Die großen Dirigenten - Gurus der Klassikszene ?

  • Liebe Forianer


    In einem anderen Thread wurde behauptet, die Zeit der "Tyrannen am Dirigentenpult" sei vorbei - und das sei gut so.


    Ich behaupte jedoch,m daß gerade sie es waren, bzw. heute noch sind, die das Salz in der Klassikszene waren, bzw noch heute sind.


    Jene eigenwilligen autokratischen Persönlichkeiten (Harnoncourt ist IMO der letzte lebend Vertreter dieser Spezies) die Werken und Publikum Ihren neiugenen unverwechselbaren Stempel auifdrückten, teilweise unnachgiebig und intolerant - aber stets erfolgreich.


    Klassische Musik wurde so teilweise zur Ersatzreligion - der Maestro als Hohepriester der Klassik. Das mag man ablehen, das mag man befürworten - bewunderungswürdeig waren diese Musikikonen allemal, konnten sie doch jede Menge fanatischer Enthusiasten mobilisieren und so den Stellenwert klassischer Musik in der Gesellschaft etablieren, etwas, daß den heutigen kühlen "arbeitern" nur in seltenen Ausnahmequellen gelingt.


    Dieser Thread kann, wenn er auf Interesse stösst, vieles bewirken:
    Zunächst kann er eine Grundsatzdiskussion vom Zaun brechen.
    Er kann aber auch schon bestehende Threads über "Große Dirigenten"
    erneut aufleben lassen und neue anregen.


    Zudem könnte man sich die Frage stellen, ob es nicht doch noch GUROs inter den Dirigenten gibt, die uns nur momentan nicht geläufig waren bzw sind.


    Ich hoffe auf zahlreiche Beteiligung


    Gruß aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Hallo Alfred,


    ich denke, hier werden zwei Begriffswelten durcheinandergemischt. Die "alten Tyrannen" - also Leute wie Toscanini, Reiner oder Szell - waren bei den Musikern teilweise richtig gefürchtet, weil sie mit den Musikern sehr grob umspringen konnten. Sie haben ihren Willen beinhart und wenig diplomatisch durchgesetzt. Versuche mal danach zu graben, was für Szenen sich zwischen den Wiener Philharmonikern und Fritz Reiner abgespielt haben, als sie für einige Schallplatten-Sitzungen zusammenkamen. Das Ergebnis war allerdings spektakulär, die paar Aufnahmen gehören zum musikalisch unglaublichsten, was ein Orchester jemals eingespielt hat.


    Nikolaus Harnoncourt hingegen - der selbst lange Orchestermusiker war - wird nie gegen ein Orchester arbeiten, sondern seinen Willen immer durch Überzeugungsarbeit durchsetzen versuchen (schon fast legendärer Ausspruch eines Philharmonikers (sinngemäß): "Es ist zwar oft ungewöhnlich, wie er spielt, aber leider hat er immer Recht."). Und das gilt heute wohl generell, große Dirigenten müssen auf ganz anderer Basis ihre Leistung erbringen, es ist immer mehr eine Gesamtleistung als das Solo eines Dirigenten. Er ist mehr "Primus inter pares", und er muss es schaffen, sich so viel musikalischen Respekt zu verschaffen, dass 90 Leute bereit sind, ihm auf seinen Wegen zu folgen.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Die Zeit der "Tyrannen" ist insofern vorbei, als manches Gehabe, das vor 80 oder auch nur 50 Jahren allgemein akzeptiert war, so heute nicht mehr möglich ist. Auch die klassische Musik existiert ja nicht im luftleeren Raum sondern kommuniziert mit dem realen Leben (gelegentlich zumindest). Wer in den 30ern oder 50ern bei Widerworten vom Vater ansatzlos und gesellschaftlich akzeptiert geschlagen wurde, verhält sich auch bei Anweisungen eines Vorgesetzten anders, als jemand, der in einer demokratischen Diskussionskultur aufgewachsen ist.
    (dies nicht um zu politisieren, sondern um den Wandel sichtbar zu machen).


    Heute spielt es einfach nicht mehr "Befehl und Gehorsam" sondern "Motivation und Überzeugung". Die Resultate sind deshalb keineswegs schlechter und für herausragende Interpretationen bedarf es primär herausragender Persönlichkeiten als geborener Diktatoren.


    Zu Harnoncourt:
    Er ist vermutlich ein Grenzfall; jedenfalls ein Mensch mit außergewöhnlicher Autorität und einer gewissen Kompromisslosigkeit, wenn es um die Durchsetzung seiner Werksicht geht. Angesichts von Probenbesuchen würde ich ihn aber nicht als "autoritär" oder "autokratisch" im klassischen Sinne bezeichnen, da er immer bemüht ist zu erklären, warum etwas so und nicht anders klingen soll. Auch erweist er sich gegenüber Kollegen als teamfähig (Oper Zürich) und betrachtet Regisseure als gleichberechtigte Partner.
    Natürlich ist jede Werksicht individuell gefärbt. Dennoch denke ich macht es einen Unterschied im Selbstverständnis eines Dirigenten, ob er versucht, das originale Notenmaterial zu interpretieren, oder von Kollegen (vielleicht gar sich selbst) "verbesserte" Partituren verwendet. Und er ist definitiv kein Selbstdarsteller.

  • Ein paar Anmerkungen


    Die Tyrannei von z.B. Reiner oder Szell schon zu ihrer Zeit legendär, ein klarer Hinweis darauf, dass solch ein Verhalten eben nicht als Normalfall angesehen wurde. Falls er sich für die aufgezeichneten Proben nicht völlig verstellt hat, ist z.B. Fricsay ein klares Gegenbeispiel: kollegial und freundlich, aber auch beharrlich. Auch ein kurzer Ausschnitt, den ich mal mit Furtwängler, dem es sicher nicht an Selbst- und Sendungsbewußtsein mangelte, gesehen habe, zeigt ihn untyrannisch.


    Das war aber nicht mein Punkt. Ich finde wichtig, dass man sich klar macht, was zentral an der Musik ist und was ihr äußerlich, als historische Entwicklung eines Musikbetriebs ist. Starrrummel gab es zwar ansatzweise schon früher, bei den Diven des 18. Jhds. (und wir wissen was Mozart, Gluck und Händel von deren Gebaren hielten) oder bei Liszt, aber das ist ja gerade, was am flüchtigsten ist und am schnellsten vorbei. Vor Beginn des 20. Jhds. waren Dirigenten kein Stars sondern Kapellmeister, die selbstverständlich geschätzt, aber nicht übertrieben verehrt wurden. Der Musik hatte es genausowenig geschadet wie dass es etwa in Kirchenmusik oder Kammermusik bis heute wenig Starrummel gibt.
    Musik wird in der Kultur nicht verankert durch einzelne Medienstars, sondern durch Verbreitung, bis vor wenigen Jahrzehnten durch durchschnittliche biedere Provinzmusiker ohne jegliche Starallüren, die möglichst vielen Leuten ermöglichen, Musik und Oper lokal zu erleben (und natürlich durch die fast ausgestorbene Praxis der Hausmusik). Stars müssen nicht unbedingt schaden, aber sie sind nicht notwendig. Wie im thread über die Krise der Musikindustrie angedeutet, bin ich im Gegenteil jedoch ziemlich sicher, dass die Popstarallüren (und entsprechende Kostenexplosionen) für diese Krise mitverantwortlich sind.


    Die abendländische Musik ist bis ca. 1800 ohne professionelle Dirigenten ausgekommen, der Pultstar als Popstar entstand erst im 20. Jhd. im Schallplatten-, Radio- und Medienzeitalter. Die Musik, um die es geht, aber ist größtenteils kein Kind dieses Zeitalters, auch einen guten Teil der Musik des 20. Jhds. sehe ich eher als Gegenentwurf zu einer technisierten Welt und ihrer Kulturindustrie. Daher kann und darf die Zukunft der klassischen Musik nicht von den Auswüchsen einer späteren Zeit abhängen, die den nachschaffenden über den kreativen Künstler stellt.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo


    Ich denke, ein Grund dafür, dass der Pult-Tyrann heute nicht mehr so häufig ist, ist einfach, dass man heute keine Bedarf mehr dafür hat. Ein Toscanini oder ein Reiner, Ormandy, Szell etc., all diese Leute hatten in ihren Orchestern, die sie über Jahrzehnte lang betreuten, einfach wahnsinnig viel Aufbauarbeit zu leisten, was Präzision und Klangkultur angeht. Und zum Thema Präzision gibt es nicht viel zu erklären und zu überzeugen, sondern nur eine richtige Meinung, die der Dirigent zu vertreten hat. Die Folge war eine unglaubliche Qualitätssteigerung in den Orchestern, so weit man das heutzutage beurteilen kann. (Ich meine den Leistungsstand, als diese Dirigenten bei ihren Orchestern antraten)


    Heutzutage sind die meisten Orchester, auch kleinere, erfreulicherweise auf einem technisch derart hohem Level, dass wirklich mehr Überzeugunsarbeit auf eine Interpretation hin als Orchestererziehung und - Unterdrückung von Nöten ist. Mit dem Probenstil von Toscanini hätte man heute wohl innerhalb kürzester Zeit die Orchestergewerkschaft am Hals.


    Ein weiteres Problem ist, dass viele Orchester nicht mehr über so lange Zeiträume wie früher mit ihren Chefdirigenten zusammen arbeiten. Für ein Gastdirigat bei einem Orchester müssen viele Dirigenten heute mit zwei Proben auskommen, ein kontinuierliches Arbeiten mit einem Orchester und eine Formung eines spezifischen Klanges gerät somit zur Seltenheit.


    Gruß, flo

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

  • Hallo Johannes


    Zitat

    Starrummel gab es zwar ansatzweise schon früher, ...


    Stars müssen nicht unbedingt schaden, aber sie sind nicht notwendig.


    Ich glaube, da bin ich nicht ganz deiner Meinung. Was sich seinerzeit rund um Farinelli abgespielt hat, kann nicht mit "ansatzweise" umschrieben werden, sondern hält Vergleiche mit den Beatles in den 60ern aus. Weitere Beispiele lassen sich fast nach Belieben finden. Auch glaube ich, dass Stars im Prinzip nötig sind, da sie es sind, die immer wieder neues Interesse an der Sache erwecken, egal auf welchem Gebiet. Damit verhindern sie das langsame Einschlafen einerseits und sorgen für Weiterentwicklung andererseits, da z.B. auf musikalischem Gebiet für sie die Komponisten neue kompositorische Wege beschreiten (Mozart hätte nie solche Extrempartien wie Osmin und Sarastro komponiert, hätte er nicht auf Ausnahmesänger zurückgreifen können).


    Es scheint in der menschlichen Natur zu liegen, dass man sich immer wieder nach herausragenden Bezugspersonen sehnt. Stars können dies auch im positiven Sinn sein. Wie aber in allen Dingen gab und gibt es Übertreibungen in der Entwicklung, die der Sache nicht dienen. Damit muss man aber leben, und die Zeit erledigt diese Fälle ohnehin früher oder später...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus


    Ich glaube, da bin ich nicht ganz deiner Meinung. Was sich seinerzeit rund um Farinelli abgespielt hat, kann nicht mit "ansatzweise" umschrieben werden, sondern hält Vergleiche mit den Beatles in den 60ern aus. Weitere Beispiele lassen sich fast nach Belieben finden.


    Das stimmt zwar. Aber welches für Farinelli geschriebene Stück hat 30 Jahre später noch irgendjemanden interessiert? Was von Händel (ersetze Farinelli durch Senesino u.ä.) zunächst überlebte, waren die Oratorien, in denen Starsänger die Ausnahme waren, die jedenfalls nicht von ihnen abhingen. In dieser Zeit war die Oper in einer völlig anderen Weise von konkreten Interpreten abhängig und sehr viel flüchtiger als heute. Für geistliche Musik oder Kammermusik galt die Virtuosendependenz dagegen nicht. Und die hat zumindest teilweise, in Form von Händels Chorwerken und Bachs Wohltemperiertem Klavier überlebt, nachdem die Seria längst vergessen war.


    Zitat


    Auch glaube ich, dass Stars im Prinzip nötig sind, da sie es sind, die immer wieder neues Interesse an der Sache erwecken, egal auf welchem Gebiet. Damit verhindern sie das langsame Einschlafen einerseits und sorgen für Weiterentwicklung andererseits, da z.B. auf musikalischem Gebiet für sie die Komponisten neue kompositorische Wege beschreiten (Mozart hätte nie solche Extrempartien wie Osmin und Sarastro komponiert, hätte er nicht auf Ausnahmesänger zurückgreifen können).


    Ich bestreite ja nicht, dass man mitunter hervorragende Sänger oder Virtuosen benötigt (war Schikaneder ein Star?...gewiß nicht im Sinne Farinellis, das deutsche Singspiel war ja zumindest teilweise eine (klein-)bürgerliche Alternative zur italienischen Oper des Adels). Aber dass ein Sänger oder Instrumentalist, der kein Komponist gewesen wäre, die Musikgeschichte entscheidend vorangetrieben hätte, hat es m.E. im 18. oder 19. Jhd. nicht gegeben, Mozart und Beethoven waren auch Virtuosen, Berlioz und Mendelssohn dirigierten, aber eben in Personalunion. Im Gegenteil hatte viele fortschrittliche Komponisten (Gluck, Beethoven, Wagner) eine Haufen Scherereien mit Sängern oder Instrumentalisten, weil sie schon einen Schritt weiter waren als die gerade aktuelle Mode oder Technik.


    Zitat


    Es scheint in der menschlichen Natur zu liegen, dass man sich immer wieder nach herausragenden Bezugspersonen sehnt. Stars können dies auch im positiven Sinn sein. Wie aber in allen Dingen gab und gibt es Übertreibungen in der Entwicklung, die der Sache nicht dienen. Damit muss man aber leben, und die Zeit erledigt diese Fälle ohnehin früher oder später...


    Da stimme ich zu. Ich habe auch überhaupt nichts dagegen, dass ein hervorragender Sänger oder Instrumentalist Ruhm und entsprechende Vergütung erntet (wie bei allen marktgesteuerten Prozessen kommt es selbstverständlich zu absurden Ungleichheiten, die in keinem Verhältnis zum tatsächlichen künstlerischen Rang stehen...).
    Aber ich bezweifle, dass Popstargebaren wie "Drei Tenöre" etc. oder allgemein Starrummel und Divenallüren der eigentlichen klassischen Musik wirklich nutzen und dass zumindest ein Teil der Krise der Musikindustrie darauf zurückzuführen ist, dass man glaubte, schnelle große Gewinne mit einzelnen Stars wie im Pop erzielen zu können. Der Star muß letzlich die Musik bzw. der Komponist sein, nicht Karajan, Rattle oder Netrebko. Viele klassische Interpreten erwecken zumindest in Interviews den Eindruck, als seien sie ebenfalls dieser Ansicht...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Die Zeit der "Tyrannen" ist insofern vorbei, als manches Gehabe, das vor 80 oder auch nur 50 Jahren allgemein akzeptiert war, so heute nicht mehr möglich ist.


    Man sollte dies nicht so einseitig in Verfolgung des so gerne herangezogenen "Zeitstrahls" sehen, der kontinuierlich in eine gewisse Richtung zielt, sondern man müsste sagen ..."so DERZEIT nicht möglich ist" Das "nicht mehr" impliiert einen kontinuiertlichen Prozess, der de facto irreversibel ist. Die Geschichte jedoch lehrt uns, daß die meisten Tendenzen wiederkehrende sind.........



    Zitat

    Wer in den 30ern oder 50ern bei Widerworten vom Vater ansatzlos und gesellschaftlich akzeptiert geschlagen wurde, verhält sich auch bei Anweisungen eines Vorgesetzten anders, als jemand, der in einer demokratischen Diskussionskultur aufgewachsen ist.
    Heute spielt es einfach nicht mehr "Befehl und Gehorsam" sondern "Motivation und Überzeugung".


    Ich bin sicher, daß es so ist. Allerdings stelle ich es mir unmöglich vor, ein Orchester mit etwa 100 oder mehr Individualisten durchwegs zu überzeugen....


    Die Resultate sind deshalb keineswegs schlechter und für herausragende Interpretationen bedarf es primär herausragender Persönlichkeiten als geborener Diktatoren.


    Hier bin ich NICHT einverstanden.
    Was immer wieder - speziell von Musikern - betont wird, ist das bessere Arbeitsklima für die Musiker. Aber das ist letztlich nicht relevant. Relevant ist allein das Ergebnis.
    Und daß "Diktatoren" (bewusst unter Apostoph gesetzt) die besseren Ergebnisse erzielten, sollte doch kein Geheimnis mehr sein.
    Wobei "besser" sicher das falsche Wort ist, "beeindruckender" käme der Sache vielleicht näher,"


    Kaim jemand vermag heut so zu faszinieren wie einst Toscanini, Karajan , oder Celibidache....oder ...oder...


    Heutigen Interpretationen haftet in der Regel stets eine Aura des Mittelmaßes an - oder aber eine Neigung, hin zum Eigensinnigen - Das Gefühl "Erhabener Größe" oder "alles verzehrender Gluit" vermag sich indes nicht einzustellen......


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Zitat


    Kaim jemand vermag heut so zu faszinieren wie einst Toscanini, Karajan , oder Celibidche....oder ...oder...


    Lieber Alfred!


    Aber muss man deshalb gleich ein "Diktator" oder ein "Tyrann" sein. Furtwängler war keiner, wie schon Johannes bemerkte und trotzdem faszinierte und fasziniert er wie wenig andere. War Karajan wirklich vor dem Orchester, z.B. bei Proben, einer? Er war sicherlich hart und unerbittlich, vergaß selten etwas, war er aber deshalb ein Choleriker wie Toscanini, den Musiker auch fürchteten. Erreichten viele der "Pultdiven" ihre Ziele nicht auf anderem Wege?


    Man darf ja auch nicht vergessen, das wir hier über Dirigenten sprechen, die wir teilweise nur noch von Konserven oder Augenzeugenberichten kennen. Natürlich war die Präsenz eines Furtwänglers oder eines Toscanini, eines Walters oder auch eines Richard Wagners vor dem Orchester bemerkenswert und beeindruckend. Aber hätten wir den direkten Vergleich, vielleicht würden wir sie doch mit Abbado, Muti oder Levine gleichsetzen. Legenden wachsen auch mit der Zeit, werden ins Unermessliche hochstilisiert und nicht jede hielte wohl den Vergleich mit heute stand.


    Zitat

    Heutigen Interpretationen haftet in der Regel stets eine Aura des Mittelmaßes an - oder aber eine Neigung, hin zum Eigensinnigen - Das Gefühl "Erhabener Größe" oder "alles verzehrender Gluit" vermag sich indes nicht einzustellen......


    "An den Früchten sollt ihr sie erkennen."


    Dieses Gefühl vermisse ich auch häufig, aber das Fehlen davon ist sicherlich auf die ganz andere Zeit, in der wir nun einmal halt leben, zurückzuführen. Pathos im weitesten Sinne ist heute eben nicht mehr angesagt. Das mag man bedauern (und ich tue es), aber die Zeit ist nüchterner geworden, großes Gefühl ist manchem verdächtig. Dafür gibt es Gründe und die zu untersuchen, ist durchaus interessant. Nur, Musik findet nicht im luftleeren Raum statt, deshalb wird sie in dieser Zeit eben dargeboten, wie die Zeit es verlangt. Das mag sich irgendwann ändern, aber da sind wir IMO wohl noch lange nicht.


    Dass die früheren Pultstars Persönlichkeiten anderen Kalibers waren, wenn sie es denn waren, liegt vielleicht auch daran, dass sie in ungleich schwereren Zeiten gelebt haben. Mit welchen Problemen muss denn heute ein gepflegter Mitteleuropäer fertig werden, um nur die zu nennen? Niemand muss mehr ins Exil gehen, wird verfolgt oder muss sich mit einer Diktatur auseinandersetzen. Niemand von uns hat einen Krieg, Gott sei dank!, erlebt. Aber solche existenziellen Bedrohungen bilden natürlich auch ganz andere Menschen. Man vergleiche nur einmal die Politikerpersönlichkeiten nach WK II. mit denen von heute. Das soll aber zunächst kein Qualitätsmerkmal sein, sondern nur ein Hinweis auf möglicherweise fehlendes Charisma heutiger Generationen.


    :hello: Gustav

  • Wenn Karajan eines gewiß nicht war, dann ein Diktator. ;)


    Die vielen Videos, die es von etlichen Proben unter Karajan gibt, zeigen uns das Bild eines ruhigen, nie laut werdenden Dirigenten, der sein Klangideal klar vor Augen hat und es dem Orchester feinfühlig zu vermitteln weiß. Da sind keine Star-Allüren, keine Despotie. Die Berichte von Mitgliedern der Berliner und Wiener Philharmoniker bestätigen dieses Bild weitestgehend. Es mag ja sein, daß es in den ganz späten Berliner Jahren nicht mehr so harmonisch zuging (woran aber auch das Orchester mitschuld war!), aber auch hier ging sowohl Karajan und den Berlinern die Musik über irgendwelche Streitereien, wie noch sein allerletztes, phantastisches Konzert in Berlin mit Kissin vom Silvesterabend 1988 beweist.


    Mir kommt viel eher der sonst als "Buddha" gerühmte Celibidache wie ein Pultdiktator vor. Solch rüde Zurechtweisungen und oft bösartige Zwischenrufe hätte es bei Karajan nie gegeben. Da mag das osteuropäische Temperament hinzugekommen sein. Und schauen wir uns doch nur die narzißtischen Videos von Celibidache an. Nie habe ich so eine egozentrisch-theatralische Dirigentenposerei gesehen wie bei ihm.


    Wer's nicht glaubt, schaue sich mal dieses Video an:


    "http://www.youtube.com/watch?v=4tOvkU1ewlA"

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Zitat

    Für ein Gastdirigat bei einem Orchester müssen viele Dirigenten heute mit zwei Proben auskommen, ein kontinuierliches Arbeiten mit einem Orchester und eine Formung eines spezifischen Klanges gerät somit zur Seltenheit.


    Das ist leider so, und ich finde es sehr bedauerlich.
    Manchmal kann man auch durch zu viele Proben ein Stück kaputtproben, doch nur zwei Proben kann, je nach Programm, eindeutig zu wenig sein.
    Wenn es nur noch darum geht, sauber durchzukommen und ein paar Details hinzubekommen, dann droht das Mittelmass.
    Gerade wenn ein Dirigent eine sehr klare und für ihn spezifische Vorstellung für eigentlich jede Note des Stückes hat, kann es gut sein, dass er bei einem für ihn neuen Orchester einfach mehr Proben braucht, selbst wenn er ein sehr effektiver Probenarbeiter ist.


    Von Harnoncourt weiss ich, dass Noten verteilen lässt, in denen alle Details bereits von ihm und seiner Frau eingezeichnet sind.
    In den Proben wird erwartet, dass diese Dinge schon vorhanden sind und man sich auf die grösseren Zusammenhänge und die Bedeutungsebenen konzentrieren kann. Hier wird dann viel mit bildhafter Sprache und mit gedachten Rollenverteilungen gearbeitet (etwa so:"Ihr seid`s hier ganz liebe und naive Kinder")
    Obwohl er einen starken Individualstil hat, erreicht er diesen nach meinem Eindruck durch Überzeugungskraft und Autorität, weniger aber durch autoritäres Verhalten.



    Zitat


    Original von Alfred
    Was immer wieder - speziell von Musikern - betont wird, ist das bessere Arbeitsklima für die Musiker. Aber das ist letztlich nicht relevant. Relevant ist allein das Ergebnis. Und daß "Diktatoren" (bewusst unter Apostoph gesetzt) die besseren Ergebnisse erzielten sollte doch kein Geheimnis mehr sein. Wobei "besser" sicher das falsche Wort ist, "beeindruckender" kämer der Sache vielleicht näher,"


    Dem kann ich so nicht zustimmen.
    Es ist beim Musizieren meiner Erfahrung nach nicht anders, als bei anderen Berufen. Wer ängstlich und eingeschüchtert ist, wird nicht so gute Ergebnisse bringen, wie der, der zwar sehr konzentriert aber innerlich frei und mit Freude bei der Arbeit seine Töne abliefert.
    Da man beim Musizieren wahrscheinlich doch mehr Sensibilität aufbringen muss als etwa beim Strassenbau, arbeiten auch sensiblere Menschen in dieser Branche.
    Wenn Angst und schlechte Stimmung vorherrschen, wird sich das negativ auf das Ergebnis auswirken.
    Das heisst nun nicht, dass die Orchestermusiker für gute oder gar phantastische Ergebnisse nur angstfrei und entspannt zu sein bräuchten; sondern da kommt es auf die Probenarbeit des Dirigenten und überhaupt die Chemie mit dem Orchester an.
    Wichtig ist, dass der Dirigent im Grossen wie im Kleinen weiss, was er will und warum.
    Darüber hinaus muss es ihm im Zusammenarbeit mit den Musikern gelingen, musikalische Spannungen auf- und abzubauen.
    Es kann dann einzeline Aufführungen oder auch Aufnahmen geben, bei denen ein wirklich guter Dirigent im Stande ist, noch eine zusätzliche Dimension aufzutun: Das Orchester wächst über sich hinaus und der berühmte Funken springt noch stärker über als( hoffentlich) normalerweise.
    Die Mitglieder des Berliner Philharmonischen Orchester berichten so etwas in Interviews gerne von Dirigenten wie Furtwängler, Karajan und auch von Abbado.
    Erklären lassen sich diese Phänomene nur bis zu einem gewissen, musikhandwerklichen Punkt. Es bleibt aber immer noch die schlecht zu erklärende "Dimension".
    Warum klingt die Szene von Sauli Bekehrung aus Mendelssohns "Paulus" z.B. bei Masur solide und gut, während sie einem bei Frühbeck de Burgos Schauer über den ganzen Körper jagen kann?
    Ich habe diese Stelle zusammen mit einem Dirigenten und der Partitur vor einiger Zeit vergleichsgehört. Wir konnten zwar handwerkliche Unterschiede definieren. Das Letzte, aber doch entscheidende Moment, wodurch diese Szene bei Frühbeck de Burgos derart erschütternd wirkt, lässt sich vielleicht nur direkt musikalisch verstehen und nachvollziehen. Worte und rationale Gedanken können dieses Magische nicht hinreichend erklären.


    Ich gebe zu, dass Agression im Laufe eines Probenprozesses bei entsprechender konstruktiver Lenkung auch zu später beeindruckenden und sehr überzeugenden künstlerischen Ergebnissen führen kann.


    Angst hingegen führt m.E. zu nichts Gutem.


    Dazu ggf. später noch etwas mehr.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Guru lasse ich mir noch gefallen, aber die Bezeichnungen Tyrann und Diktator passen einfach nicht. Um dies genau beurteilen zu können, müsste man häufig bei Proben dabei gewesen sein. Es gibt eine DVD mit Carlos Kleiber, Karl Böhm und Georg Solti bei Probenarbeiten im Reharsaal. Ich kann diese nur eindringlich empfehlen. Danach können wir uns nochmal unterhalten.


    Entscheidend bleibt, was am Schluss rauskommt. Da gehe ich mit Harnoncourt dacore.



    Liebe Grüße, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)