Nachdem die Premiere am 18. März viel positive Resonanz erfahren hatte, zeigt sich das Berliner Opernpublikum zunehmend interessiert an den Folgevorstellungen. Die gestrige war praktisch ausverkauft, nur der Platz neben mir blieb frei, weil sein Inhaber kurzfristig zur Arbeit gerufen worden war.
Mein Ostern war vom karfreitäglichen Parsifal an der Staatsoper und der ostersonntäglichen Heliane an der Deutschen umklammert, unterbrochen von der Cosi, die Ostersonnabend aus der Met übertragen wurde, als heiterem Intermezzo.
Die 1927 uraufgeführte Heliane ist gewiß eine Reprise des langen 19. Jahrhunderts, von dem sie sich, dem neuen abwendig, doch entfernen muß.
Wagner, Wagner, Wagner, Strauss, Puccini, Korngold
Der Wagnerianer sitzt im ersten Akt der Heliane wie im ersten der Walküre. Des Fremden Schicksal ist schon besiegelt, kein Schwert steckt in der Esche, den von der Fessel gelösten besucht die Unliebende, Trost spenden wollend. Heliane ist blond wie Marietta, löst wie diese ihr Haar für den Todgeweihten in der Kammer und Mariettas Lied ertönt ebenso einprägsam wie "Winterstürme wichen dem Wonnemond".
Souverän zitiert Korngold Korngold, immer wieder Wagner, dann Strauss und Puccini. Kenner werden mehr gehört haben, ich Laie bemerke zwingend Parsifal, Tristan, Lohengrin, Walküre, Salome, Tosca und die Tote Stadt.
Das Paar gefällt mir im ersten Akt außerordentlich gut. Sara Jakubiak singt mit geringem Vibrato, die Töne werden sehr sauber angesetzt, was der Stimme ein Leuchten verleiht, das Korngold, dem das Licht in dieser Oper sehr wichtig war, gefallen haben dürfte. Im dritten Akt sind der Sängerin die Strapazen dann doch anzumerken, in der Bahrprobe kann sie sich zuweilen nicht mehr gegen das Orchester durchsetzen.
Brian Jagde gibt den Fremden wirklich heldisch, empathisch, ohne Larmoyanz - Erlöser/Parsifal und Opfer/Cavaradossi in einem. Diese Partie singt er am selben Haus, in jener kann man ihn sich erhoffen.
Es ist ein packender zweiten Akt, in dem Regisseur Christof Loy spannendes Theater auf die Bühne bringt. Etwa, als Okka von der Dameraus Botin hämisch lacht, wenn der blinde Schwertrichter gegen den Willen des Königs den nächtlichen Prozeß auf Bitten des Fremden unterbricht. Burkhard Ulrich beeindruckt mit seinem herrischen Agieren, das den blutrünstigen König Josef Wagners zeitweilig zu zügeln vermag. Daß der König seinen Ehekonflikt vor das Hohe Gericht, Organ der modernen Gewaltenteilung, zerrt, hat höchstes dramatisches Potential.
Müller-Einigens Libretto nach Hans Kaltneker ist zuweilen Ziel das Spotts, aber eine Zeile wie:
Heliane, Kind, was suchst du hier unterm Beil, geh schlafen, 's ist spät!
muß man erstmal schreiben. Mit ihrer berühmten Arie "Ich ging zu ihm" bekennt sich Elsa/Salome/Heliane vor dem Gericht des Ehebruchs schuldig-unschuldig, Ratlosigkeit bei den Richtern, Wut bei ihrem Mann erregend.
Der Fremde wird als Zeuge gerufen, er bittet um den Aufschub, den der König rundweg abschlagen will. Der Schwertrichter zieht das Verfahren wieder an sich:
Du wagst, für mich zu antworten? Zu Häupten sitz doch ich!
Zu diesem Zeitpunkt hat man schon die eigene körperliche Existenz vergessen und schwebt eine Handbreit überm Theatersessel. Zwischen den Akteurs zischen die dramatischen Funken.
Als der Fremde tot ist und Heliane die Bahrprobe, das Erwecken des Toten, auf sich nimmt, kommt der riesige, präzise singende und präzise choreografierte Chor der Deutschen Oper als Akteur auf die Bühne, die er zunehmend dominieren und folglich nicht mehr verlassen wird.
Der Dirigent Marc Albrecht, der sich als "Korngoldianer" bezeichnet, hat jetzt das Riesenorchester -u. chor, sowie die Protagonisten zu lenken. Mir hat gut gefallen, wie sich die lyrisch entwickelnde, dann immer wieder schroff und scharfkantig akzentuierende Musik aus dem Graben erhebt. Die Sänger aber kann Albrecht nicht schonen. Zuweilen werden sie von Chor und Orchester regelrecht in die Zange genommen. Erst bei der Apotheose am Ende, der Herrscher ist des Landes verwiesen, der Chor liegt träumend stumm auf dem Boden, können sich Jakubiak und Jagde nocheinmal entfalten.
Das Paar verläßt rechts hinten die Bühne und nimmt das lange Jahrhundert endgültig mit.
Nachbemerkung:
Am nächsten Sonnabend sehe ich die Lady Macbeth von Mzensk am selben Ort und habe nicht übel Lust, am Vortag in die letzte Vorstellung der Heliane in dieser Spielzeit zu gehen.
Bedenken will ich's: wer weiß, was ich tu'.