Trotzdem möchte ich hier noch einen der ganz Großen der Pianistenzunft vorstellen, der eigentlich einen eigenen Thread verdient hat. Doch ich fürchte, der würde wohl schon nach wenigen Beiträgen gleich versanden. Vielleicht gibt es hier ein etwas breiteres Interesse. Und zwar ist es
Stefan Askenase
geboren am 10. Juli 1896 in Lemberg (heute: Lwów), gestorben am 18. Oktober 1985 in Bonn.
Askenase kam in einer musikalischen Familie zur Welt. Ersten Unterricht erhielt er im Kindesalter von seiner Mutter, die eine Schülerin von Karol Mikuli war. Dieser hatte seine musikalischen Künste bei keinem Geringeren als Frédéric Chopin erlernt. Im jungen Erwachsenenalter geht Askenase nach Wien und vervollkommnet sich an der dortigen Musikakademie bei dem Liszt-Schüler Emil Sauer.
Gleich zu Beginn seiner Karriere als Pianist wird er als Chopin-Interpret bekannt. Er reist durch ganz Europa und gibt in zahlreichen Städten Konzerte, die ihm rasch einen Namen eintragen. Nach dem Ende des 1. Weltkriegs und dem Zerfall der Donaumonarchie widmet er sich vornehmlich der Unterrichtstätigkeit: 1922-1925 am Konservatorium in Kairo, nach einer Pause dann von 1937 bis 1940 am Konservatorium in Rotterdam. Wegen seiner jüdischen Herkunft kann er seine Tätigkeit nicht fortsetzen. Was er in den Jahren der Nazi-Herrschaft im einzelnen gemacht hat, ist nicht genau bekannt. Ich konnte es jedenfalls nicht ermitteln.
Nach dem 2. Weltkrieg nimmt er seine Konzerttätigkeit wieder auf und lehrt auch wieder, und zwar von 1954 bis 1961 am Konservatorium in Brüssel. Seine wohl berühmtesten Schüler waren Martha Argerich und André Tschaikowsky.
Seit der Mitte der 1950er Jahre ist er Exklusiv-Künstler der Deutschen Grammophon Gesellschaft und nimmt für diese Firma zahlreiche Platten auf, vor allem Werke seines Landsmannes Chopin. 1966 läßt er sich dauerhaft in Bonn nieder. Von dort unternimmt er weiterhin Konzertreisen in alle Welt, tritt aber besonders häufig in Köln und Bonn auf. Seine Konzerte sind immer Ereignisse und werden von unzähligen Musikliebhabern geschätzt. Zumindest in Europa genießt er zu dieser Zeit einen ähnlichen Ruhm wie sein Landsmann Artur Rubinstein. Gleich ihm gilt er als ein Chopin-Interpret par excellence.
Nach einem Konzert im ehemaligen Bahnhof Rolandseck, der zum Kulturzentrum umgestaltet wurde, stirbt Stefan Askenase völlig unerwartet einen Tag später im hohen Alter von 89 Jahren in seiner Bonner Wohnung.
Leider wurde der großartige Künstler bald nach seinem Tod von seiner Plattenfirma sträflich vernachlässigt. Seine Platten verschwanden sang- und klanglos vom Markt, und auf CD war er lange Jahre nur mit einigen belanglosen Stücken (auf Sammel-Ausgaben) vertreten.
Inzwischen hat die DGG immerhin eine 7 CD-Box mit seinen Aufnahmen der 50er Jahre aufgelegt:
Sie enthält fast ausschließlich Musik von Frédéric Chopin, so z.B. die Walzer, die Nocturnes, die Préludes, die Sonate Nr. 2 und das Klavierkonzert Nr. 2 (mit den Berliner Philharmonikern, Dirigent: Fritz Lehmann). Aber auch eine Mozart-Sonate (Nr. 17) ist dabei, sowie einige Stücke von Mendelssohn, Smetana und Liszt. Alles Mono-Produktionen, die aber klanglich durchaus anhörbar sind.
Neben etlichen anderen Werken gibt es vom Chopin-Konzert Nr. 1 sogar eine Stereo-Aufnahme:
mit dem Residentie Orkest Den Haag, Dirigent: Willem van Otterloo (Aufnahme: 7/1959, Concertgebouw, Amsterdam).
Sie wurde in Japan sogar auf CD überspielt, leider ist die Ausgabe aber z.Zt. vergriffen.
Die DGG hat in den späten 1960er Jahren zahlreiche Askenase-Aufnahmen auf ihrem Billig-Label HELIODOR wieder veröffentlicht, diese sind z.T. gebraucht noch im Handel erhältlich. Eine Vielzahl davon befindet sich in meiner LP-Sammlung.
Es bleibt zu wünschen, daß diesem großen Künstler irgendwann eine würdige Gesamtausgabe seiner umfangreichen Aufnahmetätigkeit gewidmet wird.
LG Nemorino