Lieblingsgedichte

  • Einkehr



    Bei einem Wirte, wundermild,
    Da war ich jüngst zu Gaste;
    Ein goldner Apfel war sein Schild
    An einem langen Aste.


    Es war der gute Apfelbaum,
    Bei dem ich eingekehret;
    Mit süßer Kost und frischem Schaum
    Hat er mich wohl genähret.


    Es kamen in sein grünes Haus
    Viel leichtbeschwingte Gäste;
    Sie sprangen frei und hielten Schmaus
    Und sangen auf das Beste.


    Ich fand ein Bett zu süßer Ruh
    Auf weichen, grünen Matten;
    Der Wirt, er deckte selbst mich zu
    Mit seinem kühlen Schatten.


    Nun fragt ich nach der Schuldigkeit,
    Da schüttelt' er den Wipfel.
    Gesegnet sei er allezeit
    von der Wurzel bis zum Gipfel!


    Ludwig Uhland 1787 - 1862

  • Herbsttag



    HERR: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
    Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
    und auf den Fluren laß die Winde los.


    Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
    gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
    dränge sie zur Vollendung hin und jage
    die letzte Süße in den schweren Wein.


    Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr,
    Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
    wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
    und wird in den Alleen hin und her
    unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.



    Rainer Maria Rilke 1875 - 1926

  • Meine Stelle am Himmel



    Peter Rühmkorf (1929 – 2008 )


    :hello:


    sorry, mußte sein - copyright läßt grüßen.
    Zieh Dir mal die entsprechenden Threads rein

  • Herbst



    Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
    als welkten in dem Himmel ferne Gärten;
    sie fallen mit verneinender Gebärde.


    Und in den Nächten fällt die schwere Erde
    aus allen Sternen in die Einsamkeit.


    Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
    Und sieh dir andre an: es ist in allen.


    Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
    unendlich sanft in seinen Händen hält.


    (Rainer Maria Rilke)

  • Ein Winterabend



    Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
    Lang die Abendglocke läutet,
    Vielen ist der Tisch bereitet
    Und das Haus ist wohlbestellt.


    Mancher auf der Wanderschaft
    Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
    Golden blüht der Baum der Gnaden
    Aus der Erde kühlem Saft.


    Wanderer tritt still herein;
    Schmerz versteinerte die Schwelle.
    Da erglänzt in reiner Helle
    Auf dem Tische Brot und Wein.


    (Georg Trakl)

  • Still kann ich hier nciht mehr bleiben
    durch die Brust ein Singen irrt
    Doch zu licht ist's mir zum Schreiben
    und ich bin so froh verwirrt.


    Also schlendr' ich durch die Gassen
    Menschen gehen her und hin
    Weiss nicht, was ich tu und lasse
    nur dass ich so glücklich bin.


    (Eichendorff)

  • Musik und Literatur verbindend


    Schläft ein Lied in allen Dingen
    Die da träumen fort und fort,
    Und die Welt hebt an zu singen,
    Triffst du nur das Zauberwort.



    Ebenfalls von Joseph von Eichendorff ( :hello: an Fairy Queen)


    Grüße


    tukan

  • Wird auch gerne genommen von Wolf und Schumann.
    Letzterer hat's zusätzlich auch noch in Op.91 für vierstimmige Damen gesetzt.


    Ein zuverlässiger Magnat



    .

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  • Autumn Song


    Know'st thou not at the fall of the leaf
    How the heart feels a languid grief
    Laid on it for a covering,
    And how sleep seems a goodly thing
    In Autumn at the fall of the leaf?


    And how the swift beat of the brain
    Falters because it is in vain,
    In Autumn at the fall of the leaf
    Knowest thou not? and how the chief
    Of joys seems--not to suffer pain?


    Know'st thou not at the fall of the leaf
    How the soul feels like a dried sheaf
    Bound up at length for harvesting,
    And how death seems a comely thing
    In Autumn at the fall of the leaf?


    Dante Gabriel Rossetti

  • Zwielicht



    Dämmrung will die Flügel spreiten,
    Schaurig rühren sich die Bäume,
    Wolken zieh'n wie schwere Träume -
    Was will dieses Grau'n bedeuten?


    Hast ein Reh du, lieb vor andern,
    Lass es nicht alleine grasen,
    Jäger zieh'n im Wald' und blasen,
    Stimmen hin und wieder wandern.


    Hast du einen Freund hinieden,
    Trau ihm nicht zu dieser Stunde,
    Freundlich wohl mit Aug' und Munde,
    Sinnt er Krieg im tück'schen Frieden.


    Was heut müde gehet unter,
    Hebt sich morgen neugeboren.
    Manches bleibt in Nacht verloren -
    Hüte dich, bleib' wach und munter.


    Joseph von Eichendorff ( 1788 - 1857 )

  • Glück



    Ich habe mein Leben genossen
    An einem einzigen Tag
    Da es wie Reifenwollen
    über den Saaten lag.


    Und als dann der Tag gegangen
    Da nahm ich noch die Nacht
    Und hab aus ihrem Schweigen
    Mir tausend Himmel gemacht.



    (Elsa Laura von Wolzogen)

  • Die hohen Tannen atmen heiser



    Die hohen Tannen atmen heiser
    im Winterschnee, und bauschiger
    schmiegt sich sein Glanz um alle Reiser.
    Die weißen Wege werden leiser,
    die trauten Stuben lauschiger.


    Da singt die Uhr, die Kinder zittern:
    Im grünen Ofen kracht ein Scheit
    und stürzt in lichten Lohgewittern, -
    und draußen wächst im Flockenflittern
    der weiße Tag zur Ewigkeit.


    Rainer Maria Rilke

  • Caffé Florian



    Die Mohren auf dem Uhrturm lassen ihre Hammer sinken
    Schwer tropfen die Jahrhunderte von ihren Händen
    Zerfliessen
    Finden sich


    In Silbertellern, die dein Antlitz spiegeln.
    Der Cherub hat sein flammendes Schwert in unserem Blut gelöscht
    Und ruht-ein Auge nur geschlossen-an Marmorsäulen.
    Stille! Wir dürfen in nicht stören!


    Schon rinnt unversöhnte Glut in alle Kanäle
    In jedem Pulsschlag erzittert die Angst
    Er sei
    Nie geschehen.

  • Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten




    Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten
    Nebelschleiern sich enthüllen,
    Und dem sehnlichsten Erwarten
    Blumenkelche bunt sich füllen;


    Wenn der Äther, Wolken tragend,
    Mit dem klaren Tage streitet,
    Und ein Ostwind, sie verjagend,
    Blaue Sonnenbahn bereitet,


    Dankst du dann, am Blick dich weidend,
    Reiner Brust der Großen, Holden,
    Wird die Sonne, rötlich scheidend,
    Rings den Horizont vergolden.


    Johann Wolfgang von Goethe

  • An Diotima


    Schönes Leben! du lebst, wie die zarten Blüten im Winter,
    In der gealterten Welt blühst du verschlossen, allein.
    Liebend strebst du hinaus, dich zu sonnen am Lichte des Frühlings,
    Zu erwarmen an ihr, suchst du die Jugend der Welt.
    Deine Sonne, die schönere Zeit, ist untergegangen
    Und in frostiger Nacht zanken Orkane sich nun.


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried


  • Hallo, Fairy Queen!


    Magst Du einen Namen dazu nennen? Ein Expressionist - Richtung Else Lasker-Schüler? Oder ist der Text gar von Dir? Das wäre allerdings beachtlich!


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Astern


    So ist die Urheberrechtsposition beispielsweise zeitlich begrenzt und tritt die Gemeinfreiheit nach Ablauf einer gesetzlichen Frist (70 Jahre nach dem Tod des Urhebers) automatisch ein (§ 64 UrhG).
    (Zitat: wikipedia. Artikel: Deutsches Urheberrecht)



    Gottfried Benn ( 1886 - 1956 )

  • Wer nichts weiss, liebt nichts.
    Wer nichts tun kann versteht nichts.
    Wer nichts versteht, ist ncihts wert.


    Aber wer versteht,
    der liebt, bemerkt und sieht auch.


    Je mehr Erkenntnis einem Ding innewohnt,
    desto grösser ist die Liebe.


    Wer meint, alle Früchte würden gleichzeitig mit den Erdbeeren reif,
    versteht ncihts von den Trauben.


    Paracelsus

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  • Der Einsame



    NEIN: ein Turm soll sein aus meinem Herzen
    und ich selbst an seinen Rand gestellt:
    wo sonst nichts mehr ist, noch einmal Schmerzen
    und Unsäglichkeit, noch einmal Welt.


    Noch ein Ding allein im Übergroßen,
    welches dunkel wird und wieder licht,
    noch ein letztes, sehnendes Gesicht
    in das Nie-zu-Stillende verstoßen,


    noch ein äußerstes Gesicht aus Stein,
    willig seinen inneren Gewichten,
    das die Weiten, die es still vernichten,
    zwingen, immer seliger zu sein.


    Rainer Maria Rilke

  • Lieber Wolfgang,
    ich bin leider nicht Else-Lasker Schüler und die stünde auch unter Copyright Schutz....


    Ein bisschen epigonal im Hinblick auf den Expressionismus finde ich es schon, aber zu manchen Zeiten ist mir halt danach......
    Danke und lieben Gruss aus Basel, wo es gerade die dazu passende Venedigausstellung gibt.



    Fairy Queen

  • Ein gleiches



    Der du von dem Himmel bist,
    Alles Leid und Schmerzen stillest,
    Den, der doppelt elend ist,
    Doppelt mit Erquickung füllest,
    Ach! ich bin des Treibens müde!
    Was soll all der Schmerz und Lust?
    Süßer Friede!
    Komm, ach komm in meine Brust.


    Johann Wolfgang von Goethe

  • Das Wörtlein



    Kürzlich kam ein Wort zu mir,
    staubig wie ein Wedel,
    wirr das Haar, das Auge stier,
    doch von Bildung edel.


    Als ich, wie es hieße, frug,
    sprach es leise: "Herzlich".
    Und aus seinem Munde schlug
    eine Lache schmerzlich.


    Wertlos ward ich ganz und gar,
    rief's, ein Spiel der Spiele,
    Modewort mit Haut und Haar,
    Kaviar für zu viele.


    Doch ich wusch's und bot ihm Wein,
    gab ihm wieder Würde,
    und belud ein Brieflein fein
    mit der leichten Bürde.


    Schlafend hat's die ganze Nacht
    weit weg reisen müssen.
    Als es morgens aufgewacht,
    kam ein Mund - es küssen.


    Christian Morgenstern

  • Wunsch


    Fort möcht ich reisen
    Weit, weit in die See,
    O meine Geliebte,
    Mit dir allein!
    Die Dränger und Lauscher
    Und kalten Störer,
    Sie hielt' uns ferne
    Der wallende Abgrund,
    Das drohende Meer,
    Wir wären so sicher
    Und selig allein.
    Und käme der Sturm,
    Ich würde dich halten
    An meiner Brust.
    Wenn donnernde Wogen
    Zum Himmel schlügen,
    Doch höher schlüge
    Mein trunkenes Herz;
    Und meine Liebe,
    Die ewige, starke,
    Sie würde frohlockend
    Dich halten im Sturm.
    Du würdest zitternd
    Mir blicken ins Auge
    Und würdest erblicken,
    Was nimmer scheitert
    In allen Stürmen,
    Und würdest lächeln
    Und nicht mehr zittern.
    Sieh, nun ermüdet
    Der tobende Aufruhr,
    In Schlummer sinken
    Die Wellen und Winde,
    Und über den Wassern
    Ist tiefe Stille.
    Da ruhst du sinnend
    An meiner Brust.
    So tiefe Stille:
    Mein lauschendes Herz
    Hört Antwort pochen
    Dein lauschendes Herz.
    Wir sind allein,
    Doch flüsterst du leise,
    Um nicht zu stören
    Das sinnende Meer.
    Nur sanft erzittern
    Die Lippen dir,
    Die schwellenden Blätter
    Der süßen Rose,
    Ich sauge dein Wort,
    Den klingenden Duft
    Der süßen Rose.
    Im Osten hebt sich
    Der klare Mond,
    Und Gott bedecket
    Den Himmel mit Sternen,
    Und ich bedecke,
    Selig wie er,
    Dein liebes Antlitz,
    Den schönern Himmel,
    Mit feurigen Küssen.


    (Nikolaus Lenau 1836)

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Geh unter, schöne Sonne



    Geh unter, schöne Sonne, sie achteten
    Nur wenig dein, sie kannten dich, Heilige, nicht,
    Denn mühelos und stille bist du
    über den Mühsamen aufgegangen.


    Mir gehst du freundlich unter und auf, o Licht!
    Und wohl erkennt mein Auge dich, herrliches!
    Denn göttlich stille ehren lernt' ich,
    Da Diotima den Sinn mir heilte.


    O du des Himmels Botin! wie lauscht' ich dir!
    Dir, Diotima! Liebe! wie sah von dir
    Zum goldnen Tage dieses Auge
    Glänzend und dankend empor. Da rauschten


    Lebendiger die Quellen, es atmeten
    Der dunklen Erde Blüten mich liebend an,
    Und lächelnd über Silberwolken
    Neigte sich segnend herab der Äther.


    Friedrich Hölderlin

  • Andreas Berger



    Für Gertrud



    Metallhimmel
    kondensstreifendurchfädelt
    bestückt mit einer immer gleichen Sonne
    die heute nur um Grade kälter scheint


    Tage der Krötenwanderung sind längst vorüber
    Der Laich ist abgelegt
    Die Brut ist aufgegangen
    Ein irrsinniger Mann kraucht auf verschlung’nen Pfaden
    Und Kirchturmglocken läuten Angelus –


    Die Umstände
    sind also gut für eine kleine Bitte:


    »Willst Du mich vielleicht retten?«


    Die Hände sind im Mantelfutter festgefroren
    Die Sonne scheint um Grade kälter nur
    Ich kenne keine Gertrud



    (XI. 2006)



    Mit freundlicher Erlaubnis des Autors.


  • Liebe FQ!


    Ich finde das Gedicht wirklich gekonnt im Geist von Lasker-Schüler oder auch Gottfried Benn geschrieben; es hat mich beeindruckt.


    Über den Copyright-Schutz hab ich gar nicht so nachgedacht ... :]


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • An die Parzen



    Nur Einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
    Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
    Dass williger mein Herz, vom süßen
    Spiele gesättiget, dann mir sterbe!


    Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht
    Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;
    Doch ist mir einst das Heil'ge, das am
    Herzen mir liegt, das Gedicht gelungen.


    Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!
    Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel
    Mich nicht hinabgeleitet; Einmal
    Lebt ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht.


    Friedrich Hölderlin

  • The Voice Of The Rain


    And who art thou? said I to the soft-falling shower,
    Which, strange to tell, gave me an answer, as here translated:
    I am the Poem of Earth, said the voice of the rain,
    Eternal I rise impalpable out of the land and the bottomless sea,
    Upward to heaven, whence, vaguely form'd, altogether changed, and
    yet the same,
    I descend to lave the drouths, atomies, dust-layers of the globe,
    And all that in them without me were seeds only, latent, unborn;
    And forever, by day and night, I give back life to my own origin,
    and make pure and beautify it;
    (For song, issuing from its birth-place, after fulfilment, wandering,
    Reck'd or unreck'd, duly with love returns.)


    Walt Whitman: Leaves Of Grass


    :jubel::jubel: :faint:


    :hello:
    Wulf

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