Alles anzeigenLieber Milletre,
da ich Deinen Worten zu entnehmen glaube, dass Du nicht über Opernregie usw. schreiben wolltest, sondern über Dich, frage ich mich, was uns uns auf diesem Wege über Dich mitteilen willst. Geht es Dir um
- Deine Urteilsfähigkeit?
- die Ausgewogenheit Deiner Wahrnehmung?
- Deine Fähigkeit zur differenzierten Betrachtung?
- Deine jeder Apodiktik abholde Offenheit zur Diskussion konträrer Meinungen?
- den Frieden, den Du nach vielen Lebensjahren gefunden hast?
Lieber Wolfram,
wiederum begehst du die Missetat, auf eine allgemeine Betrachtungsweise meinerseits persönlich-überheblich zu reagieren. Das kann ich aushalten ("Die sind's gewöhnt, hört keiner drauf!"). Auch unseren geschätzten Moderatoren scheinen deine persönlichen Anwürfe keineswegs aufzustoßen.
Was uns unterscheidet? Ich bin ein Gefühlsmensch, der in der Musik - ob Oper, Konzert oder Kammermusik - vor allem die Schönheit und den Ausdruck genießen möchte. Wenn ich z.B. die "Freischütz"-Ouvertüre höre, vermeine ich den böhmischen Wald zu riechen. Geht dann der Vorhang auf - jawohl, früher gab es noch einen Vorhang, heute ist die Bühne bereits offen und es muß sich dabei etwas tun - und ich sehe eine verschandelte Gerümpelszene, ist das Stück für mich bereits gemeuchelt. Da kann der neunmalkluge Regisseur noch so spitzfindige freudsche Akzente setzen, wenn er die Sprache der Musik konterkariert, sehe ich keinen Weg aus der Regietheaterkrise.
Der Regisseur muß zuvörderst den Ausdruck der Musik "treffen", dann kann er noch immer seine eigene Interpretation einbringen. Dann stört es mich nicht, dass etwa ein homoerotischer Melot den Tristan aus verschmähter Liebe schwer verwundet oder Spoletta Tosca heimlich das Messer reicht, mit dem sie den Mord an Scarpia begeht. Solange derartige Ideen mit dem Werk vereinbar sind - warum nicht?