Vielen Dank, Marc, für die Erinnerung und die damit verbundene Wiederbelebung dieses Threads (obwohl das Stück einen eigenen wert wäre), zu der ich natürlich auch meinen Senf dazu geben muss. Dabei will ich ausnahmsweise mal nicht diskutieren, ob das Stück, wie eigentlich alles von Jerome Kern, nicht doch eine Operette im Musicalgewand ist, denn die Geschichtsschreibung hat sich in der Tat dafür entschieden, dieses Werk als das erste große Musical zu würdigen. Seine Bedeutung für die Musicalgeschichte, aber auch seine besondere Schönheit ist kaum zu unterschätzen.
Leider gab die bunte und im damals (1961) typischen Hollywoodstil so pompös wie möglich arrangierte Musikspur der Verfilmung mit Katherine Grayson, Ava Gardner (Gesangsstimme Annette Warren) und Howard Keel nur einen schwachen Abglanz von dem wahren Rang und Umfang der Partitur. Da sind Darstellung und Musik in der originalen Verfilmung (1936) durch den FRANKENSTEIN-Regisseur James Whale mit Irene Dunne, Helen Morgan, Allan Jones und Paul Robeson doch ein ganzes Stück näher am Original. Nur kann man die heute kaum noch irgendwo außerhalb des Nachtprogramms amerikanischer TV-Anstalten sehen. Immerhin ist eine DVD angekündigt, wenn auch schon so lange, dass ich an der Ernsthaftigkeit dieses Vorhabens zweifle. Wie so oft war halt das Neuere der Feind des Guten.
Die nach wie vor vollständigste und in der Rekonstruktion der Originalpartitur authentischste Aufnahme des Werkes ist fraglos diese von John McGlinn, die auch den sängerischen Anforderungen voll gerecht wird, weil hier - auch das ein Hinweis auf die Abstammung des Werkes, teilweise Stimmen mit echtem Opern- bzw. Operettentraining gefordert sind und man dieses weit ausgreifende Musical ohne Dialoge kaum richtig verstehen oder gar würdigen kann - von den zahlreichen mit Musikbegleitung gesprochenen Dialogen, die man nirgendwo sonst zu hören bekommt, ganz zu schweigen:
Mit Frederica von Stade, Jerry Hadley und Teresa Stratas (auch wenn der etwas das "schwarze" Feeling des Halbbluts fehlt) ist sie durchaus rollendeckend besetzt. Auch Bruce Hubbard als Joe macht nicht nur den "Ol' Man River' sehr gut, wenn auch etwas zu schön und kunstvoll - also wahrscheinlich ziemlich originalgetreu, wenn man Paul Robeson als dem Original nahe betrachtet. Für mich kommt in dieser Nummer aber ohnehin niemand niemand an die sensationelle Performance heran, die ich einmal (leider nur im Fernsehen) von Sammy Davis, Jr. im Pariser Olympia gehört und gesehen habe. Er sang es natürlich oberhalb des ursprünglichen Stimmfachs und ohne den originalen Zusammenhang, aber mit mehr Herzblut und Leidenschaft kann man dieses zu oft zur Kuschelballade verkommende, herzzerreißende Lied nicht interpretieren. Allein die Zeilen
"I'm tired of living,
I'm scared of dying,
But Ol' Man River,
He just keeps rolling along"
sollten eine oberflächliche Schlagerinterpretaion eigentlich verbieten.
Für mein Gefühl ist diese Gesamtaufnahme ein Muss für jeden Freund des Musiktheaters, auch wegen der raren Extras, ohne dass ich deswegen andere gute Einspielungen wie (nach dem Hörensagen, denn ich kenne sie nicht) die von Harald genannte herab würdigen will. Nur sollte sich niemand mit dem Filmsoundtrack begnügen, wenn er kein Fan des Films selbst ist, was mir schwer fällt.
Rideamus