Live aus Salzburg "La Traviata" - Eine Nachlese

  • Entgegen meiner ursprünglichen Absicht habe ich mir die Premiere der mit Vorschußlorbeeren en masse bedachte Aufführung von "La Traviata" im österreichischen Fernsehen angesehen.


    Die Eindrücke waren so vielfältig, daß ich mir wirklich die Frage stellen muß: Wo beginnen ?
    Der erste Eindruck, wenn sich der Vorhang hebt ist bekanntlich das Bühnenbild.
    Beginnen wir also damit.- Praktisch ist hier, daß es nicht viel zu erzählen gibt, denn ein solches war de facto nicht vorhanden.
    Eine halbrund gewölbte Wand, von der ich zunächst fälschlicherweise den Eindruck hatte, sie wäre aus Wellblech - es dürfte aber eher ein Schaumstoff gewesen sein- und eine überdimensionale Bahnhofsuhr. Als Einrichtung dienten rote eckige Sofas, wie sie Österreichern aus der Kika-Werbung bekannt sein sollten.
    Der Eindruck eines Pariser Salons von (Halb)Welt um 1850 vermochte sich auch bei größter Mühe bei mir nicht einstellen.Daran konnte auch die überdimensionale Bahnhofsuhr nichts ändern


    Im zweiten Akt, der laut Libretto in einem Landhaus bei Paris spielt, wurde sparsamerweise das gleiche Bühnenbild verwendet wie im ersten, lediglich, daß die Sofas mit einem bunten Stoff verdeckt waren der zu den Schlafröcken der beiden Hauptdarsteller vom Muster gut passte. Den Sinn dieses Ausstattungsgags konnte man erst in dem Moment durchschauen, als sich Violetta auf allen Vieren durch das Zimmer bewegt und sich immer nahe bei den Sofas hält, sodaß Alfredo sie nicht sehen kann, weil der seehr auffällig geblumte Stoff Person und Sofa ununterscheidbar macht.- Ein geglückter Regieeinfall.
    Die beiden Hauptdarsteller agieren hier durchwegs im Schlafrock, wie es sich für junge Verliebte eben schickt, teilweise auch in Unterwäsche. Hier hat man jene Realitsnähe gezeigt, die ich beim Rest der Inszenierung sonst so schmerzlich vermisst habe.


    Auch das 2. Bild des 2. Aktes (Salon bei Flora, einer anderen Pariser Kurtisane) spielt in der nun schon vertrauten Umgebung, der Weißen "Wellblechwand" Wieder kommt die Bahnhofsuhr zum Einsatz
    die sich wie ein Leitsymbol durch die gesamte Inszenierung zieht - Ein Geniestreich IMO.


    Im Letzten Akt (Violettas Schlafzimmer) fehlt jedes Inventar, das ohnehin schon bisher nur spärlich vorhanden war. Ein Schlafzimmer ohne Bett. Dramaturgisch bedeutet dies, daß Violette im Stehen zusammenbrechen muß und auf dem weißen (Styropor?)Fußoden ihr junges Leben auszuhauchen gezwungen ist.


    Bemerkenswert sind die akrobatischen Leistungen aller, besonders aber der beiden Hauptakteure, die in allen Lebenslagen singen: sitzend, stehend liegend,auf allen vieren krabbelnd, aber zumeist laufend und irgendwelche Verrenkungen ausführend.Der Fußboden und die Bahnhofsuhr sind hier wichtige "Anhaltspunkte"


    Zur Besetzung: Irgendwo wurde behauptet, die aufgebotene Besetzung wäre die beste unserer Zeit - und ich wage diese Aussage nicht zu bezweifeln.- Allerdings ist das traurig.


    Villazon ist IMO ein sehr guter Sänger, ob er allerdings mit dem jungen Pavarotti konkurrieren kann, das ist noch fraglich - immerhin - eine gute Leistung wie es scheint- wenngleich die Beurteilung durch die schlechte Akustik sehr schwierig war. Meiner Meinung nach harmoniert seine Stimme nicht optimal mit jener von Anna Netrebko. Solo klingt er besser.
    Die Violetta wird von ihrer Darstellerin sehr realistisch geboten, wobei sie für meinen Geschmack sich vor allem im 1. Akt ein wenig zu sehr von einer Kurtisane hin in Richtung "Straßenmädchen" entwickelt.
    Stimmlich - von mir aus - nicht alles war sauber, beileibe nicht - aber lange nicht die Ausnahmeerscheinung als die sie so gerne vermarktet wird. Der Eindruck, den ich von ihr hatte heute hatte, war jedenfalls entscheidend besser als jene den ich beim Abhören einer ihrer CDs gewann, das war aber auch kein Wunder...


    Thomas Hampson ist über jede Kritik erhaben - Daß ich persönlich für die Rolle des Vater Germont eine sonorere Stimme bevorzuge mag als geschmackliche und keineswegs qalitative Wertung gesehen werden.


    Das Dirigat von c.Rizzi war unauffällig.



    Mein persönlicher Eindruck:


    Eine minimalistische Aufführung mit großen Namen - die aber bei mir kein Feuer entfachen konnte - ich hab die Traviata schon mehrfach besser gesehen. Zu einer gut erzählten Geschichte gehört die Einheit von Zeit und Handlung, ebenso wie die Ausstattung. Das Parfüm der Pariser Halbwelt-Salons, die Eleganz, fehlte ebenso, wie das (scheinbar) frieie Ambiente des Landhauses wo man hofft "ein neues Leben" mit dem Geliebten zu beginnen, bis Vater Germont dem Idyll ein jähes Ende bereitet. Auch der Todeshauch des Schlafzimmers der schwerkranken fehlt schmerzlich


    Als Repertoirevorstellung eines österreichisch oder deutschen Provinztheaters mag die gebotene Over-all- Performance
    ausreichend sein - für die weltberühmten Salzburger Festspiele - einst Referenz - war es IMO zuwenig.



    Ich bin gespannt ob noch jemand Statements zu diesem "Ereignis" parat hat.


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    ich habe mir schon gedacht, dass dir an der Vorstellung einiges mißfallen würde. Ich glaube, wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, irgendein europäischer Regisseur, der etwas auf sich hält, würde heute noch auf die Idee kommen, eine Oper in erster Linie nach den Intentionen der Urheber zu inszenieren, oder gar darauf aus sein, dem Publikum gefallen zu wollen. Nein, auch an diesem Festspielabend gab es modernes Regietheater, aber auf eine Weise, die weitgehend nachvollziehbar war und die vom Publikum auch gnädig verziehen wurde. Der Beifall schloss auch Willy Decker und seine Crew mit ein, was gar nicht falsch war, denn man bekam von eingen "Regieeinfällen" abgesehen eine ordentliche Personenführung zu sehen, und was kann bei diesem Sänger-Dreigespann dann schon gross schiefgehen?


    Die grundlegende Problematik zeigte ein kurzes Pausengespräch, das Franz Zoglauer mit dem Regisseur Willy Decker unternahm. Decker erläuterte in sehr gescheiten Sätzen das Regiekonzept. Da hatte alles Hand und Fuss und man konnte die Gedankengänge grundsätzlich akzeptieren. In den Erläuterungen kam aber Verdi fast und seine Musik überhaupt nicht vor. Genau dort schwächelte dann die Regie im Besonderen, da ihr Rythmus und ihr Tempo gelegentlich nicht mit der Musik im Einklang stand, was besonders dann auffiel, wenn Carlo Rizzi - sich an die Bühne anpassend - durchaus ungewohnte Klänge aus dem Konzertgraben zauberte.


    In zwei Punkten muss man der Regie aber Lob zollen. Sie bewältigte zum Einen das grundlegende Problem, dass die Fast-Kammeroper Traviata eigentlich nicht für die Riesenbühne des großen Festspielhauses geeignet ist. Für die Bewältigung dieses Problems wurde den Akteuren allerdings einiges an Athletik abverlangt.
    Zum Zweiten war es kein Solo für eine Schwindsüchtige sondern ein bemerkenswert ausgewogenes Spiel dreier handelnder Personen. Vater Germont stand nicht in der Bühnenmitte und gab schöne Töne von sich sondern war eine lebendige Figur, wie ich sie nie zuvor in einer Traviata-Aufführung gesehen habe. Rolando Villazons Alfredo war in noch größerem Masse eine intensiv gestaltete Figur, die der heimliche Star des Abends war und der Diva Anna Netrebko in so manchem Augenblick die Show stahl. Aber auch diese konnte den hypertrophen Vorschusslorbeeren einigermaßen gerecht werden, sie realisierte die Regievorgaben in beeindruckendem Masse und sang die Partie sehr gut.


    Man sollte sich aber nicht zu sehr auf die einzelnen Personen konzentrieren. Diese Inszenierung war in höchstem Masse eine Ensembleleistung, auf ihre Art vielleicht eine Form von moderner Oper. Zeitlich nicht fixiert in einem neutralen Bühnenbild sahen wir auf keinen Fall Menschen des frühen 19. Jahrhunderts, eher moderne, zeitgemäße Typen, die im Umgang miteinander nichts vom Raffinement früherer Zeiten wissen, die hektischer, impulsiver, schamloser, expressiver und brutaler agieren als es das Original vorschreibt. Aber man konnte beim Zuschauen erahnen, warum dieser Premiere 6 Wochen intensiver Probenarbeit vorausging, eine derart intensive und gut eingespielte Ensembleleistung ist auf der Opernbühne eine Seltenheit.


    Letztlich sollte man nicht vergessen, unter welchem gigantischen Druck diese Aufführung erfolgte. Man muss in den Annalen der Salzburger Festspiele wohl sehr weit zurückgehen, um auf Vorstellungen mit ähnlicher Erwartungshaltung des Publikums zu treffen. Und die Fernsehbilder aus den Garderoben nach dem ersten Akt zeigten die Erleichterung der Sänger, dass der Anfang geglückt war. Mit dieser Erleichterung wurde der Abend dann auch tatsächlich immer besser. Ja ich bin mir sogar sicher, dass die folgenden Vorstellungen mit ein wenig Glück die Premiere noch übertreffen können.


    Anna Netrebko ist vor allem eine Traviata für den zweiten und dritten Akt. Der erste Akt war darstellerisch top aber gesanglich nicht herausragend, im zweiten Akt ist sie absolut Rollendeckend und im dritten immer noch sehr sehr gut, wenngleich sie mir darin stimmlich noch etwas zu "gesund" wirkt. Als Sängerdarstellerin ist sie sicherlich eine absolute Topbesetzung, wenn man sie aber auf die Gesangsleistung reduziert, gibt es sicherlich einige Größen der Vergangenheit, denen sie nicht das Wasser reichen kann. In einem vielleicht etwas überraschenden Punkt hat sie mir sehr gut gefallen: trotz der leidenschaftlichen Darstellung gab sie ein im Grunde eher cooles Frauenporträt zu Besten. Eine Spitzen-Kurtisane musste (und muss) ein stabiles Nervenkostüm haben und ist eigentlich eine kühl kalkulierende Schauspielerin in einem besonderen Fach. Die oft übertrieben leidenden Traviatas erscheinen mir unangebracht, Verdi hat das Leid ohnehin schon in Töne gesetzt, es muss von den Protagonistinnen nicht noch verdoppelt werden.


    Rolando Villazons Alfredo ist einfach eine Wucht. Wenn man sich an seine Stimmfarbe gewöhnt hat (was ist der eigentlich? Ein Tenoriton? ), kann man sich keine bessere Verkörperung dieser Rolle wünschen. Zugegeben, Big P. konnte die Rolle in seinen guten Zeiten wahrscheinlich schöner singen, aber was ich von ihm gesehen habe, reichte nicht entfernt an die Bühnenpräsenz eines Villazon heran. Dieser ist auf der Bühne die Antithese zu José Carreras, der in dieser Inszenierung einfach undenkbar wäre.


    Eine positive Überraschung war auch Thomas Hampson für mich. Er hat offensichtlich seinem warmen, klangvollen Bariton Adieu gesagt und singt jetzt mit einem kernigen und resonanzärmeren Organ, das jedoch auf deutlich größeres Volumen getrimmt wurde. Er ist noch immer kein klassischer Verdi-Bariton, und wird es wahrscheinlich auch nicht werden, aber er bewältigt die Rolle stimmlich tadellos und brilliert mit einer ausgezeichneten Rollengestaltung sowohl gesanglich als auch darstellerisch.


    Der Schwachpunkt der Aufführung war wohl der Strizzi am Pult. Nicht dass das Dirigat schwach war, nein, es war solide gestaltet, eher flott, dabei durchaus abwechslungsreich, aber letztlich nicht auf dem Niveau, das die Bühne präsentierte, und schon gar nicht das gestaltende Element, das ganz unmerklich die Aufführung formt (da könnte ein wenig Wehmut aufkommen, denn Salzburg stand früher für Opernabende, die vom Orchestergraben aus gestaltet wurden, hier hatte man immer das Gefühl, dass die Regie das treibende Element sei). Dennoch konnten die Wiener Philharmoniker einige schöne Momente beisteuern.


    Des langen Schreibens kurzer Sinn: Mit ein paar kleinen Abstrichen bei Inszenierung und Dirigat war es ein echtes Opernfest.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo,


    ob wir hier gestern abend "modernes Regietheater" gesehen haben, weiß ich nicht. Doch wohl eher eine vorsichtige Modernisierung, die niemandem wirklich wehtut und insofern für Salzburg und sein Publikum festspielkompatibel ist (bei der großen "Lebensuhr" mußte ich anfangs an "Paulchen Panther" denken: "Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät...?"). Willy Decker ist ja für solides Regiehandwerk bekannt und mit seinen Inszenierungen auf allen großen deutschsprachigen Bühnen vertreten. Hervorragend in der Tat die Personenführung. So gut würde man das mit denselben Stars auf einer "Provinzbühne" (incl. der Wiener Staatsoper) nie hinbekommen aufgrund mangelnder Probenzeit. Das verlangt den Sängern natürlich einiges an Konzentration und physischem Einsatz ab, den diese Sängergeneration aufgrund ihrer Ausbildung auch leisten kann (die Zeiten singender Musiktruhen an der Rampe sind zum Glück vorbei). Besonders gut gefallen hat mir das natürlich Verspielte zwischen Villazon und Netrebko, aus dem sich alles fast wie von selbst zu ergeben schien. Gut auch der Chor als einheitlich choreographierter Society-Piranha-Schwarm. Das Bühnenbild war sehr minimalistisch gehalten, ermöglichte aber dadurch die Konzentration der Regie auf die handelnden Personen, was, wie schon von Theophilus erwähnt, dem kammermusikalischen Aspekt des Stückes sehr gut bekommt.


    Rein sängerisch war Rolando Villazon wohl der "Gewinner" des Abends. Um sicher gesetzte und gestützte Spitzentöne nie verlegen (die aber mit ziemlich viel Druck auf die baritonal timbrierte Stimme gebildet werden), waren es doch die feinen Piani und Smorzando-Färbungen, die mich am meisten für ihn eingenommen haben. Anna Netrebko sang technisch meist sauber (an manche Spitzentöne hat sie sich rangetastet, z.B. im "Sempre libera" des 1. Aktes, wo sie eine vorgeschaltete Note als "Steigbügel" benötigte), aber manchmal ein wenig generalisiert (was sich im Laufe der Zeit aber besserte). Technisch gesehen reicht diese Leistung (noch) nicht ganz an die anderer großer Rolleninterpretinnen heran. Vergleicht man das mit dem, was nicht nur Frau Callas, sondern insbesondere Frau Caballé an gesanglichen Preziosen einst im 1. Akt abgeliefert hat, bleibt Frau Netrebko noch einiges an Verfeinerungsmöglichkeiten umzusetzen.
    Bei Thomas Hampson bin ich hin- und hergerissen. So sehr ich seine darstellerische Intelligenz, seine Bühnenpräsenz und seine gesangliche Intensität bewundere, so wehmütig stimmt mich der Vergleich mit dem Thomas Hampson von vor, sagen wir, zehn bis fünfzehn Jahren. Der einst so schöne dunkle Samt seines lyrischen Baritons ist matt geworden, verblichen und abgeschabt. Was die Stimme an Volumen (nicht an Durchschlagskraft!) dazugewonnen haben mag, hat sie definitiv an Schönheit eingebüßt. Ich finde nicht, daß dies ein Gewinn ist. Für die Rolle des Germont Père mangelt es Hampson doch an diesem Quentchen notwendiger "italienischer" Timbrierung mit Metall und "Squillo" in der Stimme. Er bleibt nach Ausbildung und Timbrierung eben doch ein deutscher lyrischer Bariton.


    Aber alles in allem: für heutige Verhältnisse eine sehr, sehr gute Aufführung mit den wohl unvermeidlichen kleineren Mängeln.


    Grüße


    GiselherHH



    P.S.: Ärgerlich fand ich, daß am Ende nur der Applaus für Frau Netrebko gezeigt wurde und danach der vorgefertigte Abspann begann (war das beim ORF genau so?). Die ARD war wohl der Meinung, bei dieser Traviata handele es tatsächlich wohl nur um die vielzitierte "Netrebko-Show".

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Guten Morgen!


    Kaum erwacht, muss ich gleich meine Eindrücke zur gestrigen Traviata los werden. Die Inszenierung und das Bühnenbild, sowie die Kostüme haben mir sehr gut gefallen. Diese Inszenierung zeigt, dass die Geschichte der Kurtisane zeitlos ist, egal ob die Handlung im 19. oder im 21.Jahrhundert spielt, die dargestellte Situation wird es immer geben, so lange es Menschen gibt. Die Personenführung von Willy Decker kann ich mir kaum besser vorstellen, ich sah und hörte noch nie so eine genaue Darstellung des Vater Germonts, wie durch Thomas Hampson, da stand ein verklemmter Bürger mit all seinen Ängsten und Aggressionen auf der Bühne und sang die Rolle auch nicht , wie es im Repertoirealltag leider so oft vorkommt, larmoyant und nebenbei. Ich muss feststellen, ich bin weder ein Fan von Villazon noch einer von Netrebko, aber Villazon stellte darstellerisch und gesanglich einen Alfredo aus einem Guss auf die Bühne, wenngleich mir die Stimme einfach nicht gefällt, weil sie mir zu baritonal und manchmal etwas "verschleiert" erscheint, aber gestern war er Alfredo, Netrebko fand ich gesanglich im ersten Akt nicht so gut, in den beiden anderen Akten besser, aber ihre Stimme hat für mich keine Seele, sie singt in meinen Ohren, als ob sie immer sagen möchte, seht her, wie gut ich bin und wie schön ich singen kann, aber vielleicht ist das nur mein persönliches Vorurteil wegen des Rummels um sie, das Orchester unter Rizzi war in der Fernsehaufführung nicht vorhanden, ich kann nicht beurteilen, ob es am Dirigat oder an der Fernsehaufzeichnung lag. Alles in allem, würde ich sagen, eine gute, festspielwürde Aufführung mit einigen Höhepunkten, durchaus sehens-und hörenswert.

  • Um bei einem rein "äußerlichen" Aspekt der gestrigen Aufführung zu bleiben:
    Als ich die Ankündigung las, dass die TV-Übertragung von den Salzburger Festspielen ansteht, hatte ich mich ehrlich gesagt schon ein bissel auf eine opulente und auch optisch ansprechende Inszenierung gefreut - eben mal das für diese berühmten Festspiele entscheidende "Mehr" auf der Bühne zu sehen (und damit meine ich nicht die Sängerinnen und Sänger, die genau diesen erwarteten Anspruch ja geboten haben).
    Leider musste ich enttäuscht feststellen, dass heutzutage selbst bei den Salzburger Festspielen Bühnenausstattungen gezeigt werden, die man (leider) in jedem Stadttheater in fast jeder Inszenierung geboten bekommt: Minimalismus pur! Das ist damit leider auch nichts besonders Bemerkenswertes mehr - und originell schon gar nicht! Wird sowas dem hohen Anspruch der Festspiele gerecht?
    Ich lasse mal dahingestellt, dass mit diesem Aspekt der Regisseur die Fokussierung auf die 3 Hauptpersonen dieser "Kammeroper" forcieren wollte - frage mich halt nur, wenn nicht bei den Salzburger Festspielen, wo bitteschön bekommt man dann noch heute mal ein aufwendiges Bühnenbild zu sehen???
    Schließlich gehört sowas zu einer luxuriösen Aufführung (wie diese ja zweifellos gewesen ist) auch dazu - oder sehe ich das zu "oberflächlich"?

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

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  • Hallo MarcCologne!


    Da ich in erster Linie an der musikalischen Seite einer Opernaufführung und an der Personenregie interessiert bin, hat mich das karge Bühnenbild nicht gestört, im Gegenteil, ich mag eigentlich keine opulenten Bühnenbilder, weil ich die aus meiner Erfahrung heraus mit kitschig gleichstelle, und auch der Meinung bin, dass das unter Umständen von der musikalischen und szenischen Entwicklung der Handlung zu sehr ablenkt.

  • @ Erna:


    Du hast sicher Recht - es ist eine Gratwanderung: Abgleiten in "Kitsch" ist bei einer Inszenierung der opulenteren Art schnell möglich. Aber versuchen könnte man es ja -es MUSS ja nicht schiefgehen ;)


    Davon abgesehen erschien mir das Bühnenbild eigentlich das einzig Kritisierbare an der gestrigen Aufführung. Der musikalische Aspekt war meiner Meinung nach wirklich tadellos!
    Es war halt so, dass ich mir irgendwie vom optischen Aspekt mehr versprochen hatte (und zu einer Opernaufführung gehört eben nicht nur die Musik - sonst wäre es ja "nur" ein Konzert :]) - und dann eben etwas enttäuscht war, weil ich feststellen musste, dass es in Salzburg auf der "Traviata"-Bühne auch nicht mehr anders aussieht, als z. B. bei uns in Köln oder Bonn... und das hat mich dann eher betrübt als erleichtert :wacky:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Hallo,


    ich möchte nicht alles wiederholen, da vieles wichtige und richtige hier bereits gesagt wurde. Vielen Dank besonders an Theophilus für die Analyse, der ich mich vorbehaltlos anschließe.


    Das der gestrige Abend ein Erfolg für Anna Netrebko war, wird niemand ernstlich bestreiten können. "Angeekelt" und "Abgestoßen" mögen viele von der Popstar-nahen Vermarktung ihrer Person sein. Oft sind es jene, die meinen, keinen Namen zu haben, sei bereits ein Qualitätsmerkmal. Sicher gibt es unter den heutigen Sängern nicht wenige, deren guter Ruf nicht eben Entsprechung in deren Leistungen findet. Doch Sexappeal alleine reicht für eine Karriere wie die Anna Netrebkos nicht aus. Auf ihren beiden Opernrecitals konnte auch ich nichts Weltbewegendes entdecken, einiges ist gelungen, anderes weniger.


    Verglich man jedoch ihre gestrige Violetta, mit der ebenfalls in dieser Partie hochgelobten Andrea Rost wird schnell deutlich, daß letztgenannte mit dem Vorwurf überschätzt zu sein, weit eher getroffen werden kann. Die Stimme der Russin ist technisch gut durchgebildet, die Register schön verblendet. Anders als andere Stimmen slawischer Prägung hat ihr Sopran weder die Neigung zu ausgeprägtem Vibrato noch den oft ordinären Tonfall. Sicher, "Sempre Libera" läßt sich eloquenter auszieren, die Konfrontation mit Germont mit mehr Emphase gestallten. Doch was viel wichtiger ist: man erlebte gestern einen Menschen auf der Bühne, kein artifizielles Kunstprodukt. Allein die eindrucksvolle Rezitation des Briefes vor "Addio, del passato", zeigt sie auf dem Weg zu einer Tragödin. Lobenswert auch wie sie innerhalb (sic!) der musikalischen Rhetorik zu gestallten weiß. Der matte Ton ihrer letzten Arie, erscheint weit eindrucksvoller als alles schluchzen und tränenträchtiges deklamieren einiger Rollenvorgängerinnen. Alles sicher weder Grund zu euphorischem Jubel, noch zur Kür einer neuen Callas, ganz sicher aber keiner zur Verachtung einer jungen, hoffnungsvollen Sängerin, der ihre Schönheit nicht zum Vorwurf gemacht werden sollte.


    Rolando Villazzon bewies auch gestern, was ich hier in Berlin seit Jahren zu schätzen gelernt habe. Der unprätentiöse und sympathische Tenor verbindet Spielfreude und jugendlich-draufgängerische Energie mit einer Qualitätsstimme erster Güte, dessen Timbre sicher Geschmacksache ist. Das er durchaus auch ein eindrucksvolles c in alto am Ende von „Oh mio rimorso!“ zu singen vermag, hat er nicht nur in der Friedrich-Produktion an der Deutschen Oper bewiesen, sondern zeigt er auch übermütig-unbekümmert in einem Probenmitschnitt aus Salzburg.


    Thomas Hampson verfügt ohne Zweifel über große Intelligenz und ebensoviel Material. Die schamlose Exponierung beider Meriten hat mich oft irritiert. Gestern allerdings fügte er sich in Deckers Konzept, verzichtet auf bedingungsloses Schwelgen und wird so Bestandteil des erfolgreichen Dreiergespanns. Das er sich bei „Di sprezzo degno sé stesso rende“ hoffnungslos entäußert, kann den positiven Eindruck nur wenig trüben.


    Rizzis Dirigat war bestenfalls eine vernünftige Sängerbegleitung, aber sicher alles andere als Festspielwürdig. Wehmütiges Gedenken an Patané und Viotti wird wach.


    Deckers Regie lebt von der Personenführung und leidet unter allzu plakativer Symbolik. Hier fechtet jemand ununterbrochen mit dem Zaunpfahl, wo das Florett genügt hätte. Am stärksten wirkt das letzte Bild durch die Reduktion auf das Wesentliche.


    Liebe Grüße


    Gino

    Im Verhältnis zur Musik ist alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art.
    Friedrich Nietzsche

  • Hallo Giselher


    Zitat

    ob wir hier gestern abend "modernes Regietheater" gesehen haben, weiß ich nicht


    Es ist eine Frage der Definition. Ich bezeichne der Einfachheit halber mit "modernem Regietheater" jene Strömung, wo der Regisseur sich den Stoff anschaut, dann ein mehr oder weniger passendes Regiekonzept entwickelt und zum Schluss versucht, dies mit dem Stück irgendwie in Einklang zu bringen. Das war auch hier ganz klar der Fall. Zum Glück war das Konzept nahe genug am Stück, dass es weitgehende Zustimmung erfuhr und auch die Logik des Stückes wurde nicht allzusehr strapaziert. Man kann also von einer gelungenen Umsetzung sprechen.
    Die Variante, dass man sich zuerst genau das Stück ansieht und davon ausgehend kreativ weiterspinnt scheint ja heutzutage in weiten Regiekreisen verpönt zu sein.



    Zitat

    Vergleicht man das mit dem, was nicht nur Frau Callas, sondern insbesondere Frau Caballé an gesanglichen Preziosen einst im 1. Akt abgeliefert hat, bleibt Frau Netrebko noch einiges an Verfeinerungsmöglichkeiten umzusetzen.


    Ja und nein. Ja in dem Sinne, dass gesanglich deutlich bessere Leistungen auf Tonträger verewigt sind. Nein in dem Sinne, dass sich die Zeiten ganz offensichtlich dramatisch geändert haben. So wie diese Vorstellung vor 40 Jahren in Salzburg undenkbar gewesen wäre, kann ich mir auch eine gertenschlanke Monserrat Caballé in dieser Inszenierung einfach nicht vorstellen. Für sie hätte sich Willy Decker etwas ganz anderes ausdenken müssen (was wiederum die Frage aufwirft, ob das denn ein gangbarer und zulässiger Weg in die Zukunft der Oper ist... Halt! Stop! Brrr! ).



    Zitat

    Bei Thomas Hampson bin ich hin- und hergerissen...


    Da gebe ich dir vollkommen Recht. Es war nur so, dass ich generell Hampsons Liebäugeln mit dem italienischen Fach skeptisch gegenüberstand. So gesehen war seine gestrige Leistung auch gesanglich sehr ordentlich. Offensichtlich will er in dieses Repertoire hineinwachsen. Es steht uns also gar nicht zu, uns seinen Kopf darüber zu zerbrechen, ob der Opernsänger Thomas Hampson nicht zuviel dem Liedsänger Thomas Hampson geopfert hat (inoffiziell stimme ich dir jedoch zu - mir hat er früher auch besser gefallen ;) )
    Dass er (richtigerweiser bemerkt) nicht italienisch genug geklungen hat, störte mich eigentlich nicht so sehr. Der Grund liegt darin, dass wir abgesehen von Verdis Musik gestern überhaupt keine italienische Oper gesehen haben! Da greift wieder Alfreds Kritik, dass bei derartigen Inszenierungen die Werke ihre Identität verlieren, und ich stimme mit ihm überein, dass dies ein gravierender Fehler der heutigen Regie ist, der nur in ganz seltenen Fällen durch neue Qualitäten einigermaßen wettgemacht wird.



    Zitat

    Ärgerlich fand ich, daß am Ende nur der Applaus für Frau Netrebko gezeigt wurde


    ORF2 zeigte zwei vollständige Durchgänge der Auftritte aller Solisten, erst dann begann das Publikum aus dem Saal zu strömen und man schaltete auf Kurzinterviews im Foyer um (alle sehr positiv).




    Erna:


    Zitat

    Diese Inszenierung zeigt, dass die Geschichte der Kurtisane zeitlos ist, egal ob die Handlung im 19. oder im 21.Jahrhundert spielt, die dargestellte Situation wird es immer geben, so lange es Menschen gibt.


    Ja, aber die Geschichte der Kurtisane schaut im Allgemeinen etwas anders aus und Verdi hat ein ganz bestimmtes - sogar reales - Schicksal vertont. Und die Ehrbegriffe und Standesdünkel des 19. Jahrhunderts sind nicht ohne weiteres in unsere Zeit übersetzbar, was die Geschichte einges an innerer Logik verlieren lässt.
    Auch sind die Leute damals anders miteinander umgegangen, als es in dieser Inszenierung gezeigt wird. Da sich dieses in der Musik widerspiegelt, empfinde ich den Bruch zwischen gehörtem und gesehenem doch recht deutlich. Aber welcher Regisseur achtet schon darauf, sehr wenige (und jene, die das machen, wie zum Beispiel Konwitschny, machen sich dann nicht selten den Spass, die Musik bewusst zu konterkarieren - siehe Stuttgarter Götterdämmerung).



    Zitat

    Netrebko fand ich gesanglich im ersten Akt nicht so gut, in den beiden anderen Akten besser, aber ihre Stimme hat für mich keine Seele,...


    Es könnte sein, dass dies noch ein grundsätzlicher Mangel ist, es dürfte aber sicher sein, dass "Seele" bewusst aus dieser Inszenierung herausgehalten wurde. Aber der innere Zwiespalt zwischen der kühl kalkulierenden Kurtisane und der unverhofft liebenden Frau ist ja das eigentliche Thema der Geschichte. Wie schwer dies glaubhaft zu vermitteln ist, darüber dürften wir uns einig sein. Aber gerade das fand ich recht gut gelungen.



    Und warum die Angst vor ein wenig Kitsch? Geschmackvoll und in Maßen eingesetzt kann Kitsch wunderschön sein und hat noch niemandem ernsthaft geschadet (warum mag eigentlich meine Frau auch keinen Kitsch... ?!?). ?( :wacky: :)




    MarcCologne


    Zitat

    Leider musste ich enttäuscht feststellen, dass heutzutage selbst bei den Salzburger Festspielen Bühnenausstattungen gezeigt werden, die man (leider) in jedem Stadttheater in fast jeder Inszenierung geboten bekommt: Minimalismus pur! Das ist damit leider auch nichts besonders Bemerkenswertes mehr - und originell schon gar nicht! Wird sowas dem hohen Anspruch der Festspiele gerecht?


    Möglicherweise nur teilweise und das Problem ist nicht mit einem Satz abzuhandeln. Aber die Salzburger Festspiele können nichts dafür. Denke an die vergangenen Inszenierungen von Ariadne und Rosenkavalier. Es sind die Regieteams, die nicht anders wollen. Dort musst du dich beschweren.


    Ein frevelhafter Gedanke am Rande: Kennt jemand einen anderen Berufsstand, der über längere Zeit fast permanent an den Bedürfnissen seiner Kundschaft (den Opernbesuchern) vorbeiarbeiten und dennoch gut davon Leben kann? Opernregisseure sind ein privilegierter Kreis! ;)



    @Gino


    Zitat

    Deckers Regie lebt von der Personenführung und leidet unter allzu plakativer Symbolik. Hier fechtet jemand ununterbrochen mit dem Zaunpfahl, wo das Florett genügt hätte.


    Da stimme ich dir im Prinzip zu. Es ist ein oft zu sehendes Merkmal monderner Inszenierungen, wie penetrant auf vermeintlich guten Einfällen herumgeritten wird. Möglicherweise ist es einfacher, einen guten Einfall einen Abend lang auszuwalzen als drei gute in einer Inszenierung unterzubringen... :stumm:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus


    Auch sind die Leute damals anders miteinander umgegangen, als es in dieser Inszenierung gezeigt wird. Da sich dieses in der Musik widerspiegelt, empfinde ich den Bruch zwischen gehörtem und gesehenem doch recht deutlich. Aber welcher Regisseur achtet schon darauf, sehr wenige (und jene, die das machen, wie zum Beispiel Konwitschny, machen sich dann nicht selten den Spass, die Musik bewusst zu konterkarieren - siehe Stuttgarter Götterdämmerung).


    Den 2.Teil dieses Absatzes verstehe ich nicht. Was hat es mit der Götterdämmerung auf sich - hat die Aufführung in Stuttgart einen Bruch zwischen gehörtem und gesehenem oder nicht?


    Verwirrte Grüße ?(
    Sophia

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  • Hallo Sophia


    Zitat

    Den 2.Teil dieses Absatzes verstehe ich nicht. Was hat es mit der Götterdämmerung auf sich - hat die Aufführung in Stuttgart einen Bruch zwischen gehörtem und gesehenem oder nicht?


    Sie hat, und zwar einige gewaltige. Sie ist mit Abstand die uneinheitlichste der acht oder neun Konwitschny-Inszenierungen, die ich kenne. Peter Konwitschny scheint mit Teilen der Götterdämmerung nichts Rechtes anfangen zu können und setzte dann auf (unfreiwillige?) Komik. Dass man in der ersten Szene Siegfried / Brünnhilde lauthals lachen kann, war für mich eine völlig neue Götterdämmerung-Erfahrung. Und die Waltrauten-Szene lass dir lieber von Giselher schildern. Der ist der dafür berufenere Erzähler (und sie muss ganz nach seinem Geschmack gewesen sein :stumm: :stumm: :stumm: ).

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus


    Die grundlegende Problematik zeigte ein kurzes Pausengespräch, das Franz Zoglauer mit dem Regisseur Willy Decker unternahm. Decker erläuterte in sehr gescheiten Sätzen das Regiekonzept. Da hatte alles Hand und Fuss und man konnte die Gedankengänge grundsätzlich akzeptieren. In den Erläuterungen kam aber Verdi fast und seine Musik überhaupt nicht vor.


    Da liegt der Hase im Pfeffer: Das "Werk" spielt kaum eine Rolle sondern eine vom Regisseur daraus (seiner Meinung nach) extrahierte und abstrahierte Idee, die mit dem Werk nicht einmal unmittelbar etwas zu tun haben muß. Regiekonzepte, die einer Gebrauchsanleitung durch den Regisseur bedürfen oder die sich mir erst auf Grund gescheiter Rezensionen oder vorhandener intimer Werkkenntnis erschließen, brauch' ich nicht und halte ich außerdem für eine Zumutung.
    Marcel Prawy beschreibt in seinem Wagner Buch, was dabei herauskommt, wenn jemand, der das Stück nicht kennt und den Text nicht versteht, mit so einem Schmarrn konfrontiert wird, an Hand des Beginns von Chereaus Rheingold drastisch mit "Drei Nutten hocken auf einem Stauwerk" als Inhaltsangabe eines unbelasteten Betrachters.
    Die Inszenierung war keine Katastrophe; aber sicher nicht mehr als Stadttheater Niveau (in der Ästhetik übrigens der Leipziger Traviata nicht unähnlich, wobei ich bei deren Premiere nicht von einem minimalistischen "Konzept" sondern von Sparzwängen ausging).


    Villazon ist ein sehr sympathischer Sänger mit schönem Timbre. Allerdings hatte er teilweise Mühe legato zu singen und griff wieder holt zu emphatischen Stilmitteln aus der Mottenkiste des Verismo.


    Netrebko: Gut, sicher, wenn auch ohne jegliche Morbidität, aber ein Jahrzehntereignis??? Auch hier habe ich die Violetta der Leipziger Premiere, Fiorella Burato, in mindestens ebenso guter Erinnerung. Und den wiederholt zu lesenden Vergleich mit Callas' Violetta halte ich - zurückhaltend formuliert - für vermessen.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Hallo Theophilus,


    um nicht ganz von der "Traviata" abzulenken läuft hier meine Aufnahme mit Carlos Kleiber. Bei jedem Hören der Oper frage ich mich immer noch, warum Verdi nicht die Szene aus dem Roman komponiert hat in der Marguerite/Violetta zu Armand/Alfredo geht und ihn um Schonung bittet. Deswegen ist für mich die beste Aufführung immer noch die von John Neumeier :D


    Zitat

    Original von Theophilus
    Peter Konwitschny scheint mit Teilen der Götterdämmerung nichts Rechtes anfangen zu können und setzte dann auf (unfreiwillige?) Komik. Dass man in der ersten Szene Siegfried / Brünnhilde lauthals lachen kann, war für mich eine völlig neue Götterdämmerung-Erfahrung. Und die Waltrauten-Szene lass dir lieber von Giselher schildern. Der ist der dafür berufenere Erzähler (und sie muss ganz nach seinem Geschmack gewesen sein :stumm: :stumm: :stumm: ).


    Das ist ein heißes Eisen..., über die Aufführung wurden viele böse Wörter geschrieben und ich fasse mich daher kurz: Die Aufführung habe ich gesehen. Zuerst die DVD, ein paar Monate später war ich in Stuttgart. Die DVD gibt das Bühnenbild leider nicht gut wieder, die Wirkung der Kiste geht auf dem Bildschirm völlig unter.


    Komik?, nein die habe ich nicht wahrgenommen. Natürlich gab es komische Momente die aber eher so etwas wie ein trockenes Schluchzen hervorriefen weil man weiß wie es kommt. Siegfried als der naive, tumbe Mann (Kupfer nennt ihn inhumanisiert) der sich durch die Erotik der Frau noch auf dem Felsen aufhält. Und gleichzeitig bei jedem Hornruf aufspringt, Brünnhilde schickt ihn schließlich weg. Wenn die beiden am Ende wie auf dem Siegertreppchen ihr "Heil" schreien fürchtet es einen doch. Ich kenne jedenfalls kein Paar, daß sich so verabschiedet.


    Grüße
    Sophia

  • Zitat

    Original von Theophilus Und die Waltrauten-Szene lass dir lieber von Giselher schildern. Der ist der dafür berufenere Erzähler (und sie muss ganz nach seinem Geschmack gewesen sein :stumm: :stumm: :stumm: ).


    Hallo Theophilus,


    die "Rat´mal, wer zum Essen kommt"-Waltrauten-Szene provoziert sicherlich einige Lacher (durchaus freiwillige, wie ich bei Konwitschny mal vermute). Brünnhilde war schließlich lange genug kriegerische "Wunschmaid" und möchte ihren kleinen Siggi nun als rechtschaffene Hausfrau gern ein bißchen bemuttern. Trautes Heim, Glück allein! - daher der gedeckte Abendbrots(Vesper-)tisch mit gefalteten Servietten vor sehr traditioneller Wagnerlandschaftstapete. Doch stört die von oben abgeseilte Schwester Waltraute in vollem Wagner-Wichs anno 1876 das Idyll (auch ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als Luana del Vol, von der Standpauke Waltrautes gelangweilt, die Tomaten zerschnitt, anschließend salzte und dann verzehrte). Allerdings hat die Inszenierung dafür auch wieder sehr starke ernste Szenen wie am Anfang des zweiten Aktes mit der Begegnung oder besser Heimsuchung Hagens durch den schon fast jenseitigen Alberich - eine beklemmende Vater-Sohn-Beziehung!


    Hallo Misha,


    Zitat

    Da liegt der Hase im Pfeffer: Das "Werk" spielt kaum eine Rolle sondern eine vom Regisseur daraus (seiner Meinung nach) extrahierte und abstrahierte Idee, die mit dem Werk nicht einmal unmittelbar etwas zu tun haben muß. Regiekonzepte, die einer Gebrauchsanleitung durch den Regisseur bedürfen oder die sich mir erst auf Grund gescheiter Rezensionen oder vorhandener intimer Werkkenntnis erschließen, brauch' ich nicht und halte ich außerdem für eine Zumutung.
    Marcel Prawy beschreibt in seinem Wagner Buch, was dabei herauskommt, wenn jemand, der das Stück nicht kennt und den Text nicht versteht, mit so einem Schmarrn konfrontiert wird, an Hand des Beginns von Chereaus Rheingold drastisch mit "Drei Nutten hocken auf einem Stauwerk" als Inhaltsangabe eines unbelasteten Betrachters.


    das Regiekonzept Willy Deckers zu seiner Salzburger "Traviata" gehört sicher zu den leichtverständlichen und -verdaulichen. Viel daran rumzuinterpretieren gab es nicht, es erschloß sich eigentlich sofort (inklusive der überdeutlichen Symbolik). Außerdem: das "Werk Oper" existiert an sich nicht, es lebt nur in der und durch die Aufführung, die zwangsläufig jedesmal eine interpretierende ist, denn a l l e n Facetten eines Meisterwerkes kann selbst ein guter Regisseur nicht gerecht werden. Hauptsache ist, daß er nach den Facetten sucht...


    Herrn Prawys Wagner-Buch besitze ich auch, hauptsächlich wegen der vielen schönen und sonst selten zu findenden Bilder. Was nun die Texte betrifft, nun ja! Er ist sicherlich ein charmanter Plauderer und Causeur, voll mit unterhaltsamem Anekdotenwissen. Tiefergehende Erkenntnisse über Wagners Werk vermittelt das Buch allerdings nicht. Und das von Prawy spätestens für das Jahr 2000 vorhergesagte Ende des sog. "Regietheaters" ist noch immer nicht in Sicht.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Die Riesenuhr und der Sofaunfug sind keine Symbolik, sondern schlicht alberne Manierismen eines narzißtischen Regisseurs, der möglicherweise glaubt, "Kenner", die in tiefere Dimensionen des Werks eingedrungen zu sein glauben, mit Pseudodeutungen bedienen zu müssen : Objektiv gesehen ist es doch grotesk, wenn Leute zwichen IKEA (oder Benz, war das Werbung?) Sofas sowie überdimensionalen Bahnhofsuhren herumirren. Das durch ein zeitloses Meisterwerk legitimieren zu wollen ist Mißbrauch eben dieses.
    Problematisch ist doch, daß die Diskussion nicht mehr über Primat von Musik oder Text in der Oper geht, sonders daß beides hinter dem Primat der Regie zu verschwinden hat.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

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  • Hallo Giselher


    Zitat

    die "Rat´mal, wer zum Essen kommt"-Waltrauten-Szene provoziert sicherlich einige Lacher (durchaus freiwillige, wie ich bei Konwitschny mal vermute).


    Gerade da bin ich mir bei Konwitschny manchmal nicht ganz sicher. Aus mehreren Publikumsgesprächen kenne ich ihn als sehr umgänglichen, unterhaltsamen, ja lustigen Menschen. So ist es nicht überraschend, dass er auch in seinen Inszenierungen auf heitere Elemente zurückgreift, auch an Stellen wo man sie nicht vermuten würde (sehr gut in seiner Grazer Butterfly, geradezu großartig in seinem Grazer Macbeth, wo er Verdis düstere Tragödie fast genial in eine bitterböse Politsatire umwandelt). Ein wiederkehrendes Merkmal bei ihm ist aber die Tatsache, dass es in fast jeder Inszenierung ein oder zwei Stellen gibt, wo er oft peinlich übers Ziel hinausschießt. Besonders an Stellen, wo er gesellschaftskritisch oder satirisch (oder beides) sein will, neigt er dazu, ins Lächerliche abzugleiten.
    Bestes Beispiel dafür war seine Grazer Aida (auch in Wien schon zu sehen gewesen). Eine der besten, geschlossensten und folgerichtigsten Minimalinszenierungen, die ich kenne (und offenbar auch für Konwitschny selbst eine Schlüsselinszenierung, denn es finden sich in jeder neueren Arbeit von ihm Elemente aus dieser Aida - er neigt offensichtlich dazu, bewährte Ansätze weiterzuverwenden). Diese Inszenierung litt in zwei Punkten an einer geradezu unverständlichen Fehleinschätzung. Die erste waren die Szenen Radames marschiert in den Krieg und seine Rückkehr. Brillant eingefädelt wollte Konwitschny noch zusätzlich satirisch kritisierend sein und ließ zwei starke Momente in die Lächerlichkeit abgleiten. Statt Betroffenheit gab es Gelächter im Publikum. Die zweite war noch schlimmer, denn sie beeinträchtigte die wohl schönste Schlußszene einer Oper, die ich je gesehen habe. Eine völlig unnötige Maßnahme seinerseits führte in fast jeder Vorstellung zwangsläufig zu ein paar Lachern im Publikum, und das bei den verklingenden Piano-Tönen der Aida! Es tat fast weh zusehen zu müssen, wie er sich seine erstklassige Arbeit selbst beschädigt hat. Es ist zu vermuten, dass er nie wieder so nah an das Ideal einer perfekten Regiearbeit herankommen wird wie in dieser Aida, und da ich nicht glauben will, dass er gewollt diese gravierenden Schnitzer eingebaut hat, bleibt nur der Verdacht, dass es eine Schwäche seinerseits ist, die Wirkung einer Szene auf das Publikum richtig einzuschätzen..
    Das bringt mich jetzt wieder zur Stuttgarter Götterdämmerung zurück. Die hatte ihre guten Momente, keine Frage, aber die Szene Siegfried / Brünnhilde mit den unsäglichen Kostümen, dem Tapetenpanorama und den Cartoonartigen Stellungen der beiden Sänger war an Komik nicht zu überbieten (vor 90 Jahren gefilmt wäre die Szene als Stummfilm ein Lachschlager geworden!). Ich bin gerne bereit, mich belehren zu lassen, aber bislang habe ich in dieser Szene zwar höchstes Glück, aber keinerlei Komik empfunden. Entweder hat sich also Peter Konwitschny wieder etwas verkalkuliert (was wollte er eigentlich zeigen?) oder er hat bewusst aus Siegfried wieder eine Hanswurstiade gemacht, wie es Ulli Wieler im Siegfried ja bereits phasenweise vorexerziert hatte. Möglicherweise ist es aber auch viel banaler und zur Zeit in Deutschland einfach nicht möglich, sich ernsthaft und konstruktiv mit dem Siegfried auseinanderzusetzen.
    Mit Wagner hatte das allerdings nicht das Geringste zu tun...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus,


    mir scheint es, daß Konwitschny in letzter Zeit zunehmend bei seinen Inszenierungen einen Moment des befreienden Lachens benötigt, sozusagen als humanen Fluchtpunkt in einer ansonsten düsteren und inhumanen Welt. Das war bei den "frühen" Hamburger Inszenierungen wie "Lohengrin" und "Wozzeck" ansatzweise vorhanden, nahm dann mit der Zeit zu ("Ebolis Traum" in "Don Carlos" oder die Parade der Wagner-Figuren in hypertraditionellen Kostümen in den "Meistersingern") und endete dann bei der letzten Inszenierung ("Clemenza di Tito") in ziemlich viel Klamauk und Slapstick, wobei dann noch Requisiten aus vergangenen Inszenierungen auftauchten in einer Art "Best of"-Revue.


    Beim Stuttgarter Götterdämmerungs-Siegfried verhält sich die Sache doch, glaube ich, ein wenig komplizierter. Siegfried soll als der unbedarfte, naive Naturbursche gezeigt werden (inklusive kindlicher Freude an Steckenpferd und Schwert), der sozusagen ohne irgendwelche Abwehrkräfte in die intrigen- und politikverseuchte Gibichungen-Welt gerät und von Anfang an keine Chance hat. Das zeigt Konwitschny anhand der etwas komischen Mimik Siegfrieds, aber auch an der Kleidung, die so sehr mit der Business-Kleidung Gunthers und Hagens kontrastiert. Und wie ausgewechselt ist er nach der Gehirnwäsche durch den Vergessenstrank: ein eitler Fatzke im Anzug, ständig auf sein Äußeres bedacht (Spiegelkämmen).



    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Ich möchte von der Stuttgarter Götterdämmerung wieder zurück auf die Salzburger Traviata zurückblenden.


    Ich wir unterschwellig heute den ganzen Tag irgendwie traurig - nicht weil es solche Aufführungen gibt - sondern weil es Leute gibt die sie ernst nehmen - ja sogar bejubeln.


    In den 70er Jahren hätte man den Regisseur mit so einem Krampf in die Wüste geschickt, die Ausstatter hätte man in der tiuefsten Provinz vermodern lassen.


    Heute sehe ich aber hier einige Aussagen, di sich mit meinen decken, der Unterschied ist lediglich in der Radikalität meines Ansatzes.


    Beginnen wir mal mit einem Satz, der hier geschrieben wurde, dem ich in keiner Weise etwas abgewinnen kann.


    Zitat

    ob wir hier gestern abend "modernes Regietheater" gesehen haben, weiß ich nicht. Doch wohl eher eine vorsichtige Modernisierung, die niemandem wirklich wehtut und insofern für Salzburg und sein Publikum festspielkompatibel ist


    1) Von vorsichtiger Modernisierung kann hier keine Rede sein, es ist IMO Mord an der Oper - wie viele Mordinstrumente man dazu einsetzt, ist hiebe völlig belanglos.


    2) Was tatsächlich gelungen ist, war die Demaskierung des Salzburger Publikums - Jene die einst (zu Recht) Karjlan und Zefirelli zugejubelt haben - haben diese Verbalhornung des Stückes genauso gebilligt - sie haben keine Ahnung - sie würden ALLES billigen - nur um DABEI zu sein - das war mein ganz persönlicher Eindruck.


    Zitat

    Ich glaube, wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, irgendein europäischer Regisseur, der etwas auf sich hält, würde heute noch auf die Idee kommen, eine Oper in erster Linie nach den Intentionen der Urheber zu inszenieren, oder gar darauf aus sein, dem Publikum gefallen zu wollen.


    Ich glaube eher , wir sollten uns von diesen Regisseuen verabschieden.


    Er wurde hier in diesem Zusammenhang lobend erwähnt, daß der Regisseur sein Konzept schlüssig erklären konnte


    Gerade hierin liegt die Crux.
    Eine perfekte Regie braucht man nicht erklären.
    Dier bekliebte Wiener Regisseur Otto Schenk kat uinzähligen Inszenierungen seinen Stempel aufgedrückt - erklären brauchte er nichts- als floß natürlich dahin SCHEINBAR ungelenkt.
    Ein erklärtes Regiekonzept ist wie ein erklärter Witz:
    schlecht.
    Gute Dinge braucht man nicht zu erklären - sie wirken von selbst.


    Entlarvend auch in diesem Zusammenhang die im Runfunk immer wiederholte Leier von Jahrundertereignis. Gut das die Callas nicht mehr lebt: Sie hätte sich zu Tode gelacht.


    Und nun sind wir beim Kern der Geschichte:
    Sie spielt um 1850, und wie schon richtig gesagt wurde, verhielten sich die MEnschen damals anders. Diue Logik der Handlung ist nur aus diesem Kontext heraus zu verstehen.
    Zunächst einemal sollte man sich die Frage stellen:Was ist eine Kurtisane ? Sicher ist sie nicht mit den käuflichen "Damen" von heute zu vergleichen. Das Wort ist von gortegiano (Höfling), bzw der weiblichen Form davon. Diese "Gespielinnen" waern selbstverständlich allein dem Adel vorbehalten,( ja auch der Gegenspieler Alfredo Germonts ist von Adel) bzw später dem Geldadel. Neben den selbstverständlichen Diensten hatten die Damen auch geistvoll und gebildet zu sein - es wurde also in gewisser Weise die perfekte Imitation einer "Dame von Welt" gefordert. In letzter Konsequenz wußte man, wie die Oper drastisch vor Augen führt -sehr woh wo der Unterschied ist.An eine solche ist also der junge und unschuldige Alfred Germont gekommen. Der erste Akt, der eigentlich in einem Luxuriösen Salon spiele sollte unterschlägt alle diese Feinheiten, er zeigt eine widerwärtige Gesellschaft von Anonymen Neureichen und ein billiges Flittchen (in Anbetracht der öffenlichen Mitlesbarkeit durch Jugendliche vermeide ich das Wort was mir auf der Zunge, aäh Tastatur - liegt)


    Reizvoll ist das Stück erst durch die zeitlichen Zusammenhänge - wenn man die Macht der verschwenderischen Kurtisane in ihrem prächtigen
    Ambiente- inmitten von einflußreiche Freunden alle aus bester Gesellschaft der Ohnmacht in privaten Belangen gegenüberstelllt.
    Violetta verstösst nämlich gegen ein Tabu, wenn sie sich privat verliebt - DAS ist gegen die ungeschriebenen Spielregeln. Man ist gerne bereit den Schein zu wahren- Aber heiraten ? Nein das geht einfach zuweit
    Das als Geschichte rüberzubringen geht aber nur wenn die dasmalige hierarchische Gesellschaftsstruktur bekannt ist und realitätsnah geschildert wird.


    Regisseure von heute erzählen Ihre eigenen (IMO schlechten und unglaubwürdigen) Geschichten. Bei einem Publikum ohne historischen Background bzw eigenem Urteilsvermögen mag das angehen. Was mich jedoch frappierte war - mit welcher EInhelligkeit die Verbalhornung bejubelt wurde - weil diejenigen die das Gebotene entsetzlich fanden - sich nie getraut hätten das zuzugeben.


    Ich rate nur jedem "Des Kaisers neue Kleider" von Hans Christian Anderssen zu lesen. Als kleinen Service habe ich heute einen Link für alle ned die das "Märchen" noch nicht kennen oder es schon wieder vergessen haben.


    http://gutenberg.spiegel.de/andersen/maerchen/kaisersn.htm


    Viel Vergnügen


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo allerseits,


    vielleicht noch ein paar Worte von einer Opern-Anfängerin, die die Traviata zwar schon häufiger gehört, aber nun zum ersten Mal auch gesehen hat: (Und hier kann ich vieles von dem, was Alfred schrieb, bestätigen.)


    Ich war sehr enttäuscht von der minimalistischen Bühnenausstattung und dem, was Decker als Inszenierung bezeichnet. Im Mittelpunkt stand stets die übergroße „Lebensuhr“, als wenn die Endlichkeit des Lebens an sich der zentrale Aspekt der Oper wäre. Da ich mich auch ein wenig mit den historischen Hintergründen beschäftigt hatte, schien mir, als sei am Thema vorbei interpretiert worden – ganz entgegen der Intention des Regisseurs, der ja eigentlich damit eine Fokussierung auf das Wesentliche erreichen wollte.


    Ein wenig genervt war ich von dem (je nach dem) aufgesetzt heiteren, übertrieben aufreizendem oder fast hyperaktiv anmutendem Gehabe der Netrebko. So habe ich mir niemals die Violetta vorgestellt, wenn ich die Oper hörte. Eine Edelkurtisane in meiner Vorstellung hat Stil, benimmt sich eher zurückhaltend. Einigermaßen glaubwürdig erschien mir allein Villazón in der Rolle des Alfredo.


    Da die Netrebko eine schöne Frau ist, mit einer starken erotischen Ausstrahlung, gehe ich davon aus, dass diese Operninszenierung ganz auf ihre Person zugeschnitten wurde, um eine gewisse (vermeintliche, weil der Vermarktungsstrategie angepasste) Erwartungshaltung beim Publikum zu erfüllen. Schade drum, dass die Vermarktung in diese Richtung geht – ich habe nämlich etwas anderes von dieser Opernaufführung erwartet.


    Gruß, Cosima

  • Zitat

    Original von Cosima


    Da die Netrebko eine schöne Frau ist, mit einer starken erotischen Ausstrahlung, a


    Auch das ist wieder sehr relativ. Callas war eine wesentlich erotischere und IMHO auch schönere Frau, wenn man mal die Abziehbildstandards aktueller Magazine außeracht läßt; aber man hat Netrebko ja auch im 2.Akt eine Schenkelklammer - ich wage ob der symbolistischen Tendenz der Inzenierung nicht, von einem angedeuteten Coitus zu sprechen - nicht erspart, Übrigens hat sie zu dünne Beine :D :D :D

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

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  • Hallo,


    da schon einiges zu der Aufführung "La Traviata" (Salzburger Festspiele) an Statements eingegangen
    ist möchte ich nur kurz meine Empfindungen von dem zuvor als Highlight versprochene Darbietung
    äußern.


    Bühnenbild: schauderhaft, sogut wie nicht vorhanden, meine Wohnzimmereinrichtung böte

    mehr an Flair.....

    Darbietungsform: ein normaler Turnverein bringt künstlerisch mehr......

    Dame mit Sexappeal reisst die Aufführung auch nicht aus dem Feuer....

    Künstler / Sänger: Anna Netrebko, popmusikalisch vermarkteter Superstar, für mich gesanglich mit

    Schwächen und nicht der neue Superstar, den manche für die Entdeckung des neuen

    Jahrhunderts halten, aufgrund des Alters aber Entwicklungsfähig.

    Rolando Villazon: was für ein Tenortimbre, ihm gehört die Zukunft, seine Leistung war

    schauspielerisch und gesanglich top..........

    Thomas Hampson: Kavalierbariton, erwies sich als klangnobler Vater Germont...............

    Zigeunerballett: wirkte phasenweise peinlich................

    Dirigat / Orchester: Carlo Rizzi, Schwachpunkt, glattes bodenlastiges Dirigat, ohne Höhen.........

    dem Orchester fehlte der so gerühmte "Wiener Schwung"............, bei dem Dirigat nicht verwunderlich.


    Mein Fazit: Ein verschwendeter Fernsehabend, verstehe die überschwenglichen Lobdudeleien der
    Besucher und Presse nicht.
    Auf dem Schwarzmarkt werden bis zu 2000 € für eine Eintrittskarte geboten, für welchen Schwachsinn
    die Leute nur Geld haben.
    Die mit Klunker behafteten Besucherinnen sowie die männl. Besucher sprachen von einem Event
    in der Zeitgeschichte der Opernaufführung, was für ein Zeitgeist macht sich hier breit, sie merken
    wahrscheinlich nicht, wie sie auf den Arm genommen werden möchten.....



    Grüsse
    reklov29

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • Hallo Cosima


    Zitat

    vielleicht noch ein paar Worte von einer Opern-Anfängerin, die die Traviata zwar schon häufiger gehört, aber nun zum ersten Mal auch gesehen hat:


    Das grundlegende Problem der modernen Operninszenierungen. Wie kann man eine Oper mit etwas Vorbereitung ein erstes Mal sehen und nicht zwangsläufig enttäuscht werden. Ein Aspekt, den Opernregisseure heute geflissentlich ignorieren...
    (Ein möglicher Ausweg: man schaut sich eine Zeit lang nur neu ausgegrabene Barockopern an; die werden zumeist mit sehr viel Liebe und Witz aufbereitet und müssen a priori keine Erwartungen erfüllen).



    Zitat

    Im Mittelpunkt stand stets die übergroße „Lebensuhr“, als wenn die Endlichkeit des Lebens an sich der zentrale Aspekt der Oper wäre.


    Die Endlichkeit ihres Lebens ist tatsächlich ein zentraler Aspekt dieser Oper. Alfred hat sehr schön die gesellschaftlichen Zusammenhänge damals beschrieben. Violetta Valery war sich ihrer Rolle und ihrer Stellung absolut bewusst. Sie hätte sich unter normalen Umständen nie auf diese besondere Affäre eingelassen. Aber sie wusste um ihre Krankheit, die - heute keine große Sache - damals das Todesurteil bedeutete. Sie wusste also, dass sie die Pariser Glitzerwelt schon relativ bald für immer verlassen werden würde. Nur in dieser Situation zog sie es in Erwägung, eine Affäre aus Zuneigung einzugehen, um vielleicht einmal in ihrem Leben eine wirklich glückliche Zeit - und nicht nur eine glamouröse - zu verbringen. Und es wäre ihr fast gelungen, wenn nicht die Geschichte mit Alfredos Schwester, von der sie nichts wusste, dazwischengekommen wäre...



    Zitat

    Da ich mich auch ein wenig mit den historischen Hintergründen beschäftigt hatte, schien mir, als sei am Thema vorbei interpretiert worden – ganz entgegen der Intention des Regisseurs, der ja eigentlich damit eine Fokussierung auf das Wesentliche erreichen wollte.


    Willy Decker konnte gar nicht am Thema vorbeinterpretieren, da ihn die ursprüngliche Geschichte gar nicht interessierte. Er schaute sich den Stoff an, zog zwei oder drei Aspekte, die seiner Meinung nach für heutige Verhältnisse von Relevanz sind, heraus und machte aus ihnen den optischen und inhaltlichen Background für den ganzen Abend. Er fokussierte also nicht auf das Wesentliche der Geschichte, sondern auf das ihm Wesentliche des Stoffes (@Giselher: genau aus diesem Grund bin ich auch nicht deiner Meinung, dass es sich um eine vorsichtige Modernisierung handelt. Es ist ein durchaus radikaler Ansatz, aber dennoch so verdaulich aufbereitet, dass es vielen Leuten gefallen hat - wenn auch vielleicht nur aus Erleichterung darüber, dass man schon viel Schlimmeres gewöhnt ist).



    Zitat

    Eine Edelkurtisane in meiner Vorstellung hat Stil, benimmt sich eher zurückhaltend.


    Eine Frau, der ganz Paris zu Füßen liegt, benimmt sich ganz sicher nicht zurückhaltend. ;)




    Zitat

    Da die Netrebko eine schöne Frau ist, mit einer starken erotischen Ausstrahlung, gehe ich davon aus, dass diese Operninszenierung ganz auf ihre Person zugeschnitten wurde, um eine gewisse Erwartungshaltung beim Publikum zu erfüllen. Schade drum, dass die Vermarktung in diese Richtung geht – ich habe nämlich etwas anderes von dieser Opernaufführung erwartet.


    Ich glaube, jetzt muss ich den Regisseur sogar noch verteidigen (erstaunlich!). Die Inszenierung ist keineswegs allein auf Anna Netrebko zugeschnitten. Man hat für alle drei Hauptpersonen die heutzutage bestmögliche Besetzung aufgeboten und die Regie bringt ihre Fähigkeiten sehr gut zur Geltung. In diesem Aspekt ist es eine Festspielinszenierung im besten Sinne des Wortes. Willy Decker hat moderne Charaktere auf die Bühne gebracht, daher ist die Inszenierung hektisch, grell, (zu) plakativ, (gelegentlich) ordinär und generell überzeichnend. Das mag man bedauern, aber es reflektiert die Zeichen der Zeit und Willy Decker ging es mit Sicherheit nicht primär um Anbiederung an das Publikum.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theopilus,


    danke erst einmal zu den Erläuterungen. Für mich als Anfängerin sind sie interessant – ich muss darüber nachdenken.


    Noch einmal zu der „Lebensuhr“: Violetta ist sehr krank, natürlich spielt also die Endlichkeit ihres Lebens eine gewisse Rolle – aber m.E. eben nicht die zentrale Rolle in dieser Oper. Es geht doch vielmehr (korrigiere mich, wenn ich falsch liege!) um die bürgerliche Moral und die Offenlegung der Doppelbödigkeit ihrer Wertbegriffe. Die Gesellschaft liegt dieser Frau zwar zu Füßen, aber eine wirkliche Liebesbeziehung oder gar Heirat sind für sie tabu.


    Diesen Zustand – Verdi lebte ja in ähnlicher Situation – wollte Verdi anprangern. Deshalb stellt sich mir auch die Frage, woran Violetta letztlich tatsächlich stirbt: An ihrer Krankheit oder an „gebrochenem Herzen“ aufgrund ihrer Entbehrungen, nachdem sie Alfredo verlassen musste? Tötet sie ihre Krankheit oder eine unmenschliche Gesellschaft, die sie nur so lange umschmeichelt, wie sie sich an deren Vorgaben hält und die sie fallen lässt und ausgrenzt, sobald sie eigene Wege gehen möchte?


    Da es auch heute noch derlei gesellschaftliche Schieflagen und Missstände gibt, hätte sich ein solcher Stoff schon in die heutige Zeit transportieren lassen. Aber nicht die ablaufende Lebensuhr gehört hier ins Zentrum der Betrachtung, sondern eben die Doppelbödigkeit der bürgerlichen Moralvorstellungen.


    Dann schreibst Du noch:


    Zitat

    Ich glaube, jetzt muss ich den Regisseur sogar noch verteidigen (erstaunlich!). Die Inszenierung ist keineswegs allein auf Anna Netrebko zugeschnitten. Man hat für alle drei Hauptpersonen die heutzutage bestmögliche Besetzung aufgeboten und die Regie bringt ihre Fähigkeiten sehr gut zur Geltung. In diesem Aspekt ist es eine Festspielinszenierung im besten Sinne des Wortes. Willy Decker hat moderne Charaktere auf die Bühne gebracht, daher ist die Inszenierung hektisch, grell, (zu) plakativ, (gelegentlich) ordinär und generell überzeichnend. Das mag man bedauern, aber es reflektiert die Zeichen der Zeit und Willy Decker ging es mit Sicherheit nicht primär um Anbiederung an das Publikum.


    Anna Netrebko ist zweifelsohne schön und sexy, sie wird auch entsprechend vermarktet (was ich an sich nicht verwerflich finde, weil ich bei aller Kritik ihre warme, dunkel gefärbte und gefühlvolle Stimme sehr gern höre!) – mit einer anderen Besetzung der Violetta (stell Dir eine übergewichtige Dame im kleinen Hemdchen vor, die sich erotisch auf dem Sofa räkeln soll ;)..) wäre das von Decker verwendete Konzept also gar nicht aufgegangen. Insofern war es also m.E. schon auf die Frau Netrebko zugeschnitten. Und ich denke ferner, dass der eine oder andere Zuschauer mit Freude eine leicht bekleidete Netrebko gesehen hat. :D


    Ich habe mir jetzt übrigens die Traviata mit der Callas bestellt. Ich habe so eine vage Vermutung, dass eine so stolze Frau wie die Callas sich nicht in dieser Form hätte vermarkten lassen. Aber auch hier kann ich falsch liegen…


    Gruß, Cosima

  • Hallo Alfred,


    deine Postings zu diesem Thema waren wieder einmal das reine Vergnügen beim Lesen. Es kann um die Oper (und diese Aufführung) gar nicht so schlecht bestellt sein, wenn es eine einfache Fernsehsendung zustande bringt, dich dermaßen aus der Reserve zu locken, und dich dazu bringt, höchst eloquent dein Mißfallen zum Ausdruck zu bringen. Ein nichtiger Anlass hätte das nie vermocht. :)


    Aber könnte es sein, dass du dabei hie und da ein klitzekleines Bißchen ungerecht warst?


    Aber der Reihe nach:


    Zitat

    Ich war unterschwellig heute den ganzen Tag irgendwie traurig - nicht weil es solche Aufführungen gibt - sondern weil es Leute gibt die sie ernst nehmen - ja sogar bejubeln.


    Das ist Ansichtssache. Ich wäre traurig, wenn mir etwas außergewöhnlich gut gefiele und die Mehrheit meiner Mitmenschen könnten meine Empfindung nicht nachvollziehen und ich müsste der Meinung sein, ihnen entgeht etwas Wichtiges. Der umgekehrte Fall betrifft mich eigentlich nicht wirklich und die vielen anderen haben ihre Freude daran.



    Zitat

    In den 70er Jahren hätte man den Regisseur mit so einem Krampf in die Wüste geschickt, die Ausstatter hätte man in der tiefsten Provinz vermodern lassen.


    Da hast du wahrscheinlich Recht. Aber dreißig Jahre sind in der heutigen schnelllebigen Zeit eine Ewigkeit und man kann fairerweise nicht die gleichen Maßstäbe ansetzen. Richard Strauss wäre zweihundert Jahre früher wegen seiner Salome in irgendeinem Verlies vermodert (und denke daran, dass dem Autor des Stückes Oscar Wilde wegen eines heutzutage vollkommen tolerierten Vergehens genau das passierte).



    Zitat

    Von vorsichtiger Modernisierung kann hier keine Rede sein, es ist IMO Mord an der Oper - wie viele Mordinstrumente man dazu einsetzt, ist hiebei völlig belanglos.


    Ich kenne Inszenierungen, wo ich diese sehr starke Formulierung gelten lassen würde. Aber für die Vorstellung am Sonntag gilt das nicht. Sie mag dir nicht gefallen haben - gut. Aber es war kein Mord an "La Traviata", auch wenn das ursprüngliche Werk teilweise stark entstellt wurde, und es war schon gar nicht Mord an der Oper schlechthin - ganz im Gegenteil. Es war ein schier unglaubliches Beispiel dafür, dass Oper mit attraktiven Protagonisten leidenschaftlich verwirklicht noch immer ungeahnte Massen zu begeistern vermag. Wenn du in zwanzig Jahren noch in der Lage sein willst, überhaupt eine Opernvorstellung besuchen zu können, dann können wir uns gar nicht genug derartige Events wünschen. Oper wird nur überleben, wenn sie derartig breites positives Echo auslöst.
    Und dieses war geradezu unglaublich. Der ORF veröffentlichte die demoskopischen Werte. So erreichte ORF2 am Sonntag Abend eine mittlere Reichweite von 29%! Nicht dass 29% die Ouvertüre gesehen haben und 2,9% das Finale, nein, das war ein Mittelwert über die gesamte Oper! Das sind Fabelwerte, die bestenfalls das Neujahrskonzert oder bei Schönwetter die Abfahrt auf der Streif erreichen. Unsere Fussball-Nationalmannschaft müsste wohl ins Semifinale einer WM kommen, um derartige Werte zu erreichen. Diese Zahlen müssen Medienexperten ins Grübeln bringen und Marktforscher in tiefste Depressionen verfallen lassen. Wenn du so einem vor drei Jahren prophezeit hättest, dass einmal an einem Sonntag Abend jeder dritte Fernsehapparat in Österreich eine Oper zeigen würde, hätte er dich für verrückt erklärt.


    Nein, das war kein Mord an der Oper, das war ein Ausblick in ihre Zukunft!



    Zitat

    Was tatsächlich gelungen ist, war die Demaskierung des Salzburger Publikums - Jene die einst (zu Recht) Karajan und Zefirelli zugejubelt haben - haben diese Verballhornung des Stückes genauso gebilligt - sie haben keine Ahnung - sie würden ALLES billigen - nur um DABEI zu sein - das war mein ganz persönlicher Eindruck.


    Und dieser dürfte meiner Meinung nach ziemlich daneben liegen. Ich glaube, du überschätzt die Zahl jener, die Karajan und Zefirelli zugejubelt haben und heute überhaupt noch unter uns (und in Salzburg dabei) sind. Wenngleich es natürlich viele Gäste gibt, die einfach nur dabei sein wollen (die gab es aber auch damals!), so ist sicher der überwiegende Teil der ca. 20000 Besucher, die diese Vorstellungen sehen werden können, nur dabei, weil sie Oper lieben - und es wird ihnen gefallen!
    Auch solltest du nicht in den Fehler verfallen und das Opern-Publikum im Allgemeinen für zu dumm einzuschätzen - das tun ohnehin schon die Regisseure für dich! ;)



    Zitat

    Ich glaube eher , wir sollten uns von diesen Regisseuren verabschieden.


    Wenn das so einfach wäre, wäre es schon längst geschehen. Es gibt sicherlich einige Operndirektoren, die auf moderne Inszenierungen setzen und neue Wege beschreiten wollen. Aber der Großteil will erfolgreiche Produktionen, die gefallen und Anklang finden, und die die Leute zum Opernbesuch animieren. Aber sie scheinen gegenüber der offensichtlich sehr geschlossenen Riege der Opernregisseure machtlos zu sein. Die Leute haben noch immer nicht begriffen, dass sie den Ast, auf dem sie sitzen, selbst absägen. Ich weiß von einem Mitarbeiter einer der größten und renommiertesten Sängeragenturen im deutschsprachigen Raum über desaströse Entwicklungen im Bundesdeutschen Opernbetrieb. Jene Institution, die über Jahrzehnte Ausbildungsstätte für Sänger für halb Europa war, geht ohne dramatische Kehrtwendung dem SuperGAU entgegen. Und dann werden sich alle Fragen, wie es dazu kommen konnte...



    Zitat

    Er wurde hier in diesem Zusammenhang lobend erwähnt, daß der Regisseur sein Konzept schlüssig erklären konnte.


    Gerade hierin liegt die Crux.
    Eine perfekte Regie braucht man nicht erklären.
    ...
    Ein erklärtes Regiekonzept ist wie ein erklärter Witz: schlecht.
    Gute Dinge braucht man nicht zu erklären - sie wirken von selbst.


    Vollkommen richtig. Aber Willy Decker hat sein Regiekonzept nicht erklärt, weil Bedarf dafür bestand, sondern weil er von Franz Zoglauer danach gefragt wurde. Und seine Erklärung deckte sich mit dem, was jeder Besucher auch erkennen konnte. Die Inszenierung war ja auf wenige schlagwortartige Begriffe reduziert und auch für schlichte Gemüter verständlich. Willy Decker veranstaltete kein kollektives Bilderrätsel, dessen Auflösung einen noch bis in die (Alp-) Träume verfolgte. So gesehen war die Regie nach deiner eigenen Definition sogar recht gut. :D
    (Und ja, mir ist klar, dass sich einige sicher gewundert haben, wie man eine Traviata auch inszenieren kann, und dass sich andere vielleicht eine etwas weniger schlichte Inszenierung gewünscht hätten).


    Worauf ich aber eigentlich hinauswollte war, dass mir der Ansatz an sich mißfiel. Willy Decker schaute sich den Stoff an, leitete daraus einige Themen ab, widmete sich danach in Punkto Personenführung auch dem Stück selbst (und zwar recht erfolgreich), kam aber augenscheinlich nie bis zur Musik (oder zumindest nicht ausreichend). Dort waren für mich die größten Defizite, weil Rhytmus und Tempo der Inszenierung des öfteren nicht mit Verdi zusammenpassen wollten. Leider habe ich die unangenehme Eigenschaft, dass ich großen Wert darauf lege, dass in einer Opernaufführung Gehörtes mit Gesehenem eine höhere Einheit bilden.
    Allerdings besteht die Hoffnung, dass sich dieser Punkt in den folgenden Vorstellungen bessert, man soll nie die besondere Aufregung aller Teilnehmer bei einer mit so großen Erwartungen verknüpften Premiere vergessen. Es wäre ungeheuer reizvoll, könnte man alle Vorstellungen im Radio hören, und so eine mögliche Entwicklung im Musikalischen mitverfolgen.



    Zitat

    Entlarvend auch in diesem Zusammenhang die im Rundfunk immer wiederholte Leier vom Jahrhundertereignis. Gut das die Callas nicht mehr lebt: Sie hätte sich zu Tode gelacht.


    Maria Callas gehört einem prähistorischen goldenen Zeitalter der Oper an und steht hier nicht zur Diskussion. Und dass die Vorstellung am Sonntag letztlich wirklich ein Jahrhundertereignis wurde, steht außer Frage (das Jahrhundert ist ja noch sooo jung :D ).



    Zitat

    Regisseure von heute erzählen Ihre eigenen (IMO schlechten und unglaubwürdigen) Geschichten. Bei einem Publikum ohne historischen Background bzw eigenem Urteilsvermögen mag das angehen. Was mich jedoch frappierte war - mit welcher Einhelligkeit die Verballhornung bejubelt wurde - weil diejenigen die das Gebotene entsetzlich fanden - sich nie getraut hätten das zuzugeben.


    Der erste Satz ist für die Mehrzahl der Inszenierungen vollkommen richtig. Der zweite Satz ist aber etwas heikel, denn eine schlechte Geschichte bleibt eine schlechte Greschichte, unabhängig vom Publikum. Und zum dritten fällt mir ein, dass die Leute (zu Recht) das bejubelt haben, was ihnen gefallen hat, und das wohlwollend zur Kenntnis genommen haben, was weniger gut war, in der Einsicht, dass sie auch in Salzburg schon wesentlich schlimmere Inszenierungen verkraften mussten (z.B. der letztjährige Rosenkavalier).

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Was mir noch einfiel: Es gibt doch sicher die Traviata mehrfach auf DVD? Gibt es hier eine Inszenierung, die Ihr für „angemessener“ oder „passender“ oder schlichtweg für "besser" (was immer das für Euch bedeuten mag) haltet?


    Ich würde gerne nämlich noch eine andere Inszenierung sehen.


    Gruß, Cosima

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  • Hallo Theophilus, hallo allerseits,


    Du schriebst u.a.:


    „Aber es war kein Mord an "La Traviata", auch wenn das ursprüngliche Werk teilweise stark entstellt wurde…“


    und:


    „Willy Decker schaute sich den Stoff an, leitete daraus einige Themen ab…“


    Ich versuche zu verstehen, deshalb:


    Mir will sich der Sinn des Ganzen (Deckers Konzept) nicht erschließen. Da hat man ein Werk mit einer bestimmten Aussage – Verdi hat uns etwas sagen wollen mit seiner Traviata, nicht wahr? Das ist doch schon einmal eine phantastische Basis, die auch einen gewissen Spielraum bei der Umsetzung lässt. Aber: Ich empfinde es nicht als „modern“ oder sonst was, wenn man den ursprünglichen Sinngehalt einfach unterschlägt und sich nur das rauspickt, was problemlos in das eigene Konzept passt. Das ist m.E. zu simpel gedacht, als Zuschauer/-hörer fühle ich mich etwas „veräppelt“.


    Gruß, Cosima ?(

  • Lieber Alfred,


    wie ich dir bereits im klassikakzente-Forum geschrieben habe, hat mir die Aufführung und auch die Inszenierung sehr gut gefallen (ebenso einigen meiner Freunde).


    Willi Deckers Inszenierung ist meines Erachtens völlig klar und bedarf wirklich keiner Erklärung - eventuell aber Abstraktionsfähigkeit. Entscheidend ist für mich, dass ein Regisseur zum Kern eines Werks vordringt und nicht das Libretto bebildert. Und für mich ist der Kern der Traviata nicht ein Sittenbild des 1850er Paris sondern liegt in den Konflikten der Hauptpersonen und den Zwängen der ach so moralischen bürgerlichen Gesellschaft, die Menschen letztlich auch physisch vernichten kann.
    Ich muss aber anfügen, dass ich - und die genannten Freunde - unter 30 bin, was durchaus eine andere Zugangsweise zur Opernregie erklärbar macht.


    Ausführliches zur "Traviata" folgt demnächst.

  • Hallo Cosima,


    du hast vollkommen Recht. Das ist das Grundübel moderner Operninszenierungen. Aber beklage dich bei den Opernregisseuren und du wirst finden, dass sie auf dem Ohr taub sind.



    Jedoch: Du hast einen Satz etwas zu salopp formuliert:


    Zitat

    Da hat man ein Werk mit einer bestimmten Aussage – Verdi hat uns etwas sagen wollen mit seiner Traviata, nicht wahr?


    Nein! Verdi erzählt einfach eine Geschichte. Die Aussage ist bereits eine Ableitung derselben und sollte im Bewusstsein des Zuschauers erfolgen (und ist natürlich inhärent in der Geschichte vorhanden, aber nicht unbedingt eindeutig, d.h. jeder Zuschauer/Zuhörer könnte seine eigenen Aussagen aus dem Werk ableiten).


    Der Regisseur sollte jetzt die Geschichte erzählen und hat dabei natürlich die Möglichkeit, mit seiner Interpretation die Richtung der Rezeption des Stücks zu steuern. Aber, und da liegt das grundsätzliche Problem, die Regisseure wollen heutzutage keine Geschichten erzählen, die vom Publikum interpretiert werden können (und bewahre - vielleicht sogar in einer Art, die vom Regisseur gar nicht beabsichtigt war!), sondern sie wollen Aussagen liefern, und zwar zumeist möglichst eindeutige (da hatten wir am Sonntag ein schönes Beispiel dafür!).


    Sie meinen offensichtlich, dass in der Tatsache, dass sie dem Publikum eine Lösung vorkauen, irgendein grundlegender Fortschritt in Sachen Operndramaturgie geschaffen wird. In Wahrheit bringen sie die Leute um eine wichtige künstlerische Erfahrung - nämlich das Wesen eines Kunstwerks mit eigener Anstrengung zu erfassen.


    Giselher, dessen Auffassung von Realisierung von Opernwerken oft sehr stark mit der meinen divergiert, hat einmal einen schönen Satz geschrieben:

    Zitat

    Das "Werk Oper" existiert an sich nicht, es lebt nur in der und durch die Aufführung, die zwangsläufig jedesmal eine interpretierende ist, denn a l l e n Facetten eines Meisterwerkes kann selbst ein guter Regisseur nicht gerecht werden. Hauptsache ist, daß er nach den Facetten sucht...

    Leider hat er vergessen, darauf hinzuweisen, dass genau das nicht publikumsgerecht passiert! Entweder packt der Regisseur einen Wust an Facetten aus, der ein fast undurchdringliches Kaleidoskop bildet, oder er reduziert sich auf zwei oder drei und drückt dir diese mit dem Holzhammer aufs Auge (wie es etwa am Sonntag zu sehen gewesen ist).
    Aber fast immer wird das Publikum für dumm verkauft - entweder heißt es : Ätsch, ihr versteht es doch nicht, oder: Jetzt müsst auch ihr es endlich verstanden haben!


    Interessant ist, dass diese Entwicklung vor allem an den bekannten und vielgespielten Opern zu beobachten ist, wo es scheinbar unter den Rgisseuren ein ungeschriebenes Gesetz gibt, das zum Zwang des "Erneuerns" führt. Das Publikum wird dabei nicht gefragt...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus!


    Das ist von Dir phantastisch erklärt und formuliert! Genau das ist es, was mein unbestimmt mulmiges Gefühl erklärt.


    Ich bin ja vollkommen unvoreingenommen an diese moderne Inszenierung heran gegangen, aber obwohl oder gerade weil z.B. die Bühnenausstattung so minimalistisch war, hatte ich das Gefühl, als wenn der Zuschauer in eine ganz bestimmte, festgelegte Richtung gedrängt werden soll. Genau das ist es, was mir unterschwellig missfiel. Die Symbolik (Lebensuhr, der Chor in „Schwarm-Formation“ etc.) war in dem spärlichen Bühnenbild nicht nur deutlich, sondern einfach so erdrückend, dass kaum Spielraum für eigene Interpretationen blieb.


    (Ich denke übrigens nicht wie martello, dass man besonders viel Abstraktionsfähigkeit benötigte – im Gegenteil.)


    Ein Regisseur als Geschichtenerzähler, der einem Publikum durchaus etwas mehr an interpretatorischen Fähigkeiten zutraut als die Entschlüsselung einer sich aufzwingenden Symbolik – ja, das wäre schön.


    Vielen Dank für diesen tollen Beitrag!


    Gruß, Cosima

  • Musikalisch fand ich - mit Abstrichen beim Orchester - die Aufführung ausgezeichnet; mit das Beste, was derzeit für diese Partien zu bekommen ist. Vielleicht waren Callas, Freni, Cotrubas oder andere einstmals besser als Netrebko (ich habe jene nie live gehört) - jetzt sind sie tot oder in Pension. Oder kennt wer von euch aktive SängerInnen, die deutlich besser sind?


    Besonders beeindruckt hat mich aber die szenische Umsetzung, besonders in der Personenführung. Die "Provenza il mar"-Szene ist dramaturgisch einfach genial gemacht. Alle drei Hauptpersonen agieren wie echte Menschen, ihre Emotionen sind vollkommen nachvollziehbar und deshalb berühren sie mich auch.


    Natürlich ist das nicht (mehr) die "Tragische Geschichte einer Kurtisane im Paris der 1850er". Allerdings kann diese Zeit niemand authentisch nachvollziehen - schon gar nicht die Gefühle in den damaligen gesellschaftlich-moralischen Regelwerken. Was soll ich also mit einer Bebilderung dieser Zeit anfangen, die ja auch nur auf Mutmaßungen basiert?
    Was ich aber nachvollziehen kann, ist die gesellschaftliche Ächtung einer Beziehung aus pseudomoralischen Konventionen heraus - und das wurde von Willi Decker wunderbar umgesetzt. Diese Traviata spielt im "Heute", so agieren die Personen und so ist auch alles nachvollziehbar.


    Insgesamt war es für mich eine packende "Opernnacht" (bin zur ARD ausgewichen, um dem Pausengeschwafel im ORF zu entkommen) mit einem klaren, nachvollziehbaren und konsequent durchgezogenen Regiekonzept, getragen von hervorragenden SängerdarstellerInnen - zu Recht ein Erfolg.

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