er in meiner Jugend die hellste Sonne am Klassikhimmel, nahezu unangreifbar.
    Andrerseits gab es doch viele ähnlich klingende Komponisten, wenngleich dieser erste Eindruck vielleicht trügerisch war....?
    So fand ich Mozart als den geeignetesten Kandidaten. Wer einen ähnlich Thread mit einem anderen Komponisten eröffnen möchte: Nur zu.....

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Mozarts Opern, vor allem die da-Ponte-Opern, gehören auf jeden Fall zu den besten, die je geschrieben wurden und man kann sie immer wieder hören. Mit seiner Kirchenmusik kann ich gar nichts anfangen. Aber ich bin Protestant und liebe es, Schütz und Bach zu singen, aber auch die katholische Polyphonie, z.B. Palestrina. Da kann Mozart nicht mithalten. Aber er entstammt ja auch einer anderen Epoche, in der man nicht mehr so schreiben konnte wie die oben erwähnten Komponisten. Für einen Sänger, der nicht im Sopran singt, ist die Mozartsche Kirchenmusik (z.B. die Krönungsmesse) nicht anspruchsvoll und dankbar genug, wie es etwa bei Bach, Brahms, Schütz und Palestrina der Fall ist. Als Tenor ist man nur Begleitung.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Dass Mozart 75 Jahre alt geworden wäre, ist keine besonders realistische Annahme, ziemlich sicher deutlich über der seinerzeitigen Lebenserwartung, auch wenn Salieri und Spohr so ein Alter erreichten. Haydn wurde 77, war aber die letzten ca. 4 Jahre zu altersschwach zum Komponieren, Beethoven 56, Hummel 58
    Es ist ja eh alles kontrafaktisch, aber realistischer wäre wohl ein Leben bis ca. 1812-20. Ziemlich sicher wäre ein so lange lebender Mozart (anders als ein um 1800 versterbender) ein "Problem" gewesen, was zu allem möglichen hätte führen können. Vielleicht wäre Beethoven nicht der geworden, den wir kennen, sondern hätte sich, um sich von Mozart "abzusetzen", schneller anders entwickelt.


    Warum deren Verhältnis "äußerst" schlecht hätte werden sollen, ist mir allerdings nicht klar. Ich glaube zwar nicht, dass es was Vernünftiges mit dem Studieren bei Mozart geworden wäre, aber warum Beethoven einen lebenden Mozart hätte weniger bewundern sollen als einen verstorbenen, weiß ich nicht. Sie wären erst einmal auf den meisten Gebieten keine wirklichen Konkurrenten gewesen. Mozart hätte hauptsächlich Opern, evtl. Kirchenmusik für St. Stephan und natürlich auch weiter Instrumentalmusik komponiert. Beethoven wäre, wie auch in Wirklichkeit" zunächst in erster Linie Klavierkomponist und -virtuose gewesen. (Als Virtuose hätte ein länger lebender Mozart ziemlich sicher nicht mehr reüssieren können.)


    Die Idee, dass Mozart wie Rossini schon im mittleren Alter kaum noch komponiert hätte, ist natürlich auch reine Phantasie. Aber ich muss gestehen, dass ich der Idee, früh verstorbene Künstler wären eben entsprechend schneller gereift und ihr Oeuvre habe sich so in eine kürzere Spanne komprimiert, durchaus etwas abgewinnen kann. Nur nicht bei extrem jung verstorbenen wie Arriaga, Büchner oder vielleicht noch Schubert asl Grenzfall, bei denen man oft recht konkret sagen kann, was "fehlt".


    Obwohl ich mir bei Mozart natürlich vorstellen kann, dass es sehr interessant gewesen wäre, zB noch mehr Sinfonien (hier gibt es ja nur eine Handvoll reife Werke) oder zB ein reifes Violinkonzert, ein Cellokonzert usw. zu haben, fällt es mir schwer zu sagen, was "fehlt". Es gibt in praktisch allen Gattungen "unübertroffene" Werke, so dass keineswegs sicher ist, ob die Mozartianer nicht vielleicht gar enttäuscht von dem, was dort noch gekommen wäre, gewesen wären. (Und wie viele Mozarthörer haben Stücke wie zB Clemenza di Tito oder die Klaviertrios wirklich "auf dem Schirm"; es gibt ja so schon fast zu viele Werke, um sie alle gut zu kennen.)


    Ich meine keineswegs wie Gould, dass Mozart "schlechter" geworden ist. Man kann bei einem so jung und plötzlich verstorbenen Künstler nicht wissen, ob die relative Einfachheit, die einige späte Werke auszeichnet (man vergleiche Klarinettenkonzert und letztes Klavierkonzert mit den "großen" Konzerten von 1786 wie KV 491 oder 503) ein Stilwandel oder eine vorübergehende Erscheinung war. Aber wenn man sich darauf festlegen wollte, welche Werke Mozarts beste in den jeweiligen Gattungen sind, würde man wohl eher ca. 1786-88 als Höhepunkt seines Schaffens ansehen als 1789-91. Wie gesagt, soll das nicht heißen, dass die späteren Werke schwach wären oder dass eine Extrapolation auf verminderte Schaffenskraft sinnvoll wäre.


    Die Ausnahme, das Gebiet, auf dem etwas "fehlt" bzw. wir nur unvollendete reife Werke haben, ist die Kirchenmusik. Da ist das Requiem ein nur teils eingelöstes Versprechen auf eine Art Fusion von barocker Polyphonie, frühromantischem oder spezifisch Mozartschem Klangsinn und eindringlich-schlichter Melodik. Keine Palestrina-Kopie, aber jedenfalls genügend an Bach und Händel geschult, dass nicht nur der Sopran eine interessante Stimme hat.

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  • Nun, mit der Lebenserwartung war das früher eher so, dass wenn man über ein bestimmtes Alter war, die Chancen über 70 zu werden ziemlich gut lagen. Die durchschnittliche Lebenserwartung im 18.ten Jahrhundert war wohl kaum niedriger als die im frühen 20.ten Jahrhundert vor der Entdeckung der Antibiotika und wirksamer Anikrebstherapien. In diesem Sinne hätte Mozart gut und gerne bis 1725 oder länger leben können. Neben Haydn gäbe es ja auch Händel, Clementi, Spohr, Verdi, Saint-Saens als Beispiele durchaus bejahrter Komponisten.


    Ob sich Mozart gut mit Beethoven vertragen hätte weiß man natürlich nicht, aber ich vermute nein. Das Verhältnis Haydn-Beethoven war ja recht angespannt und Mozat seinerseits konnte bei Konkurrenz recht fuchsig sein - siehe die ungerechtfertigte Abqualifizierung Clementis und anderer Kollegen.


    Ich empfinde es auch so, dass Mozarts Werke in den letzten Jahren etwas an Stringenz verlieren, allerdings beginnt das schon vor 1788 und ist daher kein zeitlich scharf umrissenes Phänomen. Die genannten Klaviertrios, auch das geschmähte G-Dur Trio, wurde ja zur Zeit der großen Symphonien geschrieben. Die letzten beiden Violinsonaten noch früher. Meiner Meinung nach haben diese nicht die Qualität der Sonaten bis KV481. Klavierkonzerte wurden schon genannt, auch die Streichquartette wurden ja nicht besser nach KV465. Auf der Haben-Seite wäre aber z.B das Streichquintett D-Dur KV593 zu nennen, das ich für das stärkste Quintett Mozarts halte und eines für seine besten Werke überhaupt.

  • Schaffensphasen einer Dauer von unter 5 Jahren kann man wohl kaum für Entwicklungsprognosen verwenden, oder?
    Mozart hat doch beinahe 20 Jahre lang großartige Werke schaffen können, so kurz ist das nicht, finde ich.
    :hello:

  • Natürlich hätte Mozart noch viele großartige Werke geschaffen, aber es gibt ja in beinahe allen Gattungen schon so viel hervorragendes, dass man sich nicht gut vorstellen kann, was da noch hätte kommen sollen.

    Die Spökenkiekerei, wie ich es nannte, ist ja doch interessant: Trotz einer geringen Altersdifferenz von nicht einmal 15 Jahren ist die musikalische Kluft zwischen Mozart und Beethoven enorm. Das Beethoven keine "Così" schreiben konnte, ist ja seine eigene Einlassung. Aber daß Mozart niemals eine "Eroica" hätte schreiben können, ist eine Behauptung der Nachwelt. Stimmt das denn?


    Mozart hat in seinem kurzen Leben viele Jahre auf "Bildungsreisen" verbracht, die ihn mit allen musikalischen Strömungen seiner Zeit bekannt machten. Hätte er nicht als "älterer Meister" die neuen musikalischen Strömungen auch aufnehmen und in seiner Musik verarbeiten können? Wer kann schlüssig darstellen, daß so etwas wie die "Eroica" nicht aus seiner Feder gekommen wäre?

    .


    MUSIKWANDERER

  • Jetzt müsste ich nachlesen, aber sind die "Eroicas" von Dittersdorf und Gossec nicht noch zu Mozarts Lebzeiten erschienen? Wobei ich bei Gossec gar nicht weiß, welches Stück das war (ich glaube, Beethovens Eroica ist durch einen Gossec-Marsch inspiriert gewesen).
    Aber die Blüte der Revolutions- und Rettungsopern war wohl erst nach Mozarts Ableben. Vielleicht hätte er auch welche geschrieben. Und ein paar Eroicas. Aber nicht im Beethoven-Stil ...

  • Es sei an dieser Stelle auf die Mozart-Oper "Die Hochzeit des Figaro" heute um 21.20 Uhr auf ARTE hingewiesen, LIVE aus Aix-en-Provence. Ab 20.15 Uhr wird auf dem gleichen Sender das Portrait "Mozart Superstar" gezeigt...

    .


    MUSIKWANDERER

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  • Es sei an dieser Stelle auf die Mozart-Oper "Die Hochzeit des Figaro" heute um 21.20 Uhr auf ARTE hingewiesen, LIVE aus Aix-en-Provence. Ab 20.15 Uhr wird auf dem gleichen Sender das Portrait "Mozart Superstar" gezeigt...


    Und so sieht das wohl aus:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • ..., weshalb er aber besser als Bach oder etwa Haydn sein soll, ist mir bis dato noch nicht aufgegangen.


    Das mit dem "Besser" ist ohnehin eine heikle Sache. Aber für Mozart spricht, dass er praktisch alle Gebiete Bachs und Haydns ebenfalls mit erstklassigen Werken abdeckt und dazu ein überragender Musikdramatiker war. Als Universalist steht er fast einzigartig da (mit Haydn als immerhin ernsthaftem Konkurrenten) und ein Vergleich mit Bach ist insoferne schwierig, da es sich doch um stark unterschiedliche musikalische Welten handelt - viel unterschiedlicher als es die geringe Differenz der Lebenszeiten vermuten lässt.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Dem Argument der Universalität kann ich schon einiges abgewinnen. Ich hätte auch Bauchweh, Spezialisten wie Chopin, Wagner oder Verdi - trotz ihrer unbestreitbaren Meisterschaft - als "beste Komponisten" zu verstehen. Aber es gibt auch eine gewisse Grenze, denn Bach hat zwar keine Opern aber Tonnen von Vokalmusik geschrieben - auf allerallerhöchstem Niveau wohlgemerkt. Was Bach für mich zum besten Komponisten macht ist, dass er es schafft eine ungeheure kontrapunktische, harmonische und rhytmische Komplexität mit einer völlig klaren Melodieführung zu verbinden. Zudem gehört er für mich zu den allerbesten Melodikern überhaupt. In dieser Kombination ist das für mich einzigartig.


    Josquin ist übrigens sicher ein sehr guter Kandidat, die unangefochtene Nr. 1 der Renaissancekomponisten ist er auf jeden Fall.

  • Ob universal oder nicht, finde ich nicht so wichtig. Neben Bach und Mozart würde ich noch Josquin in Betracht ziehen.
    ;)


    Beethoven?


    Ich halte das "Universalitätskriterium" inzwischen für sehr fragwürdig, weil es zu einer systematischen Fehleinschätzung von Komponisten wie Chopin oder Wagner führen würde, wenn man es ernst nähme.


    Die Spekulation, was Mozart noch alles geschrieben hätte, ist sicher müßig. Auf welcher Basis soll man da spekulieren? Wie gesagt, ist der einzige Bereich, auf dem sowohl etwas "fehlt" als auch in Form des Requiems ein Ansatz zur Spekulation für das, was noch hätte kommen können, da ist, die Kirchenmusik.


    Bei der Instrumentalmusik fehlt mir hier die Fantasie. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass ein 50jähriger etablierter Mozart eine ähnliche Art von Energie und Widerborstigkeit in den Stil eingebracht hätte wie der 15 Jahre jüngere Beethoven. Daher ist eine Mozartsche "Eroica" für mich schwer zu fassen.


    Ohne Zweifel ist es höchst problematisch aus den ansatzweise erkennbaren stilistischen Besonderheiten der letzten Lebensjahre Mozarts allzu viel abzuleiten. Zumal es widerstreitende (oder sich ergänzende) Tendenzen gibt: Einmal die "neue Einfachheit" von Werken wie dem Klarinettenkonzert und dann die außerordentliche motivische und kontrapunktische Verdichtung des D-Dur-Quintetts. Und eben die Zauberflöte, wo schlichte Volkstümlichkeit neben Kontrapunktik wie in der Ouverture und der Szene der Geharnischten steht. Für die 1790er und 1800er Jahre schiene mir der späte Haydn, in dessen Oratorien und späten Messen wir eine ähnliche Verbindung von schlichter Melodik und Bach/Händel-naher Polyphonie (dazu, mindestens in den Oratorien eine üppige, farbige Instrumentation) finden, weit eher ein Anhaltspunkt für mutmaßliche weitere Mozart-Werke als das, was der junge Beethoven um 1800 komponierte.
    Auch bei künftigen deutschen? Opern könnte ich mir eine Zunahme der Chorpartien, der "erhabenen" oratorischen Elemente vorstellen, ähnlich eben der Zauberflöte (oder des Fidelio-Finales). Cherubinis Opern kenne ich nicht.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • In einem nicht mehr vollständigen Zeitungsartikel, er muß mittlerweile über vierzig Jahre alt sein, den ich in meinem "KV" fand, äußert sich sich ein Unbekannter Autor über den "Götterliebling Mozart" folgendermaßen:


    Zitat

    Ich hatte ich zwei Musiklehrer. Der eine war sicher, daß der Verfall der Musik mit Beethoven, dem Gluck vorangeritten sei, begonnen und sich über Weber und Marschner zum absoluten Tiefpunkt Wagner vollzogen habe. Der andere sah in dem dämonischen Genie Beethoven den Neuerer schlechthin, der den Weg zur einmaligen Aufgipfelung des Grünen Hügels in Bayreuth geebnet habe. Es war nun aber dieser Wagner, der über Mozart sagte: "Das ungeheuerste Genie erhob ihn über alle Meister aller Künste und aller Jahrhunderte." Natürlich ist das eine kindische Betrachtungsweise. Klar ist nur, daß Monteverdi nicht von Debussy oder Schönberg lernen konnte, Verdi nicht von Strauß oder Strawinski. Keiner ist als Meister vom Himmel gefallen, alle haben sich an allen bereichert und von allen abgeschrieben. Wie wenig auch der "Götterliebling" Mozart als Meister zur Welt kam, zeigt die penible Schulung, die er von seinem gebildeten Vaters Leopold genoß. Von seinen fast 36 Lebensjahren hat der Sohn über 10 auf Bildungsreisen verbracht, die ihn mit allen musikalischen Strömungen seiner Zeit bekannt machten. Und fest steht, daß Mozart aus eigenem freien Willen nicht anders hätte sein können, als er war. Wie wir alle wird auch das Genie mit Erbanlagen geboren, wird von seiner Umwelt geprägt. Wie bei uns allen kann auch sein Handeln nur durch Motivationen von außen beeinflußt, verändert, gefestigt oder geschwächt werden.


    Die "Beeinflussung von außen", das "Aufnehmen" aller musikalischen Strömungen seiner Zeit, hätte, wie ich meine, durchaus noch manches geniale Werk entstehen lassen können...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Ob universal oder nicht, finde ich nicht so wichtig.

    Das ist dir unbenommen. Aber es ist eine mögliche Betrachtungsweise.



    Ich halte das "Universalitätskriterium" inzwischen für sehr fragwürdig, weil es zu einer systematischen Fehleinschätzung von Komponisten wie Chopin oder Wagner führen würde, wenn man es ernst nähme.

    Kann sein, muss nicht sein. Es hängt schlicht und einfach von der Fairness der Einschätzung ab. Ich kann einem Spezialisten höchste Qualität bescheinigen und ihm dabei sein Spezialistentum nicht vorwerfen sondern als Charakteristik akzeptieren. Dem "Konkurrenten", der ähnliche Höhen auf mehreren Gebieten erreicht, muss aber in irgendeinem Schema dieser "Mehrwert" auch zugebilligt werden dürfen.


    Ein Gedankenexperiment: Man ziehe sich für ein Jahr mit dem Gesamtwerk EINES Komponisten zurück. Wer will ein Jahr ausschließlich Chopin hören? Oder Wagner? Na ja, bei letzterem fände sich vielleicht sogar das eine oder andere Exemplar. Aber mit Mozart hätte man kaum ein Problem. Man würde mit ihm den gesamten musikalischen Kosmos abschreiten. Ähnlich mit Haydn. Und wer Bach liebt, hätte mit dieser Aufgabe wohl auch kein Problem. Ab jetzt wird die Luft dünner. Beethoven und Schubert wären für mich die nächsten möglichen Kandidaten, vielleicht noch Dvorak, ein Vertreter der alten Musik könnte mich wahrscheinlich nicht ein Jahr lang exklusiv fesseln. Auf diese Weise könnte man auch zu einer Art Wertung kommen...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Prinzipiell könnte ich mir schon vorstellen, daß Mozart Sinfonien geschrieben hätte. die anders geklungen hätten als seine bisherigen. Allein die Ouvertüre von "Don Giovanni kann man - so man will - als eine Art Vorgeschmack darauf betrachten.
    Den beethovenschen Stil hätte er indes vermutlich auch nicht vertreten. Das das "widerborstige" Beethovens heute als positiv gesehen wird ist IMO lediglich eine Zeiterschienung. Es ist übrigens eigentlich ohne Nachklang auf spätere Komponisten geblieben. Vielleicht hätte der Späte Mozart Sinfonien geschrieben, die unter Umgehung von Beethoven direkt zu Schubert geführt hätten ? Aber interessanter wäre da schon gewesen, welchen Weg er beispielsweise bei Klaviersonaten eingeschlagen hätte. In Sachen Klavierkonzert ist es interessant die Kompositionen seines Sohne Franz Xaver Mozart (es gibt einen eigenen Thread) Wolfgang Amadeus Mozart jr. - Franz Xaver Mozart zu hören, wo sich die Tonsprache des Vaters mit jener von Hummel und einer Vorahnung auf Chopin vermischt...


    Aber eigentlich glaube ich, daß Mozart, er war intolerant bis zum Exzess, einen Beethoben neben sich mit allen Mitteln bekämpft hätte....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Ein Gedankenexperiment: Man ziehe sich für ein Jahr mit dem Gesamtwerk EINES Komponisten zurück. Wer will ein Jahr ausschließlich Chopin hören? Oder Wagner? Na ja, bei letzterem fände sich vielleicht sogar das eine oder andere Exemplar. Aber mit Mozart hätte man kaum ein Problem. Man würde mit ihm den gesamten musikalischen Kosmos abschreiten. Ähnlich mit Haydn. Und wer Bach liebt, hätte mit dieser Aufgabe wohl auch kein Problem. Ab jetzt wird die Luft dünner. Beethoven und Schubert wären für mich die nächsten möglichen Kandidaten, vielleicht noch Dvorak, ein Vertreter der alten Musik könnte mich wahrscheinlich nicht ein Jahr lang exklusiv fesseln. Auf diese Weise könnte man auch zu einer Art Wertung kommen...

    Ja, da würde ich wetten, dass Mozart ganz oben auf der Liste landet. Meiner Meinung nach ist das aber weniger der spezifischen Qualität der Werke geschuldet als einer Qualität, oder wenn man so will Vorzug, des klassischen Stils: man kann die Musik der Wiener Klassik sowohl mit Gewinn hören, wenn man sich ihr voll hingibt und auf sie konzentriert, als auch, wenn man sie nur "im Hintergrund" laufen lässt. Das klingt banal, bedeutet aber, dass man diese Musik im Durchschnitt einfach am häufigsten hören möchte. Ich persönlich habe drei Liebligskomponisten, praktisch ex aequo, nämlich Bach, Haydn und Mendelssohn. Am häufigsten höre ich aber sicher Haydn. Das darf man aber nicht mit der Qualität der Werke per se gleichsetzen. Würde man mich fragen, welches Kammermusikwerk ist das bedeutendste, würde ich antworten, es gäbe kein "besseres" als das Streichquintett von Schubert. Aber wer kann dieses Werk schon regelmäßig hören? Das ist so, als würde man jeden Tag mit dem Hochzeitsanzug ins Büro gehen. Diese Musik verlangt vom Hörer einfach zu viel. Diese Tendenz verstärkt sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte noch. Ist die 9.te von Mahler etwa schlechter als die Londoner Symphonien von Haydn? Ich denke nein, aber Mahlers 9.te kann ich nur einmal alle paar Jahre anhören.

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