Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierkonzert Nr. 17 G-dur, KV 453

  • Ein Menuett oder ein Ländler steht im Dreivierteltakt (machmal auch Dreiachteltakt), wenn ich nicht irre, hat also einen vollkommen anderen Charakter. Nach dem kann man bestimmt nicht marschieren.

    Dieses Thema steht im Viervierteltakt, ist aber trotzdem kein Marsch, schon deshalb nicht, weil man in diesem Tempo nicht marschieren kann. Und dann eben deshalb nicht, weil die Taktschwerpunkte (sehr absichtlich) nicht ausreichend deutlich markiert sind. Da muss man nicht lange diskutieren, und eine lange Diskussion ändert an diesen simplen und leicht ersichtlichen Charakteristika (oder müssen wir jetzt »Charaktäristika« schreiben?).

    Nö, Christians Frage hatte mit dem Takt nichts zu tun.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Deine Unterscheidung Marsch - schwer vs Tänzerisch - leicht funktionier IMO nicht. Denk mal an Tänze wie das Menuett oder eine Reihe von Barocktänzen oder auch einen derben Ländler bei Bruckner. Und gleichzeitig an federnde, leichte Märsche wie bei Burgmüller (2. Sinfonie) oder Spohr oder auch Schubert.

    Luftig kann für mich beides sein, das scheint sich weniger an der zu Grunde liegenden Form festzumachen.

    Den Einwand hatte ich tatsächlich erwartet ;). Aber auch wenn es leichte Märsche und schwere Tänze gibt, suggerieren die Adjektive "marschartig" und "tänzerisch" etwas anderes. Natürlich ist das eine sehr holzschnittartige Unterscheidung, die aber in einem ersten Schritt des Versuchs der Charakterisierung meines Erachtens durchaus helfen kann (übrigens gibt es auch Holzschnitte, die keineswegs holzschnittartig sind...). Ich fange bei der Arbeit mit Studenten eigentlich immer mit so simplen Fragestellungen an, um dann mehr und mehr zu differenzieren. Wenn man erkennt, dass dieses Thema nicht marschartig ist - z.B. weil man nicht dazu marschieren kann -, dann kann man anschließend genauer fragen, was es denn statt dessen ist, dann durch welche Eigenschaften es sich von äußerlich ähnlichen Themen unterscheidet, was das zu bedeuten hat usw.. Ich finde die Feststellung, dass Mozart mehrere Konzerte mit derselben rhythmischen Figur beginnt, vollkommen banal, solange nicht die Frage folgt, was er denn jeweils daraus gemacht hat. Bei KV 453 finde ich z.B. diese Auftaktfigur, die gar nicht auftaktig sondern volltaktig ist, absolut einzigartig. Ihre Bedeutung wird auch dadurch hervorgehoben, dass sie beim Klaviereinsatz und am Beginn der Reprise jeweils sogar noch verlängert wird. Bei KV 456 stellt z.B. dieselbe rhythmische Figur auf dem Grundton (der in KV 453 in den beiden ersten Takten thematisch gar nicht vorkommt) eine Art Fundament für die kantable Fortsetzung dar. Das ist etwas vollkommen anderes.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Zunächst möchte ich mich bei nemorino für die Erstellung eines Threads über dieses schöne Klavierkonzerts Mozarts bedanken :):thumbup:


    Das gestellte Thema war mir eine Anregung, mich wieder einmal mit diesem schönen Konzert zu befassen.


    Bevor ich zu den mir bekannten Aufnahmen in weiteren Beiträgen ggf. etwas schreibe, noch kurz eine Anmerkung zum diskutierten Rhythmus. Die italienische, französische und deutsche Barockmusik ( vermischter Geschmack) mündeten ja letztendlich in die Frühklassik und Wiener Klassik.

    Vor allem von der französischen Musik her wurde ein punktierter Rhythmus ( z.B. bei Ouvertüren) mit Gravität und königlicher Herrschaft assoziiert. Aus diesem Grund hat ja Bach auch in der Kantate BWV 61 den Eingangschor vom Orchester im Stile der französischen Ouvertüre geschrieben, um zu zeigen, dass der Herrscher dieser Welt ( Punktierungen) als kleines und schwaches Kind auf die Welt kam.

    Das ist also so eine kurze Vorbemerkung zu der damals immer noch verstandenen Wirkungen, die punktierte Rhythmen auslösen können.


    Den hier diskutierten Rhythmus hören wir bereits in Takt 1. Mir ist schon oft aufgefallen, dass für Mozart der Rhythmus "Wom ta tadam tam tam" ( eine Viertel, dann eine punktierte Achtel, ein Sechszehntel und dann noch wieder zwei Viertel) so eine Art Steckenpferd gewesen sein könnte.

    Ich höre ihn in seinen Werken recht häufig, vor allem dann, wenn es männlich- festlich klingen soll. So verwendet er ihn z.B. auch im bekannten A-Dur-Konzert Nr. 23 in Takt erstmals in Takt 18, und zwar in den Hörnern. Es ist die Stelle, ab der wir ein Tutti-Forte hören. Besonders bei Harnoncourts Aufnahmen kann man diesen markanten Rhythmus gut heraushören, nicht nur bei der herrlichen Einspielung mit Gulda, sondern auch bei vielen anderen Aufnahmen der Symphonien, bei denen dieser Rhythmus immer wieder vorkommt, vor allem dann im Blech und in der Pauke.

    Selbstverständlich ist es richtig, dass bei diesen Stellen ein "marschmäßiger" Charakter spürbar wird, vor allem, wenn es wie gesagt vom Blech gemeinsam mit der Pauke eingeworfen wird.

    Ob jener Rhythmus nun für Mozart so wichtig war wie später der bekannte Brucknerrhythmus für Bruckner ( zwei Viertel, dann eine Vierteltriole), weiß ich nicht. Aber er mochte ihn offensichtlich sehr und hat diese Vorliebe - wenn ich mich richtig erinnere- auch an Schubert "vererbt".

    Weder das A-Dur-Konzert noch irgendeine Symphonie Mozarts wird deswegen zu einem Marsch. Vielmehr wird der Musik ein wuchtig-festlicher, auch durchaus männlicher Aspekt hinzugefügt, wenn er den Rhythmus in für ihn "normaler" Art und Weise einsetzt. Wenn man solche Stellen dirigiert, ist die Versuchung durchaus da, eine Faust zu ballen...


    Doch nun zum Thema des hier aufgerufenen Konzerts Nr. 17 G-Dur KV 453: Hier liegt die Sache in der Tat ganz anders.

    Mozart kam hier auf die wirklich geniale ( für ihn also völlig normale....) Idee, seinen "Lieblings-Rhythmus" zwar schon ganz am Anfangspielen zu lassen, ihn aber äußerst kultiviert in einen zärtlich-duftigen piano-Zusammenhang zu stellen. Nicht das Blech und die Pauke bekommen ihn im Forte, sondern er wird schön piano in den elegant-melodischen Gesang der leise spielenden ersten Violinen eingebettet. Diese stehen am Anfang völlig nackt und alleine da. Kein anderes Instrument unterstützt die armen ersten Violinen, so dass der einstmals wuchtige Militärrhythmis nunmehr sehr fein und nobel daherkommt. Durch den Triller auf der zweiten Note wird der spielerisch-neckende und doch vornehme Ausdruck erreicht. Man stelle sich nur einmal vor, wie furchtbar öde diese Figur ohne die Punktierung und ohne den Triller klänge. Das wäre so erschreckend banal, dass es kaum auszuhalten wäre. Eben durch diesen Rhythmus erleben wir auf eine feine Noblesse, eine edle und elegant vornehme Verneigung, mit der das Stück beginnt.

    Wenn man nur einmal anfängt, darüber nachzudenken, dann fällt einem auf, wie genial dieser Künstler doch tatsächlich war. Aus der anfänglichen Geste entwickelt er auf wunderbare Art die Melodie weiter. Das ist wirklich unglaublich, ja es ist beängstigend gut.


    So ist es also richtig, dass diese Musik keinen Marschcharakter hat, Mozart aber doch "seinen" für ihn offensichtlich magischen Rhythmus anfangs sehr unkonventionell verwendet, um damit eine noble ( =höfisch/königlich) und gleichzeitig-freundlich-einladende Geste als Entre zum Konzert zu verwenden.

    Später dann, bei der Hinführung zur Kadenz des Pianos wird ein klassischer, rein- punktierter "Kraftrhythmus" ( punktierte Achtel) auf einem Eb7-Akkord ( eigentlich hier ein übermäßiger Quintsextakkord, der durch die Tritonussubstitution als Dominantseptakkord/alterierte Wechseldominante fungiert) vom Orchester im Forte gespielt. Das finden wir in Takt 324.

    Durch den markanten Rhythmus und diese spannungsreichere Form des Dominantseptakkords ist der Sog hin zum "Doppelpunktakkord" G-Dur mit der Quinte D im Bass besonders kräftig.

    Aber auch hier kann man natürlich nicht von Marschmusik sprechen, auch wenn es durchaus rhytmische Anklänge an den festlichen, nahezu militärischen Charakter gibt, die hier allerdings in "kultivierter" Form innerhalb eines Konzertsatzes auftreten.


    Solche Fragen kann man fachlich relativ leicht aufklären. Dass diese Dinge als Ausgangspunkt für unschönen Auseinandersetzungen herbeigenommen werden, hätte ich gar nicht für möglich gehalten. Vielleicht liegt es ja daran, dass Einigen gar nicht so sehr um musikalische Sache geht, als vielmehr darum, Anlässe zu finden, um eine vergiftete und provokative Grund-Atmosphäre zu erzeugen, die am Ende allen die Freude an dem an sich sehr schönen Klavierkonzert und dem Austausch darüber verdirbt. Der Thread wirkt zerschossen und kompetente Taminos denken mittlerweile ans Aufgeben. Vor allem Mozarts Musik hat das nicht verdient.


    Es würde mich wundern, wenn dieser Stil bei Tamino tatsächlich so durchginge, aber das werden wir ja sehen.


    Ich habe heute bereits einige CDs dieses Konzerts verglichen und dachte schon daran, meine Eindrücke hierzu demnächst zu posten. Für mich gibt es da auch eine klare Lieblingseinspielung, die ich sehr empfehlen kann. Doch in so einer vergifteten Atmosphäre möchte ich ehrlich gesagt ungern über derart wunderbare Musik sprechen.


    Wenn man sich also über KV 453 austauscht, dann doch normalerweise nur unter der Voraussetzung, dass es den Einzelnen auch Freude macht, so daß der Dialog über die Musik und über die vorliegenden Einspielungen als Bereicherung für die Taminos und die Mitleser empfunden wird.


    Posten, um sich zu ärgern? Es gibt vielleicht Leute mit viel Zeit, die so etwas tatsächlich brauchen. Das werde ich wohl nie verstehen.


    LG

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Aber ist das für einen echten Musikfreund, der gute Musik genießen und nicht analysieren will, überhaupt von essentieller Bedeutung?

    Am Mozart-Morgen danach: Eindeutig Nein! Das (also ob man in der Lage ist, in der Durchführung "innerhalb von 20 Takten nicht weniger als 13 Tonarten" herauszuhören - so in vorgenanntem Beitrag formuliert) ist für einen Musikfreund nicht von essentieller Bedeutung. Als Nicht-Musikwissenschaftler lese auch ich viel über ein Werk wie KV 453, lege dann aber alle Literatur zur Seite und die Platte auf. Alle Dissonanzen rund um das Werk und seiner Beschäftigung damit sind, Gott und Alfred sei es gedankt, nun ja restlos beseitigt. So können wir unseren geliebten Wolfgang Amadeus wieder genießen. Und gelassen jeder weiteren sachlichen Diskussion entgegen"hören".

    "Von Herzen - Möge es wieder zu Herzen gehen"

    (Ludwig van Beethoven über den Beginn des "Kyrie" seiner "Missa Solemnis")

  • Aus TV.de:


    "Leonard Bernstein als Solist und Dirigent und die Wiener Philharmoniker spielen das Konzert für Klavier und Orchester Nr. 17 G-Dur KV 453 von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791). Diese Aufnahme entstand im Oktober 1981 im Wiener Musikvereinssaal. Sein ganzes Leben lang hatte Leonard Bernstein einen besonderen Platz in seinem musikalischen Herzen für Wolfgang Amadeus Mozart reserviert, dessen Klavierkonzerte er gern, wie in der vorliegenden Aufnahme, vom Klavier aus dirigierte. Das Klavierkonzert KV 453 zeichnet sich durch gesteigerte Ansprüche an den Solisten aus und den Versuch, die zu Mozarts Zeiten tradierte Konzertform mit der Symphonie zu verbinden. Dies zeigt sich in der starken Teilnahme des Orchesters, das nicht mehr nur als diskreter Begleiter des Solo-Parts oder als Verstärker der formalen Höhepunkte fungiert, sondern seine eigene, individuelle Persönlichkeit entwickelt."


    Ich mag diese Aufnahme sehr, natürlich sicher auch, weil ich bekennender Bernstein-Verehrer bin, auch wegen seiner absolut ernsthaften Art, wie er sich mit diesem Werk auseinandersetzt:



    Andante sowie Allegretto - Finale - Presto im Anschluss an Video 1 in Videos 2 und 3

    "Von Herzen - Möge es wieder zu Herzen gehen"

    (Ludwig van Beethoven über den Beginn des "Kyrie" seiner "Missa Solemnis")

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  • Am Mozart-Morgen danach: Eindeutig Nein! Das (also ob man in der Lage ist, in der Durchführung "innerhalb von 20 Takten nicht weniger als 13 Tonarten" herauszuhören - so in vorgenanntem Beitrag formuliert) ist für einen Musikfreund nicht von essentieller Bedeutung.

    Ich frage mich bei solchen Kommentaren immer, woher jemand die Sicherheit nimmt, etwas, das er nicht kann, für unwichtig zu erklären. Ich habe zum Beispiel kein absolutes Gehör und würde gerade deshalb niemandem, der es hat, erklären, dass das von keiner "essentiellen Bedeutung" ist. Der Grund ist einfach: Ich kann es nicht wissen.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Erst einmal Alfred vielen Dank für die "Bereinigung"! :hello:


    Und auch vielen Dank an Glockenton für seinen einmal mehr sehr erhelleden Beitrag. :)


    Da mein Beitrag von heute Morgen gelöscht wurde, wo ich auf die Problematik Eindeutigkeit-Uneindeutigkeit eingegangen bin, formuliere ich das nun noch einmal neu.


    Zunächst eine musikhistorische Anmerkung:


    Wenn die Romantiker gerne betonen, dass der musikalische Gefühlsausdruck "unbestimmt" bleibe, dann ist das nicht nur negativ gemeint, sondern es zeigt sich da die Ablösung eines Musikverständnisses, das die europäische Kultur Jahrunderte prägte: die Rhetorik. In der musikalischen Rhetorik - wie es insbesondere in der barocken Figurenlehre zum Ausdruck kommt - ist der Ausdrucksgehalt im Prinzip genau festgelegt mit einem Wiedererkennungswert. Das löst sich dann im Zeitalter der Empfindsamkeit, zu dem auch Mozart gehört, schlierßlich auf. Es geht nun nicht nur um den Ausdruck von Affekten mit einer festgelegten Typologie, sondern um das subjektive Gefühl - sprich: um eine Individualisierung. Diese Individualisierung bedeutet, dass es durchaus keine im vorhinein festgelegten, eindeutig erfassbaren Ausdrucksgehalte mehr gibt wie die rhetorischen "Affekte" es sind (ein passus duriusculus als Ausdruck von Schmerz z.B.) sondern die Ausdrucksgehalte unbestimmt im Sinne von komplex-mehrdeutig und daher auch subjektiv "interpretierbar" werden. Das sollte man finde ich berücksichtigen, wenn man bei Mozart diskutiert, ob etwas marschartig, marschähnlich ist. Allein die Bezeichnung sagt, dass es hier keine rhetorische Eindeutigkeit mehr gibt.


    Zu diesem Thema verweise ich gerne auf ein Buch des Münsteraner Islamwissenschaftlers Thomas Bauer:


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    Die islamischen Theologen des Mittelalters waren stolz darauf, dass es immer mehrere und nicht nur eine mögliche Auslegung des Koran gibt - die Fundamentalisten dagegen bestehen auf der Eindeutigkeit und nur einer richtigen Auslegung. Dieser "Vereindeutigungswahn" ist nun - wie Bauer hellsichtig bemerkt - nicht nur ein Problem der Religion, sondern allgemeiner unserer modernen Gesellschaft und Kultur. Die "Ambiguitätstoleranz" traditioneller Gesellschaften verwandelt sich in "Ambiguitätsintoleranz". Dazu kommt noch der Erklärungswahn (nicht zuletzt durch unser technik- und wissenschaftsgläubiges Zeitalter motiviert), der für alles glaubt, eine einfach und eindeutige Erklärung zu liefern und dem entsprechend Erfahrungen, die Mehrdeutigkeiten und Unbestimmtheiten enthalten, unglaubwürdig werden, so dass sie letztlich abgestritten werden. Die "marschähnlichen" Charaktäre in Mozarts Klavierkonzert KV 453 sind ein schönes Beispiel für eine solche Uneindeutigkeit und Ambiguität. Man kann weder sagen, dass dies eindeutig Märsche sind, noch, dass es eindeutig nicht Märsche (oder Marschcharaktäre) sind. Und es macht auch keinen Sinn, eindeutig wiederum die Grenze festzulegen, wann diese Charaktäre nun als marschartig empfunden werden können und wann nicht. Die Grenzen sind im Bereich eines solchen Uneindeutigen fließend. Es ist von daher gerade nicht eine Stärke, sondern Schwäche der Erklärung und erklärenden Analyse, nach Eindeutigkeiten und eindeutigen Festlegungen zu suchen, die es hier nicht gibt. Das wird dem Phänomen nicht gerecht. Gerade die Musik ist voll von Unbestimmtheiten, Uneindeutigkeiten, unauflöslichen Mehrdeutigkeiten und man sollte ihr diesen Reichtum lassen. Eindeutig entscheidbar ist da nichts - sondern es handelt sich um eine prinzipielle Unentscheidbarkeit (im Sinne von Jacques Derrida).


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich habe mir einige CDs angehört und verglichen, bei denen ich davon ausging, dass eine davon wahrscheinlich meine Favoritenaufnahme sein wird. Aber ich hörte auch in einige der anderen im Thread genannten Aufnahmen hinein, auch in die YouTube-Links.


    Sehr gut finde ich beide der folgenden Einspielungen, aber es gibt Unterschiede. Was man vorzieht ist Geschmackssache, aber beide CDs sind Botschafter des guten Geschmacks.


    Hier die Aufnahme mit dem Scottish Chamber Orchestra und Charles Mackerras und Alfred Brendel:


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    Ich konnte diese CD bei JPC nicht finden.


    Das Orchestervorspiel harmoniert mit Brendels Auffassung, welche durch sein weiteres Spiel deutlich wird. Wir hören einen frisch-fröhlichen Ansatz, der durch die recht kurz abgerissene Artikulation der punktierten Figuren in den ersten Violinen klar wird: Takt 2 auf Vier und Takt 3 auf Zwei.

    Brendel spielt das anschließend fast noch pointierter.

    Die Transparenz, Spielkultur und das geschmackvolle Dirigat des englischen Sirs kann man nur preisen. Bis ins Feinste ist alles austariert, ausbalanciert und einfach schön gemacht. Mackerras wird hier seinem Ruf als bedeutender Mozart-Dirigent sehr gerecht.


    Brendel beginnt mit einer sehr auf die Melodie der leicht übermütigen Sopran-Primadonna in der rechten Hand fokusierten Spielweise. Die begleitenden Alberti-Achtel der linken Hand spielt er in Richtung eines weichen Klangteppichs, wodurch die Aufmerksamkeit auf die tanzende Ballerina der rechten Hand gelenkt wird. Das ist sehr legitim und man kann es so machen, denn Mozart hat in die Partitur keine Spielanweisungen für die begleitenden Achtel geschrieben.

    Im Orchestervorspiel indes spielen die zweiten Violinen und die Bratschen diese Noten piano-staccato. Man könnte das als Pianist aufnehmen, muss man aber nicht. Es ist -wie gesagt- eine Geschmacksfrage und ich mag beides, wenn es gut gemacht wird.


    Pointert, lebendig und kultiviert - so würde ich diese Interpretations versuchen in wenigen Worten zu charakterisieren. Alles geschieht auf höchstem Niveau.


    Interessant ist der Ausgang der Kadenz des ersten Satzes. Mozart lässt die Streicher auf den Schlusstriller ( der ja eigentlich schon mit den 16teln in Takt 325 beginnt) mit einem mystischen Akkord in Takt 330 einsetzen, der auch schon gegen Ende des Orchestervorspiels vorkam. Es handelt sich um einen H-vermindert über den in Achteln pulsierenden Bass G. Darauffolgt dann geradezu romantisch ein D7 über den weiter pulsierenden G-Bässen.

    Man kann diese Stelle normal, klassisch kultiviert und verbunden mit der Tradition der Klavierkonzerte der Wiener Klassik spielen. Brendel und Mackerras machen das hier so. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber anhand einer anderen Aufnahme kann man hören, dass solche Stellen auch zu zauberhaften Ereignissen werden können.


    Hier nun meine zweite Aufnahme:

    Uchida mit dem English Chamber Orchestra unter Jeffrey Tate.



    Ich sage es gleich: Das ist sie, meine Lieblingseinspielung.


    Tate dirigiert einen transparenten, geschmackvollen und klangschönen Mozart. Die Dinge, die man bei der vorherigen CD gutgefunden hat, kann man hier auch hören, aber es kommt die Dimension einer gewissen Gelassenheit und einer noch mehr für sich einnehmenden Wärme im Klangbild hinzu. Die Tempi sind nahezu gleich; Tate ist einen ganz kleinen Ticken langsamer. Ich empfinde dieses Tempo als ideal.


    Mitsuko Uchida spielt mit singend warmen Ton, ohne dass dadurch die artikulatorische Klarheit verlorenginge. Sie bringt es fertig, mit den oben erwähnten Alberti-Achteln leise hüpfend in linken Hand zu begleiten, während die rechte Hand den Gesang anstimmt.

    Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass sie ihren Flügel anders intonieren lässt, aber es wird hörbar, dass sie für Mozart einen runderen, wärmeren Klavierklang bevorzugt. Das passt ausgezeichnet zum von Tate dirigierten Orchester. Auch hier hört man einen perfekt ausbalancierten, warmen und sich schön vermischenden Klang.


    Noch eine Bemerkung zum Ausgang der Kadenz in Takt 325 ff: es klingt bei ihr wie ein sommerliches Flirren in der Luft, und das Orchester setzt dementsprechend mystisch mit dem H-vermindert über G ein. Das ist atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes. Man hält den Atem an und ist berührt von diesem verzaubernden Sinn für das Geheimnisvolle und für die Schönheit.


    Ja, das kann man sagen: sie spielt so, als ob sie Kindern die schönen Geheimnisse der großen weiten Welt in kindgerechter Form erzählen möchte. Im Staunen über diese noblen Einfachheit liegt ein großes Geheimnis. Ich kenne keinen Pianisten, der das so vermitteln kann, wie Mitsuko Uchida. Für dieses Konzert habe ich also meine Idealaufnahme gefunden.


    Ja, auch die neue Uchida-Aufnahme mit dem Cleveland Orchestra besitze ich. Auch hier wird wunderbar musiziert und die Kadenz gelingt ihr vielleicht rhetorisch gesehen noch etwas zwingender.

    Aber das Tempo ist mir hier etwas zu ruhig. Es klingt mehr warm als transparent ( undurchsichtig ist es definitiv nicht !!), aber ich ziehe hier Tates wunderbares Dirigat vor, welches meine Aufmerksamkeit niemals erlahmen lässt.

    Ansonsten hört man aber natürlich die üblichen Vorteile des Mozarts Spiels Uchidas.


    Ich habe auch schon andere Klavierkonzerte Mozarts im Sinne Uchida vs Uchida verglichen. Beide Aufnahmereihen kann ich sehr empfehlen, wobei ich selbst in den meisten Fällen zur ersten Aufnahme mit Tate greife.

    Diese Aufnahmen sind ein Glücksfall für alle diejenigen, die sich eben das wünschen: beglückt zu werden durch die Musik Mozarts.


    Zu anderen Aufnahmen und Aufführungen ggf. später. So viel vorweg: Dasselbe English Chamber Orchestra klingt in der Aufnahme mit Perahia verglichen mit der Tate-Einspielung recht enttäuschend. Klar hat das etwas mit der Aufnahmetechnik und dem Raum zu tun, aber es kommt hier m.E. doch sehr auf den Dirigenten an. Das wurde mir hier deutlich.


    Muss aus Zeitgründen jetzt schließen...


    LG:hello:

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zunächst einmal möchte ich mich sehr herzlich bei unserem Forenbetreiber Alfred für die Bereinigung des Threads bedanken. Ich war sehr erleichtert soeben festzustellen, daß alle persönlichen Befindlichkeiten entfernt wurden, so daß wir uns jetzt wieder ungetrübt mit Mozart und seinem wunderbaren Konzert KV 453 beschäftigen können.


    Ausdrücklichen Dank möchte aber auch Glockenton sagen, der mit seinen Ausführungen manche Unklarheit ausräumen konnte. Seine Erklärungen sind fachkundig, aber auch für den musikalischen Laien, wie z.B. mich, verständlich und lehrreich.

    Besonders dieser Satz hat mir Freude gemacht und umschreibt das Geheimnis des großen Künstlers Mozart:

    Wenn man nur einmal anfängt, darüber nachzudenken, dann fällt einem auf, wie genial dieser Künstler doch tatsächlich war. Aus der anfänglichen Geste entwickelt er auf wunderbare Art die Melodie weiter. Das ist wirklich unglaublich, ja es ist beängstigend gut.

    Schöner kann man das nicht ausdrücken, und ich möchte es mit einem Zitat aus Wolfgang Hildesheimers (keineswegs gänzlich unkritischer) Mozart-Biographie ergänzen:


    "Wahrscheinlich hat die Zäsur, die sein Tod bedeutete, noch nicht einmal Mozarts engste Mitwelt erschüttert, und niemand hat geahnt, als man am 6. Dezember 1791 den schmächtigen und verbrauchten Körper in ein dürftiges Grab senkte, daß hier die sterblichen Reste eines unfaßbar großen Geistes zu Grabe getragen wurden, ein unverdientes Geschenk an die Menschheit, in dem die Natur ein einmaliges, wahrscheinlich unwiederholbares - jedenfalls niemals wiederholtes - Kunstwerk hervorgebracht hat."


    Im übrigen danke ich Glockenton auch für seine CD-Empfehlungen. Die Brendel-Aufnahme besitze ich nicht, aber die so wunderbar beschriebene Version Uchida/Tate steht bei mir. Ich werde sie bald vornehmen und meine Erinnerung - die zwar etwas verblaßt, aber positiv ist - auffrischen.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Nochmal zurück zu der Frage, was denn jetzt eigentlich für den marschähnlichen Charakter des Themas spricht. Eigentlich ist das nicht viel - bisher haben wir die Argumente, dass das jemand so geschrieben hat, sowie den Rhythmus im ersten Takt.


    Dieser Rhythmus wäre tatsächlich theoretisch Marsch-geeignet, wenn er denn anders eingesetzt würde - das wird er aber nicht. Der erste Takt hat (wie zuvor erwähnt) einen quasi-auftaktigen Charakter und führt in einen schwereren zweiten Takt, in welchem von dem Marsch-geeigneten Rhythmus nichts mehr übrig ist. Überhaupt ist der musikalische Duktus des gesamten Themas luftig und leicht, was auch durch die Begleitung (Pizzicato-Achtel, Betonungen durch Bassnoten nur auf der eins) unterstützt wird.


    Kurz: Den Rhythmus des ersten Takts als Beleg für eine Marsch-Ähnlichkeit heranzuziehen, ist deutlich zu kurz gegriffen.


    LG :hello:

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  • Was lieben die Leute an Mozart?

    "Seine unvergleichliche Anmut. Dass er in einer eher finsteren Welt "das ganz andere" darstellt. Sein Gefühl für Proportionen.

    Mozart hat auch etwas ausgesprochen Spirituelles. Wenn man niedergeschlagen ist, kann ein Mozart-Streichquartett der wirkungsvollste Trost sein."


    Prof. Joachim Kaiser in einem "Stern"-Interview 2006

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  • Eindeutig entscheidbar ist da nichts

    Dann ist wohl auch nicht eindeutig entscheidbar, ob das Tristan-Vorspiel "marschartig" ist. Interessanter Gedanke.


    Dieser Rhythmus wäre tatsächlich theoretisch Marsch-geeignet, wenn er denn anders eingesetzt würde - das wird er aber nicht. Der erste Takt hat (wie zuvor erwähnt) einen quasi-auftaktigen Charakter und führt in einen schwereren zweiten Takt, in welchem von dem Marsch-geeigneten Rhythmus nichts mehr übrig ist.

    Bei diesem ersten Takt kommen noch ein paar charakteristische Besonderheiten hinzu: Anders als z.B. in KV 456 oder KV 415 repetiert die rhythmische Figur nicht einen Ton, schon gar nicht den Grundton, sondern schwebt gewissermaßen zwischen Dreiklangsquint und -terz, während der Grundton melodisch erst im dritten Takt kurz im Durchgang gestreift wird. Vor allem aber nimmt der Pralltriller der Figur jede Schwere (Glockenton hat zu recht darauf hingewiesen, dass die Figur ohne diesen Triller einen ganz anderen Charakter hätte). Insgesamt ist diese Figur, so wie sie hier vorkommt, alles andere als marsch-geeignet (ganz abgesehen von dem entscheidenden Einwand, dass man zu diesem Thema nun mal nicht marschieren kann), auch wenn sie das in anderer Gestalt an anderer Stelle sein mag. Gerade bei Mozart greift man entschieden zu kurz, wenn man aus der Verwendung bestimmter Figuren, Tonarten, Gesten usw. an einer Stelle umstandslos auf die Bedeutung an einer anderen Stelle schließt.

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  • Gerade bei Mozart greift man entschieden zu kurz, wenn man aus der Verwendung bestimmter Figuren, Tonarten, Gesten usw. an einer Stelle umstandslos auf die Bedeutung an einer anderen Stelle schließt.


    Das finde ich auch. Der Rhythmus allein (und die Feststellung, dass dieser Marsch-geeignet wäre, wenn man eine ganze Serie anderer musikalischer Parameter ändern würde) führt hier gewissermaßen in die Irre.


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  • Was lieben die Leute an Mozart?

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    Prof. Joachim Kaiser in einem "Stern"-Interview 2006


    Das würde ich alles unterschreiben, doch finde ich, dass es bei Mozart insgesamt etwas zu kurz greift. Es gibt neben allen Aspekten, die Kaiser hier nennt, dann doch auch noch eine gewisse Doppelbödigkeit in vielen Stücken, ein Balancieren an der Grenze zur Melancholie, die das Wunder Mozart über den reinen Verfertiger größter Anmut hinauswachsen lässt. Das führt aber wahrscheinlich etwas zu weit von KV 453 weg...


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  • Das würde ich alles unterschreiben, doch finde ich, dass es bei Mozart insgesamt etwas zu kurz greift. Es gibt neben allen Aspekten, die Kaiser hier nennt, dann doch auch noch eine gewisse Doppelbödigkeit in vielen Stücken, ein Balancieren an der Grenze zur Melancholie, die das Wunder Mozart über den reinen Verfertiger größter Anmut hinauswachsen lässt. Das führt aber wahrscheinlich etwas zu weit von KV 453 weg...

    Es führt nicht unbedingt von KV 453 weg, weil es auch hier weit mehr als "unvergleichliche Anmut" gibt. Aber ich will nicht wieder mit "musikwissenschaftlichen Anforderungen" Zorn erregen, deshalb also nur:


    Ich besitze Aufnahmen mit Barenboim, Serkin (mit Abbado), Brendel (mit Marriner), Anda und Lang Lang (mit Harnoncourt). Brendel finde ich toll, Barenboim auch. Was meint Ihr?

    :untertauch:

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  • Es führt nicht unbedingt von KV 453 weg, weil es auch hier weit mehr als "unvergleichliche Anmut" gibt. Aber ich will nicht wieder mit "musikwissenschaftlichen Anforderungen" Zorn erregen


    Doch, bitte errege mal: Wo geht Mozart in dem Stück aus Deiner Sicht über "unvergleichliche Anmut" hinaus? Ich höre das ähnlich, aber mich würde interessieren, woran Du es konkret festmachst.


    LG :hello:

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  • Doch, bitte errege mal: Wo geht Mozart in dem Stück aus Deiner Sicht über "unvergleichliche Anmut" hinaus? Ich höre das ähnlich, aber mich würde interessieren, woran Du es konkret festmachst.

    Dazu müsste man natürlich erst einmal "Anmut" definieren (wo sind die Fachleute für philosophische Ästhetik, wenn man sie braucht?;)). Aber davon abgesehen finde ich, dass die Palette an Ausdruck, Stimmungen und Farben in diesem Stück so gewaltig groß ist, dass man sie unmöglich mit einem einzigen Begriff fassen kann. Im Kopfsatz finde ich z.B. die durchführungsartigen Teile, die schon in der Exposition stattfinden (nachdem das Klavier das dritte Thema anstelle des zweiten gespielt hat) viel mehr dramatisch als "anmutig". Dann natürlich das melancholische zweite Thema über der absteigenden Basslinie (welches verwandt ist mit dem Thema des zweiten Satzes). In der Durchführung höre ich die wellenartigen, mehr mit breitem Stich als feinem Pinsel gezeichneten Bewegungen durch die Tonarten (*) eher als kraftvoll und selbstbewusst, und den Übergang in die Reprise mit diesen vereinzelten Motiven im Klavier im Kontrast dazu als suchend und unsicher. Die verweigerte "Befreiung" nach der Klavierkadenz ist wieder etwas ganz anderes, für einen kurzen Moment eher furchtsam. Und so weiter: "Anmutig" mag das alles irgendwo auch sein, aber das beschreibt für mich nicht das Wesentliche. Ich halte ich es eher mit Alfred Brendel, der (in seinem Aufsatz "Ermahnungen eines Mozart-Spielers an sich selbst") geschrieben hat:


    Dass "Anmut" nicht das alles bestimmende Merkmal dieses Konzerts ist, kann man natürlich ganz besonders im Andante hören: Diese immer wiederkehrenden Stillstände, mit Generalpause und Fermate, nach denen es in immer anderer Richtung weiter geht, um dann später doch wieder zu stocken. Das sind teilweise extreme Spannungen, die erst ganz am Ende mit dem herrlichen Abgesang von der Subdominante sehnsuchtsvoll verträumt aufgelöst werden.


    *(Übrigens, und nur am Rande: Die Analyse mit den angeblich 13 Tonarten in der Durchführung halte ich für Unsinn, denn dabei sind sämtliche Funktionsakkorde innerhalb von Kadenzen mitgezählt. Man könnte so gesehen auch "Alle meine Entchen" mit ein paar Parallelen und Zwischendominanten harmonisieren, um dann zu verkünden, dass dort in kürzester Zeit fünf oder sechs Tonarten "berührt" werden).

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Ich besitze Aufnahmen mit Barenboim, Serkin (mit Abbado), Brendel (mit Marriner), Anda und Lang Lang (mit Harnoncourt). Brendel finde ich toll, Barenboim auch. Was meint Ihr?

    :untertauch:

    Wenn es jetzt nicht ironisch gemeint sein soll (man weiß hier ja nie :)) sind es für mich Anda (über den habe ich die Werke kennengelernt) Dann ist es Uchida, auch hier mit Tate als Dirigenten, ein unglaublich spannendes Spiel und Zusammenspiel, von einer Leichtigkeit.


    Ich mag die Aufnahme mit Bezuidenhout auch sehr ....


    Ganz neu, sicher noch nicht häufig genug gehört für eine Bewertung, Claire Huangci und das Mozarteum Orchester Salzburg unter Leitung von Howard Griffiths. Auf jeden Fall hörenswert




    Haben habe ich Brendel/Marriner, Barenboim mit den Berlinern, Benjamin Hochmann/English Chamber Orchestra, Jean-Efflam Bavouzet/Takacs-Nagy, Zacharias/Orchestre Lausanne, Jarrett/Russell Davies, Pires/Abbado, Perahia/English Chamber Orchestra und die oben erwähnten

  • Dasselbe English Chamber Orchestra klingt in der Aufnahme mit Perahia verglichen mit der Tate-Einspielung recht enttäuschend. Klar hat das etwas mit der Aufnahmetechnik und dem Raum zu tun, aber es kommt hier m.E. doch sehr auf den Dirigenten an.

    Hallo, Glockenton,


    damit sprichst Du ein Thema an, wo man durchaus geteilter Meinung sein kann.


    Ich persönlich ziehe grundsätzlich Konzertaufnahmen mit Dirigent vor. Selbst der beste Solist, sei er Geiger oder Pianist, kann nicht während eines ganzen Konzerts die Orchesterspieler so straff in der Hand halten, wie das einem Dirigenten möglich ist. Andererseits sehen nicht wenige Solisten einen Dirigenten als "Hemmschuh" oder zumindest als jemand an, auf dessen Einstellung zum Werk Rücksicht zu nehmen ist. Da kommt es dann sehr auf die beiden "Chefs" an, ob und wie sie miteinander harmonieren. Deine Feststellung, daß das English Chamber Orchestra bei Mitsuko Uchida (mit Tate als Dirigent) besser klingt und einheitlicher spielt als bei Perahia, kann ich nur unterstreichen. Die Barenboim-Aufnahmen (EMI) liegen mir, bis auf wenige Ausnahmen, nicht vor. Ich habe lange keine mehr aus seiner Serie gehört.


    Der erste, der eine GA der Mozart-Konzerte komplett eingespielt hat, war Géza Anda. Er wollte keinen Dirigenten neben sich haben, weil er nach eigener Aussage dann seine Vorstellungen nicht so verwirklichen könnte, wie ihm das vorschwebte. Ich meine, irgendwo einmal gelesen zu haben, daß seine Produktionsfirma, die DGG, Andas Konzeption nur widerwillig akzeptiert hat.


    Große Komponisten, wie z.B. Mozart, werden ihre eigenen Werke vom Flügel aus dirigiert haben. Damals wurden aber auch an die Leistungen des Orchesters nicht so hohe Ansprüche gestellt, wie das heute der Fall ist. Im Mittelpunkt stand immer der Solist, alles andere war nicht so wichtig.


    Beide Auffassungen (mit oder ohne Dirigent) sind legitim und können, je nach Standpunkt, auch begründet werden. Ich bleibe dabei, daß die Hinzuziehung eines Dirigenten die bessere Lösung ist. Uchida/Tate sind dafür ein Paradebeispiel.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Hallo nemorino,


    ich neige dazu, mich Deiner Meinung hinsichtlich der Frage mit oder ohne Dirigent anzuschließen. Wenn Dirigent und Solist den gleichen Zugang zur Musik haben, dann ist es wohl doch mit einem (hervorragenden) Dirigenten etwas günstiger. Aber es gibt auch wunderbare Konzerte, bei denen Dirigent und Solist in einer Person vereint sind. Neulich sah ich auf Youtube ein Mozart-Klavierkonzert mit Eschenbach und einem französischen Orchester. Ich empfand es als sehr gelungen und beglückend. Nun ist aber Eschenbach auch ein sehr erfahrener Dirigent.


    Dass Mitsuko Uchida sehr klare Vorstellungen hinsichtlich der Ausführung der Orchesterstimmen hat, wurde mir zuerst klar, als ich vor vielen Jahren den Videomitschnitt des d-moll-Konzertes KV 466 auf DVD mit der Camerata Salzburg kennenlernte ( DG). Bis heute finde ich, dass es eine sehr schöne Aufführung geworden ist. Das Video ist sicher auch auf YouTube zu finden.

    Wenn ich nun mit Hilfe der Partitur in das Orchester hineinhörte, dann würde ich vielleicht einige Details entdecken, die mir bei ihrer Aufnahme mit Tate besser gefallen - vielleicht auch nicht. Ich müsste es einmal machen.

    Hier bei KV 453 erreicht Tate auf jeden Fall einen sehr homogenen, warmen aber dennoch transparenten und deshalb auch nicht schwergewichtigen Orchesterklang. Für Mozart empfinde ich das mittlerweile als ideal. Es ist ja auch nicht so, dass er hinsichtlich Artikulation und Phrasierung die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis ignoriert.

    Er verwendet die Artikulation zur Aussprache der musikalischen Gedanken, nicht jedoch als herzuzeigenden Selbstwert. Die Akzente und dergleichen sind durchaus alle vorhanden, werden aber nicht plakativ "herausgeknallt." Es bleibt alles im Rahmen - und darin liegt auch ein Geheimnis, eine ästhetische Grundhaltung, die er mit Uchida teilt. Es gilt etwas Kostbares und Zerbrechliches zu vermitteln. Hier wäre z.B. auch das dynamische Ausnutzen des Flügels bis ins fff völlig verfehlt. Man soll eine solche Musik nicht zerknallen.

    Weil hier beide eben auf gleicher Wellenlänge liegen, resultiert das in überzeugenden Ergebnissen.

    Mich überzeugt auch, dass er nicht versucht, ähnlich wie ein Barockorchester zu klingen, die sich dann auch einmal etwas von Rameau oder Mozart vornehmen. So passt der Orchesterklang zum klangschönen modernen Flügel. Ich habe auch schon Klavierkonzerte gehört, bei denen das Orchester gewollt nach Barockensemble klingt und dann der moderne Flügelklang einsetzt. So etwas ist leider in Mode gekommen, aber ich hoffe, es kommt auch wieder aus der Mode. In meinen Ohren ist es grauenvoll, aber bitte, wer es denn so haben will...

    Dann lieber gleich das Hammerklavier und Darmsaiten etc. nehmen, das passt wenigstens zueinander, auch wenn es mich nicht anspricht.


    Bei Live-Konzerten wird es früher in der Tat nicht derart genau auf die orchestralen Dinge angekommen sein wie bei heutigen "Studio"-Aufnahmen, die ja meistens in leeren Konzertsälen gemacht werden. In unserer Zeit ist es so, weil wir über die Möglichkeit der klanglich hochwertigen Musikkonservierung verfügen. Wenn da auch nur eine Kleinigkeit nicht passt, gewinnt dieses Detail an Wichtigkeit, weil jene kleinen Dinge bei jedem Abspielvorgang genau so zu Tage treten, wie sie aufgenommen wurden.


    LG:hello:

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Ich habe heute meinen Hörplan über den Haufen geworfen und das Klavierkonzert Nr 17 gehört (2 mal) Ich bereue es nicht !!

    Das Konzert dürfte bei Pianist nicht allzu beliebt sein - denn ich habe es in meiner Sammlung haupstsöchlicn in Rahmen von Gesamtaufnahmen gefunden. Harenberg sucht sich in der Beschreibung von Mozarts Klavierkonzerten nur einige weniger heraus - die Nr 17 ist nicht dabei:(

    Da ist der Holland/Csampai schon ein anderes Kaliber. Er hat mehr Platz für Texte weil er auf Bilder gänzlich verzichtet, Hier widmet Attila Csampai dem Konzert über eine halbe Seite.

    Ich habe mir vorerst die relativ neue Aufnahme (2010) mit Paul Badura Skoda und dem Prager Kammerorchester angehört - bereits gestrichen (so schnell verblasst Ruhm !! :( )

    und war überrascht wie schnell der erste Satz sie gespielt ist. Überhaupt - auf höchstem Neveau - etwas "routiniert. So war jedenfalls meinpersönlicher Eindruck. Es kränkt mich seh, das hier zu schreiben, denn Paul Badura Skoda zählt zu meinen Lieblinginterprete.

    Als Alternative kam dann Geza Anda mit der Camerata Academica Salzburg dran. Hier ist anzumerken, daß diese Aufnahmen aus Salzburg meine ersten prägenden Eindrücke von Mozarts Klavierkonzerten waren - obwohl ich mir seinerzeit nur einige wenige leisten konnte.Ich besitze nun die Gesamtaufnahme , welche aber ebenfalls gestrichen ist, gehe aber davon aus, daß sowieso viele Mozart-Liebhaber diese Einspielung besitzen.

    Für mich klingt sie anspringender, leicht bedeutungsschwerer und eindringlicher, abgrundtief in den Bässen, leicht grell in den Höhen, wobei man letzteres auch als "brilliant" beschreiben kann (was ich persönlich tue) Alles in allem gebe ich dieser Einspielung den Vorzug. Sie reisst einen mit beim feurigen Finale und macht einen betroffen im Mittelsatz.


    Interessant übrigens die verschiedenen Beschreibungen. Da finden sich Behauptungen von Vorgriffen auf Schubert - aber auch auf Chopin - viel Inhalt für hitzige Diskussionen ;):baeh01:

    Bei der Gesamtaunahme mit Anda - eine verbilligte "Collectors Edition" ist natürlich KEIN Booklet dabei.


    Mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nun habe habe ich mir soeben den ersten Satz des Konzertes mit Pollini und den Wiener Philharmonikern angehört.

    Mein erster Eindruck, bzw. Ausruf beim Orchestervorspiel war einfach nur: Wien!

    Das klingt nach dem Wiener Mozart der Wiener Philharmoniker, so ähnlich, wie man es noch aus Böhms Zeiten kennt. Es wird äußerst klangschön, kultiviert und stilsicher gespielt. Man kann sagen, dass da bei denen alles passt.

    Ist das nun Pollinis Verdienst? Ich vermute eher nein, kann mich aber auch täuschen. Ich nehme an, dass die Wiener nach wie vor so gut sind.


    Ein Malus der Aufnahme ist für mich, dass der Flügel für meinen Geschmack zu dicht mit den Mikrofonen abgenommen wurde. Wer weiß, vielleicht sahen sich die Tontechniker auch dazu genötigt, weil Pollini recht laut und ungeniert mitsingt/brummt. Das wäre schon etwas tragisch.

    Zu einem Gould gehört ja das Mitbrummen, bei Gulda und Brendel finde ich es ok, bei ihm merkwürdigerweise dann nicht mehr. Aber das bin nur ich…


    Jedenfalls ist sein Ton insgesamt härter und „männlicher“ (wohl auch mit entfernterer Mikrofonierung) als der Anschlags Uchidas.

    Bei bestimmten Stellen, insbesondere bei der Kadenz, spielt er für meinen Geschmack schon bald in Richtung Beethoven, weniger noch Mozart.


    In Takt 21 der Kadenz (meine Bärenreiter-Ausgabe fängt bei der Kadenz wieder mit Takt 1 an und setzt beim Orchestereinsatz mit Takt 328 fort) gibt es so ein echoartiges Wechselspiel zwischen piano und forte.

    Ein Seufzermotiv wird dort in einer Kadenz „herabgeführt“. Es beginnt in Takt 20 mit e-moll mit Sextvorhalt c, sich nach h auflösend. Danach hören wir E mit der Septime D im Bass und dem Nonenvorhalt f -> e usw….

    Ja, hier wird ein schöner Schmerz nach dem anderen erzeugt. Mozart schreibt auch den Wechsel zwischen piano und forte vor. Wie laut oder leise das aber sein soll, das überlässt er natürlich dem guten Geschmack des Ausführenden, in diesem Fall wahrscheinlich sich selbst.

    Da es ja immer noch Seufzer sind, finde ich nicht, dass man hier im Beethovenstil echte sf-Schocks spielen sollte. Ich kann die Stelle nicht als wirklich dramatisch hören. Pollini geht in diese Richtung, Uchida nicht. Sie spielt alle diese Akzente, bleibt aber kantabel und klangschön.

    Auch die 16tel-Passagen der Kadenz klingen bei Pollini grober, ebenso die Achtelbegleitungen der linken Hand.


    Mein erster Gedanke war: zu diesem wirklich hervorragenden orchestralen Mozart hätte Uchida als Pianistin eigentlich besser gepasst.


    So hinterlässt die Aufnahme bei mir einen etwas uneinheitlichen Eindruck. Natürlich ist das alles sehr gut. Nur ist das Bessere zum Feind des sehr Guten, vor allem auf diesem herausragenden Niveau, über das wir hier reden.




    Gruß


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton,


    das freut mich, dass Du Pollini besprichst. :) Leider gehört dieses Mozart Konzert nicht zu denen, die ich sehr oft gehört habe und also im "Ohr". Pollinis Aufnahme habe ich vielleicht zweimal nur gehört, das ist zu wenig für bleibende Eindrücke. Dazu habe ich festgestellt, dass ich Ushida mit KV 456 tatsächlich habe (die DECCA-Aufnahme, wo sie selbst dirigiert), aber leider nicht KV 453. Ich müsste mir also die Zeit nehmen, da mal nachzuhören und eine vergleichende Interpretation machen. Was der "absolut" beste oder "richtige" Mozart ist, bleibt natürlich eine schwierige Frage. Ich bin ja wie Du auch nicht unbedingt ein Freund des Hammerklavier-Klangs. ^^ Aber eins ist klar: Diese historischen Instrumente waren im Vergleich mit dem modernen Konzertflügel viel weniger ausgewogen. Bässe und Akzente wirken da viel dramatischer als auf dem modernen Flügel, sogar so, dass sie einen regelrecht überfallen können. Und Mozart hat solche Instrumente damals gespielt. Von daher kann man sich schon fragen, ob der zartfühlend-empfindsame Stil bei einem Mozart-Konzert nicht eine Art ästhetische Idealisierung darstellt und bei Mozart - bei dem man ja nicht vergessen darf, dass er vom Musiktheater her kommt, und Anklänge gibt es dazu gerade in diesem Konzert - von daher auch die dramatischen Züge schon existieren. Da müsste man sich also über verschiedene "Stile" der Interpretation allgemein und speziell bei Mozart unterhalten. Ushida habe ich auch nicht oft gehört - aber sie gefällt mir. :) Sie hat natürlich einen betont empfindsamen Zugang. Im Kopf habe ich allerdings auch den Vergleich mit Chopin. Früher meinte man ja, man dürfe Chopin nur zart-empfindsam spielen. Artur Rubinstein mit seinem männlich-kraftvollen Spiel bekam in jungen Jahren dann solche uns heute komisch anmutende Kritiken, dass er kein Chopin-Spieler sei und lieber spanische Klaviermusik und Debussy spielen solle. Später wurde er dann der Inbegriff des modernen Chopin-Spielers. ^^


    Den Klappentext der Pollini-Aufnahme hat einmal mehr (das tut er seit Jahrzehnten) sein Freund, der italienische Musikwissenschaftler Paolo Petazzi, geschrieben. Die intelligenten Pollini-Klappentexte von Petazzi sind immer lesenswert. Interessant, dass auch Petazzi beim ersten Satz die Andeutung von Marschrhythmen hervorhebt - wenn es verschiedene kluge Interpreten immer wieder tun, kann man finde ich kaum bestreiten, dass man das zumindest so sehen kann (der deutsche Text ist natürlich eine Übersetzung aus dem Italienischen):


    Mozarts "Ideenreichtum erzeugt einen fließenden Wechsel von Abtönungen, von Licht und Schatten, mit kaum greifbaren Oszillationen zwischen heiterer Gelassenheit, nachdenklicher Eleganz und dunklen, geheimnisvollen Passagen.


    Der erste Satz ist ein wundervolles Beispiel solcher Differenziertheit. Das erste Thema, das piano nur von den ersten Geigen vorgetragen wird, deutet zart und verhalten einen Marschrhythmus an."


    (Paolo Petazzi)


    :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Wenn ich einmal von den Mißtönen absehe, die sich vorgestern hier eingeschlichen hatten und die dankenswerterweise vom Foreninhaber beseitigt wurden, so ist festzustellen, daß noch selten so intensiv, aber auch so kontrovers über ein Mozart-Konzert im Tamino-Forum diskutiert wurde. Das ist immerhin erfreulich.


    "Marsch oder nicht Marsch? - das ist hier die Frage, und sie ist noch immer nicht eindeutig geklärt. Aber ich finde, sie ist eigentlich recht nebensächlich, wenn wir uns mit den unbestreitbaren Qualitäten des KV 453 beschäftigen.


    Im Textbuch dieser CD aus der "Originals"-Serie der DGG

    The Originals - Mozart (Klavierkonzerte)

    stehen ein paar Sätze von Peter Cossé, einem seinerzeit renommierten und gefragten Kritiker, die ich hier gerne weitergebe:


    "Mozarts in den Ecksätzen so trauliches, sonnenüberflutetes, im langsamen Satz freilich von dunkleren Gestalten gleichsam überschattetes G-dur-Konzert bestätigen in dieser Aufnahme auf geziemende Weise den alten, unausrottbaren Verdacht: wenn Wollen und Können - also interpretatorische Absicht und technische Meisterschaft - sich so mühelos, so freudig-bewegt und ehrlich empfunden in Übereinstimmung befinden, dann ist dieses Konzert für Ohr und Geist ein immerwährender Gesundbrunnen. Ja, fast möchte man meinen, etwa am Ende der übermütigen Jagd-Kapriolen, es wollten alle müden Glieder wieder leichter ihren Dienst versehen."


    Ein schöneres Kompliment sowohl dem Werk als auch Andas Interpretation gegenüber ist wohl kaum möglich. Die Zeilen sind zwar nicht brandneu, und seitdem sind eine Fülle neuer Aufnahmen erschienen, aber das tut der zeitlosen Schönheit der Aufnahme keinen Abbruch.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Interessant, dass auch Petazzi beim ersten Satz die Andeutung von Marschrhythmen hervorhebt - wenn es verschiedene kluge Interpreten immer wieder tun, kann man finde ich kaum bestreiten, dass man das zumindest so sehen kann

    Man kann alles sehen, was man will, aber solange diese klugen Leute ihre Sicht nicht anhand der Partitur begründen (was Petazzi nicht tut), ist das ohne Belang. Ich hatte diverse Gründe genannt, warum dieses Thema nicht "marschartig" ist. Ich schlage vor, dass Du, statt mit immer neuen Autoritäten anzukommen, mir an der Partitur zeigst, warum ich im Irrtum bin.


    Ja, das kann man sagen: sie spielt so, als ob sie Kindern die schönen Geheimnisse der großen weiten Welt in kindgerechter Form erzählen möchte. Im Staunen über diese noblen Einfachheit liegt ein großes Geheimnis. Ich kenne keinen Pianisten, der das so vermitteln kann, wie Mitsuko Uchida. Für dieses Konzert habe ich also meine Idealaufnahme gefunden.

    Ich habe die Aufnahme eben gehört: Ja, Uchida spielt sehr fein, geschmackvoll, zurückhaltend und dennoch präsent. Aber mit ihrer "noblen Einfachheit" verkleinert sie für mein Empfinden Mozart letzten Endes. Das ist schon ein bisschen der "Rühr mich nicht an-Mozart", vor dem Brendel in dem o.g. Zitat vorsichtig warnt. Dessen Aufnahme mit Mackerras finde ich viel lebendiger, bei aller gepflegten Klangkultur und geschmackvollen Harmonie auch frecher, manchmal widerborstig. Z.B. ist am Anfang des letzten Satzes bei ihm die linke Hand mit der Synkope und der anschließenden chromatischen Abwärtsbewegung ein viel aktiveres Gegengewicht zur Rechten als bei Uchida. Die lässt das lediglich als notwendiges Fundament mitlaufen. Oder im ersten Satz die Passage am Ende der Durchführung: Die klingt bei Brendel ein bisschen so, als hätte man sich nach dem entschlossenen Beginn plötzlich nach H-Dur und c-moll verirrt. Er zeigt bei solchen Stellen, dass sogar bei Mozart die perfekte Harmonie und überlegen gestaltete Ordnung (natürlich nur scheinbar) an Stabilität verlieren kann. Von solchen Details gibt es eine ganze Menge, und die machen in der Summe für mich dann doch einen Qualitätsunterschied aus. Ein grundsätzliches Problem beim Finale ist die Tempofrage: Eigentlich steht nur am Anfang "Allegretto" und bei den folgenden Variationen keinerlei Tempowechsel. Wenn man das wie Uchida wörtlich nimmt, muss man sehr verhalten beginnen, weil man sonst spätestens bei der dritten Variation in ein aberwitziges Tempo käme. Oder man macht es wie Brendel und lässt von vornherein die Möglichkeit zu, mit den verschiedenen Variationscharakteren auch das Tempo jeweils leicht zu modifizieren. Auch hier überzeugt mich Brendels Lösung mehr. Und schließlich finde ich trotz der sehr guten Übereinstimmung zwischen Uchida/Tate das Orchester bei Mackerras ebenfalls deutlich plastischer. Schade, dass Brendel und Mackerras nicht mehr alle Mozart-Konzerte aufgenommen haben. Ihre Einspielungen finde ich durchweg noch einmal besser als die früheren - und ebenfalls sehr guten - mit Marriner.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

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  • Für mich ist Rudolf Buchbinder

    ((State Academic Symphony Orchestra of the Russian Federation named after E.F. Svetlanov

    Rudolf Buchbinder (Piano and Conductor) Moscow 2014)


    eine wunderschöne Alternative zu all den hier bereits genannten Aufnahmen.


    Die Kritik an ihm jedoch ist natürlich ebenso vorhanden.


    Matthias Kornemann in "Rondo" 1998:



    "Doch sind Mozarts Klavierkonzerte eben auch zart aussingende Gebilde, für deren Poesie in Buchbinders Analytikerprosa kein Raum zu sein scheint. Sein Ton ist immer recht kalt und unvariabel gewesen, aber die Kälte, mit der er sich durch viele langsame Sätze arbeitet, ist eine innere: Ungerührt, mit allzu raschen Tempi, veruntreut er ihre melodischen Schönheiten; technokratische Beiläufigkeit lässt eines der ergreifendsten Andantes (aus dem G-Dur-Konzert KV 453) nach Tiefkühlkost klingen.

    Buchbinder will nicht wahrhaben, dass viele Themen durchaus opernhaft gedacht sind. Nicht das kleinste Phrasierungs-Atmen gibt es noch, das an gesangliche Linien erinnern würde. Buchbinders Distanznahme ist konsequent, sie ist uneitel und pianistisch untadelig, das muß man ihm lassen. Doch die humane Anmut und Tiefe Mozarts bilden diese Architekturzeichnungen nicht ab."


    "Von Herzen - Möge es wieder zu Herzen gehen"

    (Ludwig van Beethoven über den Beginn des "Kyrie" seiner "Missa Solemnis")

  • Lieber Holger,


    Ushida habe ich auch nicht oft gehört - aber sie gefällt mir. :) Sie hat natürlich einen betont empfindsamen Zugang. Im Kopf habe ich allerdings auch den Vergleich mit Chopin. Früher meinte man ja, man dürfe Chopin nur zart-empfindsam spielen. Artur Rubinstein mit seinem männlich-kraftvollen Spiel bekam in jungen Jahren dann solche uns heute komisch anmutende Kritiken, dass er kein Chopin-Spieler sei und lieber spanische Klaviermusik und Debussy spielen solle. Später wurde er dann der Inbegriff des modernen Chopin-Spielers.

    ja, ich kenne und mag die Chopin-Etuden mit Pollini sehr, obwohl ich kein Chopin-Liebhaber bin. Ebenso schätze ich seinen Beethoven, der männlich-kraftvoll und ohne Schnörkel daherkommt.

    Ich kann aber nicht so ganz finden, dass Deine Chopin-Assoziation zu Uchidas Spiel die Wirklichkeit trifft. Die hier gemachten Aussagen scheinen sich ja auch zu widersprechen: "Chopin-ähnliche Empfindsamkeit" und dann wieder "fass mich nicht an-Mozart" den man ja früher gerne mit "appolinisch" ( Krips) umschrieb. Gemeint war so eine distanzierte Schönheit, die wie eine griechische Statue in noblem Weiß zu erstarren droht und milde-unantastbar auf einen herabzulächeln scheint.


    Das beide Beschreibungen für Uchidas Mozart, den sie zusammen mit Tate aufführte nicht zutreffen, das dokumentiert -für mich jedenfalls- ein Video, dass ich aus Gründen der Ordnung in einem anderen Thread postete.

    Wenn man sich es anhört und anschaut kann man m.E. nur zu dem Schluß kommen, dass hier ein glühendes und erfülltes Musizieren stattfand, welches die Balance zwischen Expressivität/Empfindsamket und formaler Klarheit und Klangkultur hielt.


    Falls Du Zeit hast, kann ich nur empfehlen, Dir das einmal anzuhören, auch anzuschauen.

    Die Schlagtechnik Tates mag etwas unbeholfen aussehen, was aus meiner Sicht aber der Behinderung durch seine Krankheit geschuldet war.


    Viel Hörfreude :)


    Deine Ausführungen zum Hammerklavier klingen logisch. Ich schließe mich Dir an, wenn Du sagst, dass Du diesen Klang ( dann ja auch noch mit kleinem HIP-Ensemble) nicht magst.

    Wenn man dann also die modernen Instrumente nimmt ( vieles spricht dafür, aber das will und werde ich hier nicht mehr diskutieren), dann finde ich schon, dass man deren singende Qualitäten auch nutzen sollte, ohne dann aber die Dynamik des Steinways voll einzusetzen, der ja auch für ganz andere Dinge ein geeignetes Instrument sein muss. Wenn ich in Aufnahmen mit einem harten, steinig-kalten Anschlag und dann noch "mit ohne Vibrato" im Orchester und dergleichen hineinhöre, dann schaffe ich das oft nur für einige Minuten. Danach juckt es mir im Finger, um die Wiedergabe zu stoppen.

    Für mich klingt es einfach grauenvoll unmusikalisch. Da können mir ganze Legionen von "Wissenden" daherkommen, die dann sagen " ja aber, das muss aber so". Nein, muss es nicht. Zudem, wenn man das Buch "Das Vibrato in der Musik des Barock" von Greta Moens-Haenen kennt, dann beginnt man auch theoretisch ( also außermusikalisch) zu verstehen, dass dieses Gesäge mit dem Klang von Kinderorchestern keineswegs "historisch informiert" ist. Leider ist es woke geworden - schade. Es gab schon im Barock ein ständig eingesetztes Ausdrucksvibrato, besser gesagt, ganz verschiedene Vibrati, die z.B. die Franzosen sogar versuchten schriftlich zu katalogisieren. Sehe ich jedoch in die Youtube-Filme so mancher Radioorchester hinein, dann verzichten die so gut wie vollständig auf das Vibrato. Sehr schade, weil sie sonst eigentlich auf sehr hohem Niveau spielen.

    Ich glaube es war auch Leopold Mozart, der schrieb, dass es manche zu weit trieben mit ihrem ständigen Gezittere, woran man sieht, dass es auch in dieser Zeit schon üblich war, mit Vibrato zu spielen. Aber das ist die musikwissenschaftliche Ebene, auf die ich mich hier ausdrücklich nicht begeben möchte. Das würde den Rahmen des Threads zudem sprengen.


    Rein von meinem musikalischen Empfinden her ist dieses Beharren auf dem geraden Sägeton eben äußerst farblos und ausdruckslos, demzufolge also unempfindsam und unmusikalisch. Möglich, dass da jemand gegenanschreiben möchte - nur zu, aber ich sage dazu nur noch hier und da meine Meinung, verzichte aber auf direkte Diskussionen. Es bleibt auch eine Geschmacksfrage.

    Hört also sehr gerne was ihr wollt, solange ich da nicht mithören muss;)

    Als Premiumkunde bei TIDAL kenne ich sehr viele dieser Aufnahmen und habe sie mir auch länger als nur ein paar Minuten angehört. Meistens war es mir eine Qual.

    Die orchestralen HIP-Anklänge bei Mackerras mit der Brendel-Aufnahme ( die ich auch sehr gut finde) empfinde ich als noch angenehm, wobei ich das English Chamber Orchestra hier noch als für mich klanglich schöner empfinde.

    Das ist eine bewusste ästhetische Wahl, nicht ein Festhalten an alten Hörgewohnheiten, denn ich bin sehr mit dem Originalklang und der dazugehörenden Spielweise sozialisiert.


    Doch zurück zu diesem Konzert:

    Gut, Pollini spielt an der besagten Stelle kein ff, völlig klar. Aber es ist schon so, dass ich für Mozart einen lockeren und auch singenden Ton/Anschlag insgesamt bevorzuge. Das wuchtig-Titanenhafte einer Egmont-Ouvertüre würde mir da als unpassend vorkommen.

    Merkwürdig andererseits, dass ich die Stellen, bei denen Gulda im Krönungskonzert und im Nr. 23-A-Dur zusammen mit Harnoncourt ordentlich zulangt, dann wieder sehr gut finde...

    Es liegt wohl auch daran, dass hier insgesamt ein anderes Konzept gefahren wurde, welches ich in diesem speziellen Fall Gulda/Harnoncourt so überzeugend finde, weil es wirklich gut gemacht wird und aus der Musik selbst heraus sehr nachvollziehbar klingt.


    Wie gesagt, die Pollini-Aufnahme ist natürlich sehr gut! Er spielt pianistisch auf Weltklasse-Niveau. Gerade im ersten Satz finde ich allerdings, dass das Orchester noch hervorragender bzw. "mozärtlicher" spielt als er.


    Weiterhin viel Freude am Musikhören :)


    Gruß

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Das beide Beschreibungen für Uchidas Mozart, den sie zusammen mit Tate aufführte nicht zutreffen, das dokumentiert -für mich jedenfalls- ein Video, dass ich aus Gründen der Ordnung in einem anderen Thread postete.

    Das ist, was mich betrifft, ein Missverständnis: Ich habe gar keine Aussage über "Uchidas Mozart" gemacht sondern die konkrete Einspielung eines bestimmten Konzertes besprochen. Davon sind ihre Einspielungen anderer Konzerte schon deshalb nicht berührt, weil ich sie nicht kenne. Diese eine Einspielung finde ich bei allen unbestreitbaren und unbestrittenen Qualitäten etwas harmlos, in einer ähnlichen Richtung wie die Einsielungen (diesmal kenne ich mehrere) von Perahia mit dem English Chamber Orchestra. Das größte Problem aller Mozart-Interpretation ist in meinen Augen, die Balance zu finden zwischen der plastischen Gestaltung der unzähligen und oft extrem schnell wechselnden Charaktere und der gleichzeitig größtmöglichen Natürlichkeit. Alle gestalterischen Mittel können sehr schnell unangemessen und aufgesetzt klingen, aber statt dessen einfach nur "schön" zu spielen, reicht bei weitem auch nicht aus. Man muss die Mittel so einsetzen, dass sie wirken, ohne sich auch nur einen Moment in den Vordergrund zu schieben. Wenn man hört, "wie es gemacht ist", ist es schon zu viel, wenn man statt dessen nichts "macht", ist es zu wenig. Das ist ein extrem schwerer Balanceakt. Bei Uchida (wie gesagt: dieser Einspielung) wie bei Perahia liegt der Schwerpunkt bei der Natürlichkeit, das ist auch zweifellos sehr schön, aber im Vergleich mit Brendel oder - in ganz anderer Art - auch Serkin finde ich es auf die Dauer eine Spur zu keusch. Brendel hat die Anforderungen "an sich selbst" sehr schön formuliert:

    Zitat
    Es hieße Mozart verkleinern, wollte man ihn auf wenige Merkmale festlegen. Daß große Komponisten Mannigfaltiges mitteilen, Widersprechendes verbinden können, ist gerade an Mozart zu beweisen. (...) Zwischen Frische und Verfeinerung (...), Kraft und Durchsichtigkeit, Natürlichkeit und Ironie, Distanz und Innigkeit, zwischen Freiheit und Facon, Selbstvergessenheit und Stil, Leidenschaft und Grazie eine Balance zu finden, gehört zu den Mühen des Mozartspielers, die nur der Glücksfall belohnt.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
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    (Theodor W. Adorno)

  • Das größte Problem aller Mozart-Interpretation ist in meinen Augen, die Balance zu finden zwischen der plastischen Gestaltung der unzähligen und oft extrem schnell wechselnden Charaktere und der gleichzeitig größtmöglichen Natürlichkeit. Alle gestalterischen Mittel können sehr schnell unangemessen und aufgesetzt klingen, aber statt dessen einfach nur "schön" zu spielen, reicht bei weitem auch nicht aus. Man muss die Mittel so einsetzen, dass sie wirken, ohne sich auch nur einen Moment in den Vordergrund zu schieben. Wenn man hört, "wie es gemacht ist", ist es schon zu viel, wenn man statt dessen nichts "macht", ist es zu wenig. Das ist ein extrem schwerer Balanceakt.

    Ja, so ist es selbstverständlich. Uchida hat es in Bezug auf Mozart einmal sinngemäß in einem Interview so formuliert: wenn man an einer Stelle einen Punkt machen will ( to make a point), dann klingt es meistens aufgesetzt und störend, aber gleichzeitig soll man es expressiv spielen. Dazu müsse man lernen, seine "Seele zu erziehen" , ganz abgesehen von der Bewältigung der technischen Herausforderungen.


    Auch den zitierten Gedanken Brendels kann ich nur zustimmen.


    Das sie hier bei K453 das Werk Mozarts verkleinert oder zu harmlos darstellt, höre ich so tatsächlich nicht. Ich finde, dass - und damit meine ich jetzt alle Beteiligten Musiker- sehr lebendig und frisch bei aller Klangschönheit aufgespielt wird.

    Mir sind z.B. auch die sehr guten und engagierten Bläser des English Chamber Orchester im letzten Satz sehr positiv aufgefallen. Vielleicht würdest Du das bei mehrfachem Hören auch so meinen, vielleicht (oder wahrscheinlich) auch nicht.

    In den letzten Tagen habe ich mich ja durch einige Aufnahmen gehört, die ich allesamt nicht so gut fand, wie eben Brendel und Uchida ( ich muss noch einmal die ältere Brendel-Aufnahme mit Marriner heraussuchen).


    Aber in letzter Konsequenz muss das jeder selbst für sich entscheiden und hören. Die Vorlieben wechseln ja auch. Ganz früher war für mich alles andere als Gulda (gerade bei Beethoven) nicht anhörbar, dann bin ich später auf den bis heute heißgeliebten Brendel gekommen und noch später auf Uchida und Paul Lewis. Gründe dafür hatte ich immer, genauso wie ich jetzt Gründe habe, weniger die "Knallerei" zu mögen, an die ich mich auch bei Korsticks Beethoven-Ansatz erinnern kann.


    Manchmal hat man so seine Helden, denen man vertraut, dass sie einem die Musik bestmöglich vermitteln. Bei mir ist es so, und die ausführenden Musiker haben ja auch ihre Vorbilder. So borniert wird wohl keiner sein, dass er sagt " ich brauche nur die Noten und dann genüge ich mir selbst".

    Bei Brendel und Uchida bin ich bisher sehr selten enttäuscht worden.

    Nur gestern hörte ich dann etwas aus dem "Schwanengesang" Schuberts mit ihr und Mark Padmore. Da ich Fischer-Dieskau/Brendel oder Goerne/Eschenbach gut im Ohr hatte, war ich einigermaßen entsetzt. Aber das nur am Rande, ist dann ein anderes Thema...



    Nun würde ich noch gerne etwas zu den YouTube-Filmen sagen, die Alfred postete :


    Den ersten Film mit Manze finde ich richtig gut - fast alles ist hervorragend. Den Pianisten kenne ich mit sehr guten Aufnahmen, die er zusammen mit Julia Fischer machte.

    Für meinen Geschmack könnte der Helmchen hier noch etwas weniger laut und geheimnisvoller spielen - aber da muss ich zugeben, dass mich Uchida eben so überzeugt hat, dass ich es im Moment so wie mit ihr hören möchte. Das Orchester spielt klar und artikuliert sprechend ohne unschön zu klingen. Es könnte vielleicht etwas wärmer klingen, aber es ist schon sehr gut so.

    Manze macht einen guten Job. Was mich nur wundert ist, dass er sich von den Bewegungen her schon bei diesem Konzert geradezu zerreißt - huch!

    Eine Wagner-Oper würde er so auf keinen Fall überstehen... ;) Das kommt auch mit den Jahren, dass man in den Bewegungen und Gesten sparsamer wird. Rein optisch ist seine Art Mozart zu dirigieren schon sehr anders als etwa die des seligen Karl Böhms. Der stand da wie ein Studiendirektor mit einem Stab in der Hand und überwachte streng seine "Klasse" ( das waren dann die Wiener Philharmoniker :) ) Dazu ein unbewegliches Gesicht. So etwas zu beobachten, find ich immer wieder interessant. Entscheidend ist aber, "was hinten `rauskommt", wie unser Kanzler der Einheit es einmal so treffend formulierte:)

    Die NDR-Tontechniker haben sich bei diesem Mitschnitt einen extrem schlimmer Fehler geleistet: Man hört im Bassbereich jede, aber wirklich jede Pedalbewegung des Pianisten. Das hat etwas mit der Mikrofonierung, mit Abständen und dergleichen zu tun. Es ist geradezu amateurhaft und dürfte nicht passieren. Helmchen kann einem leid tun. Er hat so geübt, und dann das...

    Ich hörte es soeben über meinen Beyerdynamics DT1770 pro, ein geschlossener, sehr neutraler Studiohörer, der eine sehr gute Basswiedergabe hat. Über die große Anlage mit den Martin Logans und den zwei Klipsch-Subwoofern will ich diesen Film dann lieber nicht sehen, bzw. hören.


    Der zweite Film ( wahrscheinlich früher aufgenommen?) klingt für mich aus drei Gründen grauenhaft.

    Erstens ist die Aufnahmetechnik schlecht ( na gut, ist kein Konzertfilm) zweitens spielt mir der Pianist da noch zu sehr im lauten Dynamikbereich und drittens dirigiert der schlimmste aller Vibrato-Verbieter dieser Welt. So klingt es dann auch. Die armen Musiker! Dann ruft er auch noch dolce hinein... ja, aber dann dolce non vibrato, nicht wahr?

    Nein, ich kann das nur kurz über mich ergehen lassen. Aber bitte, wer so etwas mag... 8-) nur zu.


    Gruß:hello:

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Man kann alles sehen, was man will, aber solange diese klugen Leute ihre Sicht nicht anhand der Partitur begründen (was Petazzi nicht tut), ist das ohne Belang. Ich hatte diverse Gründe genannt, warum dieses Thema nicht "marschartig" ist. Ich schlage vor, dass Du, statt mit immer neuen Autoritäten anzukommen, mir an der Partitur zeigst, warum ich im Irrtum bin.

    Es ist glaube ich kein besonders diskursiv erfolgversprechender Stil, sich selber Autorität dadurch zu verschaffen, dass man einfach völlig unbegründet erklärt, dass alle Mozart-Experten dieser Welt nicht in der Lage wären, ihre Ansicht zu begründen und ihre Autorität, die man so sich selber gibt, damit zu bestreiten. Ein CD-Klappentext gibt einfach nicht den Raum für eine Werkanalyse. Daraus kann man schwerlich schließen, dass der Autor nicht in der Lage ist, das auch anhand der Partitur zu zeigen. Tristan hat hinlänglich und überzeugend begründet, warum man da eine Marschähnlichkeit hören kann. Nicht mehr und nicht weniger, und das ist völlig ausreichend. Das kann ich - und viele Andere können das auch - hörend nachvollziehen. Nur das ist letztlich entscheidend. Damit ist auch klar, dass es nicht um das Zitieren von "Autoritäten" geht, sondern um eine nicht sinnvoll bestreitbare, völlig unzweifelhafte Evidenz. Um eine ästhetische Erfahrung eben - freilich eine Möglichkeit. Im Bereich des Uneindeutigen gibt es keinen Zwang, immer nur ein Können aber nicht unbedingt Müssen. Wer etwas partout nicht hören will, der hört es freilich auch nicht.


    Man kann sich ja auch fragen, warum dieses "Detail" in Werkbeschreibungen so oft erscheint. Dafür gibt es ganz einfach einen musiktheoretischen und musikhistorischen Grund: Das Hauptthema legt die Stimmung des ganzen Satzes fest. Das Format eines Paolo Petazzi zeigt sich genau hier. Die Andeutungshaftigkeit des Marschcharakters des ersten Themas begründet in ihrer Vagheit und Uneindeutigkeit dieses ungemein faszinierende Fluktuieren der Charaktäre in diesem ganzen Satz. Das ist einfach in sich schlüssig und damit ein für den Hörer zum Sinnverständnis sehr hilfreicher Klappentext.

    "Chopin-ähnliche Empfindsamkeit" und dann wieder "fass mich nicht an-Mozart" den man ja früher gerne mit "appolinisch" ( Krips) umschrieb. Gemeint war so eine distanzierte Schönheit, die wie eine griechische Statue in noblem Weiß zu erstarren droht und milde-unantastbar auf einen herabzulächeln scheint.

    Lieber Glockenton,


    das ist eine Parodie der Winckelmannschen Klassizität, die man mit marmorner Starre gleichsetzt. Mit dieser "Kritik" konnte ich noch nie etwas anfangen. Sie zeigt nur, dass man keinen Sinn für das Idealische und Klassische mehr hat. Ein G.W.F. Hegel hatte das noch, das war für ihn die "lebendige Schönheit". Leute, die so über Interpretationen denken, die ein Klassizitätsideal realisieren wollen (und dazu gehören die erhabensten) sollen besser Pop-Musik und keine klassische Musik hören. Ihnen bleiben die tieferen, metaphysischen Geheimnisse der klassischen Musik schlicht verborgen. Das nur als ketzerische Anmerkung eines Metaphysikers. ^^

    Nun habe habe ich mir soeben den ersten Satz des Konzertes mit Pollini und den Wiener Philharmonikern angehört.

    Mein erster Eindruck, bzw. Ausruf beim Orchestervorspiel war einfach nur: Wien!

    Das klingt nach dem Wiener Mozart der Wiener Philharmoniker, so ähnlich, wie man es noch aus Böhms Zeiten kennt.

    Ich habe mir den ersten Satz mal zu Gemüte geführt - Pollini, Ushida, Brendel, Anda, Perahia, Ashkenazy. Bei mir bleibt Pollini die Nr. 1. Alle Interpretationen sind für mich großartig. Nur mag ich diesen Nähmaschinen-Anschlag bei Mozart einfach nicht, diese etwas plane Herunterspulen der Läufe des konventionellen Mozart-Stils. Den behalten hier alle außer Pollini - und vielleicht Anda. Die Wiener Philharmoniker bei Pollini sind in der Tat toll. Sie spielen dieses Konzert wie eine Symphonie mit Klavier und nicht wie die Orchesterbegleitung eines Klavierkonzertes. Und entsprechend ist Pollinis Gestaltung des Klavierparts symphonisch. Er spielt nicht jeux perle mit "nadelnden" einzelnen Tönen, sondern bindet alles ein in ein farbig-sattes Klangkontinuum. Dadurch gelingen ihm auch die Umschattierungen der Charaktäre in diesem Satz, auf die Paolo Petazzi hinweist, so meisterhaft. Und entsprechend hat die Kadenz auch symphonische Größe. Das passt. Zumal er hier wirklich mit dem Orchester dialogisiert. Was ist bei Pollini ja nicht immer so ist - da finde ich ihn im 1. Klavierkonzert von Beethoven mit Jochum z.B. ein bisschen zu wenig konzertant. Hier ist alles wie aus einem Guss. Was ich aber sagen muss: Wirklich atemberaubend gespielt ist die Kadenz von Geza Anda! Das sollte man sich anhören! :)

    Jedenfalls ist sein Ton insgesamt härter und „männlicher“ (wohl auch mit entfernterer Mikrofonierung) als der Anschlags Uchidas.

    Bei bestimmten Stellen, insbesondere bei der Kadenz, spielt er für meinen Geschmack schon bald in Richtung Beethoven, weniger noch Mozart.

    S.o.!


    Einen schönen Sonntag wünschend

    Holger

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