seit Wochen verfolge ich diese Diskussion
Schön zu wissen, dass es Leute gibt, die bereit sind, das zu lesen, selbst wenn es so ist, wie hier beschrieben:
...und ihr Ziel mag sich mir nicht erschließen
....wobei man dazusagen muss, dass sie deswegen noch lange nicht sinnlos ist.
Wirft Fragen auf: ist Schubert nun ein Klassischer Kompnist?
Davon könnte man hie und da ausgehen in Eurer Argumentation.
Ist er Romantiker? Ihr seid es, davon kann man ausgehen anhand Eurer Diskussion.
Menschen waren zu allen Zeiten auch Romantiker. Glaubt irgendeiner wirklich, dass z.B. ein Beethoven am Schreibtisch saß und sich gesagt hat "ich bin jetzt nicht mehr ein Empfindsamer, auch nicht mehr Sturm und Drang, aber ja, ein Wiener Klassiker, der bin ich jetzt". Oder wußte Schumann, dass man ihn eines Tages als Protagonisten der deutschen musikalischen Romantik bezeichnen wird? Da müsste man sich fragen, wie man denn eigentlich das "Romantische" in der Musik bestimmen könne. Nun habe ich ja das Fach "romantische Satzlehre" studiert, in dem es darum ging, typisch romantische Satztechniken analytisch zu bestimmen oder vorgegebene Melodien im romantischen Stil auszusetzen. Da gäbe es viel zu sagen. Hier seien nur 2 Dinge von Tausenden genannt:
1.
Man liebte es, dissonante Vorschläge (leitereigen und nicht leitereigene Dissonanzen auf betonten Taktteilen, sie werden nicht vorbereitet, Vorhalte hingegen schon) möglichst lange zu halten, um die Schmerzempfindung auszukosten.
2.
wird die Bestimmung einer typisch romantischen Satzweise dadurch sehr erschwert, dass jeder Komponist seinen eigenen romantischen Personalstil pflegte. Eine derartige Individualisierung hat es satztechnisch vorher kaum gegeben.
Deswegen kann ich folgendem Satz vor allem auch in der mitschwingenden Gewissheit nicht zustimmen:
Du fragst, auf Schubert bezogen: "Ist er Romantiker?"
Natürlich ist er das nicht.
"Natürlich", also so klar wie reinstes Quellwasser, ist bei solchen Dingen schon einmal gar nichts. Ich wundere mich, wie enorm vorsichtig meine Professoren für Satzlehre und Musikgeschichte bei der Frage nach der (aus meiner Sicht immer auch ein bisschen unsinnigen) schubladentechnischen Einordnung antworteten, während hier ein Helmut Hofmann sich da offensichtlich derart präzise auskennt, und tatsächlich behauptet, dass Schubert "natürlich" kein Romantiker gewesen sei.
Und er legt noch nach:
Wer dergleichen behauptet und ihn so musikhistorisch einordnet, hat ihn als Menschen, Musiker und Komponisten nicht wirklich verstanden.
Erst dachte ich, dass Holger etwas zu scharf reagierte, als er Helmut Hofmann aufforderte bzw. ihm anbot, er könne von nun an "seine Schubertwahrheiten alleine verwalten". Doch ich muss erkennen, dass er damit einen Kern traf. Wenn man sich als (Schubert)-Liederpapst des Forums versteht und jede Interpretationsanalyse als Gnadenakt mit ex-cathedra-Anspruch, somit als Verwaltungsakt einer Schubertwahrheit ansieht, dem die anderen dankbar zuzustimmen haben, dann ist es nachvollziehbar, dass diesen Schuberwahrheiten widersprechende Auffassungen weder toleriert noch vergeben werden können. Nur aus aus diesem beleidigten Grundaffekt heraus erklärt sich mir die Motivation für die oben zitierte, bald schon anmaßende Einlassung, den Hofmann sagt damit ja indirekt, dass wenigstens er seinen Schubert verstanden habe. Man kann es aber auch so sehen, dass derjenige, der versucht, ein Genie in Schubladen schön säuberlich einzuordnen und eine Diskussion schön säuberlich zu verengen, ebenfalls eine Haufen von Dingen "nicht wirklich verstanden" hat.
Man klagt über endlose Monologe, kann aber nicht wirklich ertragen, wenn im eigenen Thread der eigenen Auffassung widersprechende Meinungen gepostet werden und sich lebende Menschen nicht sklavisch an ein enorm enges Korsett bei der Themenvorgabe halten. Zum Schluss sind eigentlich nur die eigenen Beiträge "im Sinne des Threads". Der über die einsamen Monologe Klagende zeigt damit, dass er es am besten in seinen Threads mit sich selbst aushält.
Ich für meinen Teil möchte mich weder nur über die schwer verifizierbare Sicht des Protagonisten bei den Liedersängern der Winterreise Post-FiDi weiter austauschen, ohne auch einmal auf dazugehörende Randfragen eingehen zu dürfen. Und ich möchte auch niemanden bei der Verwaltung seiner Schubertwahrheiten stören oder verärgern.
So wie ich es sehe, beinhaltet Schuberts Musik sowohl klassische, als auch romantische Züge, nicht nur die Lieder (wer sich nur mit ihnen beschäftigt, wird den Komponisten Schubert auf jeden Fall aus seinem einseitigem Blickwinkel heraus missverstehen), sondern eben auch die Kammermusik, die Klaviermusik und die Symphonien. Gegen den Versuch, ein Genie wie Schubert zu katalogisieren, zu kategorisieren und in eine Schublade einzuordnen, wehre ich mich. Das wird einem solchen Musikgiganten ebensowenig gerecht, wie das biedermeierliche Spielen auf einem nach guter alter Zeit klingendem Originalinstrument, wozu ein Sänger mehr als einmal nur die Hälfte der Sylben vernehmbar singt. Nicht beim Austausch über Schuberts Konzeptionen, Interpretationen und seiner Ästhetik rückt der Schubert zwangsläufig zunehmend in den Hintergrund, sondern durch solche verniedlichenden Darstellungen, die das universelle Genie Schuberts versuchen zu reduzieren und in eine museale Vitrine zu stellen.
Es ist mir zu mühsam, die weiteren Behauptungen, die in Melantes Beitrag aufgestellt werden, nach und nach zu widerlegen. Aber ich bin etwas enttäuscht. Muss man denn zum Defätisten werden, nur weil man den weiter oben doch wenigstens begründeten Aussagen zum Hammerklavier nicht zustimmt? Viel mehr als Defätismus kann ich in dem Beitrag nämlich nicht erkennen. Hier zum Beispiel:
Soviel Unsinn wie hier habe ich selten gelesen: Unsinn seitens der Hörer, nicht seitens der Musik.
Niemand ist gezwungen, hier mitzulesen. Und manchmal erscheinen einem auch Dinge als unsinnig, wenn man bestimmte Zusammenhänge noch nicht sehen kann oder auch andere Aspekte nicht sehen will?
Dass "die Sylbe zählt und nicht der Satz" habe ich in diesem Thread jedenfalls nicht entdecken können. Wenn man in einem anderen Thread eine handwerklich mangelhafte zum Manierismus erhobene Aussprache auch einmal kritisiert, dann ist das legitim und kann keineswegs so gedeutet werden, dass den sich kritisch äussernden Autoren die "Sylbe wichtig" wäre, der "Satz aber nicht".
Und hinsichtlich der "universellen, großartigen" Musik sei gesagt, dass ich ja keineswegs ablehne, wenn Schubert auch einmal auf einem Hammerflügel musikalisch hochwertig vorgetragen wird. Wenn jedoch, wie in dem oben im Thread genannten Beispiel, selbst ein "p" ungesanglich und metallisch klingt und faktisch mindestens schon "mf" ist, und wenn der Klang blechern und scheppernd daherkommt, dann darf man das durchaus auch kritisch benennen. Dass einem das den Vorwurf einbringt, dass man damit Schubert vom Klassiker zum Romantiker in die falsche Schublade einsortiere, hätte ich ja nicht gedacht. Das ist doch - mit Verlaub- absurd.
Radikale HIP-Fundamentalisten (die hier bei Tamino zum Glück nicht ....ihr Unwesen treiben) agitieren in der Öffentlichkeit ziemlich intolerant gegen Aufführungen auf dem heutigen Flügeln, die sie als Bearbeitungen hinstellen. Ich habe jedoch nichts gegen ein gutes Musizieren auf dem Hammerklavier, schätzen aber auch aus guten, nachvollziehbaren Gründen jene Musik, die aus einem heutigen Flügel herauszuholen ist. Mehrfach habe ich versucht zu erläutern, dass die abstrakte musikalische Substanz der Ausgangspunkt dafür ist, dass eine kompositorische Idee Gestalt gewinnt. Daraus ergibt sich doch von selbst eine tolerante Haltung im Sinne der universellen Musik.
Großväter litten- aber was hat das mit der Winterreise zu tun?
Lieber Glockenton, verzeih mir!
Was mit Großvätern zu klären ist, ist mit Großvätern zu klären.
Und wenn doch mittels der "Winterreise", dann bitte auch alle (klanglichen) Möglichkeiten einbeziehend.
Nun, vielleicht erschlösse sich Dir der Zusammenhang zur Winterreise bei einer genaueren Lektüre der Beiträge. Meine Aussage bezog sich auf Holgers richtiger Beobachtung, nämlich:
"Eine solche emotionale Annäherung (des Wanderers zu den schlafenden Mitmenschen) unterbindet die hintergründig durchtönende Präsenz des Klaviers, das penetrante Rasselmotiv, welches in permanenter Wiederholung fühlbare, nicht zu überbrückende Distanz von Anfang bis Ende aufrecht erhält."
Der Grundaffekt, bestimmt durch die satztechnischen Maßnahmen Schuberts in der Klavierbegleitung und in der Melodie, bleibt bestimmend, auch wenn es kleine Veränderungen in den harmonischen Progressionen und der Hinzunahme größerer Intervallsprünge in der Melodie gibt. Das geht gut mit der von Holger oben dargelegten Bildanalyse überein (leichte Schattierungen innerhalb der Monochromie) und stellt die Unfähigkeit zur aktiven Lebensteilnahme eines aus der Bahn geworfenen Menschen dar.
Um das illustrieren, erwähnte ich Schilderungen von Zeitzeugen des 2. Weltkriegs, die angesichts eines soeben erlebten Grauens oft so agierten, dass sie zur aktiven Teilnahme am Leben nicht mehr im Stande zu sein schienen. Was sie sahen, rauschte an ihnen wie ein Film vorbei, den sie wie von außen sahen, obwohl sie doch eigentlich in dieser Realität waren. Hier ist die Verbindung zur Winterreise zu sehen. Schubert lässt uns diese sehr menschliche Reaktion auf den Anblick eines offenen Abgrundes durch seine Musik auf unmittelbare Art und Weise miterleben.
Warum sollte man gegen das Bemühen, sich über diese Dinge im freundlichen Dialog auszutauschen, denn gleich defätistisch anschreiben?
Ich finde das -wie gesagt- schon etwas enttäuschend, lieber Melante.
Die klanglichen Möglichkeiten (aber eben auch Unmöglichkeiten) von Hammerklavieren beziehe ich, der ich weder HIP-Fundamentalist noch Non-HIP-Fundamentalist bin, doch durchaus mit ein. Ich lehne nur ab, wenn behauptet wird, dass man nur auf den alten Instrumenten die historische Musik adäquat spielen könne und alles andere eine Verfälschung sei. Übrigens hat auch der von Dir so geschätzte Frans Brüggen (ein Pionier der Vätergeneration HIP) seine ganzen kostbaren originalen Blockflöten restlos verkauft und sich der Arbeit mit Symphonieorchestern zugewandt. Dabei hat der keineswegs nur Orchester mit historischen Instrumenten dirigiert. Ich könnte von so manchen Konzerten in Norwegen berichten, die hier live auf NRK übertragen wurden, und bei denen moderne Instrumente eingesetzt wurden.
Ihm kam es auf mehr auf die Musik als auf die antiken Musikmöbel an. Bei mir ist das nicht anders.
Gruß
Glockenton