Mit Mozart’s Don Giovanni eröffnete die Royal Opera London ihre neue Saison. Die Produktion, die von Francesca Zambello stammt, wird von manchen Kritikern als langweilig beschrieben. Ich jedoch finde sie ungeheuer spannend. Was vielleicht auch an dem tollen Sänger- und Darstellerensemble gelegen hat. Mit Sängern die über weniger Bühnenpräsenz und Darstellungskunst verfügen sieht man die gleiche Produktion vielleicht mit anderen Augen.
Obwohl die Sängerriege allgemein sehr gut ist muß man drei Personen besonders hervorheben und die heißen, Mackerras, Keenlyside und DiDonato.
Doch bevor ich auf die Sängerleistungen eingehe möchte ich die Produktion an sich beschreiben.
Fast die ganze Oper hindurch sieht man eine gebogene, sich drehende Wand, die ein kachelförmiges Muster hat. Aus mir unerklärlichen Gründen sieht man am linken oberen Ende die Jungfrau Maria. Über die Wand verteilt sieht man Kruzifixe die als Sprossen dienen, wenn zum Beispiel Giovanni zu Beginn aus dem Zimmer der Donna Anna flieht, deren Zimmer sich hinter der Wand verbirgt. Die Wand ist zudem mit Handflächen übersät, ähnlich wie wenn man seine Handflächen in Ton drückt. Was das bedeuten soll? Vielleicht die Handabdrücke des Don Giovanni, der seine Hände wohl schon überall hatte.
Wenn sich diese Wand dreht, dann gibt sie einen Treppenaufgang frei, der von den Protagonisten genutzt wird, und auf das enge Dach dieser Wand führt. Auf dieser können sich die Figuren der Oper drapieren und dieses Dach ergibt einen geschickten Aussichtspunkt.
Wenn man die Wand um 180° dreht, befindet man sich im Inneren eines Palastes im 17. Jahrhundert. Dies geschieht gegen Ende des ersten Aktes als Giovanni zum Fest einlädt. Hier korrespondieren zum ersten mal wirklich die Kostüme der Protagonisten mit der kargen Ausstattung. Das ist nun wirklich das 17. Jahrhundert.
Bei den Farben der Kleidung der einzelnen Charaktere steckt offensichtlich eine Idee dahinter. Don Giovanni ist stets in prägnanten Rottönen zu sehen – von einem teuflischen Rot bis zu violetten Tönen. In starkem Kontrast dazu steht sein Diener Leporello der in grauen Kleidern herumläuft. Anna, Elvira und Ottavio werden in blauen und türkisen Kostümen gekleidet während die Bauern in weiß gekleidet sind.
Im abschließenden Sextett erscheinen überraschenderweise alle weiß gekleidet.
Die großartigste Szene war zweifellos die Höllenfahrt des Don Giovanni. Als der Komtur ihn in die Hölle mitnehmen will, schießen an verschiedenen Orten auf der Bühne Flammen aus dem Boden. Diese Szene ist von ungemeiner Kraft, überall auf der Bühne das Feuer. Don Giovanni scheint sich mehr vor den Flammen zu fürchten als vor dem Komtur, dem er mit Nonchalance entgegentritt. Die Hitze, die da von der Bühne kommt, wird auch für Besucher in den ersten Reihen und den bühnennahen Logen spürbar. Was das erst für die Sänger bedeuten muß.
Die musikalische Darbietung ist von beeindruckender Qualität. Sir Charles Mackerras gilt als Mozartspezialist und sein Gefühl für Mozart ist legendär. Sein Dirigat ist lebendig und seine Tempi sind beispielhaft. Er gibt den Sängern gleichzeitig den Raum ihre Figuren vokal auszufüllen, nimmt Rücksicht in den langsameren Passagen und fordert sie in den schnelleren, ohne sie zu überfordern. Ein großartig dirigierter Don Giovanni.
In der Rolle des Don Giovanni liefert Simon Keenlyside wieder einmal eine, wie ein Kritiker es beschrieb, Tour de Force. Sein Giovanni ist ein gefährlicher Jäger der seiner Libido völlig ausgeliefert ist. Innerhalb einer Sekunde kann er vom eleganten, zärtlichen Verführer zum gefährlichen, groben, ja, teuflischen Verführer mutieren. Den Frauenhelden nimmt man ihm auch vom Typ her ab. Mit seinem attraktiven Äußeren und seiner schlanken Gestalt sieht er wahrlich charismatisch aus. Dazu trägt er eine langhaarige Perücke, mit der er echt klasse aussieht.
Darstellerisch ist er einfach zum Niederknien. Gerade in diesem Bereich wird viel von ihm gefordert. Nicht jeder Sänger könnte das was Keenlyside hier vollbringt.
Ein betörendes Deh vieni alla finestra singt er hängend von dieser Wand, während er genauso beeindruckend zu singen vermag als er Donna Elvira mit ihrem gesamten Gewicht in die Höhe stemmt und sie dabei auch noch etwas in die Höhe wirft. Unglaublich!
Am Ende des ersten Aktes auf dem Fest flieht er vor den anderen in dem er sich an einem Seil an der Wand seines Palastes in die Höhe rettet – also in einem Winkel von 90°. Da sitzt man bangend im Publikum und hofft nur, daß das auch gut geht. Der Mann ist ungeheuer athletisch und ich glaube das zeigt er auch gerne. Keenlyside fordert einfach viel von sich selbst. Zum Vergnügen des Publikums.
In der finalen Szene mit dem Komtur entledigt sich Keenlyside dem Großteil seiner Kleidung – sehr zur Freude des weiblichen Publikums. Nur in knielangen Hosen bekleidet liefert er sich mit dem Komtur eine eindringliche Konfrontation, die zu einem Höhepunkt der Aufführung wird.
Beim letzten Ton, der die Oper beendet, erhellt sich noch einmal ganz kurz ein Teil der Bühne und man sieht den fast nackten Don Giovanni in der Unterwelt mit einer jungen, nackten Frau in seinen Armen liegend. Also auch in der Hölle läuft für unseren Helden alles wie gehabt…..
Gesanglich hat Keenlyside sich in den letzten Jahren zu einem wunderbaren Don Giovanni entwickelt. Seine Stimme ist etwas dünkler geworden, obwohl man ihn noch immer als hellen Bariton bezeichnen muß. Seine stärksten Momente hat er bei La ci darem la mano, in dem Mackerras sehr rücksichtsvoll begleitet, und in einem der Highlights der Aufführung, Deh vieni alla finestra. Da ist eine ungemeine Wärme in seiner Stimme und er gestaltet die Serenade mit langen innigen Phrasen. Da wünschte man diese Nummer würde etwas länger dauern.
Auch die schwierige Champagner-Arie gelingt sehr gut, denn Sänger und Dirigent sind bestens aufeinander abgestimmt.
Keenlyside’s Diktion muß noch besonders erwähnt werden und seine Wortdeutlichkeit auch in den Rezitativen ist sehr lobenswert.
Neben Keenlyside ist Joyce DiDonato der Star der Aufführung. Sie singt in ihrem Rollendebüt eine fast hysterische aber auch sehr empfindsame Donna Elvira. Sie ist hin- und hergerissen zwischen Verachtung und Verliebtheit die sie für Giovanni empfindet. Man muß sich eigentlich Sorgen um ihre Figur machen, derart seelisch ist sie mitgenommen. Während ihrer Arie im zweiten Akt läuft sie mit einem Messer in der Hand herum und es hat den Anschein als wolle sie Selbstmord begehen. Dies können die herbeikommenden Anna und Zerlina allerdings noch verhindern.
Schon in ihrer Auftrittsarie ist die in dieser Aufführung schwarzhaarige DiDonato vokal sehr präsent und sie steigert sich noch im Laufe der Aufführung. Mit ihrer Arie Mi tradi quell'alma ingrata hat sie – obwohl ein Mezzo – keine Schwierigkeiten mit der Tessitura und ist schlichtweg fantastisch. Und trotzdem – für Mozart ist ihre Stimme eigentlich schon einen Tick zu dramatisch. Aber bei derartiger Hingabe an diese Rolle - vokal als auch darstellerisch - ist das nur nebensächlich.
Aber auch die restlichen Sänger sind sehr gut. Vor allem der mächtige Komtur des Eric Halfvarson, der stimmlich ganz großartig und einer der besten Komture seit langem ist. Gerade im Finale mit Don Giovanni liefern sich die beiden Sänger eine intensive Auseinandersetzung die schlichtweg packend ist.
Kyle Ketelsen gibt einen sehr guten Leporello und ist auch vokal eine gute Kontrastfigur zu Keenlyside’s Giovanni. Die Katalog Arie gelingt ihm wunderbar, dank auch des wunderbaren Dirigats von Mackerras. Auch darstellerisch verleitet er zu Lachern, wie wenn er sich vor Donna Elvira als ihr Giovanni ausgibt. Da ist auch DiDonato sehr amüsant.
Eine sehr würdevolle Donna Anna begegnet einem in Marina Poplavskaya, ein eher dunkel timbrierter Sopran, die sich etwas mit der Rachearie müht, was sicher auch auf eine Halsinfektion zurückzuführen ist, mit der die Sängerin in jenen Tagen zu kämpfen hatte. So ist ihre Höhe vielleicht auch deshalb in den höher liegenden Passagen bei Non mi dir alles andere als ideal. Dafür entschädigt sie mit wunderschön lang gesungenen Phrasen und einer beeindruckenden Atemtechnik.
Der Don Ottavio von Ramon Vargas ist besser als ursprünglich anzunehmen, denn den Sänger verbindet man ja nicht unbedingt mit Mozartpartien, obwohl er ja immer wieder dieses Repertoire singt.
Natürlich ist das was er singt kein Mozartgesang, aber dafür macht er seine Sache gar nicht schlecht. Ihm gelingen die Arien ordentlich, auch wenn es halt nicht wirklich nach Mozart klingt. Darstellung findet bei ihm praktisch nicht statt. Er spielt so langweilig wie er aussieht. Aber der Don Ottavio ist ja sowieso ein Fall für sich was die schauspielerische Herausforderung betrifft.
Die Zerlina von Miah Persson ist gesanglich ausgezeichnet wenn auch schon etwas opulent. Dazu ist sie charmant und sehr hübsch. Kein Wunder das dem Don Giovanni beinahe die Augen aus dem Kopf fallen als er sie zum ersten mal sieht.
Robert Gleadow ist ein guter Masetto mit charakterstarkem Timbre.
Ein gelungener Auftakt der neuen Saison für die Royal Opera mit Mozart der auch aus dem Orchestergraben und mit kleinen Einschränkungen auch vokal wie Mozart klang.
Großer Jubel für die Protagonisten, ganz besonders für Keenlyside und DiDonato.
Curtain Call: Sir Charles Mackerras und Simon Keenlyside
Die erste und dritte Vorstellung wurden mitgefilmt. Die DVD dazu soll 2009 auf den Markt kommen.
Don Gregorio