Die Zauberflöte heute

  • Die Zauberflöte ist wohl eines der umstrittensten Werke der Operngeschichte - nicht was deren musikalischen Wert angeht, sondern ob das Libretto versteckte Anspielungen auf die Freimaurererei enthält, einen Angriff auf die katholische Kirche darstellt, moralisierend, parodierend, frauenfeindlich oder aufklärerisch ist


    Hiezu wurden bei Tamino auch schon etliche Threads gestartet, die jedoch alle eines gemeinsam haben: Um sich an ihnen zu beteiligen müsste man sich 2 Stunden lang einlesen, und ausserdem sind es zumeist intellektuelle Spiegelfechtereien, wo die (meist spärliche) Gruppe der Diskutanten gerne vor den Mitlesern in Sachen Belesenheit glänzen will (was durchaus gelingt)


    Die Zauberflöte – Oper im Spannungsfeld von Kirche, Illuminaten und Aufklärung?
    Mozarts Zauberflöte in Referenzaufnahmen
    Die Zauberflöte - Ein Machwerk ?



    Was mir aber immer wieder auffällt - und auch gestern erneut aufgefallen ist, das ist die Verbissenheit, wie man in dieses Werk Dinge hineinzuprojiziieren versucht, die wahrscheinlich überhaupt nicht vorhanden sind. Ich beziehe mich hier auf den Pausenbeitrag während der Opernübertragung aus der Metropolitan-Opera New York...


    Schikaneder war ein Vollblut-Theatermann - und er wusste was seine Publikum mochte. Er kannte natürlich auch die Zeitströmungen , politische und Weltanschauliche Moden, dazu den "dummen Pöbel" als Gegensatz - und wusste alles "unter einen Hut zu bringen"


    Immer wieder wurde die Frage nach der Qualität des Librettos gestellt - und welchen Aussagewert es hat. Ich gebe zu, auch meine Meinung zu diesem Thema war im Laufe meines Lebens gewissen Wandlungen unterworfen.


    Aber heute neige ich doch am ehesten zur Ansicht, das Werk ist vom Inhalt her ein groß angelegter geniale Bluff - allerdings mit unüherhörbaren holprigen Textstellen, die oft unfreiwillig zum Lachen reizen - nicht nur wenn ein schrecklicher Dialekt darüberliegt.


    Produzenten vergangener Schallplattenproduktionen haben die sehr wohl erkannt und sich teilweise entschieden den Text von Schauspielern sprechen zu lassen (was ihn auch nicht besser oder überzeugender machte )- oder aber - (heute wäre das undenkbar) völlig fortzulassen.


    Dennoch - irgend etwas muß da dran sein an der Zauberflöte, die sich seit über zwei Jahrhunderten konstant auf den Spielplänen hält, mehr als die dort verkündeten Binsenweisheiten, mehr als das Freimaurergetue - mit dem Menschen unserer Zeit kaum etwas anfangen können. mehr als der "Isiskult"


    Ich bin auf Eure Meinungen gespannt.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich glaube ja langsam, dass man je mehr man über die Zauberflöte nachdenkt, desto mehr entfernt man sich von ihr. Schikaneder war ein Volksmann, der die Leute mit einem Werk, dessen Inhalt das Volk einfach nachvollziehen kann, begeistern wollte. Da sind alle Charaktere, die einfach gestrickter Plot braucht: Eine orientalische Welt, eine böse (?) Königin, ein weiser, gütiger (?) Herrscher, ein Prinz, ein Verräter, ein Naturbursche, verschleierte damen, Kinder usw... Märche
    Dazu halt Mozarts eingängige Melodien, die bei aller Natürlichkeit so viel Tiefgang besitzen. Fertig ist ein Erfolgsrezept, dass viel zu viel besitzt als das man es je zu 100 % erfolgreich auf die Bühne bringen könnte.
    Daher ist für mich auch die Everding-Inszenierung aus München noch der beste Versuch in allen Belangen.


  • Ich will jetzt nicht untergriffig werden, aber Schikaneder war ein gewiefter Theatermann, der Erfolg haben wollte. Also gab er alles, was die damaligen (und auch heutigen) Zuhörer erfreute hinein, wie das WotanCB so schön aufgezählt hat. Also eine Abart der Löwingerbühne mit Musik von einem Genie - ein Erfolgsrezept bis heute !
    Die Löwingers sind ja auch nicht umzubringen, wie man jetzt wieder an Samstagen sehen kann (wie auch der Kasperl). :D


    Liebe Grüße vom
    Operngernhörer :hello:

  • Es ist interessant, daß ihr genau das schreibt, was ich seit geraumer Zeit auch denke. Schikaneder (in gewisser Weise auch Da Ponte - siehe die mehr als deutlichen Anspielungen auf den mesmerschern Magnetismus in seiner "Cosi")
    verarbeitete ohn groß über "Hntergründe" und "Philosophie" nachzudenken, einige - noch dazu miteinander nicht kompatible Ideen seiner Zeit - und mixte ein spannendes Libretto daraus. Vielleicht hat er Mozart sogar eingeredet, die Oper enthielte "versteckte Botschaften an die Menschkheit" Aber schon die Zeitgenossen wussten um die logischen Schwächen der Handlung, die heute geren als "genial" und "hintergründig", sowie "aufklärerisch" dargestellt wird.


    So schreibt das "Musikalische Wochenblatt". Berlin im Dezember 1791:


    "

    Zitat

    Die neue Maschinen Komödie "Die Zauberflöte" mit Mosik von unserm Kapellmeister Mozart die mit großen Kosen und vieler Pracht in den Dekorationen gegeben wird, findet den gehofften Beifall nicht, weil der Inalt und die Sprache des Stücks gar zu schlecht sind


    (zu finden bei: Hildesheimer: Mozart -Seite 320 - Bibliothek Suhrkamp)


    Ich kenne, seit ich Klassik höre, zahlreiche Deutungen dieses Werkes - und jede neu hinzugekommene widerspricht der vorangegangenen. Zudem entdeckt beinahe jeder Autor unlogische Zusammenhänge und versucht sie zu entkräften, bzw ihre versteckte Logik zu erklären, wobei er dann notwendigerweise alle bisherigen Theorien als Fehlbeutungen oder Nonsens abtun muß, damit seine - ebenfalls wacklige - Theorie bestehen kann.


    Vorgestern in der Pause der Übertragung aus New York musste sogar ein Ägyptologe herhalten, um zu erklären, warum - trotz Isis und Osiris - die Oper nicht in Ägypten spielt, wie einige - teilweise hochkarätige-Inszenierungen der Vergangenheit andeuteten.


    Es wurde immer versucht gewisse Brüche in der Handllung zu erkären, ohne so sehen, daß die Handlung eigentlich nur aus Brüchen und Widersprüchen besteht. Und genau hierin besteht Schwäche und Staärke dieses Werks zugleich. Schikaneder greift Themen auf, ergeht sich in Adeutungen - und überlässt das Problem der Logik letztlich dem Zuschauer. Vermutlich ist es - neben Mozarts Musik - dasjenige, was das Werk 200 Jahre überleben ließ


    Aber es enthält mit Sicherheit - von der Logik mal abgesehen - Stellen wo sich die jeweilige Zeit das herauspicken kann, was ihr als "gesellschaftliches Anliegen" wichtig erscheint, aber das funktioniert letztlich mehr oder weniger bei jeder Geschichte.


    Heute wird gerne der "frauenfeindliche" Aspekt der Handlung entweder betont - oder in Frage gestellt. Jedenfalls befasst man sich damit, was in vergangener Zeit eher nicht der Fall gewesen sein dürfte. Die Deutiung von vorgestern hat mich zum Lächlen gebracht., wird dort nicht allen Ernstes behauptet, die "frauenfeindliche" Grundhaltung der Priester werde gegen Ende der Oper aufgelöst, weil Pamina - nachdem sie die "Prüfungen" (übrigens einer der schwächsten Teile der Handlung überhaupt) Tamino gleichgestellt - und somit ebenbürtige Mitregentin Taminos in der Welt der "erleuchteten" sei.
    Meine Deutung in dieser Sache ist eine wesentlich pragmatischere.
    Da Pamino (angeblich) von den Göttern als Gefährtin Taminos ausgewählt wurde - war es nur logisch - und quasi unvermeidlich - sie ihm zur Seite zu stellen. Von "Gleichberechtigung" ist da keine Spur.


    Interessant ist hingegen, daß kaum jemand in der mir bekannten Literatur die - meiner Meinung nach - tragische Figur des Monostatos erwähnt, der immer auf der Schattenseite des Lebens wandelt. Seine Arie (oder Couplet - wie man will) "Alles kennt der Liebe Freuden" ist eine bittere Anklage an die Menschheit, die mit den Worten "weil ein Schwarzer häßlich ist" endet.....
    Schon der Name signalisiert es ja . Monostatos, von einigen recht frei als "Mönch" gedeutet würde ich mit MONOS "allein" und STATOS Wortsamm "stehen" in Verbindung bringen - also ein "Alleinstehender" . ein "Einzelgänger" - schon der Name ist hier Schcksal...



    Aber auch ich beginne schon wieder auf der Suche nach Tiefgang, das Werk zu zerpflücken...


    Dieser Schikaneder war ein wahrer "Tausendsassa" !!!


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von WotanCB
    Ich glaube ja langsam, dass man je mehr man über die Zauberflöte nachdenkt, desto mehr entfernt man sich von ihr.



    Gilt das nicht für viele Werke?



    :hello:

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  • Sicherlich, aber bei der Zauberflöte kommen die Brüche dabei nochmehr zum tragen und werden zum stolperstein. Andere Werke bieten da bessere Angriffsfläche (z.B. Wagners Ring)

  • Nach 12 Jahren reaktiviere ich mal diesen Thread. Zu meiner großen Verblüffung gibt es zur Zauberflöte 28 (sic!) Threads, von denen einige sich mit einzelnen Aufnahmen oder Aufführungen befassen, andere versuchen, sich dem Werk inhaltlich zu nähern. Da ich das derzeit einmal wieder tue, habe ich mir diesen Thread herausgesucht, um über die Zauberflöte nachzudenken.


    Tatsächlich möchte ich das Nachdenken an einer Aufnahme aufhängen, die in meiner Wahrnehmung das Beste ist, was mir bislang untergekommen ist.



    Anders als bei anderen Gesamtaufnahmen verteilt das Singspiel sich hier auf drei CDs. Rene Jacobs spricht von einem Hörspiel, das freilich exakt den Vorgaben Mozarts folge. Was besonders aufällig ist: die Mono-und Dialoge sind deutlich umfangreicher als in anderen, älteren Fassungen. Auf diese Weise erfahren wir die Hintergründe der Entführung Paminas, die Königin der Nacht erzählt Pamina, dass ihr Mann mit Sarastro gut Freund war, der Familie zwar alles vermacht habe, nicht aber den Sonnenring, den nunmehr Sarastro als Zeichen seiner Macht trüge. Und einiges mehr. Es ist mir aus den beigegeben Aufsätzen nicht verständlich, ob es sich hier um das von Mozart und Schikaneder entwickelte Libretto handelt oder Hinzufügungen. Immerhin ist bereits in der Aufnahme von John Elliot Gardiner der Textumfang im Vergleich zu älteren Aufnahmen erweitert, wenngleich auch nicht so wie bei Jacobs.


    Die Aufnahme ist musikalisch superb, ich kenne nichts, was in dieser Gesamtheit besser wäre. Das fängt bei den Stimmen an (die Sängernamen hatte ich alle bis dato noch nicht gehört), die ihre jeweiligen Rollen mit unglaublichem Leben erfüllen. Diese schauspielerische Leistung sorgt dafür, dass die Zauberflöte eine ungewohnte Dynamik bekommt Nix von behaglichem Märchen, das die Zauberflöte ja eigentlich auch nicht ist. Man wird beim Zuhören regelrecht festgesogen.


    Beigegeben ist der Box auch ein Aufsatz des Ägyptologen und Kulturwissenschaftlers Jan Assmann, der sehr schlüssige Verbindungen zum ägyptischen Kultus um die Götter Isis und Osiris zieht (naheligend), dabei aber auch auf eine Veröffentlichung hinweist die in Mozarts engerem Freimaurerumfeld vorgetragen wurde, die Mozart und Schikaneder auch gekannt hatten. Hier geht es um die Religon duplex, eine Religion, die einerseits aus politischer Motivation von einer Gruppe von Göttern ausgeht, über die sich das einfache Volk leiten lässt, und einer Monotheistischen Religion, deren höchste Ziel die Wahrheit ist. Zugänglich ist sie nur Eingeweihten, sie verfügt auch über eine eigene Schrift, die nur die Eingeweihten lesen können. Zudem wird für die Eingeweihten unterirdisch gebaut, die normalen überirdisch. Ich habe das jetzt einmal knapp zusammgefasst, nachlesbar jenseits des Booklets ist der größere Zusamenhang in diesem Bugh



    Wer die Ausführungen zur Religion Duplex vertiefen möchte, kann das hier tun



    Beide Bücher habe ich mir, von Neugierde getrieben, bei der Hörder Buchhändlerin meines Vertrauens bestellt und ziehe bei Rene Jacobs das Fazit: packende und musikalisch in meinen Ohren perfekte Aufnahme mit einem hohen Mehrwert zum Verständnis der Zauberflöte. Vielleicht kann mich hier jemand über das Libretto aufklären.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Thomas,

    Das klingt unfassbar spannend. Leider ist die verlinkte Aufnahme derzeit nicht erhältlich. Meinst Du dass diese Box hier dieselbe Aufnahme enthält?

    Wolfgang Amadeus Mozart: Operas - The Singspiele (5 CDs) – jpc ?

    Vielen Dank auch für die Literaturempfehlung. Rentiert sich die Lektüre solche Interessenten, die mit dem musikalischen Fachvokabular ihre liebe Not haben?

    Entschuldige bitte die Aufregung, ich bin in letzter Zeit ein wenig arg begeisterungsfähig.

    mit besten Grüßen,

    Niklas

  • Sorry lieber Thomas wenn ich dir vorgreife, aber ich konnte nicht glauben, dass es diese Zauberflòte nicht mehr gibt!



    Hallo Cunctator, erstens gibt es die Zauberflòte noch, nur leider nicht bei unserem Werbepartner ;),

    In der Jacobs Box ....


    befindet sich dieselbe Zauberflöte, allerdings müsste man wissen ob auch das Original Booklet dabei ist, denn das wäre mMn wichtig!

    Das Buch von Assmann über Die Zauberflòte ist sehr lesenswert!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Lieber Fiesco,

    Vielen lieben Dank für Deine Antwort. Dann werde ich mich mal anderswo umschauen müssen...

    Mit besten Grüßen,

    Niklas

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  • Hier geht es um die Religon duplex, eine Religion, die einerseits aus politischer Motivation von einer Gruppe von Göttern ausgeht, über die sich das einfache Volk leiten lässt, und einer Monotheistischen Religion, deren höchste Ziel die Wahrheit ist. Zugänglich ist sie nur Eingeweihten, sie verfügt auch über eine eigene Schrift, die nur die Eingeweihten lesen können. Zudem wird für die Eingeweihten unterirdisch gebaut, die normalen überirdisch.

    Hallo Thomas, (Ironie on)


    vielen Dank. Endlich wird mir bestätigt, dass ich als Rohstoffexperte ein "Eingeweihter" bin. Über 40 Jahre meines Beruflebens habe ich "unterirdisch gebaut" (bergmännisch: Untertage vorgetrieben) un mich dort lange aufgehalten. Folglich bin ich ein "Doppelt-Eingeweihter". Falls nun Jemand Fragen zur "Wahrheit" haben sollte, kann er sich getrost an mich wenden. Ich werde sie "wahrhaftig" beantworten.

    1. Antwort: die Philosphie (darin einbegriffen die Theologie) ist der systematische Mißbrauch einer eigens für sie geschaffenen Sprache.