Ist "vorbelastete Musik" heute noch vorurteilsfrei aufführbar?

  • Würdest Du im Zusammenhang mit Kubricks Film 2001 auch vom Missbrauch der Musikstücke sprechen?
    :hello:


    Eine der besten und nachdrücklichsten Klassik-Musikszenen der Filmgeschichte - die Angleichung der Drehgeschwindigkeit von Fähre und Raumstation unter den Klängen von "An der schönen blauen Donau"

  • Ich bleibe bei meiner Überzeugung, dass sich Musik nicht missbrauchen lässt. Wer sie für seine Zwecken einsetzt, auf den fällt es zurück, wenn er sie für den falschen Zweck einsetzt. Noch hat jede Musik die Verwendung durch die Nationalsozialisten für propagandistische Ziele, die allesamt vor der Geschichte gescheitert sind, schadlos überstanden. Deshalb fand ich die Liste so interessant, die Christian einige Beiträge weiter vorn eingestellt hat, die Liste der Musik, die in den Nazi-Wochenschauen eingesetzt wurde. Da kommen nicht nur Wagner und sein Schwiegervater vor. Gute Musik ist unverwüstlich und unangreifbar. Sie kann auch aus diesem Grund kein Missbrauchsoper werden. Und hätte Himmler selbst in Bayreuth dirigiert.


    Was ist es nun, wenn Wagner bis jetzt fast jede Dokumentation über die Verbrechen der Nationalsozialisten musikalisch untermalt? Das ist allenfalls töricht.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich bleibe bei meiner Überzeugung, dass sich Musik nicht missbrauchen lässt. Wer sie für seine Zwecken einsetzt, auf den fällt es zurück, wenn er sie für den falschen Zweck einsetzt.

    Das verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Eine Musik wird in dem Zusammenhang rezipiert, in den sie gestellt wird. Das kann politische Propaganda sein oder auch etwas deutlich Harmloseres wie Werbung. Die Musik dient dann zur Untermalung, Verstärkung von Bildern oder Stimmungen, sie kann so u. U. Haß und Wut schüren, Dinge heroisierend verklären, Häßliches beschönigen usw.. Sie wird aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen und und mit ganz anderer Bedeutung "beladen". Das kann sehr einprägsam sein. Die Musik auf diese Weise ihrem ursprünglichen Sinn entfremdet kann so eine viel größere Verbreitung finden als das Musikstück jemals hatte - viele Menschen werden sie überhaupt erst so kennenlernen. Die Wochenschau hat jeder gekannt damals - Liszts "Les Preludes" dagegen nur eine verschwindende Minderheit. Diese "außermusikalische" Popularisierung holt die Musik schließlich ein. Es ist kaum vermeidlich, daß der zeitgenössische Hörer diese Prägung vergißt. Ich z.B. mag keine klassische Musik als Klingelton auf dem Handy. Denn dann würde ich mir das betreffende Stück leid hören - sie würde zum Klischee. Musik kann - in der Werbung z.B. - in dieser Weise zum Klischee werden und es schwer haben, sich gegen dieses Kischee zu behaupten.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Diese "außermusikalische" Popularisierung holt die Musik schließlich ein.

    Das verstehe ich ehrlich gesagt nicht. ;)
    Niemand zwingt mich, fernzusehen und klassische Musik in der Werbung "missbraucht" wahrzunehmen, und die Wochenschau der 30er Jahre muss ich mir schon gar nicht ansehen. Außerdem muss ich nicht immer an den Sonnenbrand denken, den ich womöglich hatte, als ich zum ersten Mal ein bestimmtes Stück hörte - es lebe der mündige Hörer!

  • Niemand zwingt mich, fernzusehen und klassische Musik in der Werbung "missbraucht" wahrzunehmen, und die Wochenschau der 30er Jahre muss ich mir schon gar nicht ansehen.


    Die Komponistengeneration nach 1945 hat das ganz anders gesehen. Sie wollte sich nicht damit abfinden, daß ihre Musik von außermusikalischen, politischen Zwecken mißbraucht wird und hat deshalb ganz bewußt "abstrakte Musik" komponiert, die auf jegliche Wirkungsrhetorik verzichtet als Reaktion auf ihre propagandistische Verhunzung vor 1945. Für viele ist Musik nicht l´art pour l´art, sondern soll einen humanistischen Zweck der Völkerverständigung erfüllen (siehe die Rezeption von Beethovens 9.). Deswegen kann man die Konzertsäle nicht so ansehen, als ob sie sich gar nicht hier auf der Erde mit all ihren Problemen, sondern irgendwo auf dem Mond befinden. Die Rezeption von Musik innerhalb und außerhalb des Konzertsaals steht in einer lebendigen Wechselwirkung. Man entgeht diesem Wirkungszusammenhang nicht, indem man ihn einfach verleugnet.


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Die Komponistengeneration nach 1945 hat das ganz anders gesehen. Sie wollte sich nicht damit abfinden, daß ihre Musik von außermusikalischen, politischen Zwecken mißbraucht wird und hat deshalb ganz bewußt "abstrakte Musik" komponiert, die auf jegliche Wirkungsrhetorik verzichtet als Reaktion auf ihre propagandistische Verhunzung vor 1945.

    Hm - naja - ich weiß nicht ... Stockhausen hat sehr früh seinen Serialismus sehr wirkungsvoll angereichert und klingt schon ganz knapp nach den ersten seriellen Stücken durchaus expressiv, Goeyvaerts, sein Kollege, bleibt abstrakter, aber zu dem Zweck eine eher meditative Musik zu schaffen, was er später minimalistisch macht. Nono schreibt eine Musik der Anklage und der Erschütterung, bei ihm ist es am deutlichsten, aber auch Boulez mit seiner "Rage" ist nur bedingt abstrakt. Dass man sich vom Stil abwandte, der unter der NSDAP erfolgreich war, sehe ich auch, aber gerade Nono will nun auch nicht weniger Botschaften transportieren als Egk oder Pepping.



    Zitat

    Für viele ist Musik nicht l´art pour l´art, sondern soll einen humanistischen Zweck der Völkerverständigung erfüllen (siehe die Rezeption von Beethovens 9.).

    Hehe, oder Gott loben und preisen, oder das Vaterland oder den Kaiser oder Führer oder alles mögliche.



    Zitat

    Deswegen kann man die Konzertsäle nicht so ansehen, als ob sie sich gar nicht hier auf der Erde mit all ihren Problemen, sondern irgendwo auf dem Mond befinden.

    Naja, kann man schon, man kann auch als Ungläubiger Messen hören.


    :hello:

  • Hm - naja - ich weiß nicht ... Stockhausen hat sehr früh seinen Serialismus sehr wirkungsvoll angereichert und klingt schon ganz knapp nach den ersten seriellen Stücken durchaus expressiv,


    Bei Stockhausen ist das belegt durch seinen Briefwechsel mit Herrmann Hesse. Und "wirkungsvoll angereichert" ist kein einziges seiner späteren Stücke - das widerspricht seiner Grundauffassung von Musik. Stockhausen war ein Purist, der keine Kompromisse machte. Musik kann zudem expressiv sein auch ohne jede Wirkungsrhetorik im Sinne des Dokumentarischen. Beispiel: Die Schilderung eines Schockereignisses bei Anton Webern.


    Ein schönes Beispiel ist Mahlers Adagietto in Viscontis Film. Viele haben Mahler erst so kennengelernt und entsprechend das Adagietto mit Todesnähe in Verbindung gebracht. Man hat sich, nachdem man den "Tod in Venedig" gesehen hat, die CD mit der 5. Symphonie gekauft und selbstverständlich erwartet, daß die Musik genauso morbide ist wie sie im Film wirkt. Nur biographisch hat Mahler das als Liebeserklärung an Alma verstanden...


    Schöne Grüße
    Holger

  • Bei Stockhausen ist das belegt durch seinen Briefwechsel mit Herrmann Hesse. Und "wirkungsvoll angereichert" ist kein einziges seiner späteren Stücke - das widerspricht seiner Grundauffassung von Musik. Stockhausen war ein Purist, der keine Kompromisse machte.


    Ich empfehle Dir, Kreuzspiel und Studie II zu vergleichen mit der Klavierstücke-Serie und mit Gruppen. Stockhausen wusste schon, wie er seine Musik wirkungsvoll anreichern konnte. Seine Expressivität erkennt man auch im Vergleich zu seinem Kollegen Koenig. Die Kompromisse begannen gleich nach Beginn der seriellen Musik. Zuerst hatte man die Musik basierend auf Sinustönen als logischste Erscheinungsform des Seriellen Denkens erkannt. Es war aber offenbar nicht wirkungsvoll genug, und so opferte man gleich die soeben gewonnene "strukturelle Organisation bis in den Klang hinein". Am "Gesang der Jünglinge" ist dann gar nichts mehr puristisch.
    ;)

  • Die Wochenschau hat jeder gekannt damals - Liszts "Les Preludes" dagegen nur eine verschwindende Minderheit. Diese "außermusikalische" Popularisierung holt die Musik schließlich ein. Es ist kaum vermeidlich, daß der zeitgenössische Hörer diese Prägung vergißt.


    Diese zeitgenössischen Hörer gehen jetzt langsam ihrem 90. Geburtstag entgegen. Das Hauptproblem des Nationalsozialismus ist nicht, dass heroische Musik in den Wochenschauen gespielt wurde (das gabe es auch in England), sondern dass er eine Ideologie darstellt, die das systematische Stigmatisieren und Ermorden von Unerwünschten jeglicher Art propagiert. Hier ist des Pudels Kern, und hier muss man auch in der heutigen Zeit aufpassen. Die Diskussionen um Musik (Wagner, Liszt, Beethoven) ist in diesem Zusammenhang völlig irrelevant und von künstlich aufgeblasener Bedeutung.

  • Die ganze Diskussion geht an mir eigentlich vorbei. Die philosophischen Aussagen zum Einfluß klassischer Musik auf die Naziideologie finde ich ohne Sinn, denn es stellt sich eine der Grundfragen: Wer war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Diese Frage kann und will ich nicht diskutieren, aber sie ist für Philosophen sicherlich da. Aber genauso ist es Tatsache, daß Liszt, Wagner u.a. Werke aus Beitrag 116 von Hasiewicz vor 1933 existierten.


    Wenn die Nazis diese Musik für Ihre Ideologie mißbrauchten, kann man die Komponisten nicht ins gleiche Glied stellen.


    Wenn ich Le Preludes höre - und das tue ich oft - dann gefällt mir die Musik, die langsamen Hörnerpassagen genauso wie die die Schlußphase. Und keinen Augenblick denke ich daran, daß gerade der Schluß nazistische Propaganda untermalt hat. Das ist mir Wurscht!


    Für mich gibt es keine "vorbelastete" Musik, es sei denn, sie wurde direkt für propagandistische Zwecke geschaffen. Aber selbst dann kann es gute Musik sein. Das Lied "Unsre Heimat" wurde für die DDR-Propaganda geschaffen, zur Verherrlichung des Sozialismus. Es ist trotzdem ein herrliches Lied, im Osten beinahe ein Volkslied.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Ich empfehle Dir, Kreuzspiel und Studie II zu vergleichen mit der Klavierstücke-Serie und mit Gruppen. Stockhausen wusste schon, wie er seine Musik wirkungsvoll anreichern konnte. Seine Expressivität erkennt man auch im Vergleich zu seinem Kollegen Koenig. Die Kompromisse begannen gleich nach Beginn der seriellen Musik. Zuerst hatte man die Musik basierend auf Sinustönen als logischste Erscheinungsform des Seriellen Denkens erkannt. Es war aber offenbar nicht wirkungsvoll genug, und so opferte man gleich die soeben gewonnene "strukturelle Organisation bis in den Klang hinein". Am "Gesang der Jünglinge" ist dann gar nichts mehr puristisch.
    ;)

    Da würde Stockhausen selbst heftig widersprechen. Es gab das Problem mit "punktueller Musik", die droht "stehn" zu bleiben, wie Stockhausen selbst sich ausdrückte. Deswegen wurde dann von Stockhausen selbst die Struktur dynamisiert - dann entsteht dieses fließende Kontinuum wie in den "Gruppen". Stockhausen selbst sagte gerne im Gespräch, daß es in der romantischen Musik primär um den Ausdruck von Subjektivität gegangen sei, in seiner aber nicht. Es gibt einen Eimert-Text (über den ich auch mit Stockhausen diskutiert habe) wo Eimert sagt: In der seriellen Musik kommt nicht erst das Gefühl, sondern erst die Form, und die soll dann zum Fühlen "anleiten". Genau damit wird die Wirkungsrhetorik außer Kraft gesetzt. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Diese zeitgenössischen Hörer gehen jetzt langsam ihrem 90. Geburtstag entgegen.


    In Israel ist es immer noch so, daß es zwar viele Wagner-Fans gibt, aber der Widerstand gegen Wagner-Aufführungen bis zum heutigen Tag so massiv, daß keine zustande kommt. Leider, aber so ist es. Wagner wird dort mit dem Holocoust identifiziert. Aus Sicht der Betroffenen ist das natürlich verständlich.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Der Mann war in verblüffendem Ausmaß selbstbewusst. Wenn man in seinen Texten liest, wundert man sich nicht, dass er als Erlöser der europäischen Musik vom Sirius herabgestiegen ist.


    Die Texte von Stockhausen lese ich sehr gerne - die sind ungemein prägnant und mit sehr aufschlußreichen Analysen. Und er war ein begnadeter Pädagoge. Er konnte sehr unprätentiös und klar verständlich in seine Musik einführen bei Aufführungen, so daß auch dem letzten Menschen im Saal jede Berührungsangst mit Neuer Musik genommen wurde. :)


    Schöne Grüße
    Holger


  • In Israel ist es immer noch so, daß es zwar viele Wagner-Fans gibt, aber der Widerstand gegen Wagner-Aufführungen bis zum heutigen Tag so massiv, daß keine zustande kommt. Leider, aber so ist es. Wagner wird dort mit dem Holocoust identifiziert. Aus Sicht der Betroffenen ist das natürlich verständlich.


    Schöne Grüße
    Holger


    Das ist ein israelisches Spezifikum, das ausschließlich die Musik Wagners betrifft. Dieser Widerstand rührt allerdings von Wagners antisemitischen Schriften her und nicht von der Bedeutung der Wagnerschen Musik für einige Nazis. Komponisten wie Strauss oder Orff können meines wissens ohne Probleme aufgeführt werden. Liszt sowieso.

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  • Dieser Widerstand rührt allerdings von Wagners antisemitischen Schriften her und nicht von der Bedeutung der Wagnerschen Musik für einige Nazis.


    Das glaube ich eher weniger - wer kennt schon Wagners Schrift? Es ist wohl das "Symbol" Bayreuth als Pilgerstätte der Nazis und von Hitler selbst. Für Hitler - also den obersten Nazi - hatte Wagner und Bayreuth ja eine zentrale Bedeutung. Für ihn war das eine Pilgerstätte, die er regelmäßig und in politisch entscheidenden Momenten seines Lebens aufgesucht hat. Die Betroffenen können Wagners Musik einfach nicht von dem Kulttempel Bayreuth abtrennen, da scheint mir das Problem zu liegen. Wagners Antisemitismus kommt dann noch dabei.


    Im übrigen glaube ich, daß die Erfahrungen mit totalitären Regimen und ihres Mißbrauchs von Musik doch den Umgang mit Musik nachhaltig geändert haben. Nach 1945 hatte das deutsche Volkslied endgültig seine Unschuld verloren. Die junge Generation orientierte sich bezeichnend musikalisch in Richtung USA - diese Musik war unvorbelastet. Und was die Kunstmusik angeht, hat diese Erfahrung auch - natürlich nicht allein, sondern im Zusammenspiel mit anderen Faktoren - den Interpretationsstil verändert. Elly Neys "mythologisierender" Beethoven z.B. paßte durchaus in die Zeit vor 1945 - nachher allerdings empfand man ihn als peinlich. Von Mythen und Mythologisierungen welcher Art auch immer hatte man die Nase voll.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Das glaube ich eher weniger - wer kennt schon Wagners Schrift? Es ist wohl das "Symbol" Bayreuth als Pilgerstätte der Nazis und von Hitler selbst.


    Wie kommst Du darauf, dass die Schrift nicht bekannt sein sollte? Dass Wagner antisemitische Schriften verfasst hat, ist unter Juden selbstverständlich nur allzu bekannt. Die Wagner-Verehrung des NS-Staates wird dementsprechend als logische Konsequenz Wagners Schriften gesehen. Ursächlich ist daher Wagners Agitation gegen die Juden für die breite Ablehnung in Israel.

  • Im übrigen glaube ich, daß die Erfahrungen mit totalitären Regimen und ihres Mißbrauchs von Musik doch den Umgang mit Musik nachhaltig geändert haben. Nach 1945 hatte das deutsche Volkslied endgültig seine Unschuld verloren. Die junge Generation orientierte sich bezeichnend musikalisch in Richtung USA - diese Musik war unvorbelastet.


    Nein, das sehe ich nicht so. Es war weniger die verlorene Unschuld der deutschen Lieder als eine völlig natürliche Reaktion auf den Wegfall von Zwang und Verbote. Man war neugierig auf das, was so lange unter der Decke gehalten worden war, außerdem wurde diese neue Unterhaltungsmusik von den Besatzern selbst direkt ins Land gebracht. Die Aufbruchstimmung suchte sich in allen Belangen neue Wege, um das gerade überstandene Inferno möglichst schnell vergessen zu können.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Wie kommst Du darauf, dass die Schrift nicht bekannt sein sollte? Dass Wagner antisemitische Schriften verfasst hat, ist unter Juden selbstverständlich nur allzu bekannt. Die Wagner-Verehrung des NS-Staates wird dementsprechend als logische Konsequenz Wagners Schriften gesehen. Ursächlich ist daher Wagners Agitation gegen die Juden für die breite Ablehnung in Israel.


    Ich glaube, im Fall einer solchen Traumatisierung denkt niemand in Kausalketten. Die Tatsache alleine, daß Wagner ein Antisemit war, reicht sicher nicht aus, daß man Wagner-Aufführungen nicht ertragen kann und seine Musik mit Nazi-Deutschland identifiziert. Der Wagner-Kult war Teil der NS-Ideologie und Propaganda. Bayreuth ist ein Symbol - und Symbole wiegen hier schwerer als alles andere. Denn nur das erklärt, warum es so viele Wagner-Freunde in Israel gibt, aber keine öffentlichen Aufführungen seiner Werke. Kein anderer Komponist des 19. Jhd. hat sich selber und seiner Musik eine Kult und Pilgerstätte geschaffen, die zur nationalen Identifikation genutzt wurde. Und das wird der Musik nun zum Verhängnis. Wenn Bayreuth als Wagner-Institution den Antisemitismus nicht so offensiv gefördert hätte, dann wäre Wagners Schrift längst vergessen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Nein, das sehe ich nicht so. Es war weniger die verlorene Unschuld der deutschen Lieder als eine völlig natürliche Reaktion auf den Wegfall von Zwang und Verbote. Man war neugierig auf das, was so lange unter der Decke gehalten worden war, außerdem wurde diese neue Unterhaltungsmusik von den Besatzern selbst direkt ins Land gebracht.

    Das ist sicher auch ein Grund, aber der erklärt die Abneigung gegen das deutsche Liedgut nicht. Das Singen von Volksliedern ist Ausdruck nationaler Identität. Wenn dieses Identitätsbewußtsein gestört und im Falle Deutschland geradezu verstört wird, dann hat das natürlich Auswirkungen.


    Schöne Grüße
    Holger

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  • ch glaube, im Fall einer solchen Traumatisierung denkt niemand in Kausalketten. Die Tatsache alleine, daß Wagner ein Antisemit war, reicht sicher nicht aus, daß man Wagner-Aufführungen nicht ertragen kann und seine Musik mit Nazi-Deutschland identifiziert. Der Wagner-Kult war Teil der NS-Ideologie und Propaganda. Bayreuth ist ein Symbol - und Symbole wiegen hier schwerer als alles andere. Denn nur das erklärt, warum es so viele Wagner-Freunde in Israel gibt, aber keine öffentlichen Aufführungen seiner Werke. Kein anderer Komponist des 19. Jhd. hat sich selber und seiner Musik eine Kult und Pilgerstätte geschaffen, die zur nationalen Identifikation genutzt wurde. Und das wird der Musik nun zum Verhängnis. Wenn Bayreuth als Wagner-Institution den Antisemitismus nicht so offensiv gefördert hätte, dann wäre Wagners Schrift längst vergessen.


    Wagner war aber nicht irgendein Antisemit, sondern ein antisemitischer Agitator, dessen Judenfeindlichkeit sehr wohl auch nach seinem Tode bekannt war. Das hatten wir doch alles im großen Wagnerthread besprochen. Die Israelis, die sich da aufregen, sind ja nicht irgendwelche Ignoranten, sondern kultivierte Musikliebhaber, die wohl schon ein oder zwei Sachen über Wagner gehört haben dürften. Dass Wagner nun anachronistisch durch die Brille des Holocaust gesehen wird, ist sicherlich richtig, aber der Missbrauch durch die Nazis allein ist es sicher nicht, der Wagner für diese Leute inakzeptabel macht. Wie gesagt, Wagner wird als Vorgänger des Nazi-Antisemitismus gesehen. Dass das nicht jeder in Israel so sieht ist klar, und dass Emotionalisierungen hier eine große Rolle spielen ebenso.
    Interessanterweise hast gerade Du dich im besagten Wagnerthread argumentativ ins Zeug gelegt, eine kausale Kette zwischen Wagner und Hitlers Wahn zu legen. Und gerade die, die davon persönlich betroffen sind, die Juden nämlich, sollen von Wagners Schriften noch nie etwas gehört haben? ?(

  • Die ganze Diskussion geht an mir eigentlich vorbei. Die philosophischen Aussagen zum Einfluß klassischer Musik auf die Naziideologie finde ich ohne Sinn, denn es stellt sich eine der Grundfragen: Wer war zuerst da, das Huhn oder das Ei?

    Hallo,


    das ist genau hier nicht die Frage, denn zweifellos war Wagners Musik vor den Nazis da –aber: Wagners Antisemitismus und Rassismus war vor den Nazis da und da gibt es ziemliche Übereinstimmungen. Und wenn sich diese Übereinstimmung nicht in Wagners Werk gezeigt hätte, welchen Grund hätten die Nazis gehabt, seine Musik zu favorisieren?
    Wenn Silcher Schuberts „Lindenbaum“ zum Volkslied bearbeitete, kann ich Beides - 2 getrennte Werke - hören, hier das Kunstlied und dort das Volkslied. Bei geistlichen Werken mit religiösem Text – der mir im Einzelfall zuwider sein kann – blende ich bei der Musik den Text aus.


    Bei Wagner liegt der Fall anders, da gibt es übereinstimmende … (ohne Adjektiv!) Ideologien.



    Für mich ist letztendlich die Frage des Threads falsch gestellt: Es geht mE nach weniger um vorurteilsfreie Aufführung, sondern um die Möglichkeit einer zugleich auf die Schönheit der Musik abzielenden, zugleich aber "wissenden" Aufführung und Rezeption - wissend darum, welche Macht diese Musik haben kann bzw. welche Funktion ihr aufoktroyiert werden kann.

    Genau darauf kommt es an - Unterstreichung von mir.



    Es gibt einen Eimert-Text...wo Eimert sagt: In der seriellen Musik kommt nicht erst das Gefühl, sondern erst die Form, und die soll dann zum Fühlen "anleiten"

    Wenn die Form zum Gefühl anleiten soll, dann klappt das nur, wenn die Musik mit der Partitur gehört wird, was wohl nicht die Regel sein kann bzw. Stockhausen überfordert den Musikhörer gewaltig. Wenn die spezielle Form des Musikstückes aber bereits als emotional im Musikareal des Gehirns vorhanden/abgespeichert ist– ob dies individuell auf der Zeitachse schnell oder langsam erfolgt??? - dann ist die Partitur nicht notwendig. Der Verweis auf die unbewussten, automatischen, vom Willen nicht beeinflussbaren Vorgänge im Gehirn währende des Verarbeitungsablauf von Musik hören sei erlaubt, ebenso auf die einschlägigen Threads.



    Und er war ein begnadeter Pädagoge. Er (Stockhausen) konnte sehr unprätentiös und klar verständlich in seine Musik einführen bei Aufführungen, so daß auch dem letzten Menschen im Saal jede Berührungsangst mit Neuer Musik genommen wurde.

    Da wäre ich gerne dabei gewesen.


    Viele Grüße
    Zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Interessanterweise hast gerade Du dich im besagten Wagnerthread argumentativ ins Zeug gelegt, eine kausale Kette zwischen Wagner und Hitlers Wahn zu legen. Und gerade die, die davon persönlich betroffen sind, die Juden nämlich, sollen von Wagners Schriften noch nie etwas gehört haben?

    Ich hatte gesagt, daß man Wagner von der Verantwortung für das, was aus seinem Antisemitismus gemacht wurde, nicht freisprechen kann. Die Frage ist aber immer noch: Warum die vehemente, ja militante Ablehnung jeglicher Aufführungen seiner Musik? Ein Isaac Stern, selber ein prominenter jüdischer Geiger, wurde seinerzeit handgreiflich daran gehindert, ein Wagner-Stück als Zugabe zu spielen. Seitdem trat er wütend und enttäuscht nicht mehr in Israel auf. Die Aufführung war offenbar ein Tabubruch. Welches Tabu wurde verletzt? Warum dürfen selbst Juden Wagner nicht in Israel aufführen? Meine Annahme, für die einiges spricht, finde ich: Weil man eine solche Aufführung nicht als "normales" Konzertereignis sieht, sondern eine Art rituelle Inszenierung. Wagner selbst hat mit Bayreuth die Aufführung seiner Musik zu einem Ritual der nationalen Identitätsfindung gemacht. Und genau damit haben sich die Nationalsozialisten identifiziert. Das ist deshalb ein nachvollziehbares psychologisches Problem für die traumatisierten Opfer, wie ich finde. Die Vehemenz der Ablehnung hängt damit zusammen, daß die (Wieder-)Aufführung diese deutschnationale Inszenierung wiederholt und das für die Betroffenen des Holocoust unerträglich ist. Denn man kann doch fragen: Warum unterscheiden sie nicht zwischen Wagners Antisemitismus und seiner Musik? Weil es bei einem solchen Ritual gar nicht geht.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich denke, die meisten "aufgeklärten" Juden heute haben kein Problem mehr mit Wagner. Es ist allerdings in der Tat erschreckend, dass ein paar "Ewiggestrige" in Israel die Meinungshoheit innehaben. Es zeugt von Kleingeistigkeit, wenn man die zweifellos herrliche Musik abstraft, indem man sie zu verbieten sucht. Ein Unterfangen, dass auf lange Sicht nur zum Scheitern verurteilt sein kann. Ihr werdet sehen, in spätestens 50 Jahren wird auch in Israel Wagner nichts Außergewöhnliches mehr sein. Es wurde ja heute schon etwas besser als vor einigen Jahrzehnten, und ich meine, es wäre durchaus gerade die Aufgabe jüdischer Künstler, hier die entscheidenden Schritte zu tun. Glücklicherweise haben wir ja unvoreingenommene Leute wie Barenboim, die schon einiges erreicht haben.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Und wenn sich diese Übereinstimmung nicht in Wagners Werk gezeigt hätte, welchen Grund hätten die Nazis gehabt, seine Musik zu favorisieren?

    Lieber Horst,


    ich glaube eher, daß es der "Mythos" Wagner ist, der die Nazis anzog, von dem die Musik nur ein Teilaspekt ist. Das ist glaube ich auch das Problem in Israel. Es geht schon gar nicht mehr um Wagners Musik als solche, sondern um den Mythos, der mit ihr verbunden ist: "deutsche" Musik (so hat Wagner auch geredet!) und das Deutschtum dabei als das antisemitische, rassistische, verbrecherische. Der Widerstand gegen Wagner-Aufführungen ist in Israel verbandsmäßig organisiert und zu diesen Verbänden gehören Menschen, die gar nicht primär Liebhaber der klassischen Musik sind, sondern Wagner nur als Wagner-Mythos vernehmen. Es wäre für Wagners Musik gut, wenn man sie endgültig "entmythologisieren" würde - was erfreulicher Weise inzwischen in Bayreuth selbst geschieht.



    Wenn die Form zum Gefühl anleiten soll, dann klappt das nur, wenn die Musik mit der Partitur gehört wird, was wohl nicht die Regel sein kann bzw. Stockhausen überfordert den Musikhörer gewaltig.

    Das mit der Überforderung ist in der Tat ein zentrales Problem - diese Musik erfordert hochspezialisierte Spezialisten was die Aufführung angeht. Aber als Hörer kann man durchaus auch "naiv" einen Zugang zu solcher Musik finden. Bei Stockhausens Konzerten waren die meisten ganz normale Menschen - alles andere als nur Intellektuelle. Diese Fomulierung meint: Serielle Musik ist eine, die nicht primär auf uns wirkt, sondern erst einmal in ihren reinen Tonbeziehungen wahrgenommen wird, ein "objektivierendes" Hören, bevor dann das Gefühl und die Subjektivität ins Spiel kommt.


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Die Frage ist aber immer noch: Warum die vehemente, ja militante Ablehnung jeglicher Aufführungen seiner Musik? Ein Isaac Stern, selber ein prominenter jüdischer Geiger, wurde seinerzeit handgreiflich daran gehindert, ein Wagner-Stück als Zugabe zu spielen. Seitdem trat er wütend und enttäuscht nicht mehr in Israel auf. Die Aufführung war offenbar ein Tabubruch. Welches Tabu wurde verletzt? Warum dürfen selbst Juden Wagner nicht in Israel aufführen? Meine Annahme, für die einiges spricht, finde ich: Weil man eine solche Aufführung nicht als "normales" Konzertereignis sieht, sondern eine Art rituelle Inszenierung.


    Ich meine, Du denkst hier, wie des öfteren ;) , einfach zu kompliziert. Wagner wurde in Israel ganz einfach zum Symbol des deutschen Antisemitismus. Im Konzertleben geht es darum, dass die Schoah-Überlebenden für sich das Recht beanspruchen, nicht mit Wagner konfrontiert zu werden. Sie fordern sozusagen die Respektierung ihrer Gefühle ein. So etwas wird irgendwann zum Selbstläufer und der eigentliche Anlass (Wagner) gerät etwas in den Hintergrund. Abschließend möchte ich sagen, dass das eine rein innerisraelische Angelegenheit ist, in die gerade sich Deutsche und Österreicher tunlichst nicht einmischen sollten - außer man lebt dort. Es besteht übrigens kein rechtliches Verbot, Wagner aufzuführen, sondern die Konzertveranstalter verzichten aus "Pietät" darauf (nicht ohne Druck natürlich - von privater Seite, wohlgemerkt).

  • Lieber Holger,


    zu Wagners Werk zähle ich auch seine von ihm selbst verfassten Texte und Libretti.


    Zum Hörerlebnis Stockhausen komme ich noch - das wird etwas dauern - ich habe einen neuen PC bekommen und dabei von Windows XP auf Windows 7 und Microsoft 10 umstellen lassen; nun muss ich mich noch mit dem veränderten "Klein-Klein" anfreunden.


    Viele Grüße
    Horst

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich möchte hier nicht so tief schürfen, finde meine Meinung zu diesem Thema in den Beiträgen von Rheingold oder auch La Roche wieder.


    Insofern ist für mich Musik vorbelastet, wenn sie propagandistischer Ideologie dient. Beispielhaft wäre die Filmmusik zu „Feuertaufe“ von Norbert Schultze zu nennen. Dieser (im Auftrag von Görings Luftfahrtministerium gedrehte) Schinken enthält das Lied „Bomben auf Engelland“, das seinem Schöpfer den wenig ruhmvollen Spitznamen „Bomben-Schultze“ einbrachte. Aber Schultze schrieb auch „Lili Marleen“- ist dieser Welterfolg vorbelastete Musik?


    Klar ordne ich aber „Davon geht die Welt nicht unter“ (mit Paul Hörbiger als „Pianisten“) und „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n“ (ebenfalls mit Paul Hörbiger, hier als „Dirigent“) aus dem Film „Die große Liebe“ hier ein, denn das war reinste Propaganda (wie übrigens auch der Film „Wunschkonzert“). Es geht in „Die große Liebe“ nämlich nicht um Liebesprobleme, sondern das eigentliche Thema ist der Krieg, festzumachen u.a. an dem bewusst eingearbeiteten Material der „Deutschen Wochenschau“.


    Nein, Wagners Musik ist, ebenso wie die von Franz Liszt, für mich nicht vorbelastet. Müßte man nicht sonst Beethovens Neunte durch propagandistisch ausgeschlachtete Konzerte auch dazu zählen ;( ?

    .


    MUSIKWANDERER

  • Serielle Musik ist eine, die nicht primär auf uns wirkt, sondern erst einmal in ihren reinen Tonbeziehungen wahrgenommen wird, ein "objektivierendes" Hören, bevor dann das Gefühl und die Subjektivität ins Spiel kommt.


    Lieber Holger,


    bevor es zu Missverständnissen kommt, die Frage ob folgend Einigkeit besteht:


    Die Wahrnehmung akustischer Reize - nicht die Interpretation von Tonbeziehungen - erfolgt durch Schallwellen die aufs Ohr treffen, welche das Ohr automatisch ohne Zutun des Hörers neuronal an die zuständigen Gehirnareale weiterleitet. Dort erfolgen mehrere Einsortierungen (sind es überhaupt Töne usw. usw.) und Interpretation, auch automatisch und unwillkürlich. Diese erfolgen im Millisekundenbereich, für den Hörer unbemerkt, unbeeinflussbar, automatisch aufgrund genetischer usw. und individueller "Einträge" in den Gehirnarealen.


    Ein/e objektive/s Hören/ Musikwahrnehmung findet in diesem Stadium der Musikwahrnehmung nicht statt. Ob eine absolut objektive Musikwahrnehmung und folgend Interpretation überhaupt stattfinden kann ist strittig. Ich verweise erneut auf Kap. 5 "Grundlagen der Musikwahrnehmung" des rororo-Handbuchs "Musikpsychologie" in der Reihe "rowohlts Enzyklopädie".


    Ich meine erst wenn hier Einigkeit besteht, kann ich zu Stockhausen sinnvoll Stellung nehmen.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zitat von »Dr. Holger Kaletha«
    Serielle Musik ist eine, die nicht primär auf uns wirkt, sondern erst einmal in ihren reinen Tonbeziehungen wahrgenommen wird, ein "objektivierendes" Hören, bevor dann das Gefühl und die Subjektivität ins Spiel kommt.

    Ob eine absolut objektive Musikwahrnehmung und folgend Interpretation überhaupt stattfinden kann ist strittig.


    Beim Musikhören versucht das Gehirn, wie bei jeder anderen Wahrnehmung auch Muster zu erkennen, bzw. wiederzuerkennen. Das begünstigt, das wir bekanntes leichter wahrnehmen als unbekanntes. Die Komponisten serieller Musik nach dem zweiten Weltkrieg wollten sich von den bisherigen Assoziationen, die mit Musik einhergehen, lösen und etwas wirklich neues versuchen. Dass wir in serieller Musik die uns bekannten Muster nicht finden macht sie so schwer "erkennbar". Es ist eins der grössten Missverständnisse, wenn Hörer, die Neue Musik kennenlernen wollen, dort nach "Expression" suchen. Diese Musik erfordert eine andere Hörhaltung, die anders ist, als die bekannte Wahrnehmung von "expressiven", Gefühle auslösenden Mustern. Das trifft nicht bei allen Komponisten gleichermassen zu, Nono vereint serielle Technik und Expression, aber Stockhausen wollte weg vom subjektiven Ausdruck. In diesem Sinne hat man dann oft von "Objektivierung" gesprochen. Ich finde den Begriff unglücklich gewählt, denn natürlich gibt es keine objektive Wahrnehmung. Gemeint ist aber ein anderes Hören, das vielleicht eher der Wahrnehmung in der Meditation entspricht: man versucht sich von den üblichen Assoziationen freizumachen und Dinge in ihrem "so sein" wahrzunehmen. Die seriellen Regeln sollen ein Gerüst liefern, das den Komponisten davon abhält zu leicht in altbekannte Muster zu verfallen. Bei Cage übernimmt diese Rolle das Element des Zufalls oder die Freiheit des Interpreten.


    Diese Entwicklung war der Versuch, die Musik von Vorbelastung zu befreien.


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

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