Entgegen meiner ursprünglichen Absicht habe ich mir die Premiere der mit Vorschußlorbeeren en masse bedachte Aufführung von "La Traviata" im österreichischen Fernsehen angesehen.
Die Eindrücke waren so vielfältig, daß ich mir wirklich die Frage stellen muß: Wo beginnen ?
Der erste Eindruck, wenn sich der Vorhang hebt ist bekanntlich das Bühnenbild.
Beginnen wir also damit.- Praktisch ist hier, daß es nicht viel zu erzählen gibt, denn ein solches war de facto nicht vorhanden.
Eine halbrund gewölbte Wand, von der ich zunächst fälschlicherweise den Eindruck hatte, sie wäre aus Wellblech - es dürfte aber eher ein Schaumstoff gewesen sein- und eine überdimensionale Bahnhofsuhr. Als Einrichtung dienten rote eckige Sofas, wie sie Österreichern aus der Kika-Werbung bekannt sein sollten.
Der Eindruck eines Pariser Salons von (Halb)Welt um 1850 vermochte sich auch bei größter Mühe bei mir nicht einstellen.Daran konnte auch die überdimensionale Bahnhofsuhr nichts ändern
Im zweiten Akt, der laut Libretto in einem Landhaus bei Paris spielt, wurde sparsamerweise das gleiche Bühnenbild verwendet wie im ersten, lediglich, daß die Sofas mit einem bunten Stoff verdeckt waren der zu den Schlafröcken der beiden Hauptdarsteller vom Muster gut passte. Den Sinn dieses Ausstattungsgags konnte man erst in dem Moment durchschauen, als sich Violetta auf allen Vieren durch das Zimmer bewegt und sich immer nahe bei den Sofas hält, sodaß Alfredo sie nicht sehen kann, weil der seehr auffällig geblumte Stoff Person und Sofa ununterscheidbar macht.- Ein geglückter Regieeinfall.
Die beiden Hauptdarsteller agieren hier durchwegs im Schlafrock, wie es sich für junge Verliebte eben schickt, teilweise auch in Unterwäsche. Hier hat man jene Realitsnähe gezeigt, die ich beim Rest der Inszenierung sonst so schmerzlich vermisst habe.
Auch das 2. Bild des 2. Aktes (Salon bei Flora, einer anderen Pariser Kurtisane) spielt in der nun schon vertrauten Umgebung, der Weißen "Wellblechwand" Wieder kommt die Bahnhofsuhr zum Einsatz
die sich wie ein Leitsymbol durch die gesamte Inszenierung zieht - Ein Geniestreich IMO.
Im Letzten Akt (Violettas Schlafzimmer) fehlt jedes Inventar, das ohnehin schon bisher nur spärlich vorhanden war. Ein Schlafzimmer ohne Bett. Dramaturgisch bedeutet dies, daß Violette im Stehen zusammenbrechen muß und auf dem weißen (Styropor?)Fußoden ihr junges Leben auszuhauchen gezwungen ist.
Bemerkenswert sind die akrobatischen Leistungen aller, besonders aber der beiden Hauptakteure, die in allen Lebenslagen singen: sitzend, stehend liegend,auf allen vieren krabbelnd, aber zumeist laufend und irgendwelche Verrenkungen ausführend.Der Fußboden und die Bahnhofsuhr sind hier wichtige "Anhaltspunkte"
Zur Besetzung: Irgendwo wurde behauptet, die aufgebotene Besetzung wäre die beste unserer Zeit - und ich wage diese Aussage nicht zu bezweifeln.- Allerdings ist das traurig.
Villazon ist IMO ein sehr guter Sänger, ob er allerdings mit dem jungen Pavarotti konkurrieren kann, das ist noch fraglich - immerhin - eine gute Leistung wie es scheint- wenngleich die Beurteilung durch die schlechte Akustik sehr schwierig war. Meiner Meinung nach harmoniert seine Stimme nicht optimal mit jener von Anna Netrebko. Solo klingt er besser.
Die Violetta wird von ihrer Darstellerin sehr realistisch geboten, wobei sie für meinen Geschmack sich vor allem im 1. Akt ein wenig zu sehr von einer Kurtisane hin in Richtung "Straßenmädchen" entwickelt.
Stimmlich - von mir aus - nicht alles war sauber, beileibe nicht - aber lange nicht die Ausnahmeerscheinung als die sie so gerne vermarktet wird. Der Eindruck, den ich von ihr hatte heute hatte, war jedenfalls entscheidend besser als jene den ich beim Abhören einer ihrer CDs gewann, das war aber auch kein Wunder...
Thomas Hampson ist über jede Kritik erhaben - Daß ich persönlich für die Rolle des Vater Germont eine sonorere Stimme bevorzuge mag als geschmackliche und keineswegs qalitative Wertung gesehen werden.
Das Dirigat von c.Rizzi war unauffällig.
Mein persönlicher Eindruck:
Eine minimalistische Aufführung mit großen Namen - die aber bei mir kein Feuer entfachen konnte - ich hab die Traviata schon mehrfach besser gesehen. Zu einer gut erzählten Geschichte gehört die Einheit von Zeit und Handlung, ebenso wie die Ausstattung. Das Parfüm der Pariser Halbwelt-Salons, die Eleganz, fehlte ebenso, wie das (scheinbar) frieie Ambiente des Landhauses wo man hofft "ein neues Leben" mit dem Geliebten zu beginnen, bis Vater Germont dem Idyll ein jähes Ende bereitet. Auch der Todeshauch des Schlafzimmers der schwerkranken fehlt schmerzlich
Als Repertoirevorstellung eines österreichisch oder deutschen Provinztheaters mag die gebotene Over-all- Performance
ausreichend sein - für die weltberühmten Salzburger Festspiele - einst Referenz - war es IMO zuwenig.
Ich bin gespannt ob noch jemand Statements zu diesem "Ereignis" parat hat.
Freundliche Grüße aus Wien
Alfred