Schubert als Symphoniker – Überschätzt?

  • Franz Schubert als Symphoniker läßt mich seltsam unberührt zurück. Seine Genialität auf dem Gebiet des Liedes will damit nicht in Frage gestellt sein, soll hier auch nicht Thema sein. Konzentrieren wir uns allein auf die Symphonien. Daß die "Unvollendete" ein grandioses Werk ist, steht außer Frage. Doch bereits bei der "Großen C-Dur" habe ich so meine Probleme. Sind die übrigen Symphonien ja eher Jugendwerke (die "Kleine C-Dur" alias 6. vollendete er mit 21), worauf stützt sich also Schuberts Ruf als großer Symphoniker? Folglich nur auf die beiden letzten Symphonien, von denen die eine zudem (angeblich) unvollendet ist. Herbert von Karajan bekundete ohne Gewissensbisse, daß ihm Schubert nicht liege, daß er sich für ihn nicht erwärmen könnte. Sagt einer der größten Beethoven-Interpreten, der auch toll war bei Schumann und Mendelssohn. Mir geht es nicht unähnlich. Die drei Genannten zöge ich ohne Zögern Schubert in der Symphonik vor. An den Interpreten wird's auch kaum liegen: Die "Große C-Dur" kenne ich auch unter Böhm. Die "Unvollendete" dagegen sagt mir in beinahe jeder Einspielung zu (etwa auch Harnoncourt).


    Wie steht ihr dazu?


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Herbert von Karajan bekundete ohne Gewissensbisse, daß ihm Schubert nicht liege, daß er sich für ihn nicht erwärmen könnte.


    Was Ihn aber nicht davon abgehalten hat, bei der EMI einen kompletten Schubert-Zyklus aufzunehmen, der als absolut überflüssig bezeichnet werden muss.



    Agon

  • Ich habe nicht den Eindruck, dass Schubert als "großer Sinfoniker" gilt, auch wenn die h-moll und die große C-Dur mit Recht als "große Sinfonien" gelten.
    Die frühen Sinfonien 1-6 blieben ja wohl unveröffentlicht und unbekannt und konnten gar keine Wirkung entfalten. (Hätten sie auch kaum, weil es, bei aller Originalität klassizistische Werke sind, die Komponisten späterer Zeiten nichts zum Anküpfen bieten, was diese nicht ohnehin anderswo gefunden hätten.)


    Die Große C-Dur wurde gut 10 Jahre nach Schuberts Tod uraufgeführt und stieß, ungeachtet des Einsatzes von Schumann und Mendelssohn wohl auf kein ungeteiltes Echo. (Die Orchestermusiker hätten die Musik teils lächerlich oder auch "unspielbar" gefunden.) Dennoch lässt sich hier ein Echo vielleicht schon am Beginn von Schumanns 1. ausmachen, sicher aber bei Brahms (man vergleiche das Hornsignal im 2. KK) und Bruckner (besonders 4.; hier wirkt auch der langsame Satz "schubertisch").
    Die Unvollendete wurde erst 1865! uraufgeführt.
    Ich weiß nicht, wie beliebt diese beiden Werke beim Publikum im späteren 19. und 20. Jhd. gewesen sind; sie scheinen jedenfalls bald ins Standardrepertoire aufgenommen worden zu sein.


    Was die frühen Sinfonien betrifft, weiß ich nicht, wann die ins breitere Bewußtsein traten. Meines Wissens gab es vor der Stereo-Zeit keine Gesamtaufnahme. (Ich kann mich aber irren; die 5. war wohl schon immer die beliebteste der frühen; die gibt es zB mit Walter. Markevitch hat ca. 1954 3 und 4 (mono) Beecham etwa in dieser Zeit 3,5,6 (noch mono?) eingespielt, aber man müsste nachsehen, wie regelmäßig sich diese Werke auf Konzertprogrammen der 1920er und 1930er finden, ich vermute eher sporadisch.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Angeregt durch einige Forumsbeiträge habe ich mich in letzter Zeit wieder etwas verstärkt mit den Schubert-Sinfonien befasst und zwar bevorzugt mit denen nach Nr.6.


    Da mir sämtliches Unvollendete in spielbar gemachter Weise vorliegt, war es zum Glück doch etwas mehr, als die eineinhalb Werke, die regelmäßige zur Aufführung gebracht werden.
    Läßt man jetzt auf die Fragmente D 615 von 1818 und D 708A von 1820/21 ernsthaft ein, dann kann man natürlich den Übergang vom jugendlichen zum reifen Schubert sehen, der mit der Sinfonie E-Dur D 729, ebenfalls unvollendet, zum Abschluss gebracht worden ist.
    Speziell diese E-Dur Sinfonie nun ist durchaus ein würdiges Schwesterwerk zur h-moll Sinfonie (gleich in welcher Form), genauso wie das Sinfonie-Fragment D 936A von 1828 eine würdige Schwester zur "großen C-Dur" ist.
    Verläßt man sich nun völlig unvoreingenommen auf seine Ohren, dann stellt man fest, dass da vier Werke sind, die durchaus den Vergleich mit der Beethovenschen Sinfonik aushalten, ja mehr noch, eine durchaus tragfähige Alternative zur selbigen bilden.
    In dem Moment, wo beim Hören wieder die Ratio dazukommt und mit ihr das historische Wissen, dann schaut es schon wieder anders aus, dann bleibt von der ganzen Pracht nur eine Orchesterskizze, ein Torso mit unvollendetem Scherzo und eventuellem Finale, dei "große C-Dur" und die Klavierskizzen einer großen D-Dur.
    Ob nun drei unfertige Sinfonien und eine vollendete ausreichen, einen Komponisten zu einem großen Sinfoniker zu machen?


    Im Falle Schuberts nach einigem Zögern: JA!


    Denn die eineinhalb Sinfonien Schuberts, die sich durchgesetzt haben, brauchen zum einen den vergleich mit Beethoven nicht scheuen und haben zum anderen eben, wie Johannes Roehl schon festgestellt hat, durchaus Spuren hinterlassen.
    Beziehe ich dazu nun auch die Orchesterskizze der E-Dur Sinfonie mit ein und die D-Dur Fragmente der 10, dann auf jeden Fall, ist doch in diesen beiden Werkfragmenten rekonstruktionsunabhängig ausreichend musikalisches Potential zur Größe vorhanden.


    Viele Grüße
    John Doe
    :hello:

  • Hallo liebe Schubertianer,


    lasst uns das Pferd doch mal von hinten aufzäumen: Schubert starb mit 31 Jahren. In dem Alter haben die drei großen "B"s der Symphonik, Beethoven, Brahms und Bruckner sowie Mahler noch wenige bis gar keine Symphonien komponiert:
    - Beethoven hatte immerhin die erste und die zweite Symphonie vollendet.
    - Brahms war bei Vollendung seiner ersten Symphonie 43 Jahre alt.
    - Bruckner hat, wenn man die "Nullte" mal außer vorlässt, bei Vollendung seiner ersten Symphonie das 41. Lebensjahr schon vollendet.
    - Mahler ist fast 40 Jahre alt, als sein "Titan" vollendet ist.
    Schubert hat für alle seine Symphonien so lange gebraucht wie Brahms alleine für seine erste. Und in der Zeit hat er noch Hunderte anderer Werke komponiert, im Ganzen um die Tausend. In seinem letzten Jahr hat er beinahe gleichzeitig auch noch an der Schlusstrias seiner Klaviersonaten, D.958 bis 960 und dem Streichquintett D.956 gearbeitet.


    Wenn wir dann noch bedenken, dass Dirigenten wie Karl Böhm, Günter Wand, Ricardo Muti, Roy Goodman und Nikolaus Harnoncourt ganz ausgezeichnete Gesamtaufnahmen vorgelegt haben, darüber hinaus die letzten beiden Sinfonien in einer ganzen Reihe von vorzüglichen Einspielungen vorliegen, dann kann man sich kaum vorstellen, dass Schubert von diesen Dirigenten überschätzt worden ist.
    ich glaube sogar, dass die Sinfonien Schuberts, vornehmlich die "späten" weit vorausweisen bis hin zu Bruckner, was vor allem die Verarbeitung und Weiterentwicklung des thematischen Materials betrifft.


    Und denken wir doch einmal aus Spaß weiter, was hätte noch kommen können, wenn Schubert so alt geworden wäre wie Beethoven, was er auf dem Gebiete der Sonaten noch alles geleistet hätte und wie weit er seine Sinfonien noch entwickelt hätte. Wir werden es leider nie erfahren.


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Zur Korrektur: Mahler schrieb die Originalfassung seiner ersten Sinfonie mit ca. 28, Uraufführung war 1889. Mit 40 hatte er bereits die ersten vier Sinfonien komponiert.


    :hello:


    JR

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  • Eigentlich habe ich noch nirgends die Behauptung gehört, Schubert wäre ein "großer" Sinfoniker gewesen, ehr wurden seine Sinfonien quasi "entschuldigt" die ersten seine "Jugendsinfonien", zudem noch an Mozart orientiert, die 4 sei zu pathetisch, niemals aber "tragisch, etc. etc.
    Lediglich die Große C Dur Sinfonie und die "Unvollendete" finden Gnade vor einem breiteren Publikum.
    Ich würde mich John Doe anschliessen, wenn er behauptet, einige Sinfonien seien durchaus mit jenen von Beethoven vergleichbar, ebenso wie etliche Klaviersonaten, ich würde als Unterschied einen gewissen "wienerischen" Unterton sehen, der bei Beethoven, wenngleich er in Wien lebte, kaum oder nicht voranden war.
    Vor allem die "Große C-Cur Sinfonie halte ich durchaus für ebenbürtig.
    Und ein oder zwei Sinfonien sollten ja für einen "großen Sinfoniker" ausreichen..


    Das Zitat seines Zeitgenossen Franz Lachner, klingt ja auch nicht gerade, als wäre Schubert "überschätzt"


    Hätte der Schubert länger gelebt, so hätte aus ihm ein guter Komponist werden können


    Na ja....


    mfg aus Wien

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Das letzte Werk, an dem Franz Schubert gearbeitet hat, war eine Sinfonie, die - soweit man es den Fragmenten nach beurteilen kann - von ihrem Wesen her eine Schwester zur großen C-Dur geworden wäre. Zu einer Fertigstellung ist der Komponist nicht mehr gekommen, weil er über diesem Werk verstorben ist.
    M.E. hat Schubert gegen Ende seines Lebens zu seiner spezifischen Musiksprache im Bereich Sinfonie gefunden, konnte jedoch selbige nur noch in einem einzigen Werk voll artikulieren. Hätte er länger gelebt, ist davon auszugehen, dass die 10. vollendet worden wäre und er in Sachen Sinfonik die Nachfolge Beethovens angetreten hätte.
    Ob er dann aber auch noch die Partiturskizze der E-Dur ausgefüllt, bzw. die h-moll in eine endgültige viersätzige Form gebracht hätte, ist eine andere Frage, denn aus Schubertscher Sicht waren doch sämtliche Fragmente und Skizzen zwischen der kleinen und der großen C-Dur nur Übergang. Und ganz konkret eben auch die h-moll, die trotz ihrer zwei perfekten Sätze letztendlich auch nur Fragment bzw. Objekt der Spekulation geblieben ist.


    Reicht nun eine einzige Sinfonie, um aus einem Komponisten einen großen Sinfoniker zu machen?
    Im Falle Schuberts ja, denn die große C-Dur ist ja nicht eine Hoffnung, ein Versprechen, eine Möglichkeit, sie ist real und auf Grund der Quellenlage nicht einzig, sondern die erste von mindestens zweien und somit auch nicht ein "glücklicher Wurf" oder ein Zufallstreffer.
    Und wenn es bloß bei dieser einen geblieben ist, dann doch nicht auf Grund eines irgendwie gearteten Unvermögens von Franz Schubert, sondern weil er schlicht und einfach so früh verstorben ist.


    Wenn nun Lachner sagt:


    Zitat

    Hätte der Schubert länger gelebt, so hätte aus ihm ein guter Komponist werden können


    irrt er, denn ab 1820 war er das ja schon und allerspätestens ab Mitte der 1820er mehr noch, nämlich ein großer!


    Viele Grüße
    John Doe

  • Hallo zusammen,


    die Frage ist: Überschätzt bzgl. was? Überschätzt in seiner Bedeutung für die Entwicklung der Gattung oder überschätzt in seiner Bedeutung im Konzertsaal?


    (Extrembeispiele: Marschner war sehr wichtig für die Entwicklung der dt. romantischen Oper von Weber zu Wagner, aber wird heute kaum gespielt. Brahms-Sinfonien sind im Konzertsaal sehr wichtig, haben jedoch zur Entwicklung der Gattung Sinfonie wenig beigetragen. - Schönbergs "entwicklende Variation" wäre eventuell ein Gegenbeispiel für die letzte These, aber es ist vielleicht klar, was ich meinte.)


    Ich glaube nicht, dass Schubert in seiner Bedeutung für die Entwicklung der Gattung überschätzt wird, ganz einfach, weil er unter diesem Gesichtspunkt nicht allzu hoch geschätzt wird.


    Ich glaube auch nicht, dass Schubert in seiner Bedeutung im Konzertsaal überschätzt wird. Die letzten beiden Sinfonien sind immer noch Zugnummern.


    (Zu meinen Lieblingswerken gehören sie nicht. Mit Furtwängler oder C. Kleiber kann ich aber die h-moll-Sinfonie gut hören, die große C-Dur gerne mit Furtwängler oder Mackerras.)

  • Das Schubert als Sinfoniker überschätzt oder unterschätzt ist kann ich nicht feststellen.
    Als interessierter Klassikhörer kann man sich leicht vorstellen, dass ein Komponist der „nur“ 31 Lebensjahre verbuchen kann auch nicht viel mehr geschaffen haben kann. Betrachtet man sein Lebenswerk und dann noch seine 8 schätzenswerten Sinfonien, so ist das Geschaffene in dieser Zeit mehr als beachtlich und verdient Hochachtung.


    Überheblich sind dann Aussprüche von Kritikern, wie das von Alfred zitierte Zitat von Lachner. Selbstverständlich wäre noch Großes und Größeres zu erwarten gewesen.


    Unterschätzt finde ich allerdings bei aller Kritik die Wertung über Karajans Schubert – Sinfonien – GA (EMI). Es gibt sicher Schubert – Zyklen, die das Wienerische in den Werken mehr betonen (z.Bsp. Böhm) oder detailverliebter an die Werke herangehen (Mackerras). Aber das übermächtige Vorbild Beethoven hat kaum ein Dirigent so eindringlich beschworen wie Karajan in seiner EMI-GA.
    Ich finde diese Karajan – Aufnahmen daher wesentlich kurzweiliger interpretiert als die rein klassische, langatmige und mir nichtssagende Sicht eines Muti oder Metha (beides Dirigenten die ich im 20.Jahrhundert besser aufgehoben sehe), oder die ganz und gar nur für ein in die Jahre gekommenes Abbonnementspublikum aufgenommene Sicht eines Rattle.


    Es ist allerdings wiedereinmal an Selbstverliebtheit und Überheblichkeit in Klassikforen nicht zu überbieten, wenn ein Schreiberling die unqualifizierte Äußerung macht, dass eine Schubert – GA von Karajan überflüssig sei.
    Es ist für den Klassikhörer, der Schubert zupackend in Beethovenschem Gewand hören möchte eine TOP-Alternative. Jeder der Schubert anders hören möchte, dessen Meinung akzeptiere ich und empfehle ihm auf andere Aufnahmen auszuweichen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Ob der Karajan-Zyklus nun "absolut überflüßig" ist, sei mal dahingestellt. Fakt ist, daß Karajan Schubert nicht sonderlich schätzte und sich daher auch erst in den späten 70ern zu dieser Gesamtaufnahme überreden ließ. Die "Unvollendete" und "Große C-Dur" sind Ausnahmen. Die nahm er schon früher auf, und die beiden lagen ihm m. E. auch am besten. Wer den einen "beethoven'schen" Schubert sucht, ist hier richtig. Die ultimative Enspielung wird's wohl nicht sein. Aber mir langt sie für's erste durchaus. ;)

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    – Luís de Camões

  • Ich würde auch eher zu unterschätzt tendieren.
    Schuberts Sinfonien, besonders die späten, haben große Qualität. Aber sie schlagen eben nicht so durch. Vielleicht hat das was mit Brahms' Aussage zu tun, dass man nach Beethoven praktisch keine Sinfonie mehr schreiben könne. Vielleicht war Beethovens Schaffen ein solcher Schock für seine Zeitgenossen (zu denen man Schubert ruhig zählen kann), dass da kein rechter Zug hin zur Sinfonie entstand. Vielleicht war auch das Publikum ein wenig von der Sinfonie weggekommen oder nicht auf die Komplexität Schuberts geeicht.
    Tatsache ist, dass erst wieder Bruckner und Mahler als wirklich große Sinfoniker wahrgenommen wurden. Selbst Mendelssohn, Schumann und Brahms rangieren ja nicht auf Augenhöhe mit den beiden vorgenannten oder den Meistern der Wiener Klassik. Unter hsitorischen Gesichtspunkten würde ich auf die Restitution nach dem Wiener Kongress verweisen, die zu leiseren Tönen im Bürgertum, zum Rückzug ins Private und die Massenverbreitung des Klaviers und damit der Kammermusik verweisen. Aber das ist nur eine Vermutung. Er hatte wohl in seinem kurzen Leben den Kopf mit zu vielen Sachen voll, um sich auf die Sinfonik festzulegen und erst spät schuf er seine berühmten Sinfonien. Vielleicht ist es aber auch die Komplexität seiner Sinfonien, das Auf und Ab an Gefühlen, die - ähnlich wie bei Schumann - die Sinfonien sperrig erscheinen lässt und sie so für manche/viele "anstrengend" erscheinen lässt.

  • Wenn wir uns mal die "bedeutenden" Schubert Sinfonien hernehmen", dan können die gar nicht "schlecht" i- im Sinne von "Am Werk vorbei" interpretiert werden, Denn ich nehme an, das war gemeint, als man über die "überflüssigen" Karajan" Einspielungen den Stab brach.
    Ich meine auch Karajans Äusserungen in Bezug auf Schuberts Sinfonien dahingehend zu verstehen, daß er sich mit "Jugendwerken" und Werken wo ein Komponist um "neue Erkenntnisse" (und seien es nur solche der Slebstfindung als Komponist) rang, nicht identifizieren könne, weil er, Karajan , lediglich das Ausgefeilte, Perfekte, elegante und mit edler Politur versehene akzeptieren könne. Das war bitte keine Arroganz , sondern schlicht und ergreifend die Wahrheit.
    Karajan mag kein Schubert-Spezialist gewesen sein, aber er war immerhin einer der besten Dirigenten die Beethoven je dirigiert haben. Schubert ist ihm stilistisch ehrer verwandt, sodaß das Ergebnis im schlechtesten Falle als zumindest "achtbar" einzuordnen ist.


    Karajans Schubert Zyklus hatte indes keine Chance, weil laut Aussage des verantwortlichen Toningenieurs (Gülke?) bei einer der Aufnahmen ein Stützmikrophon ausgefallen war, was erst Monate später beim Abhören der Bänder aufgefallen sein soll. Auc mir nicht bekannten Gründen wurde diese Aufnahme nicht wiederholt - und unkomplette Zyklen waren von jeher von Plattenfirmen nicht beliebt....


    So wie Karajans Beethoven den Hörern die Sicht auf Böhms Beethoven-Zyklus verstellte, so dürfte es umgekeht in Sachen Schubert gewesen sein, das Bessere ist eben ein Feind des Guten....


    Karajan hat desungeachtet die Sinfonien Nr 8 D759 und Nr 9 D 944
    zumindest zweimal in Stereo eingespielt , einmal für EMI und einmal für Deutwche Grammophon, beide Male mit den Berliner Philharmonikern...


    Luis Keuco schrieb

    Zitat

    Schuberts Sinfonien, besonders die späten, haben große Qualität. Aber sie schlagen eben nicht so durch


    Das müsste näher erklärt werden. Aus meiner Sicht zählen sie allen Unkenrufen zum Trotz, zu den meistgespielten - und meist aufgenommenen Sinfonien des gesamten 19. Jahrhunderts....
    siehe CD.Kataloge...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Durch einen Beitrag Alfreds beim Thread ”was höre ich gerade jetzt“ bin ich wieder einmal auf das Thema Schubert Symphonien gekommen.
    Speziell interessiert mich momentan die „Unvollendete“ und die große C-Dur Symphonie.
    Ich kenne die Unvollendete in Harnoncourts Interpretationen mit dem Wiener SO und dem Concertgebouw Orkest.
    Neben der Berücksichtigung der Traumerzählung zur Unvollendeten fand ich immer auch den Ansatz Harnoncourts des konsequenten Revidierens des Notentextes anhand des Schubertschen Autographs, insbesondere im Hinblick auf Dynamik und Artikulation interessant.


    So schreibt er zum Thema Dynamik im Begleitheft :


    Auch..weichen die alten Ausgaben (von Herbek und Brahms) eingreifend vom Autograph ab: Dynamische Bezeichnungen, die Schubert nur in einzelnen Stimmen vorschreibt, werden fast stets über die gesamte Partitur verteilt, abrupte Wechsel durch Übergänge gemäßigt, Akzente und Betonungen gemildert und weggelassen.


    Harnoncourt präsentiert einen Schubert, bei dem sich die seelischen Abgründe schroff und grell auftun und einem die Gänsehaut über den Rücken läuft, weil das Grauen sehr eindringlich und nachzuempfinden ist. Man beginnt schnell, diese Musik in ihren dramatischen Momenten todernst zu nehmen und betroffen zu sein.
    Im Kontrast hierzu gibt es wieder Stellen, bei denen sich eine dunkle Wolke zur Seite schiebt, die Sonne für einen Moment herauskommt und dem seelisch zerrissenen Menschen einen kurzer, tränenumflorter Blick in eine bessere Welt gestattet wird.


    Wenn ich an manche Lieder aus der Winterreise oder dem Schwanengesang denkt, dann finde ich schon, das Schubert oft in diese Richtung tendiert und solche Seelenzustände in unnachahmlich meisterhafter Weise musikalisch ausdrücken konnte, Harnoncourts Schubertbild also zutreffende Elemente enthält.


    Trotzdem – mich konnte der Orchesterklang beider Aufnahmen nie wirklich zufriedenstellen und mit zunehmendem Alter lege ich vermehrt Wert auf solche klanglichen Aspekte.
    Mir ist schon vor zwei Jahren bei einem Vergleich der „Tragischen“ Harnoncourt/Concertgebouw vs. Harnoncourt/Berliner Philharmoniker aufgefallen, um wie viel angenehmer, grösser, voller, weicher, runder…..(und ich weiß nicht noch was) die Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern doch klingt ( noch Auswirkungen des Karajan-Klanges?)



    Nachdem ich aufgrund des Postings von Alfred mir diese Karajan-Aufnahme



    vor einigen Tagen im Netz begann anzuhören, wurde mir durch den -wie ich fand- sehr angenehmen Orchesterklang deutlich, dass ich mich für diese Symphonie nach einer Alternativaufnahme zu Harnoncourts seelischem (Alb)traum geradezu sehnte.
    Ich habe mir daraufhin in den letzten Tagen nahezu alle im Netz verfügbaren Aufnahmen entweder ganz oder in Ausschnitten angehört und bin bei drei Einspielungen gelandet, zwischen denen ich mich aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Vorzüge schwer entscheiden kann.


    Nach etlichen Vergleichen ist mir aufgefallen, dass mir Karajans Emi-Einspielung


    noch mehr zusagt als die DG-Aufnahme. So kommt z.B. das Anfangstempo meinen Vorstellungen mehr entgegen.
    Der Bass-Anfang dieser h-moll-Symphonie ist für mich ein schönes Beispiel dafür, wie großartig und einzigartig-spannungsvoll Karajans Konzept des großbogigen Klangstroms klingen kann, wenn die Musik dafür geeignet ist.
    Der Übergang zur schon erwähnten Streicherfigur und dem Einsatz der Oboe ist genial musiziert, wirklich unglaublich gut gemacht.
    Der Orchesterklang ist in seiner Fülle, Wärme und in seiner gefühlten räumlichen Ausdehnung m.E. so nur bei Karajan zu erleben .
    Es gibt noch viele andere Gründe die mich dazu bewegen, diese Aufnahme auf jeden Fall zu bestellen.


    Exemplarisch gut und ebenfalls eine wahrhafte Referenzaufnahme ist in meinen Ohren die Aufnahme Böhms mit den Berliner Philharmonikern:


    Das Tempo scheint mir 100%ig stimmig zu sein, und er vermag es –wie so oft- tatsächlich auch federnd und konstant durchzuhalten.
    Es wird sehr dynamisch und akzentuiert gespielt, ohne jedoch dass einem die Schubertschen Abgründe in vollem Umfang wie bei Harnoncourt als „seelischer Hardcore-Horror “ durch Mark und Bein fahren.
    Neben dem passenden Tempo, dem angenehmen Berliner Klang, den ausbalancierten und federnden Akzenten schätze ich an Böhms Einspielung vor allem die unerreichte Transparenz.
    Er erreicht dies durch eine sehr penible, geradezu schon pedantische Artikulation und durch ein rhythmisch immer klar und stabil stehendes Timing. Hier meine ich sowohl den Grundpuls als auch die Auflösung in rhythmische Figuren die die jeweiligen Instrumente zu spielen haben. Dieses rhythmisch sehr exakte und durchsichtig-federndes Muzisieren ist meiner Erfahrung nach nicht bei allen rein-klassischen Musikern eine Selbstverständlichkeit. Umso mehr bewundere ich es.
    Man kann von dieser Interpretation nach einigem Einhören also stark überzeugt sein.


    Ich weiß nun nicht, wie diese, noch vor 1970 entstandene Einspielung aufnahmetechnisch gesehen klingt. Von der Interpretation her bin ich mir aber sicher, dass ich keinen Fehler mache, wenn ich sie mir zusätzlich zur o.g. Karajan-Aufnahme bestelle – vom Preis her auch nicht.



    In sich absolut stimmig, wenn auch am Anfang mir vielleicht eine Idee zu schnell, ist m.E folgende Aufnahme mit dem Dirigenten Günter Wand, bei der ich auch beim `Reinhören in die anderen Symphonien zur starken Auffassung gekommen bin, dass sich der Kauf dieser Gesamtaufnahme sehr lohnen würde:



    Wands Stil ist aus meiner Sicht nicht so weit von Böhms Interpretationen entfernt, vor allem wenn man sein Bestreben betrachtet, die Partitur so wie sie ist zum klingen zu bringen. Weder Böhm noch Wand wollten etwa aus Schubert einen Wand- oder Böhmschubert machen - und das hört man deutlich.


    Es fällt sehr schwer, weitergehende musikalischen Eindrücke hier zu verbalisieren.
    Vielleicht geht Böhm (nicht bei der Unvollendeten aber z.B. bei der großen C-Dur-Symphonie) in seinem Perfektions- und Transparenzbestrebungen manchmal schon so weit, dass es einem teilweise als pedantisch klingend vorkommen kann, was aber eher dann auffällt, wenn man direkte Vergleiche mit dem weniger auf Transparenz, denn auf strömenden Klang hinarbeitenden Karajan anstellt.


    Wands Musizieren möchte ich als eine eigenartige Mischung aus penibler Notentreue, Altersweisheit, Herzenswärme und einer erstaunlich jugendlichen Frische bezeichnen. Ich denke dass ist es, was auch den großen Reiz und den Wert seiner exemplarischen Einspielungen ausmacht. In musikalischen Gedanken kann ich beim Hören recht detailliert nachvollziehen, warum ich viele seiner Aufnahmen mag.
    Wenn man es aber in die Linguistik der deutschen Sprache übersetzen will, wird es schwierig. Es nachsingend zu vermitteln wäre so viel einfacher...


    Die C-Dur Symphonie gefällt mir mit Abstand in Böhms Wiener Interpretation am besten, die man über youtube kennenlernen kann


    http://www.youtube.com/watch?v=ghMrlJqHRdg&feature=PlayList&p=1DB21B85D4528F16&playnext=1&playnext_from=PL&index=5“


    und auch als DVD bestellen kann.
    Wieder kommt bei mir der Eindruck auf:
    Das passt einfach; ich kann aufgrund dieses deutlichen und gereiften Musizierens die Musik hervorragend nachvollziehen.
    So transparent und präzise habe ich es von keiner Alternativeinspielung gehört, nicht einmal von der Böhm-Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern.
    Die hat allerdings den für mich wichtigen Vorteil, dass die Holzbläser wesentlich angenehmer klingen. Der quäkende Wiener Oboenklang stört mich jedenfalls permanent – sehr schade ist das.
    Da die DVD auch über 20 EUR kostet und obendrein noch eine Schubert Messe mit Knabenchor enthalten ist, werde ich mir diese Einspielung der C-Dur-Symphonie zwar unbedingt vormerken, aber jetzt noch nicht bestellen.
    Es ist wirklich ein Jammer, denn gerade auch der letzte Satz ist in dieser Interpretation derart mitreißend, weil es aufgrund der rhythmischen, dynamischen und artikulatorischen Transparenz alles so leicht nachvollziehbar ist. Dabei ist er übrigens am langsamsten genommen, was aber nicht bedeutet, dass er deswegen lahmer als bei anderen Fassungen klänge – ganz im Gegenteil. Ich habe schon sehr oft (nicht nur bei Tamino) bemerkt, dass „schneller““ nicht immer „lebendiger “heißen muss.
    Auch hier finde ich wieder gut, dass Böhm seine Tempi wirklich stehen.


    Ansonsten gefielen mir im Hinblick auf die C-Dur Symphonie bei allen charakteristischen Unterschieden die Aufnahmen Karajans (EMI) und Wands wiederum am besten, vielleicht ab und zu mit leichten Präferenzen für den transparenter klingenden Wand.
    Das noch weiter auszuführen, würde hier den Rahmen sprengen.
    Es ist so, dass die Einspielungen verschiedene Gesichter ein und derselben Musik zeigen. Keines davon möchte ich missen, auch nicht die erschütternden Versionen Harnoncourts.


    Nicht viel zu sagen hatten mir indes die Aufnahmen von Sinopoli, Abbado und Masur, besser fand ich schon Solti, allerdings kam er dann doch nicht in die engere Wahl.


    Wenn ich die CDs erhalten und gehört haben werde, kann ich noch noch etwas spezifischer zu den Einspielungen äussern und werde ggf. zu anderen Bewertungen kommen.


    Merkwürdig ….es gibt eine neue Schubert-Phase bei mir, und ausgelöst wurde es nur durch ein Posting im „was höre ich gerade jetzt“ – Thread.


    Für mich jedenfalls gilt, dass ich den Symphoniker Schubert vielleicht viel zu lange unterschätzt, jedoch niemals überschätzt habe.
    Wie bei vielen guten Komponisten muss man sich in den Stil des jeweiligen Tonsetzers hineinhören, sich auf ihn einlassen und am besten nicht von A erwarten, dass er wie B zu klingen habe.
    Den Zugang zu einem Symphoniker zu gewinnen ist ein Prozess, der bei einigen Komponisten schnell geht, während man bei anderen vielleicht in der Mitte des Lebens oder sogar erst im Alter erlebt, dass man über ein intellektuelles und inneres Verständnis beginnt, die Musik dieses Symphonikers plötzlich zu lieben.
    Weil das so ist, bin ich jedenfalls vorsichtig damit, Symphonien oder auch andere Werke eines Komponisten von mir aus als überschätzt zu bezeichnen. Aus welcher Position heraus will man das ernsthaft beurteilen können...?


    Gruß :hello:
    Glockenton


    PS: bestellen werde ich jetzt also Karajan/EMI und Böhm/DG. Vorgemerkt ist die Böhm-DVD und die Gesamtaufnahme Wands, da mir ohnehin eine Gesamtaufnahme fehlt.
    Karajans EMI-Aufnahmen werden wohl nicht alle ihren Weg in meinen Hörraum schaffen, weil mir sein Ansatz z.B für die Tragische nicht allzuviel zu sagen hat.
    Das Menuetto etwa ist derart langsam, behäbig und viereckig...da hält Wand sein Niveau m.E. konstanter.
    Auf Harnoncourts Gesamteinspielung kann ich bei etwaigem Bedarf immer über meinen Vater zurückgreifen.

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)