Lieblingspassagen aus literarischen Werken

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt
    Lieber Medard,


    nichts, aber auch gar nichts spricht dagegen, dass du uns deine Literatur näher bringst. Die Wirkungsmacht dieses Näherbringens wird aber um ein Vielfaches gesteigert, wenn du uns in einigen weiteren Sätzen darlegst, warum du gerade dieses Zitat so wertvoll findest - oder dich sonstwie dazu verhältst.


    Ach weißt Du, Thomas, ganz ehrlich: ich bin des Kommentierens von Literatur müde. Das mache ich sowieso schon den ganzen Tag und zerrede unaufhörlich, was andere in einer einfach vollkommenen Form zu formulieren wußten. Wenn der »Traum der Alpen« nicht für sich sprechen kann, dann hat er - als Literatur - (Urheberrecht hin, Urheberrecht her) verloren. Das ist alles.


    Ich beuge mich ja dem Recht - aber manchmal tut mir dabei der Rücken weh... ;)


    Liebe Grüße,
    Medard

  • Ich bin ebenfalls recht enttäuscht, daß aus einigen Threads, die eine kleine literarische (und nicht: literarkritische oder gar literaturwissenschaftliche) Schatzkammer hätten werden können, nun jeweils nur ein häßlicher Torso übriggeblieben ist.


    Aber ich sehe und begreife durchaus die Schwierigkeiten, die sich aus geschützen Original und Übersetzung ergeben können.


    Medard, ich teile Deine Ansichten, aber hier ist freilich nicht der Ort, Generelles zu monieren. Es ist nun einmal so (für uns Ahnungslose: scheint nun einmal so zu sein), und damit basta! Zwar weiß ich nicht, wie z.B. ein Literaturforum mit soetwas umgeht (es sei denn, die posten immer nur den eignen Dreck), ich weiß nicht genau, wo der Unterschied zu Zitationen aus etwa Booklets oder wissenschaftl. Werken liegt (gesetzt, auch sie erscheinen ohne Kontext), aber ich mag´s auch nimmer wissen. Bitte keine Erläuterungen mehr.


    Man überlegt sich immer häufiger, wieviel Eigenarbeit man in diese oder jene Forumssache überhaupt noch investieren mag, wenn ständig alles verändert, entzerrt, verschoben und auseinandergerissen werden kann.


    Noch einmal: Ich verstehe, welche Bedenken hier im Hintergrunde stehen, ich mag sie nur - wie auch Klawirr - nicht wirklich leiden. Die kindische Trotzköpfigkeit gönne ich mir einfach mal. Man denkt ja sonst gewöhnlich so gescheite Dinge...


    Und ich finde, daß fürchterlich viel Metazeugs gequasselt wird in letzter Zeit. Warum jetzt das so ist und warum andres nicht, was unfehlbar als nächstes kommen wird und warum das dann nun doch nicht wie geplant erscheinen kann...und solchen Kram.


    Mir ist schon klar, daß ein lebendiger Organismus wie dieses in der Tat fürtreffliche Internetforum in stetiger Entwicklung begriffen ist und daß es eine begrüßenswerte Einrichtung darstellt, sich darüber "öffentlich" zu verständigen, zu informieren und kundzutun.


    Doch wirkt es manchmal auch nachgerade hemmend, muß ich sagen. Man wird durch die omnipräsenten Interna, die mittlerweile eine kleine Welt für sich ausmachen, noch ganz wuschig.


    Ein wenig mehr kollektive Aufbruchstimmung (nicht: Gedankenlosigkeit), ein bißchen Zutrauen in die Sache (keine Blauäugigkeit), ein "Wird schon klappen!" hier und da und stellenweise auch ein kleines "Lassen wir´s doch ersteinmal drauf ankommen!" könnten so heilsam sein.


    Ist denn hier jemand mal verklagt worden? Oder wurde wem damit gedroht? Ich weiß, ich weiß, das ist natürlich niemals auszuschließen, und doch: Die meisten Übersetzer freuen sich wohl eher ´n Loch in den Bauch, daß sie hier namentlich genannt sind, als daß sie an was Abträgliches dächten. Und regelrechte Abmahnaktionen Dritter (wie sie gegen Kaufleute und Privatpersonen in Handelsdingen teils geführt werden) stehen wohl in unsern Fällen kaum zu befürchten.


    Ist ´ne komische Sache mit dem Internet. Unvertraut und laut und bunt und manchmal auch gefährlich unübersichtlich. Nicht, daß die, so durchaus auch noch was zu sagen hätten, künftig lieber Briefe schreiben gehen...! Bei mir und meinen guten Freunden aus dem Forum ist das so unwahrscheinlich nicht. Obwohl wir alle dankbar sind, daß es Tamino gibt.


    Wie dem auch sei, et hätt´ noch immer jotjejange. Ihr Mods macht Euren Job schon gut, gar keine Frage. Mit einem entspannten, souveränen Dauerlächeln im Gesicht wärt Ihr ein Fall für unsre Titelseite.


    Und geradeaus gesagt: Wenn ich mir irgendetwas wünschen dürfte, so ganz sicher das: Ich möchte das Wort "Forenstrategie" am liebsten nie mehr lesen und mit dem Wort die Sache bald verschwunden sehen. Ich möchte keine Hetzjagd mehr auf jemand sehen (ob einzeln oder in der Gruppe), keine Grabenkämpfe ausgefochten hören, keine Abstrafungen miterleben, keine Ausschlußbetreibungen am Werke wissen. Das ist unterhalb von allem, was hier zählen darf und solange sowas an der Tagesordnung in den oberen Etagen ist, wird das nicht erreicht werden, was der Endzweck eines solchen Forums sein könnte: Ein respektvolles, humorverständiges, am jeweils andern wie selbstverständlich an der Sache interessiertes Miteinander. Amen. Ich habe geschrieben.


    Schon ganz andere als ich haben es immer wieder einmal ausgesprochen: Dies ist nur ein Internetforum! Ein wunderbares. Aber mehr nicht.



    Graf Wetter

  • Mein schöner Koeppen ;(


    Ich kann nur jedem, der sich dem Werk Koeppens noch nicht genähert hat, empfehlen, dies nachzuholen.


    Was für eine wortgewaltige Sprache, was für ein kluger Geist. Es gibt manche Bücher, die wünschte man sich als Pflichlektüre für alle staatstragenden Politikerpersönlichkeiten.


    Mutig, wie Koeppen in der noch jungen Demokratie den Finger auf die Wunde legt, auf demokratiefeindliche, wiedererstarkende Eliten hinweist.


  • Interessant, was GOOGLE daraus macht:


    Die Zeit der Ritter sind nicht, um zurück zu gehen,
    und das Pferd stolz zu hungern.
    Aber die elenden Esel immer voll ist,
    Sie verpassen nie seine Hafer seinem Heu.


    8o

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Bach, als seine Frau starb, sollte zum Begräbnis Anstalten machen. Der arme Mann war aber gewohnt, alles durch seine Frau besorgen zu lassen; dergestalt, dass da ein alter Bedienter kam, und ihm für den Trauerflor, den er einkaufen wollte, Geld abforderte, er unter stillen Tränen, den Kopf auf einen Tisch gestützt, antwortete: "Sagts meiner Frau."


    Anekdote v. Heinrich von Kleist

  • ..... where I was a Flower of the mountains yes when I put the rose in my hair like that Andalusian girls used or shall I wear a red yes and how he kissed me under the Moorish wall and I thought well as well him as another and then I asked him with my eyes to ask again yes and then he asked me would I yes to say yes my mountain flower and first I put my arms around him yes and drew him down to me so he could feel my breasts all perfume yes and his heart was going like mad and yes I said yes I will Yes and yes Graf Wetter you are right yes I say yes your pencil was not going like mad I like it yes I do yes.


    James Joyce und ich, Copyright unklar



    Mollies Schluss-Monolog aus Joyce Ulysses ist in meinen Augen eines der beeindruckendsten Dokumente, die die Literatur hervorgebracht hat.
    Auch wer den Ulysses nciht lesen will und für wen Telemachos, Nausikaa etc pp immer ein Buch mit sieben Siegeln bleiben werden: diesen weiblcihen Bewusstseinstrom, der als netten Nebeneffekt auch die Literatur revolutionierte, sollte sich niemand entgehen lassen.
    No I say No. No.


    F.Q.

  • Hasan Meimendi wurde gefragt: Der Sultan Mahmud hat so viele schöne Sklaven, deren jeder ein Wunder der Welt ist; wie kommt es denn, daß er zu keinem von ihnen eine solche Liebe und Zuneigung hat wie zu Ajas, der doch nicht schöner ist als die andern. Ihr wißt, antwortete er, daß, was das Herz erquickt, auch das Auge entzückt.


    Auf wem des Sultans Gunst und Gnade ruht,
    Bei ihm ist alles, auch das Schlecht'ste gut,
    Doch wen der König von sich weggestoßen,
    Den achtet keiner von des Hofes Großen.
    Wirft man mit Widerwillen auf jemand seine Blicke,
    So nennt man schlecht und häßlich selbst Josephs Huldgestalt.
    Doch wirft man mit Gefallen das Aug' auf einen Teufel,
    Ein cherubgleicher Engel erscheint er alsobald.



    Musliheddîn Sa'dî: Der Rosengarten. 4.–6. Tsd., übers. v. Karl Heinrich Graf, München: Hyperionverlag, 1923. S. 193



    Liebe Grüße Peter

  • ähm... noch eine Frage zu dem Heine-Zitat: was hat es denn mit dieser verhackstückten Google-Version auf sich?????
    Gibt man die spanischen Wörter bei Google ein und dann kommt das heraus, was Siegfried gepostet hat oder wie soll ich das verstehen?



    Ich glaube, selbst ohne spanisch zu können, das dabei eigentlich etwa Folgendes herauskommen müsste:



    Die Zeit der Ritter kehrt nciht zurück
    und das stolze Pferd muss hungern
    Aber der elende esel wird immer satt sein
    ihm wird es weder an Hafer noch an Heu fehlen.


    Der Heine und der Audi sind ist nämlich anscheinend immer noch das, wofür sie gehalten werden....... :D

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    ähm... noch eine Frage zu dem Heine-Zitat: was hat es denn mit dieser verhackstückten Google-Version auf sich?????
    Gibt man die spanischen Wörter bei Google ein und dann kommt das heraus, was Siegfried gepostet hat oder wie soll ich das verstehen?


    Es gibt bei google eine Übersetzungsfunktion - wie gut die ist, hat Siegfried demonstriert. Selbst Recherchen, bei der man eine spezifische Frage aus einem fremdsprachigen Seite mit dieser Übersetzung beantwortet haben will (damals ging es darum, ob eine Schauspielerin im Film tatsächlich eine Opernarie gesungen hat oder ob sie - und wen ja von wem - gedoubelt wurde), können nicht zuverlässig abgeschlossen werden, da der Unsinn, der da produziert wird, so außerordentlich vieldeutig ist.


    Dann noch einen (Text) von mir ...



    Die Nachtigall singt, der Rabe krächzt, und er müßte kein Rabe sein, wenn er nicht dächte, daß er gut krächze; er hat noch recht, wenn er denkt, die Nachtigall krächze nicht gut; es ist wahr, dann geht er zu weit, wenn er über die Nachtigall spottet, daß sie nicht so gut krächzt wie er; aber sie würde eben so Unrecht haben, wenn sie über ihn lachte, daß er nicht singe wie sie; er singt nicht, aber er krächzt doch gut, und das ist für ihn genug.


    (Wieland: Geschichte des Agathon)



    Liebe Grüße Peter

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Jakob Michael Reinhold Lenz



    PANDAEMONIUM GERMANICUM



    Erste Szene


    (Der steil Berg. Goethe. Lenz im Reisekleid)


    GOETHE: Was ist das für ein steil Gebirg´ mit so vielen Zugängen?


    LENZ: Ich weiß nicht, Goethe, ich komm´ erst hier an.


    GOETHE: Ist´s doch herrlich dort von oben zuzusehn, wie die Leutlein ansetzen und immer wieder zurückrutschen. Ich will hinauf.


    LENZ: Wart´ doch, wo willst du hin, ich hab´ dir noch so manches zu erzählen.


    GOETHE: Ein andermal. (Goethe geht um den Berg herum und verschwind´t.)


    LENZ: Wenn er hinaufkommt, werd' ich ihn schon zu sehen kriegen. Hätt' ihn gern kennen lernen, er war mir wie eine Erscheinung. Ich denk', er wird mir winken, wenn er auf jenen Felsen kommt. Unterdessen will ich den Regen von meinem Reiserock schütteln.


    (Erscheint eine andere Seite des Berges, ganz mit Busch überwachsen. Lenz kriecht auf allen Vieren)


    LENZ (sich umkehrend und ausruhend): Das ist böse Arbeit. Seh ich doch niemanden hier, mit dem ich reden könnte. Goethe! Goethe! wenn wir zusammenblieben wären. Ich fühl’s, mit dir war' ich gesprungen, wo ich jetzt klettern muss. Es sollte mich einer der stolzen Kritiker sehn, wie würd' er die Nase rümpfen! Was gehn sie mich an, kommen sie mir hier doch nicht nach und sieht mich hier keiner. Aber weh, es fängt wieder an zu regnen. Himmel! bist du so erbost über einen handhohen Sterblichen, der nichts als sich umsehen will. Fort! das Nachdenken macht Kopfweh; (Klettert von Neuem)


    (Wieder eine andere Seite des Berges, aus der ein kahler Fels hervorsticht. Goethe springt 'nauf.)


    GOETHE: (sich umsehend): Lenz! Lenz! dass er da wäre – Welch herrliche Aussicht! – Da – o da steht Klopstock. Wie, dass ich ihn von unten nicht wahrnahm ? Ich will zu ihm. Er deucht mich auszuruhen, auf dem Ellbogen gestützt. Edler Mann! wie wird's dich freuen, jemand Lebendiges hier zu sehn.


    (Wieder eine andere Seite des Berges. Lenz versucht zu stehen.)


    LENZ: Gottlob, dass ich einmal wieder auf meine Füße kommen darf. Mir ist vom Klettern das Blut in den Kopf geschossen. 0 so allein. Dass ich stürbe! Ich sehe hier wohl Fußtapfen, aber alle hinunter, keinen herauf. Gütiger Gott, so allein.


    (In einiger Entfernung Goethe auf einem Felsen, der ihn gewahr wird. Mit einem Sprung ist er bei ihm.)


    GOETHE: Lenz, was Teutscher machst du denn hier?


    LENZ (ihm entgegen):Bruder Goethe! (Drückt ihn ans Herz)


    GOETHE: Wo zum Henker bist du mir nachkommen?


    LENZ: Ich weiß nicht, wo du gegangen bist, aber ich hab´ einen beschwerlichen Weg gemacht.


    GOETHE: Ruh' hier aus – und dann weiter.


    LENZ: An deiner Brust. Goethe, es ist mir, als ob ich meine ganze Reise gemacht, um dich zu finden.


    GOETHE: Wo kommst du denn her?


    LENZ: Aus dem hintersten Norden. Ist mir's doch, als ob ich mit dir geboren und erzogen wäre. Wer bist du denn?
    Goethe: Ich bin hier geboren. Weiß ich, wo ich her bin. Was wissen wir alle, wo wir herstammen ?


    LENZ: Du edler Junge! Ich fühl' kein Haar mehr von all meinen Mühseligkeiten.
    Goethe: Tatst du die Reise für deinen Kopf?


    LENZ: Wohl für meinen. Alle kluge und erfahrne Leute widerrieten's mir. Sie sagten, ich suche zu sehr, was zum Gutsein gehöre, und versäume darüber das Sein. Ich dachte: seid! und ich will gut sein.


    GOETHE: Bis mir willkommen, Bübchen! Es ist mir, als ob ich mich in dir bespiegelte.


    LENZ :0, mach' mich nicht rot.


    GOETHE: Weiter!


    LENZ: Weiß es der Henker, wie mir mein Schwindel vergangen ist, seitdem ich dich unter den Armen habe. (Gehn beide einer Anhöhe zu.)




    Zweite Szene


    DIE NACHAHMER


    (Goethe steht auf einem Felsen und ruft herunter zu einem ganzen Haufen Gaffer.)


    GOETHE: Meine werte Herrn! wollt ihr's auch so gut haben, dürft nur daherum kommen – denn da herum – und denn daherum, ´s gar nicht hoch, ich versichere euch, und die Aussicht ist herrlich. – Lenz, nun sollst die deinen Spaß haben.


    (Geht ein jämmerlich Gepurzel an. Bleiben ihrer etliche am Fuß des Berges auf Feldsteinen stehen und rufen den andern zu):
    Meine Herrn, wollt ihr's auch so gut haben, dürft nur daherum kommen.


    ANDERE VON DEM HAUFEN: Sollst gleich herunter sein, Hans Pickelhering, bist ja nur um eine Hand hoch höher als wir. (Stoßen einander herunter, jene wehren sich mit den Steinen, auf welchen sie stunden.)


    (Goethe schlägt in die Hände. Zu Lenz):


    GOETHE: : Ist das nicht ein Gaudium?


    (Die, so jene vorher heruntergestoßen, sagen):
    Wollen doch sehen, ob wir die von oben nicht auch hinab bekommen können, ist's uns doch mit diesen gelungen.


    EINER: Hör', hast du nicht eine Lorgnette bei dir, ich kann sie nicht recht unterscheiden dort oben, ich möchte dem einen zu Leibe, der uns herabgerufen hat.


    DER ANDERE: Mensch, wo denkst du hin, wie willst du an ihn kommen?


    ERSTER :Kam doch David mit der Schleuder bis an Goliath herauf, und ich bin doch auch so niedrig nicht. Ich will mich auf jenen Stein stellen dort gegen ihm über.


    DER ANDERE: Probier's.


    (Goethe stößt Lenzen an, der lauert gleichfalls hinunter.)


    ERSTER (schwingt einen Stein):Hör' du dort, halt mir ein wenig den Arm fest, er ist mir aus dem Gelenk gegangen.


    ZWEITER (durch die Lorgnette guckend) : Da, da oben, gerade, wo ich mit dem Finger hindeute, da steht der Goethe, ich kenn´ ihn eigentlich mit seinen großen schwarzen Augen, er passt auf, er wird sich wohl bücken, wenn der Stein kommt, und der andere hat sich hinter ihm verkrochen.


    ERSTER (schleudert aus aller seiner Macht) : Da mag er´s denn darnach haben. (Der Stein fällt wieder zurück und ihm auf den Fuß. Hinkt herum.) Aie! Aie! was hab’ ich doch gemacht?


    ZWEITER: O du alte Hure! hat grade so viel Kraft in seiner Hand als meine alte Großmutter. (Wirft die Lorgnette weg, fasst den Stein ganz wütend und wirft blindlings über die Schulter seinem Nachbar ins Gesicht, dass der tot zur Erde fällt.)
    Der Teufel! ich dacht' ihn doch recht gezielt zu haben. So hat mich die Lorgnette betrogen. Es wird heutzutage doch kein vernünftig Glas mehr geschliffen.


    GOETHE: Wollen uns doch die Lust machen und was herunter werfen! Hast du ein Bogen Papier bei dir?


    LENZ: Da ist.


    GOETHE: Sie werden meinen, es sei ein Felsstück. Du sollst dich zu Tode lachen.
    (Lässt den Bogen herabfallen. Sie laufen alle mit erbärmlichem Geschrei.) : Oh weh! er zermalmt uns die Eingeweide, er wird einen zweiten Ätna auf uns werfen.


    (Einige springen ins Wasser, andere kehren alle Vier in die Höhe, als ob der Berg schon auf ihnen läge.)


    EIN PAAR PEDANTEN: Wir wollen sehen, ob wir uns nicht Schilde flechten können, testudines, nach Art der Alten. Es werden solcher mehr kommen.


    (Verlieren sich in ein Weidengebüsch.)


    EIN GANZER HAUFEN (auf Knieen, die Hände in die Höhe): O schone, schone! weitwerfender Apoll!


    GOETHE: (kehrt sich lachend um, zu Lenz): Die Narren!


    LENZ: Ich möchte fast herunter zu ihnen und sie bedeuten.


    GOETHE: Lass sie doch. Wenn keine Narren auf der Welt wären, was war´ die Welt?


    (Der ganze Haufe kommt den Berg herangekrochen wie Ameisen, rutschen alle Augenblick zurück und machen die possierlichsten Kapriolen.)


    UNTEN: Das ist ein Berg!
    Der Henker hol’ den Berg!
    Ist ein Schwerenotsberg.
    Ei was ist dran zu steigen, wollen gehen und sagen, wir sind droben gewesen.


    ALLE: Das wird das gescheutste sein.
    (Kommt ein Haufen Fremde zu ihnen, sie komplimentieren sich.) Kennen Sie den Herrn Goethe? Und seinen Nachahmer, den Lenz? Wir sind eben bei ihnen gewesen, die Narren wollten nicht mit herunterkommen, sie sagten, es gefiel ihnen so wohl da in der dünnen Luft.


    EIN FREMDER: Wo geht man hinauf, meine Herren! ich möchte sie gern besuchen.


    EINER: Ich rat' es Ihnen nicht. Wenn Sie zum Schwindel geneigt sind –


    FREMDER: Ich bin nicht schwindlig.


    ERSTER: Schad't nichts. Sie werden's schon werden. Unter uns gesagt, die Wege sind auch verflucht verworren durcheinander, wir müssten Sie bis oben hinauf begleiten. Der Lenz selber soll sich einmal verirrt haben ganzer drei Tage lang.


    FREMDER: Wer ist denn der Lenz, den kenn' ich ja gar nicht.


    ERSTER: Ein junges aufkeimendes Genie aus Kurland, der bald wieder nach Hause zurückreisen wird. Er ist von meinen vertrautsten Freunden und schreibt kein Blatt, das er nicht vorher mir weist.


    FREMDER: Und der ist so hoch heraufkommen?


    ERSTER: Der Goethe hat ihn mitgenommen, er hat mir's auch angetragen, aber ich wollte nicht, meine Lunge ist mir zu lieb. Doch hab' ich ihn besucht oben.


    FREMDER: Ich möchte doch die beiden Leute gern kennen lernen, es müssen sonderbare Menschen sein.


    ERSTER: Ach sie werden gleich herunterkommen, wenn wir ihnen winken werden. (Winken mit Schnupftüchern, jene kehren sich um und gehen fort.)


    ERSTER: Sehn Sie? Warten Sie nur einen Augenblick, sie werden gleich da sein.


    ZWEITER: Wart' du bis morgen früh. Da sind sie schon auf einem ändern Hügel.


    FREMDER: Das ist impertinent. Wenn man bei uns Auteur ruft, und er kommt nicht, wird er ausgepfiffen.


    ERSTER: Wollen wir auch pfeifen ?


    ZWEITER: Was hilft's, sie hören's doch nicht.


    ERSTER: Desto besser.

  • Zitat

    Original von Fairy Queen



    Die Zeit der Ritter kehrt nciht zurück
    und das stolze Pferd muss hungern
    Aber der elende esel wird immer satt sein
    ihm wird es weder an Hafer noch an Heu fehlen.


    Liebe Fairy,
    nicht schlecht, und willkommen in der Zunft!
    Natürlich hat Herr Heine noch dazu gereimt, um des Reimes willen habe ich mir dann einige Freiheiten genommen.


    Dies ist die "Moral" aus "Pferd und Esel" aus den Nachgelesenen Gedichten 1845-1856, I: Zeitgedichte, wohl zwischen 1851 und 1855 entstanden.


    Ob der Nachfrage zitiere ich, was ich darf, mittlerweile sind es 55.736 Tage, die Originalpassage.





    Moral


    Die Ritterzeit hat aufgehört,
    Und hungern muß das stolze Pferd.
    Dem armen Luder, dem Esel, aber
    Wird niemals fehlen sein Heu und Haber.




    audiamus



    .

  • An die Prosopopöie der Gesetze


    Kai gar houtoi legousi men polla kai kala, isasin de ouden hohn legousi. Toiouton ti moi ephanäsan pathos kai hoi poiätai peponthotes, kai hama ästhomän autohn dia tän poiäsin oiomenohn kai talla sophohtatohn einai anthrohpohn ha ouk äsan. (22c)


    Ta gar aläthä oiomai ouk an etheloien legein, oti katadäloi gignontai prospoioumenoi men eidenai, eidotes de ouden. (23d)


    Alla gar ädä hohra apienai, emoi men apothanoumenoh, hymin de biohsomenois. Hopoteroi de hämohn erchontai epi ameinon pragma, adälon panti plän ä toh theoh. (42a)


    Plato, Apologie des Sokrates (4. Jh. v. Chr.)

  • Einen frommen Mann sah ich in Liebe zu jemand gefangen, und sein Geheimnis war aus dem Schleier an das Tageslicht getreten; soviel er aber auch Tadel erfuhr und Pein erfuhr, er konnte von seiner Liebe nicht lassen und sprach:


    Von deinem Kleidersaum zieh' ich die Hand nicht ab,
    Magst gegen mich das scharfe Schwert du ziehn.
    Nicht Zuflucht und nicht Obdach hab' ich außer dir,
    Und flieh' ich, kann ich ja zu dir nur fliehn.


    Einst machte ich ihm Vorwürfe und sprach: Was ist denn deinem hohen Verstande widerfahren, daß er sich von niedriger Leidenschaft beherrschen läßt? Er blieb einige Zeit in Gedanken und sprach dann:


    Wo Sultan-Liebe eingezogen,
    Ist alle fromme Kraft dahin.
    Kann ich mit reinem Kleide leben,
    Wenn ich zum Hals im Kote bin?


    (Sa'di: Rosengarten. S. 194-195)



    Liebe Grüße Peter

  • Schulmeister (sitzt am Tische und schenkt aus einer großen Flasche sich ein Glas nach dem andren ein.) Utile cum dulci, Schnaps mit Zucker! - Es wird heute ein saurer Tag, - ich muß den Bauerjungen die erste Deklination beibringen. Ein Bauerjunge und die erste Deklination! Das kommt mir vor als wenn ein Rabe ein rein Hemd anziehen wollte! (Er blickt durch das Fenster.) Alle Wetter, da kommt der schiefbeinige Tobies mit seinem einfältigen Schlingel! Schwerenot, wo verstecke ich meinen Schnaps? - geschwind, geschwind, ich will ihn in meinen Bauch verbergen! (Er säuft die Bouteille mit einer entsetzlichen Schnelligkeit aus.) Ah, das war ein Schluck, dessen sich selbst Pestalozzi nicht hätte zu schämen brauchen! Die leere Flasche zum Fenster hinaus!



    Christian Dietrich Grabbe: Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, Akt I, 1

  • Es ist ein Glück, dass man kluge Freunde hat, und dass der Verkehr mit ihnen dafür sorgt, dass einem ein bißchen was anfliegt.


    Auszug aus: Von Zwanzig bis Dreißig


    Theodor Fontane

  • Denn so sind die Menschen; man flößt ihnen erst Respekt ein, wenn man ihnen den Beweis führt, dass man sich aus ihnen selbst, aus ihrem Geld und ihrer Gunst, aus ihren Ehren und Ämtern nicht das geringste macht.


    Brief an M. v. Rohr


    Theodor Fontane

  • Ein Schüler war von außerordentlicher Schönheit, und sein Lehrer wurde von dem menschlichen Gefühle zu seiner schönen Gestalt so sehr hingezogen, daß
    er öfters in die Worte ausbrach:


    So bin ich in dich versunken, o du Paradiesesantlitz,
    Daß von meinem eignen Dasein das Bewußtsein mir zerflossen.
    Ich vermag vor deinem Anblick meine Augen nicht zu schließen,
    Seh' ich auch die scharfen Pfeile, die von da auf mich geschossen.


    Einst sprach der Knabe: So wie du dich um die Ausbildung meiner Kenntnisse bemühst, so schenke doch auch der Ausbildung meiner sittlichen Anlagen einen Blick, damit, wenn du in meinem Betragen etwas Unziemendes siehst, das ich für geziemend halte, du mich darüber aufklärst und ich mich bemühe, es zu ändern. Mein Sohn, antwortete er, verlange dieses von einem andern, denn mit dem Auge, mit dem ich dich ansehe, erblicke ich nur Tugend.


    Feindesauge, sei es ausgerissen!
    Wird als Fehler das Verdienst nur achten.
    Hast du ein Verdienst und siebzig Fehler,
    Das Verdienst nur wird der Freund betrachten.
    [Sa'di: Rosengarten, S. 198-199]


    Liebe Grüße Peter

  • "Mein Sohn", sprach er zu Mangogul, "ich liebe dich und ich will dir zu Willen sein."
    Mit der rechten Hand langte er in einen Sack, der ihm am Arm hing und kramte zwischen Bildern, Rosenkränzchen, Bleifiguren und alten Zuckerstückchen ein silbernen Ringlein hervor, das Mangogul anfangs für einen Hubertus-Ring hielt.
    "Nimm diesen Ring, mein Sohn" sprach der Alte zum Sultan. "Stecke ihn an deinen Finger. So oft du seinen Stein gegen eine Frau richtest, wird sie dir laut und deutlich all ihre Geheimnisse sagen. Aber glaube nciht etwa, dass sie durch ihren Mund mit Dir reden wird!"


    "Bei allen guten Geistern, wodurch wird sie dann reden?" rief Mangogul?


    "Durch den Teil an ihr, der am offenherzigsten ist", sagte Cucufa, "durch den Teil, der dir am besten verraten kann, was du wissen möchtest, durch ihr Schmuckstück"


    "Immer besser!" antwotretete der Sultan unter schallendem Gelächter.
    "Ihr Schmuckstück soll reden? Das ist völlig verrückt!"


    "Sohn", sprach der Alte, ich habe deinem Grossvater zuliebe noch andere Zeichen getan, also verlass dich auf mein Wort. Brahma sei mit dir! Gebrache dieses Pfand, das der Himmel dir gibt, gut und vergiss nciht, dass der Weise seiner Neugier Grenzen setzt."


    Bei diesen Worten hüllte er sich wieder in seinen Mantel, ergriff seine Eulen und flog durch die Luft davon.


    Kaum war Magogul im Besitz des mystriösen Ringes, überfiel ihn schon die Versuchung, ihn zuerst bei seiner Favoritin auszuprobieren.
    Ich vergass zu sagen, dass der Ring ausser der Macht, die Schmuckstücke der Fraeun reden zu machen auch den Besitzer, der ihn am Fnger trug unscihtbar machen konnte.
    Magogul konnte sich auch mit seiner Hilfe an Orte versetzen wo ihn niemand vermutete und zu denen man sonst keinen Zutritt hatte.
    Er bracuhte nur den Ring anzustecken und zu sagen: ich will dahin und sogleich war er da.
    So stand er also vor Mizorza.


    aus Denis Diderot "Les bijoux indiscrets"(Die indiskreten Schmuckstücke) (Übersetzung von mir)

  • Eine große Träne fällt auf das heilige Blatt, welches ich hier statt deiner fand. Wie treu und wie einfach hast du ihn aufgezeichnet, den kühnen alten Gedanken zu meinem liebsten und geheimsten Vorhaben. In dir ist er groß geworden und in diesem Spiegel scheue ich mich nicht, mich selbst zu bewundern und zu lieben. Nur hier sehe ich mich ganz und harmonisch, oder vielmehr die volle ganze Menschheit in mir und in dir. Denn auch dein Geist steht bestimmt und vollendet vor mir; es sind nicht mehr Züge die erscheinen und zerfließen: sondern wie eine von den Gestalten, die ewig dauern, blickt er mich aus hohen Augen freudig an und öffnet die Arme, den meinigen zu umschließen. Die flüchtigsten und heiligsten von jenen zarten Zügen und Äußerungen der Seele, die dem, welcher das Höchste nicht kennt, allein schon Seligkeit scheinen, sind nur die gemeinschaftliche Atmosphäre unsers geistigen Atmens und Lebens.


    [Friedrich Schlegel: Lucinde. SchlegelF-KFSA, 1. Abt. Bd. 5, S. 10]

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Es war Lenzen unheimlich, jetzt allein im Hause zu bleiben. Das Wetter war milde geworden, er beschloß, Oberlin zu begleiten, ins Gebirg. Auf der andern Seite, wo die Täler sich in die Ebne ausliefen, trennten sie sich. Er ging allein zurück. Er durchstrich das Gebirg in verschiedenen Richtungen. Breite Flächen zogen sich in die Täler herab, wenig Wald, nichts als gewaltige Linien und weiter hinaus die weite, rauchende Ebne; in der Luft ein gewaltiges Wehen, nirgends eine Spur von Menschen, als hie und da eine verlassene Hütte, wo die Hirten den Sommer zubrachten, an den Abhängen gelehnt. Er wurde still, vielleicht fast träumend: es verschmolz ihm alles in eine Linie, wie eine steigende und sinkende Welle, zwischen Himmel und Erde; es war ihm, als läge er an einem unendlichen Meer, das leise auf und ab wogte. Manchmal saß er; dann ging er wieder, aber langsam träumend. Er suchte keinen Weg.


    (Georg Büchner: Lenz)

  • Die Erfüllung eines Lieblingswunsches, sei der Wunsch selber, was er wolle, berührt uns wie eine Weihnachtsfreude. Das Herz bleibt ein Kind.


    aus: Wanderungen durch die Mark Brandenburg


    Theodor Fontane

  • Die Welt ist einmal wie sie ist, und die Dinge verlaufen nicht, wie wir sie wollen, sondern wie die anderen wollen. Das mit dem "Gottesgericht", wie manche hochtrabend versichern, ist freilich ein Unsinn, nichts davon, umgekehrt, unser Ehrenkultus ist ein Götzendienst, aber wir müssen uns ihm unterwerfen, so lange der Götze gilt.


    Theodor Fontane - aus Effi Briest

  • Hyperion an Bellarmin


    Ich habe nichts, wovon ich sagen möchte, es sei mein eigen.


    Fern und tot sind meine Geliebten, und ich vernehme durch keine Stimme von ihnen nichts mehr.


    Mein Geschäft auf Erden ist aus. Ich bin voll Willens an die Arbeit gegangen, habe geblutet darüber, und die Welt um keinen Pfenning reicher gemacht.


    Ruhmlos und einsam kehr ich zurück und wandre durch mein Vaterland, das, wie ein Totengarten, weit umher liegt, und mich erwartet vielleicht das Messer des Jägers, der uns Griechen, wie das Wild des Waldes, sich zur Lust hält.


    Aber du scheinst noch, Sonne des Himmels! Du grünst noch, heilige Erde! Noch rauschen die Ströme ins Meer, und schattige Bäume säuseln im Mittag. Der Wonnegesang des Frühlings singt meine sterblichen Gedanken in Schlaf. Die Fülle der allebendigen Welt ernährt und sättiget mit Trunkenheit mein darbend Wesen.


    O selige Natur! Ich weiß nicht, wie mir geschiehet, wenn ich mein Auge erhebe vor deiner Schöne, aber alle Lust des Himmels ist in den Tränen, die ich weine vor dir, der Geliebte vor der Geliebten.


    Mein ganzes Wesen verstummt und lauscht, wenn
    die zarte Welle der Luft mir um die Brust spielt. Verloren ins weite Blau, blick ich oft hinauf an den Aether und hinein ins heilige Meer, und mir ist, als öffnet' ein verwandter Geist mir die Arme, als löste der Schmerz der Einsamkeit sich auf ins Leben der Gottheit.


    Eines zu sein mit Allem, das ist Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen.


    Eines zu sein mit Allem, was lebt, in seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren ins All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden, das ist die heilige Bergeshöhe, der Ort der ewigen Ruhe, wo der Mittag seine Schwüle und der Donner seine Stimme verliert und das kochende Meer der Woge des Kornfelds gleicht.


    Eines zu sein mit Allem, was lebt! Mit diesem Worte legt die Tugend den zürnenden Harnisch, der Geist des Menschen den Zepter weg, und alle Gedanken schwinden vor dem Bilde der ewigeinigen Welt, wie die Regeln des ringenden Künstlers vor seiner Urania, und das eherne Schicksal entsagt der Herrschaft, und aus dem Bunde der Wesen schwindet der Tod, und Unzertrennlichkeit und ewige Jugend beseliget, verschönert die Welt.


    Auf dieser Höhe steh ich oft, mein Bellarmin! Aber ein Moment des Besinnens wirft mich herab. Ich denke nach und finde mich, wie ich zuvor war, allein,
    mit allen Schmerzen der Sterblichkeit, und meines Herzens Asyl, die ewigeinige Welt, ist hin; die Natur verschließt die Arme, und ich stehe, wie ein Fremdling, vor ihr, und verstehe sie nicht.


    Ach! wär ich nie in eure Schulen gegangen. Die Wissenschaft, der ich in den Schacht hinunter folgte, von der ich, jugendlich töricht, die Bestätigung meiner reinen Freude erwartete, die hat mir alles verdorben.


    Ich bin bei euch so recht vernünftig geworden, habe gründlich mich unterscheiden gelernt von dem, was mich umgibt, bin nun vereinzelt in der schönen Welt, bin so ausgeworfen aus dem Garten der Natur, wo ich wuchs und blühte, und vertrockne an der Mittagssonne.


    O ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt, und wenn die Begeisterung hin ist, steht er da, wie ein mißratener Sohn, den der Vater aus dem Hause stieß, und betrachtet die ärmlichen Pfennige, die ihm das Mitleid auf den Weg gab.


    [Hölderlin: Hyperion oder der Eremit in Griechenland]



    Liebe Grüße Peter

  • Alabanda schwieg eine Weile.
    Ich habe meine Lust an der Zukunft, begann er endlich wieder, und faßte feurig meine beeden Hände. Gott sei Dank! ich werde kein gemeines Ende nehmen. Glücklich sein, heißt schläfrig sein im Munde der Knechte. Glücklich sein! mir ist, als hätt ich Brei und laues Wasser auf der Zunge, wenn ihr mir sprecht von glücklich sein. So albern und so heillos ist das alles, wofür ihr hingebt eure Lorbeerkronen, eure Unsterblichkeit.
    O heiliges Licht, das ruhelos, in seinem ungeheuren Reiche wirksam, dort oben über uns wandelt, und seine Seele auch mir mitteilt, in den Strahlen, die ich trinke, dein Glück sei meines!
    Von ihren Taten nähren die Söhne der Sonne sich; sie leben vom Sieg; mit eignem Geist ermuntern sie sich, und ihre Kraft ist ihre Freude. –
    Der Geist dieses Menschen faßte einen oft an, daß man sich hätte schämen mögen, so federleicht hinweggerissen fühlte man sich.
    O Himmel und Erde! rief ich, das ist Freude! – Das sind andre Zeiten, das ist kein Ton aus meinem kindischen Jahrhundert, das ist nicht der Boden, wo das Herz des Menschen unter seines Treibers Peitsche keucht. – Ja! ja! bei deiner herrlichen Seele, Mensch! Du wirst mit mir das Vaterland erretten.
    Das will ich, rief er, oder untergehn.


    [Hölderlin: Hyperion oder der Eremit in Griechenland]



    Liebe Grüße Peter

  • Von diesem Tag an wurden wir uns immer heiliger und lieber. Tiefer unbeschreiblicher Ernst war unter uns gekommen. Aber wir waren nur um so seliger zusammen. Nur in den ewigen Grundtönen seines Wesens lebte jeder, und schmucklos schritten wir fort von einer großen Harmonie zur andern. Voll herrlicher Strenge und Kühnheit war unser gemeinsames Leben.
    Wie bist du denn so wortarm geworden? fragte mich einmal Alabanda mit Lächeln. In den heißen Zonen. sagt ich, näher der Sonne, singen ja auch die Vögel nicht.
    Aber es geht alles auf und unter in der Welt, und es hält der Mensch mit aller seiner Riesenkraft nichts fest. Ich sah einmal ein Kind die Hand ausstrecken, um das Mondlicht zu haschen; aber das Licht ging ruhig weiter seine Bahn. So stehen wir da, und ringen das wandelnde Schicksal anzuhalten.
    O wer ihm nur so still und sinnend, wie dem Gange der Stern, zusehn könnte!


    Friedrich Hölderlin ( 1770 - 1843 ) - Hyperion

  • Jung sein


    Die Jugend ist keine Lebensphase, sie ist ein Geisteszustand. Eine Wirkung des Willens, die Fähigkeit zur Phantasie, die Intensität des fühlens, der Sieg des Muts über die Schüchternheit und der Abenteuerlust über die Bequemlichkeit.


    Man altert nciht, weil man eine gewisse Anzahl von Jahren gelebt hat, man altert, weil man seine Ideale aufgegeben hat.
    Die Jahre machen die Haut faltig, das Aufgeben der Ideale macht die Seele faltig.


    Die Sorgen, die Zweifel, die ängste und die Verzweiflung sind die Feinde, die uns langsam zu Boden drücken und vor dem Tod zu Staub zu Staub werden lassen.


    Jung ist, wer staunen kann und sich begeistern lässt.
    Er fragt wie das unersättlche Kind: Und dann?
    Er stürzt sich in die Ereignisse und findet seine Freude am Spiel des Lebens.


    Ihr seid so jung wie euer Glauben. So alt wie euer Zweifel.
    So jung wie euer Vertrauen in euch selbst. So jung wie eure Hoffnung.
    Und so alt wie ihr euch zu Boden drücken lasst.


    Ihr bleibt jung, solange ihr empfänglcih bleibt. Empfänglich für das schöne, Gute nd Grosse. Empfänglcih für dei Botschaften der natur, der Menschen und des Unendlichen.


    Wenn eines Tages euer Herz von Pessimismus zerfressen und von Zynismus verhärtet wird, möge Gott sich eurer alten Seele erbarmen!






    Ich habe leider keine Ahnung woher dieser Text kommt.
    Mein Mann hat ihn heute von einer Patientin als Dank für eine erfolgreiche Therapie bekommen und ich habe ihn aus dem Französischen übersetzt. Copyright also einstweilen bei mir.


    Fairy Queen

  • Der Mann trat vor einen Schrank in der Ecke des Zimmers den ich noch nicht bemerkt hatte, und als er den Vorhang wegzog, wurde ich eine Reihe schön gebundener Bücher gewahr mit goldnen Aufschriften: »Orfeo«, »Armida«, »Alceste«, »Iphigenia« u.s.w., kurz, Glucks Meisterwerke sah ich beisammen stehen.


    »Sie besitzen Glucks sämtliche Werke?« rief ich.


    Er antwortete nicht, aber zum krampfhaften Lächeln verzog sich der Mund, und das Muskelspiel in den eingefallenen Backen verzerrte im Augenblick das Gesicht zur schauerlichen Maske. Starr den düstern Blick auf mich gerichtet, ergriff er eins der Bücher – es war »Armida« – und schritt feierlich zum Klavier hin. Ich öffnete es schnell und stellte den zusammengelegten Pult auf; er schien das gern zu sehen. Er schlug das Buch auf, und – wer schildert mein Erstaunen! ich erblickte rastrierte Blätter, aber mit keiner Note beschrieben.


    Er begann: »Jetzt werde ich die Ouvertüre spielen! Wenden Sie die Blätter um, und zur rechten Zeit!« – Ich versprach das, und nun spielte er herrlich und meisterhaft, mit vollgriffigen Akkorden, das majestätische Tempo di Marcia, womit die Ouvertüre anhebt, fast ganz dem Original getreu; aber das Allegro war nur mit Glucks Hauptgedanken durchflochten. Er brachte so viele neue geniale Wendungen hinein, daß mein Erstaunen immer wuchs. Vorzüglich waren seine Modulationen frappant, ohne grell zu werden, und er wußte den einfachen Hauptgedanken so viele melodiöse Melismen anzureihen, daß jene immer in neuer, verjüngter Gestalt wiederzukehren schienen. Sein Gesicht glühte; bald zogen sich die Augenbraunen zusammen, und ein lang verhaltener Zorn wollte gewaltsam losbrechen, bald schwamm das Auge in Tränen tiefer Wehmut. Zuweilen sang er, wenn beide Hände in künstlichen Melismen arbeiteten, das Thema mit einer angenehmen Tenorstimme; dann wußte er auf ganz besondere Weise mit der Stimme den dumpfen Ton der anschlagenden Pauke nachzuahmen. Ich wandte die Blätter fleißig um, indem ich seine Blicke verfolgte. Die Ouvertüre war geendet, und er fiel erschöpft mit geschlossenen Augen in den Lehnstuhl zurück. Bald raffte er sich aber wieder auf, und indem er hastig mehrere leere Blätter des Buchs umschlug, sagte er mit dumpfer Stimme:

    »Alles dieses, mein Herr, habe ich geschrieben, als ich aus dem Reich der Träume kam. Aber ich verriet Unheiligen das Heilige, und eine eiskalte Hand faßte in dies glühende Herz! Es brach nicht; da wurde ich verdammt, zu wandeln unter den Unheiligen wie ein abgeschiedener Geist – gestaltlos, damit mich niemand kenne, bis mich die Sonnenblume wieder emporhebt zu dem Ewigen. – Ha – jetzt lassen Sie uns Armidens Szene singen!«


    Nun sang er die Schlußszene der Armida mit einem Ausdruck, der mein Innerstes durchdrang. Auch hier wich er merklich von dem eigentlichen Originale ab; aber seine veränderte Musik war die Glucksche Szene gleichsam in höherer Potenz. Alles, was Haß, Liebe, Verzweiflung, Raserei in den stärksten Zügen ausdrücken kann, faßte er gewaltig in Töne zusammen. Seine Stimme schien die eines Jünglings, denn von tiefer Dumpfheit schwoll sie empor zur durchdringenden Stärke. Alle meine Fibern zitterten – ich war außer mir. Als er geendet hatte, warf ich mich ihm in die Arme und rief mit gepreßter Stimme: »Was ist das? Wer sind Sie?« –

    Er stand auf und maß mich mit ernstem, durchdringendem Blick; doch als ich weiter fragen wollte, war er mit dem Lichte durch die Türe entwichen und hatte mich im Finstern gelassen. Es hatte beinahe eine Viertelstunde gedauert; ich verzweifelte, ihn wieder zu sehen, und suchte, durch den Stand des Klaviers orientiert, die Türe zu öffnen, als er plötzlich in einem gestickten Galakleide, reicher Weste, den Degen an der Seite, mit dem Lichte in der Hand hereintrat.


    Ich erstarrte; feierlich kam er auf mich zu, faßte mich sanft bei der Hand und sagte, sonderbar lächelnd: »Ich bin der Ritter Gluck!«


    [E. T. A. Hoffmann: Ritter Gluck]

  • Dead letters! Does it not sound like dead men? Conceive a man by nature and misfortune prone to a pallid hopelessness, can any business seem more fitted to heighten it than that of continually handling these dead letters, and assorting them for the flames? For by the cart-load they are annually burned. Sometimes from out of the folded paper the pale clerk takes a ring - the finger it was meant for, perhaps, moulders in the grave; a bank-note sent in swiftest charity - he whom it would relieve, nor eats nor hungers any more; pardon for those who died despairing; hope for those who died unhoping; good tidings for those who died stifled by unrelieved calamities. On errands of life, these letters speed to death.
    Ah, Bartleby! Ah, humanity!


    (Herman Melville: Bartleby [1853])

  • Das Haus war für den mittelmäßigen Ort geräumig, geschmackvoll verziert und glänzend erleuchtet. Logen und Parterre waren gedrängt voll. Die ersten Akkorde der Ouvertüre überzeugten mich, daß ein ganz vortreffliches Orchester, sollten die Sänger auch nur im mindesten etwas leisten, mir den herrlichsten Genuß des Meisterwerks verschaffen würde. – In dem Andante ergriffen mich die Schauer des furchtbaren, unterirdischen regno all pianto; grausenerregende Ahnungen des Entsetzlichen erfüllten mein Gemüt. Wie ein jauchzender Frevel klang mir die jubelnde Fanfare im siebenten Takte des Allegro: ich sah aus tiefer Nacht feurige Dämonen ihre glühenden Krallen ausstrecken – nach dem Leben froher Menschen, die auf des bodenlosen Abgrunds dünner Decke lustig tanzten. Der Konflikt der menschlichen Natur mit den unbekannten, gräßlichen Mächten, die ihn, sein Verderben erlauernd, umfangen, trat klar vor meines Geistes Augen. Endlich beruhigt sich der Sturm; der Vorhang fliegt auf. Frostig und unmutvoll in seinen Mantel gehüllt, schreitet Leporello in finstrer Nacht vor dem Pavillon einher »Notte e giorno faticar«. – Also italienisch? – Hier am deutschen Orte italienisch? Ah che piacere! ich werde alle Rezitative, alles so hören, wie es der große Meister in seinem Gemüt empfing und dachte! Da stürzt Don Juan heraus; hinter ihm Donna Anna, bei dem Mantel den Frevler festhaltend. Welches Ansehn! Sie könnte höher, schlanker gewachsen, majestätischer im Gange sein: aber welch ein Kopf! – Augen, aus denen Liebe, Zorn, Haß, Verzweiflung, wie aus einem Brennpunkt eine Strahlenpyramide blitzender Funken werfen, die wie griechisches Feuer unauslöschlich das Innerste durchbrennen! Des dunklen Haares aufgelöste Flechten wallen in Wellenringeln den Nacken hinab. Das weiße Nachtkleid enthüllt verräterisch nie gefahrlos belauschte Reize. Von der entsetzlichen Tat umkrallt, zuckt das Herz in gewaltsamen Schlägen. – – Und nun – welche Stimme! »Non sperar se non m'uccidi.« – Durch den Sturm der Instrumente leuchten wie glühende Blitze die aus ätherischem Metall gegossenen Töne! – Vergebens sucht sich Don Juan loszureißen. – Will er es denn? Warum stößt er nicht mit kräftiger Faust das Weib
    zurück und entflieht? Macht ihn die böse Tat kraftlos, oder ist es der Kampf von Haß und Liebe im Innern, der ihm Mut und Stärke raubt?



    Liebe Grüße Peter

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose