Der beste lyrische Tenor nach Wunderlich

  • Hallo, sagitt,
    vor mir liegt eine CD mit einer Aufnahme vom 17. August 1961 (Salzburger Festspiele).
    Nicolai Gedda singt hier, von Erik Werba begleitet, vier Schubert-Lieder:
    Die Liebe hat gelogen D 751
    Der Schiffer D 536
    Nacht und Träume D 827
    Rastlose Liebe D 138
    Bei diesem Liederabend war ich zwar nicht dabei, erlebte aber Gedda im Jahre 1973 live, wo er im Rahmen eines Liederabends Schumanns Dichterliebe sang.

  • Hallo Forianer,


    in einer Fernsehsendung über Fritz Wunderlich, die ich aufgezeichnet habe, wurde Prof. Karl Böhm gefragt, ob Fritz Wunderlich zu ersetzen sei. Er hat diese Frage eindeutig verneint. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Es gab in der Folgezeit eine Reihe hervorragender lyrischer Tenöre, bis heute.
    Aber keiner reicht an Fritz heran.


    Gruß aus Burgdorf


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


    Einmal editiert, zuletzt von Bernward Gerlach ()

  • Natürlich macht schon die Eingangsfrage klar, dass man sie nicht so einfach nicht beantworten kann. Auch durch seinen frühen Tod hat Wunderlich eine so gewaltige Lücke hinterlassen, dass einer alleine die nicht gefüllt kriegt. Das war halt schon eine Ausnahmestimme: das ruhige, saftige Timbre mit der unnachahmlichen Mischung aus Charme und Melancholie, die ungeheure Musikalität und das organische Wachstum. Da wäre sicher das Zwischenfach bald gekommen: Max, Hoffmann und Bacchus, vielleicht auch Lohengrin und Stolzing, bestimmt der FroSch-Kaiser. Er hat, wie schon erwähnt, auch nichtdeutsche Sachen gesungen, wenn auch meistens auf deutsch und einiges finde ich gar nicht schlecht: Rossinis Almaviva, Alfredo und vor allem Lenski. Er galt aber ja hauptsächlich als "deutscher Tenor", also Mozart, Spieloper samt leichter und leichtester Muse mit etwas Kunstlied und etwas Bach. Als er starb, erbte die meisten Engagements Peter Schreier, aber der fühlte sich halt auf der Opernbühne nicht so wohl, ging bald zurück zu Bach und hatt auch ein etwas weißliches Timbre. Der nächste, der die Planstelle bekam, war Francisco Araiza, ein großer Tamino und Ferrando, den ich aus heutiger Sicht für unterschätzt halte. Von der reinen Stimme ist er so ziemlich am nächsten dran, aber sie war nicht robust, diese Stimme und sie ist nicht gewachsen. Nachdem Araiza - eher erfolglos - ins schwere Fach abgewandert war, wurde die "Stelle" nicht mehr vergeben. Aspiranten gab es in den 90er Jahren, mit sehr schönen Stimmen und echter Gesangskultur, aber sie sind irgendwie im immer businessorientierterem Betrieb untergegangen: Rainer Trost, Uwe Heilmann und Frank Lopardo etwa, keine Wunderlichs, aber mit Potenzial zum ganz großen Künstler. ein besonderer Fall ist Deon van der Walt, ein toller Lortzing-Sänger, ein großer David und der beste Ottavio, den ich live gesehen habe. Schöne, sich entwickelnde Stimme, ein toller Interpret,wie Wunderlich früh gestorben, an einem Familienstreit.
    Auch in den letzten jahren gibt es tolle Sänger mit Wiedererkennungswert: Kurt Streit , der auch von Mozart kommt und inzwischen (wie Wunderlich) den Palestrina singt, Werner Güra, für mich aktuell der beste Mozartsänger - demnächst kommt seine Winterreise raus! - und auf internationaler Ebene Jonas Kaufmann, Piotr Beczala und Ramon Vargas . Vargas singt Alfredo, Lenski und Almaviva und kommt stimmlich recht nahe an Wunderlich heran, besonders in der konturierten Weichheit, mit der er singt, aber er singt nicht deutsch, genau wie Beczala, der viel zu wenig bekannt ist und gewissermaßen die Villazon-Stelle geerbt hat. Was für eine gesunde und schöne Stimme. Kaufmann ist, es wurde gesagt, so dunkel timbriert, dass sich ein Vergleich mit Wunderlich kaum anbietet. Seine Tonproduktion läuft auch grundsätzlich anders als bei Wunderlich.


    Danke, dass ihr bis hier meinem Erguss gefolgt seid. Meine Lust an Stimmen hat mich mitgerissen. Es kommen jetzt noch zwei Sänger, die ich wirklich für Nachfolgekandidaten halte: Da ist Steve Davislim, Australier. Er hat ziemlich lange in Zürich gesungen und kann gut Mozart. Letztes Jahr kam eine Platte mit Liedern von Richard Strauss heraus. Hört euch die mal an! da ist dieses Feuer, dieser Spass, diese klare Artikulation, dieses sinnliche Timbre!
    meine eigentliche Nummer 1 kommt auch von Mozart her, singt auf ganz hohem Niveau Schubert und vor allem Schumann, hat auch so ein kostbares, urgesundes Timbre und eine mit den Jahren organisch wachsende Stimme, mit der er sich jetzt nach und nach ins schwerere Fach hineinarbeitet. Er hat nur einen Makel, er ist kein Tenor!. Mein Wunderlich-Nachfolger im heute heißt Gerald Finlay.

    Der Jugendtraum der Erde ist geträumt
    Grillparzer
    Macht nix!
    grillparzer

  • Hallo Taminos,


    Grillparzer hat es auf den Punkt gebracht. Leider vermisse ich die Namen Krenn, Hollweg und Blochwitz, die auch nicht schlecht waren, insbesondere bei Mozart.



    Gruß aus Burgdorf


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Sagitt meint.


    Die Karriere war zwar recht kurz und das Repertoire, das meiste ist ja gestrichen, war klein, aber die Ergebisse waren ehr hörenswert und wurden seinerzeit sehr gelobt.


    Josef Protschka hat eine sehr gute schöne Mullerin und ebenfalls Schuman op.39,48.


    Heute leitet (?) die Musikhochschule Köln.

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  • Lieber Grillparzer,


    habe Dank für Deine ausführliche Zusammenstellung, die mir sehr gefallen hat. Aber einen Namen sollte man auch nicht ganz vergessen : Michael Schade, der auch im Mozart-Fach solide Leistungen geliefert hat.


    Liebe Grüße vom
    Operngernhörer :hello:

  • Von den von mir live gehörten Tenören würde ich aktuell an die erste Stelle sicherlich Piotr Beczala stellen. Einen ebenfalls äußerst positiven Eindruck hat bei mir Matthew Polenzani hinterlassen. Und gestern hat mich als Don Ottavio auch der junge Dmitry Korchak sehr überzeugt!

    Hear Me Roar!

  • Der aus Bratislava stammende Tenor Pavol Breslik (Jg.1979) begann seine steile Karriere 2005, nachdem er von der Zeitschrift „Opernwelt“ zum „Nachwuchssänger des Jahres“ gekürt wurde. Inzwischen feiert er weltweit Erfolge, wie seine Auftritte der jüngsten Vergangenheit zeigen:


    Don Giovanni (Don Ottavio), Bayerische Staatsoper München, Oktober 2009
    Entführung (Belmonte), Deutsche Staatsoper Berlin, Juni 2009
    Don Giovanni (Don Ottavio), Metropolitan Opera New York, April 2009
    Lucrezia Borgia (Gennaro), Bayerische Staatsoper München, Februar 2009
    Die Fledermaus (Alfred), Grand Théâtre de Genève, Dezember 2008
    Eugen Onegin (Lenski), Bayerische Staatsoper München, Oktober 2008
    Così fan tutte (Ferrando), Festival d'Aix-en-Provence, Juli 2008
    Idomeneo (Idamante), Bayerische Staatsoper München, Juni 2008
    Don Giovanni (Don Ottavio), Deutsche Staatsoper Berlin, Dezember 2007
    Johannespassion (Evangelist), Théâtre du Châtelet, März/April 2007
    Fidelio (Jaquino), Théâtre du Châtelet Paris, Juni 2006


    Das wäre schon einen eigenen Thread wert !


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • zu Pavol Breslik wäre noch zu ergänzen, dass er im Jänner 2010 an der Wiener Staatsoper als "Nemorino" aufgetreten ist. Ein Kritiker beschrieb ihn wie folgt -


    "Über Pavol Breslik konnte man in den letzten Jahren viel Gutes hören und lesen. Bei seinem Wiener Erstauftritt präsentierte er sich jetzt als Nemorino. Sein heller Tenor zeigte sich juvenil und recht schlank, mit schön timbriertem, festem Kern, der genussvolles Zuhören verspricht. Der Stimme fehlt im Lyrischen ein bisschen die südländische Geschmeidigkeit: die „verstohlene Träne“ hätte schmachtender und publikums--bezirzender „quellen“ können. Bresliks Vortrag blieb trotz schöner Phrasierung hier eine Spur zu naiv und burschikos (Tugenden, die der Partie an und für sich sehr gut anstehen)."

    Hear Me Roar!

  • Ojeoje , da muss ich ordentlich ausholen. Ob’s jemand lesen mag?
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    Hallo, liebe Tenorfans!


    Mit Interesse habe ich spät einen Lesestreifzug durch diesen Spazio über die Frage gemacht, wer denn wohl d e r bzw. ein Nachfolger, nicht zeitlich, sondern rangadäquat, zu Fritz Wunderlich sei. Die meisten der bisherigen Beiträge dazu belassen es beim Namedropping, bei Zurufen ohne nachvollziehbar argumentative Begründung. Es ist ja auch nicht so einfach. Warum? - Weil es gerade im Bereich der Tenöre a) ein breites Spektrum von Fach-Zuordnungen, b) in denselben dann wieder b1) jede Menge Überschneidungen, b2) Spezifikationen, differente Urteilskriterien gibt. Um dies zu akzentuieren:


    1.
    Die Stimmlage Tenor ist – im Gegensatz etwa zum Basso – in diverse Typen- und Gewichtssparten zu unterteilen. Mindestens in diese:


    - Tenore di Grazia. Der leichte, bewegliche, adoleszente Stimmcharakter, im Canto fiorito, der Verzierungskunst, also der klassischen Schule, beheimatete Tenorprotagonist vorzugsweise des italienischen und französischen Repertoires: von Edmond Clément und Tito Schipa bis Valetti, Alva, Kraus, dann Blake, Florez, Calleja.


    - Tenore lirico. Der jugendliche Tenortypus, weich oder leichtmetallisch im Klang, beweglich, mit schönem Schmelz und großer Höhe: von Fernando de Lucia und Alessandro Bonci über Gigli, Tagliavini, di Stefano, Dermota, Simoneau, Gedda bis Pavarotti, aber auch Kónya, Hollweg, Araiza.


    - Tenore Lirico spinto (nicht ganz korrekt auch als „Jugendlicher Heldentenor“ bezeichnet). Die für akzentuierte lyrische wie dramatische Interpretation, etwa Verdi, geeignete, meist metallische, gelegentlich auch körnige, jedenfalls männlich-edle Tenorstimme (nach beiden Richtungen hin mit Grenzüberschreitungen): von Caruso über Jadlowker, Lauri-Volpi, Thill, dann Björling, Tucker, Bergonzi, bis Domingo, Heppner, Alagna.


    - Heldentenor. Der hochdramatische, oft breit und dunkel strömende, voluminöse, belastbare, in der Höhe schallkräftig, mit substanzvoller Mittel- und guter Tiefenlage ausgestattete Tenorheros. Als „Tenore drammatico“ hellmetallisch strahlend+glänzend (von Knote und Lorenz bis Svanholm, Aldenhoff, Beirer). Als „Tenore eroico“ dunkel, gewichtig, baritonal, mit starker Durchschlagskraft (von Melchior, Treptow, Suthaus, Vinay, Vickers, in hochqualitativer Ausprägung eine Rarität).


    Dazu kommen die sog. „Charakterfächer“: Tenore buffo (in schöner Verwirklichung an der Grenze zum di Grazia+Lirico etwa Gerhard Unger) oder als Charaktertenor (wie Kuen und Stolze, extra faszinierend an der Grenze zum Heldentenor wie Helmut Melchert).


    Natürlich waren zahlreiche berühmte Erstrangvertreter stets grenzüberschreitend, im Rahmen mondialer Vermarktung sogar gleich mehrere Fächer ausübend, eingesetzt – Musterbeispiel Domingo.


    2.
    Fritz Wunderlich war ein idealtypischer Tenore Lirico. Aber nicht aus der mediterran geprägten Schule, sondern eher aus der Bach- und Mozarttradition des deutschen Sprachraums. Als echter, zugleich variabler Lirico-Typus zeigte er nach frühen Jahren als reiner Lyriker viele Überschneidungen zum Tenore di Grazia (Almaviva, Nemorino / Dt. Spieloper), später beständiges Wachstum zu „schwereren“, sogar dramatischen Rollen bei Mozart, Verdi, Puccini, Veristen, französischem und osteuropäischem Repertoire. Wäre er nicht so früh verstorben, hätte er eine ähnliche Entwicklung wie Peter Anders zum Drammatico, etwa Don José, Florestan, Bachus, Lohengrin, Stolzing, nehmen können.


    Was so Besonderes zeichnete ihn aus?
    Zunächst ein Qualitätstimbre von rarer Naturbegnadung, hochindividuell = nach wenigen Tönen identifizierbar, von exzeptioneller Färbung, andererseits mit zu Herzen sprechender, edler, humaner Eindringlichkeit – darum, von den außermusikalischen tragischen Aspekten abgesehen, mit allen Momenten der Rührungskraft, Bezwingwirkung, Unvergesslichkeit begabt


    Zum anderen war er ein meisterlicher Stilist, vorzugsweise in jenen seriösen Musik-Kunstwelten, die Intonationsgenauigkeit, Phrasierungskunst, Skalendynamik, dosierte Schwingung, kontrolliertes Vibrato, Expansionskraft erfordern. Mit wachsender Reife erreichte er auch hohe bis höchste interpretatorische Standards – ein Gestalter „con anima e cuore“, nicht zufällig ein geborener Liedersänger.


    Fritz Wunderlich war aber kein Meister des Canto fiorito, der Verzierungskunst, des unendlichen Atems, der Virtuositätszauberei – wie, um gleich nach Höchstem zu greifen: bis heute weltweit der sensationelle Rockwell Blake, in seiner Konkurrenz oder Nachfolge der junge Vargas, dann Matteuzzi, Ford, Tarver und Florez. Das musste und konnte er auch nicht sein: Kein Sänger seiner Ära vor der großen Rossini+Belcanto-Renaissance ab den 1970er Jahren war es. Wunderlich war ein moderner Sänger aus deutschklassischer Tradition, wie alle deutschsprachigen Sänger seit Jahrhundertbeginn orientiert am Oratorien- und Konzertsaal-Repertoire, von Bach, Händel, Hadyn, Mozart und den Romantikern, erfreulicherweise unbeeinflusst vom sonst weltweit prägenden Verismo. Er ist darum seinen Kollegen vor ihm und Zeitgenossen – Erb, Tauber, Patzak, Pataky, Wittrisch, Ludwig, Anders, Schock, Traxel – näher als etwaigen Nachfolgern, die alle nicht am Wiederaufblühen der Alten Schule (britisch-oratorischer oder mediterran-belcantescer Provenienz) vorbeikommen.


    3.
    Ich bin so ausführlich, um darzutun: Um über etwaige Wunderlich-Nachfolger zu reden, muss man erst klären, auf welcher Grundlagen-Definition man solches erwägen will. Harald Kral ist mit seinem Hinweis auf Blochwitz stilistisch und repertoiregerecht wahrscheinlich am Nächsten dran. Aber wir suchen ja nach mit dem Vorbild vergleichbaren Effekten wie Timbre, Stil, Ausstrahlung, künstlerische Statur, Nachwirkung, kurz: nach Elementen des Mythos.


    Da liegen wir, wie mir scheint, mit Kaufmann (eigentlich ein Zwischenfachler Lirico+Spinto) eher daneben, mit der direkt nach Wunderlich vorderen Reihe von Schreier bis Schade, ungeachtet aller Meriten oder Möglichkeiten, nicht ganz auf gleich hohem Niveau, sind mit Streit, Güra, Davislim uvm. nicht ganz im selben Fachbereich, betreten mit den hochrangigen Vargas, Lopardo, Pirgu doch etwas andere Wirkungsfelder (überdies wäre in dieser Richtung ein gutes weiteres Dutzend aufzuzählen) – also: Wir geraten schnell in bloße „Ich-weiß-auch-noch-einen“-Aufzählerei.


    Nach meinem lange trainierten, dennoch ganz subjektiven Eindruck, unter Wahrung strengen Blicks bzw. Gehörs auf Wunderlichs faktisch begrenztes Wirken und dessen greifbare Dokumentation, nach seinem Stimmcharakter, Gesangsstil, Timbreklang scheinen mir zwei Tenöre dem großen Fritz noch – rein typmäßig und stilistisch – am nächsten gekommen zu sein. Einmal der ganz junge Francisco Araiza (Hörprobe: seine frühen Liedaufnahmen, vor allem Schubert, seine Mozart-Portraits und Mahlers „Lied von der Erde“ unter Giulini) und danach der vor voller Ausreifung allzu früh freiwillig abgetretene Uwe Heilmann (Hörprobe: sein Tamino bei Solti und seine CD mit Bach-Arien). Und nach Faktur und Eignung des Materials, ein wenig auch erkennbarem Stilbewusstsein dann Pjotr Beczala. Als „Nachfolger“ mag ich sie freilich nicht bezeichnen.


    Danke für Eure Geduld. Grüße, KUS

    Gilt es des Lebens höchsten Preis um Sang mir einzutauschen ...

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  • Vielen Dank, lieber KUS, für deine ausführlich dargelegte Sichtweise. Ich bin überzeugt, solche Berichte möchten noch viele lesen! Hol ruhig öfters aus...


    :jubel: :hello: :jubel:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Ich schließe mich meinen Vorrednern an,


    das war eine leidenschaftliche und wunderbar systematische Darstellung, auch wenn ich - ein wenig Beckmesser darf sein - die Herren Calleja und Konya, die ich beide sehr schätze, für jeweils eine Gruppe zu "niedrig" eingeordnet halte. Ungeheuer freue ich mich, auf jemanden zu treffen, der den wunderbaren, zu wenig bekannten Uwe Heilmann schätzt.


    Ein Wort noch zu Herrn Blochwitz, den ich in meinem Sermon ausgelassen habe (Michael Schade habe ich tatsächlich vergessen zu nennen): Er ist (war?) ein toller Sänger, seine Zender-Winterreise ist zu recht berühmt, aber er hat so eine schreckliche Atemtechnik. Sein Ottavio bei Harnoncourt etwa klingt fast wie ein Asthmatiker. Und Wunderllich war so ein Meister der Atemkontrolle.


    Großer Pluspunkt bei Kus übrigens: Die Nähe zu den Vorgängern, vor allem zu Peter Anders und - ganz anders gelagert - Julius Patzak. Das trifft.

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    Grillparzer
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  • Es gbt ja Leute, die gegen diese Facheinteilung allergisch sind, die auch Verfechter davon sind, daß es so etwas wie Stil nicht gibt, man muß Verdi und Gounod wie Puccini singen - frisch drauf los.
    Ich finde diese Einteilungen haben schon ihren Sinn. Wie beim Schifahren sind gute Slalomläufer in nur seltenen Fällen auch gute Abfahrer - vielleicht eine Zeit lang. Dann gibt es die soliden Kombi-Typen, die Allrounder, die vieles recht gut machen, aber nichts außergewöhnlich.
    Überschneidungen und Ausnahmen gibt es immer. Ich persönlich würde zB rein gefühlsmäßig Calleja und Schipa eher zu den lyrischen Tenören ordnen, ihnen fehlt bei vielen Tugenden die flüssige Geläufigkeit bei den Verzierungen und Koloraturen. Dafür würde ich Bonci und De Lucia, bei dem wieder die Vollhöhe gefehlt hat, (eventuell auch Simoneau?) eher zu den di grazias tun.
    Gigli und Di Stefano könnte man (in späteren Jahren) auch zu den spintos zählen. Die Puccini Rollen, die beide bevorzugt gesungen haben mit dem schweren Orchester sind fast alle spinto, obwohl sie genauso mit entsprechenden Gesangspartnern, Dirigenten und in einem kleineren Haus auch lyrisch gesungen werden können. Aureliano Pertile oder Giovanni Martinelli sind für mich zB ein typische spintos. José Cura hätte gute Ansätze dazu gehabt, wenn er mit mehr Hirn singen würde.


    Jadlowker, den Du bei den spintos hast hatte dafür eine Geläufigkeit, mit der er fast alle anderen in die Tasche gesteckt hat. Die Stimme selbst ist für einen di grazia überbesetzt.


    Bitte nicht mißverstehen - ich will jetzt nicht Listen zuerpflücken. Ich finde die unterschiedlichen Sichtweisen so interessant. Ebenso wie es für mich nichts Faszinierenderes gibt als die menschliche Singstimme.

  • Es ist sehr hilfreich, wenn bei Tenören eine Einteilung in Stimmtypen , wie KUS diese fachlich korrekt einbringt, erfolgt.
    Allerdings wird es dann sicherlich in dem einen oder anderen Fall Zuordnungsprobleme geben, weil der Sänger in zwei Bereiche passt oder sich in einer Übergangsphase befindet. Auch das Alter und die Dauer der Karriere und die damit verbundene Repertoireerweiterung spielt eine Rolle. In jedem Fall erleichtern Unterteilungen in allen Stimmfächern eine Beurteilung.
    Übrigens auch bei Bässen: Hier unterscheidet man den Bassbariton, typische Rollenvertreter Hotter, Schöffler, London, den hohen Bass, auch basso cantante, typische Rollenvertreter. Siepi, Crass, den tiefen Bass, auch basso profundo, typische Rollenvertreter, Emanuel List, Herbert Ahlsen, Ivar Andresen. Ergänzend dazu gibt es auch die Unterscheidung zwischen Spielbass und serösem Bass. Um aufzuzeigen, wie schwierig die Zuordnung dennoch ist, gleich einige Beispiele von großen Sängern: Kurt Moll basso cantante, basso profundo oder beides? Josef Greindl basso profundo oder doch/auch hoher Bass, wenn man dabei an seinen erfolgreichen Sachs und Wanderer denkt? Kurt Böhme, basso profundo, gewiss aber ein ausgezeichneter Spielbass, weil in heiteren Partien bis hin zur Operette seine großen Stärken lagen. Sogar bei Gottlob Frick, der sicherlich ein markanter basso profundo war, ist die Typisierung nicht ganz einfach, denn er hat, wenn auch in deutscher Sprache viel italienisches Fach gesungen und brillierte besonders auch in der Spieloper.
    Diese Beispiele zeigen trotz der Hilfen, die Stimmtypisierungen geben,
    müssen wir uns bei einer tiefergehenden Sängeranalyse intensiv mit dem jeweiligen Sänger und seinem Schaffen auseinandersetzen. Oder des Rätsels Lösung ist ganz einfach: Für die ganz Großen gibt es keine eindeutigen Grenzen, weil sie durch ihre stimmlichen Möglichkeiten sehr viel (fast alles?) in ihrem Stimmfach beherrschen.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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